Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Karrer, der Bundesrat hat jetzt einen Fahrplan zur Lockerung der Coronavirus-Massnahmen vorgelegt. Wie eng wurde dieser Fahrplan mit der Wirtschaft, im Speziellen auch mit economiesuisse abgestimmt?
Heinz Karrer: Der Fahrplan wurde nicht im Detail mit uns abgestimmt, aber wir konnten unsere Anliegen und Ideen auf allen Ebenen einbringen, unter anderem auch im Krisenstab des Bundesrates.
«Wichtig ist primär, dass der Bundesrat einen klaren Fahrplan für die schrittweise Öffnung aufgezeigt hat – das schafft für viele betroffene Unternehmen klare Perspektiven.» Heinz Karrer, Präsident economiesuisse
Ab dem 27. April dürfen Coiffeure, Kosmetikstudios, Baumärkte, Blumenläden und Gärtnereien wieder öffnen, Spitäler wieder alle Eingriffe vornehmen. Obligatorische Schulen und Läden sollen ab 11. Mai wieder öffnen und ab 8. Juni die Mittel-, Berufs- und Hochschulen sowie Museen, Zoos und Bibliotheken. Keine Öffnungszeiten gibt es bis anhin für Restaurants. Wie beurteilen Sie die Geschwindigkeit des Fahrplans?
Wichtig ist primär, dass der Bundesrat einen klaren Fahrplan für die schrittweise Öffnung aufgezeigt hat – das schafft für viele betroffene Unternehmen klare Perspektiven. Sie wissen nun, dass sie ihre Geschäftstätigkeit wieder aufnehmen dürfen, wenn sie die Hygienevorgaben des Bundes einhalten können. Wir hätten jedoch erwartet, dass der gesamte Detailhandel bereits ab dem 27. April wieder öffnen könnte. Auch fehlt eine verbindliche Perspektive für die Restaurants.
Von Beginn weg hat der Bundesrat immer betont, dass er einen Mittelweg suche zwischen der Volksgesundheit und der Wirtschaft. Während die Gesundheitsziele (keine Überlastung des Gesundheitswesens, Schutz der Risikogruppen) bis anhin gut erreicht wurden, sind die Menschen in Kurzarbeit, die Arbeitslosenzahlen und die wirtschaftlichen Schäden höher als erwartet ausgefallen. Wie beurteilen Sie den Balanceakt?
Der Bundesrat musste eine sehr diffizile Interessenabwägung vornehmen und hat diese Aufgabe meines Erachtens bisher gut gelöst. Es war von Beginn an klar, dass eine Teilstilllegung der Wirtschaft Kosten in Milliardenhöhe verursachen würde. Schwieriger abzuschätzen waren die sekundären Effekte, und diese kommen nun immer stärker zum Vorschein.
«Der Bundesrat musste eine sehr diffizile Interessenabwägung vornehmen und hat diese Aufgabe meines Erachtens bisher gut gelöst.»
Auch in nicht direkt betroffenen Branchen werden Investitionen aufgeschoben, Marketingaktivitäten zurückgefahren, Aufträge an Dritte hinausgeschoben. Ja länger die Unsicherheit andauert, desto schwerer wiegen diese Ausfälle. Deshalb ist es so wichtig, einen klaren Fahrplan zu haben und so rasch wie möglich die Massnahmen zu lockern.
Wo hoch sind bis anhin die wirtschaftlichen Einbussen durch die Coronakrise und die Unterstützungsprogramme des Bundes?
Derzeit lässt sich das noch nicht beziffern. Es hängt stark davon ab, ob es nach dem Ende der Krise einen Kompensationseffekt gibt und wie gross dieser ausfällt.
Die Möglichkeit, Kurzarbeit anzumelden, war ursprünglich vor allem zur Rettung von KMU gedacht. Ganz schnell bedienten sich jedoch grosse börsenkotierte Unternehmen, welche gleichzeitig auch Dividenden ausschütten und Staatsbetriebe an den Versicherungsgeldern. Gibt es von economiesuisse Empfehlungen bezüglich Ethik in Notsituationen?
Das Instrument der Kurzarbeit ist kein Geschenk für die Arbeitgeber, sondern verhindert in erster Linie, dass es im Zuge einer Krise zu Entlassungswellen kommt. Entsprechend werden mit dem Instrument vor allem Jobs gesichert, bei KMU und Grossunternehmen.
«Staatsbetriebe wie die SBB oder öffentliche Einrichtungen sollten keine Kurzarbeit einführen. Diese haben kein unternehmerisches Risiko und der Steuerzahler finanziert ihre Tätigkeiten bereits zu einem wesentlichen Teil.»
Es ist aber sicher richtig, wenn sich Unternehmen derzeit zweimal überlegen, wenn sie Kurzarbeit beanspruchen, ob sie auch Dividenden auszahlen wollen. Eine pauschale Regelung wäre hier aber falsch. Beispielsweise beansprucht ein Unternehmen Kurzarbeit für ein Restaurant, der restliche Betrieb läuft aber auf Hochtouren und wirft Gewinn ab; hier können die Investoren auch eine Gewinnausschüttung erwarten. Wenn es dem Unternehmen nun verboten würde, im Falle von Kurzarbeit für den grossen rentablen Geschäftsbereich Gewinne auszuschütten, wird er auf Kurzarbeit verzichten und es käme zu Entlassungen, die durch Kurzarbeit vermieden hätten werden können. Es kommt hier also auf den Einzelfall an.
