Helmut Ruhl, CEO der AMAG Group, im Interview

Helmut Ruhl, CEO der AMAG Group, im Interview
Helmut Ruhl, CEO der AMAG Group AG (Bild: AMAG, Moneycab)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Ruhl, fast jeder dritte Neuwagen in der Schweiz kommt von der AMAG, dasselbe auch bei den rein elektrisch angetriebenen Autos (BEV). Welche Zielsetzungen haben Sie für die kommenden Jahre, wie hoch soll der Anteil der Elektrofahrzeuge am Gesamtumsatz sein?

Helmut Ruhl: Wir wollen die erarbeitete Marktposition auch in Zukunft halten und in der Elektromobilität der führende Anbieter bleiben. Bisher sind wir von einem Anteil von 50% elektrischen oder teilelektrischen Fahrzeugen im Jahr 2025, 70% im 2030 und nahezu 100% vor 2040 ausgegangen. Aufgrund der aktuellen Marktentwicklung wird der Hochlauf der Elektromobilität wohl etwas langsamer als erwartet verlaufen. Unsere langfristigen Ziele bleiben jedoch bestehen.

Was Elon Musk schon von Beginn weg konzipierte, nämlich ein umfassendes elektronisches Ökosystem (Solaranlagen, Batterien, Ladestationen, Autos), ist auch bei der AMAG zur Strategie geworden. Wie definieren Sie das Ökosystem der AMAG für die Zukunft, wo investieren Sie in konkrete Lösungen?

Mit der Entwicklung von Elektrofahrzeugen, der Skalierung der Photovoltaik und der Implementierung einer geeigneten Infrastruktur vernetzen sich zunehmend die Sektoren Mobilität und Energieerzeugung. Die Energieproduktion wird dezentraler und volatiler. Es entsteht ein neues Energie- und Mobilitätssystem und damit neue Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden. Genau hier investieren wir und bieten Lösungen, «Lösungen für die Zukunft» wie wir es nennen.

«Mit der Übernahme von Helion bauen wir Solarenergie zu, und zwar mindestens so viel, wie die von uns verkauften Elektrofahrzeuge benötigen.» Helmut Ruhl, CEO der AMAG Group

Konkret investieren wir in unser Kerngeschäft, den Vertrieb und Service von Elektrofahrzeugen (BEV) und decken bald alle Segmente ab. Mit der Übernahme von Helion bauen wir Solarenergie zu, und zwar mindestens so viel, wie die von uns verkauften Elektrofahrzeuge benötigen. Im vergangenen Jahr steht dem Verkauf von rund 18’000 Elektrofahrzeugen der Zubau von Solaranlagen mit einer Stromproduktion für den Betrieb von über 30’000 BEV gegenüber. Damit man Strom nutzt, wenn die Sonne scheint, beziehungsweise der Strompreis niedrig ist, bieten wir zusätzliche Speicherlösungen an, haben Wärmepumpen sowie eine intelligente Steuerung im Angebot. Ausserdem werden wir Lösungen für Stockwerkeigentümer und Mieter anbieten. Mit einer eigenen Ladekarte und einem eigenen Schnellladenetz bieten wir attraktive Preise und Lösungen für öffentliches Laden. Und mit Clyde, unserem Elektrofahrzeug-Abo, haben wir ein rundum sorglos-Angebot bei dem auch das Laden, inklusive das Laden im Ausland, im Abopreis enthalten ist.

Mit der Übernahme von Helion und der eigenen Tochterfirma Clyde Mobility haben Sie bei der Energieerzeugung und -Speicherung, den Ladestationen und bei Abos für Elektroautos das Angebot der AMAG erweitert. Welche weiteren Themenbereiche stehen für mögliche Übernahmen im Fokus?    

Unsere Strategie steht und der Fokus ist nun die Skalierung der aufgegleisten Aktivitäten. Hier investieren wir.

Selbstverständlich wollen wir auch beim bi-direktionalen Laden und den damit verbundenen zusätzlichen Anwendungsfällen führend sein.

