Hariolf Kottmann, CEO Clariant.
Von Bob Buchheit
Moneycab: Kaum ist der Turnaround geschafft, wagt sich Clariant an eine zweieinhalb Milliarden teure Übernahme. Ist Clariant jetzt übermütig?
Hariolf Kottmann: Dies ist weder Wagnis noch Übermut. Der erfolgreich abgeschlossene Turnaround schaffte erst die Voraussetzungen, um den Schritt in Richtung profitables Wachstum durch Akquisition eines so interessanten Unternehmens zu gehen. Management-Kapazität und Strukturen sind vorhanden, um die Transaktion zu stemmen.
«2011 soll unser Verschuldungsgrad den Wert von 60 Prozent nicht überschreiten, was durchaus eine branchenübliche Grösse ist.»
Hariolf Kottmann, CEO Clariant
Ende 2000 sass Clariant auf 5,1 Milliarden Franken Schulden. Jetzt sind es weniger als 300 Millionen. 2012 wäre Clariant normalerweise schuldenfrei. Wie lange wird es dauern, bis der Preis für die Südchemie wieder abgetragen ist?
Clariant konnte die Nettoverschuldung im Geschäftsjahr 2010 massiv von 545 Mio. CHF auf 126 Mio. CHF zurückführen. Der Verschuldungsgrad schrumpfte von 29 auf nur noch 7 Prozent. 2011 soll unser Verschuldungsgrad den Wert von 60 Prozent nicht überschreiten, was durchaus eine branchenübliche Grösse ist. Wir sind zuversichtlich, bei beiden grossen Rating-Agenturen in den nächsten 12-18 Monaten mit einem Investment Grade Rating eingestuft zu werden.
Der Baselbieter Spezialchemiekonzern galt als ewige Baustelle. Jetzt hat er einen beachtlichen Turnaround hingelegt, der auch an der Börse honoriert wird. Die Ankündigung der teuren Übernahme wurde jedoch nicht goutiert. Es ging schlagartig um 10 Prozent mit dem Aktienkurs bergab. Anleger hätten sich wohl eine längere ruhige Konsolidierungsphase versprochen. Wie ernst nehmen Sie dieses Votum?
Natürlich nehmen wir die Voten unserer Aktionäre ernst. Die negative Kursreaktion wurde im Wesentlichen durch drei Faktoren ausgelöst. Erstens war Süd-Chemie im Markt weitgehend unbekannt. Zudem standen Zeitpunkt und Preis der Akquisition in der Kritik. In den letzten Wochen hat der Markt aber mehr und mehr verstanden, um welch starkes Unternehmen es sich bei Süd-Chemie handelt. Die jüngste Kursentwicklung reflektiert diese weitaus positivere Einschätzung. Zum Zeitpunkt ist zu sagen, dass Süd-Chemie hier und heute zum Verkauf stand, und nicht in einem Jahr – und dies zu einem Preis, der zwar hoch, aber für die Qualität des Unternehmens angemessen ist.
Clariant wird keine Dividende zahlen, obwohl sie nachhaltig einen hohen Cashflow von zurzeit 642 Millionen Franken generiert. Haben Sie keine Angst, Ihre Anlegergemeinde zu verprellen?
Grundsätzlich erachten wir Dividenden als Bestandteil des Ertrages, welcher ein Investor mit Clariant erzielen kann. Für die Zahlung einer Dividende müssen zwei Grundvoraussetzungen gegeben sein: 1. Clariant erwirtschaftet einen Reingewinn und 2. Clariant verdient die Kapitalkosten. In 2009/10 haben die Aktionäre auf eine Dividendenzahlung verzichten müssen, da die Restrukturierung und die Übernahme von Süd-Chemie substanzielle Mittel gebunden hat. Für das Geschäftsjahr 2011 wird der Verwaltungsrat nach Vorliegen des Jahresergebnisses über die Ausschüttung einer Dividende entscheiden.
«Es gilt, die zweifellos vorhandene Preismacht mit verbesserten Prozessen konsequenter und rascher umzusetzen.»
Im Branchenvergleich ist Clariant günstig zu haben: Das Kurs/Gewinn-Verhältnis für 2012 wird auf nur 8,2 geschätzt. BASF hatte sich seinerzeit billig CIBA einverleiben können. Der amerikanische Chemieriese DuPont ging neulich erfolgreich auf Einkaufstour. Es tut sich einiges in der Branche. Wie gross ist die Gefahr für Clariant, selbst Übernahmeziel zu werden?
Das Risiko einer Übernahme ist grundsätzlich für jedes an der Börse kotierte Unternehmen jederzeit gegeben. Wir sind jedoch überzeugt, dass das heutige Management den Wert des Unternehmens und damit auch den Aktienkurs weiterhin nachhaltig zu steigern vermag. Dies haben die letzten beiden Jahre gezeigt. Entsprechend sehen wir für Clariant derzeit keinen besseren Besitzer.
Nach einer kurzen Entspannung im zweiten Halbjahr 2010 zeigen die Preise vieler Rohmaterialien wieder deutlich nach oben. Hat Clariant genug Macht, die höheren Preise weiterzugeben? Im letzten Jahr konnten Sie sie ja in Lokalwährung um vier Prozent erhöhen.