Hingegen sollten Staatsbetriebe wie die SBB oder öffentliche Einrichtungen keine Kurzarbeit einführen. Diese haben kein unternehmerisches Risiko und der Steuerzahler finanziert ihre Tätigkeiten bereits zu einem wesentlichen Teil.
Unklar ist, wie der Ausstieg aus der Kurzarbeit von sich gehen soll. Haben Sie hier ein Konzept?
Zunächst gilt es, den Lock-down möglichst bald schrittweise zu beenden, so dass die riesige Zahl an Personen in Kurzarbeit rasch reduziert wird. Zeichnet sich ein Ende der Krise ab, sind alle Massnahmen, die aufgrund der Notsituation geschaffen worden sind, wieder ersatzlos zu streichen.
Der Bundesrat hat schon angekündigt, dass er einige Massnahmen aus dem Notrecht in reguläres Recht überführen möchte. Welche Massnahmen könnten dies sein und wie wird sich economiesuisse hier einbringen?
Die Massnahmen wurden als spezifische Antwort auf die staatlich verordnete Schliessung von Teilen der Wirtschaft ergriffen. Sobald wieder alle Teile der Wirtschaft offen sind, fällt der Grund für diese temporären Massnahmen weg.
«Es gibt aber auch Erleichterungen, die der Bund in der Not vorgenommen hat, die er beibehalten sollte. So namentlich im Bereich der Digitalisierung, wo vieles, was jahreslang verzögert wurde, über Notrecht ermöglicht wurde.»
Die gegenwärtige Krise sollte nicht dazu genutzt werden, den Einfluss des Staates auf Wirtschaft und Gesellschaft weiter auszudehnen. Denn dazu gibt es keinen Grund. Die Schweiz ist eine erfolgreiche Volkswirtschaft, verfügt über gesunde Staatsfinanzen und einen funktionierenden Arbeitsmarkt und gute Infrastrukturen. Damit sind wir besser für die Krisenbewältigung aufgestellt als viele andere Staaten.
Es gibt aber auch Erleichterungen, die der Bund in der Not vorgenommen hat, die er beibehalten sollte. So namentlich im Bereich der Digitalisierung, wo vieles, was jahreslang verzögert wurde, über Notrecht ermöglicht wurde. Wenn es etwas gibt, was wir beibehalten oder sogar noch ausbauen sollten, so sind dies Erleichterungen für unsere Unternehmen und den Abbau überholter Regeln. Denn nur wenn wir für unsere Wirtschaft ideale Rahmenbedingungen schaffen, gelingt es nach der Krise wieder, zur alten Stärke zu gelangen.
Die Nachbarländer halten die Grenzen weiterhin mehr oder weniger geschlossen. Wann sehen Sie hier eine Lockerung, wie soll die Schweiz mit Einreisenden umgehen, damit das Virus nicht von aussen wieder eingeschleppt wird?
Die Öffnung der Grenzen wird ebenfalls schrittweise erfolgen müssen, in enger Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn. Für Grenzgänger waren die Grenzen ja immer offen. Wichtig ist jetzt, dass Fachleute aus Drittstaaten sowie ausländische Kunden wieder in die Schweiz einreisen können. Bis der internationale Reiseverkehr aber in vollem Umfang wieder möglich ist, dürfte es noch mehrere Monate dauern. Und selbst dann werden wohl Gesundheitskontrollen bei der Einreise notwendig sein.
Die Lockerung der Massnahmen böte auch die Chance, nicht einfach in den vorherigen Zustand zurück zu kehren, sondern einige fundamentale Änderungen zu diskutieren. Welche neuen Ideen, Innovationen und grundlegenden Änderungen wünschen Sie sich für die Zeit nach der Krise?
Ich halte wenig davon, Staat, Wirtschaft oder Gesellschaft nun in disruptiver Art umzubauen oder gar industriepolitische Forderungen zu stellen. Kurzfristig werden wir unsere Kräfte darauf konzentrieren müssen, die direkten Folgen der Krise wie die steigende Arbeitslosigkeit, Firmenkonkurse und hohe Steuerausfälle so gut wie möglich abzufedern.
«Zur erfolgreichen Bewältigung der ganz grossen Herausforderungen braucht es neben einem handlungsfähigen Staat auch eine gesunde Wirtschaft, eine eigenverantwortlich handelnde Bevölkerung und eine funktionierende internationale Zusammenarbeit.»
Wenn uns diese Krise etwas gelehrt hat, dann dies: Zur erfolgreichen Bewältigung der ganz grossen Herausforderungen braucht es neben einem handlungsfähigen Staat auch eine gesunde Wirtschaft, eine eigenverantwortlich handelnde Bevölkerung und eine funktionierende internationale Zusammenarbeit. Deshalb gilt es vor allem die Erfolgsfaktoren der Schweizer Wirtschaft zu stärken. Zudem erachte ich es als sinnvoll, wenn Politik und Wirtschaft sich Überlegungen machen würden, wie bei einer nächsten Epidemie reagiert werden soll und welche Vorkehrungen dazu bereits jetzt zu treffen sind.