«Wir gehen davon aus, dass 2040 noch rund 2 Mio. Verbrenner in der Schweiz unterwegs sind. Wenn es uns gelingt, diese ausschliesslich mit Synfuels zu betreiben, sinken die CO2 Emissionen in der Schweiz um zehn Prozent.»

Ausserdem verändert sich die Mobilität. Man beginnt, Verkehrsträger stärker zu kombinieren, also mit dem Velo zum Bahnhof, mit der SBB von A nach B und dann mit dem Auto zum Zielort. Hier haben wir mit «Europcar on demand» oder «allride» Angebote und wir wollen auch Lösungen von «holo» in die Schweiz bringen, dem führenden Unternehmen für die Implementierung autonomer Systeme in Europa.

Weiter sind wir bei Synhelion, einem Schweizer ETH-Startup, welches aus Solarwärme Synfuel herstellt, beteiligt. Mit diesem fast CO2-neutralen Synfuel kann auch der bestehende Fuhrpark klimafreundlicher betrieben werden. Wir gehen davon aus, dass 2040 noch rund 2 Mio. Verbrenner in der Schweiz unterwegs sind. Wenn es uns gelingt, diese ausschliesslich mit Synfuels zu betreiben, sinken die CO2 Emissionen in der Schweiz um zehn Prozent.

Die Umstellung auf erneuerbare Energien, der absehbare Wegfall der AKW bei gleichzeitig steigendem Strombedarf durch Heizungen und Fahrzeuge, stellt die Energieanbieter und Netzbetreiber vor enorme Herausforderungen und dürfte die Strompreise in Zukunft kaum sinken lassen. Zusammen mit den höheren Anschaffungspreisen von Elektroautos eine kaum erfreuliche Perspektive. Wie beurteilen Sie künftige Wachstumschancen, wo ist noch Wachstum möglich, wo werden Sie eher desinvestieren?

Die Elektromobilität wird sich durchsetzen, wenn wir unsere Reduktionsziele bei CO2 und lokalen Emissionen erreichen wollen UND wenn sie kostengünstiger wird als der Verbrenner. In diesem Jahrzehnt werden wir Elektroautos sehen, die auch in den Anschaffungskosten günstiger sind als Verbrenner. Die Branche macht hier enorme Fortschritte.

Für das weitere Wachstum benötigt es nun die Anstrengungen aller «Systempartner», der Energieunternehmen, der Immobilien- und Ladestationsanbieter und selbstverständlich der Politik. Das grosse Potential liegt in der intelligenten Steuerung der Verbraucher, das heisst, dass die Autos dann laden, wenn die Sonne scheint, die Strompreise schon heute teilweise negativ sind. Fast «kostenloses Elektroautofahren» ist die Vision. Zudem können erste BEVs bereits heute bidirektional geladen werden und funktionieren als Stromspeicher. So können sie mittelfristig Teil eines grossen dezentralen Speicherkraftwerks werden.

«Wir sollten immer im Blick behalten, dass die Dekarbonisierung der Mobilität die bei weitem schnellste und kostengünstigste Art für die Schweiz ist, ihre Klimaziele zu erreichen.»

Klar ist, für alle «Transformationsbeteiligte» gibt es enorme Herausforderungen. Die Autobranche alleine hat bereits weit mehr als 500 Mrd. CHF in die Elektromobilität investiert. Wir sollten immer im Blick behalten, dass die Dekarbonisierung der Mobilität die bei weitem schnellste und kostengünstigste Art für die Schweiz ist, ihre Klimaziele zu erreichen.

In Städten wird das Auto immer weiter zurückgedrängt, jüngere urbane Generationen sehen das Auto kaum mehr als erstrebenswertes Gut, in einer 15-Minuten-Stadt sogar als überflüssig. Wie beeinflusst dies die Zukunftsaussichten von Autoimporteuren, welche Strategie und Angebote haben Sie für die urbane Bevölkerung?

Bereits heute gibt es rund 40% weniger Personenwagen pro 1’000 Einwohner in den grossen Städten im Vergleich zum Land. Das Auto wird aber in den Städten nicht von heute auf morgen verschwinden, denn es wird weiterhin viele gute Gründe für Städter geben, auch ein eigenes Auto zu besitzen. Dies gilt auch für die Gen Z. Wir sehen etwa, dass seit einigen Jahren die Anzahl junger Menschen wieder steigt, die einen Fahrausweis machen.