Die Verzögerung, mit welcher wir Rohstoffpreiserhöhungen weitergeben können, beträgt zwischen wenigen Wochen bis zu einigen Monaten, je nach Geschäft und Kontrakt. In einigen Geschäften wie beispielsweise ICS sind die Verkaufspreise direkt an die Entwicklung der Rohstoffpreise gekoppelt und passen sich somit mit einer Verzögerung automatisch an höhere Rohstoffpreise an. In anderen Business Units, etwa Textile Chemicals oder Pigmente, sind die Märkte weniger transparent. Damit ist der Preisgestaltung höchste Priorität beizumessen. Mit unsere Initiative Commercial Excellence adressieren wir unter anderem auch die Preisgestaltung. Es gilt, die zweifellos vorhandene Preismacht mit verbesserten Prozessen konsequenter und rascher umzusetzen.
Und jetzt zum Franken. Wie weh tut seine Stärke?
Grundsätzlich ist Clariant durch die natürliche Absicherung seiner Geschäfte operativ vergleichsweise wenig sensitiv gegenüber Währungsrisiken. Die Produktion erfolgt in grossem Masse lokal/regional, womit die Erlöse in derselben Währung erzielt werden wie die Kosten anfallen. Das Risiko ist vorwiegend translatorischer Natur.
Der Konzern ist international tätig und somit durch das Engagement in verschiedenen Währungen einem Wechselkursrisiko ausgesetzt. Dies gilt insbesondere in Bezug auf den Euro und den US-Dollar sowie zunehmend in Bezug auf Währungen der Schwellenländer. Ist Währungsabsicherung ein Thema?
Zur Reduzierung des Wechselkursrisikos aus künftigen Geschäftstransaktionen und verbuchten Vermögenswerten und Verbindlichkeiten nutzen die Konzerngesellschaften Kassageschäfte, Termingeschäfte, Devisenoptionen und Devisenswaps in Übereinstimmung mit den Konzerngrundsätzen zu Wechselkursrisiken.
Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und des Schweizer Führungsnachwuchs ein?
Beides weiterhin sehr positiv. Das ist auch ein Grund, warum wir uns als Schweizer Unternehmen sehr wohl fühlen.
«Wir sind zuversichtlich, bei beiden grossen Rating-Agenturen in den nächsten 12-18 Monaten mit einem Investment Grade Rating eingestuft zu werden.»
Wie wichtig ist Diversity für Ihr Unternehmen und welche Massnahmen sind in Ihrem Unternehmen zum Thema geplant oder schon umgesetzt?
Als globales Unternehmen ist uns Diversity sehr wichtig. Entsprechend unserem Bedarf bemühen wir uns um die Rekrutierung und Weiterentwicklung lokaler Talente in allen Ländern, in denen Clariant tätig ist. Unsere Geschäftseinheiten sind international aufgestellt und bestehen aus vielen internationalen Arbeitsteams auf den verschiedensten Ebenen. Zudem haben wir über 150 Auslandsdelegierte mit unterschiedlichster Herkunft in den unterschiedlichsten Ländern im Einsatz.
Weltweit ist die Chemiebranche im Aufwind. Was würde aber passieren, wenn der Preis fürs Erdöl, ihr wichtigster Rohstoff, auf prohibitiv hohe 200 Dollar stiege?
Ein Anstieg des Ölpreises auf 200 Dollar würde nicht nur Clariant, sondern die ganze Weltwirtschaft treffen und das globale Wirtschaftswachstum deutlich bremsen. Da unsere Abhängigkeit aber nicht direkt proportional zum Ölpreis steht, würde sich ein solcher Anstieg moderater auf unsere Rohstoffkosten auswirken. Generell werden wir in einem solchen Umfeld analog zur Vergangenheit unsere Verkaufspreise nach oben anpassen und so den Rohstoffanstieg abzufangen versuchen. Darüber hinaus sind wir auch heute schon daran, unsere Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren und alternative, erneuerbare Rohstoffe in der Produktion unserer Chemikalien einzusetzen.
Welche neuen Chemikalien werden in den nächsten Jahren den Markt revolutionieren?
Grundsätzlich werden auch wir unsere Produkte auf Nachhaltigkeit noch weiter ausrichten. Dieser Trend wird andauern.
Der Gesprächspartner:
Hariolf Kottmann stammt aus Göppingen und begann 1974 Chemie und Biochemie in Stuttgart zu studieren, wo er 1984 seinen Doktortitel erwarb. 1985 startete er seine Berufskarriere bei den Farbwerken Hoechst in Frankfurt, wo er von R&D, Production and Technology bis Controlling die unterschiedlichsten Positionen innehatte. 1996 wurde er zum Head of Business Line Inorganic Chemical befördert und von 1998 bis 2001 war er in den USA Executive Vice President von Celanese AG, einer Hoechst-Tochter. Ab April 2001 arbeitete er als Exekutivmitglied bei SGL Carbon, bevor er 2008 zum CEO von Clariant berufen wurde.
Das Unternehmen:
Clariant ist ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialitätenchemie. Der Konzern ist auf fünf Kontinenten mit mehr als 100 Konzerngesellschaften vertreten und beschäftigt rund 16’200 Mitarbeitende. Der Hauptsitz ist Muttenz bei Basel, Schweiz. Im Jahr 2010 erzielte Clariant einen Umsatz von rund 7,1 Milliarden CHF. Der Konzern ist in zehn Business Units gegliedert: Additives, Detergents & Intermediates, Emulsions, Industrial & Consumer Specialties, Leather Services, Masterbatches, Oil & Mining Services, Paper Specialties, Pigments und Textile Chemicals.