Städter und Junge stehen jedoch dem Nutzen von Produkten und Dienstleistungen bedeutend offener gegenüber als ältere Generationen. Entsprechend machen wir entsprechende Angebote, zum Beispiel mit der flexiblen Miete von «Europcar on demand», «allride» als Mobility-as-a-Service-Lösung oder unseren Abo-Angebote, z.B. von Clyde.

Die Themen Nachhaltigkeit, E-Mobility oder Smart Cities beheimaten eine aktive Startup-Szene. Wie arbeiten Sie mit Startups zusammen, wie beurteilen Sie die Schweizer Szene im internationalen Vergleich?

Wir sehen uns als strategische Investoren, die Corporate Venturing betreiben. Unser Ziel ist es, neue Geschäftsmodelle für die AMAG Gruppe zu suchen, zu testen und dann entweder selbst aufzubauen oder über Beteiligung zu entsprechenden Lösungen zu kommen.

«Die Schweizer Szene ist, gerade im Bereich der hoch technologisierten Startups, stark entwickelt, was vor allem auf die hiesige Hochschullandschaft zurückzuführen ist, der viele Startups entspringen.»

Entsprechend haben wir mit der «AMAG Sustainability Challenge» einen eigenen Wettbewerb gestartet, um Schweizer Startups zu unterstützen, die Technologien oder Geschäftsmodelle zur Dekarbonisierung der Mobilität skalieren wollen.

Die Schweizer Szene ist, gerade im Bereich der hoch technologisierten Startups, stark entwickelt, was vor allem auf die hiesige Hochschullandschaft zurückzuführen ist, der viele Startups entspringen. Besonders aktiv ist sie in der Frühphase, zeigt aber gewisse Schwächen bei der Skalierung und der Finanzierung von bereits etablierten, kontinuierlich wachsenden Geschäften. Hier beobachten wir, dass es an Wachstumskapital und manchmal auch an Ehrgeiz fehlt.

Das Zusammenspiel von Ladestation, Energieherstellung und Elektrofahrzeug stellt die Hersteller vor allem vor das Problem einer integrierten Softwareplattform. Für die Kunden heisst das oft mehrere, schlecht integrierte Apps, proprietäre Autoplattformen mit unklaren Datenschutz-Bedingungen. Was bedeutet das für die Zukunft der europäischen Automobilhersteller, da Europa bei den Softwarefirmen mit Ausnahme von SAP kaum in der ersten Liga spielt?

Das sind viele Thesen auf einmal. Zunächst halten wir uns an die Datenschutzbestimmungen der DSGVO, das heisst, der Kunde bestimmt immer, welche Daten er für welche Zwecke zur Verfügung stellen will.

Für alle etablierten Autohersteller war das Thema «Software» neu und die Umstellung der Geschäftsmodelle ein mühsamer Weg. Beispielsweise wird die Software wieder stärker von den Herstellern statt den Zulieferern entwickelt und dabei wird auf Kooperationen gesetzt. Alles, was das Auto betrifft, machen wir selber, für die Interaktion mit dem Kunden kann die bewährte Apple- oder Android-Umgebung genutzt werden.

Die heutigen Angebote können sich sehen lassen: sei es Plug-in-Charging bei unseren neuen E-Modellen, sei es unsere Helion-One APP für das intelligente Energiemanagement. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir speziell bei der Verbindung des Fahrzeugs mit der digitalen Welt sehr gute Lösungen anbieten.

Bis anhin stellt kaum jemand die individuelle Mobilität in Frage. Bei einer wachsenden Bevölkerung, sich ausbreitenden Städten, gibt es jedoch auch vermehrt politische Bemühungen, diese Mobilität mit öffentlichem Verkehr, Car-Sharing und Fahrrädern abzudecken. Wie sehen Sie diese Entwicklung, wie beeinflusst dies die Strategie der AMAG?  

Ich wünsche mir eine ideologiefreie, faktenbasierte Diskussion. Mit der neuen Mobilität, wir nennen es Erneuerbare Mobilität, lösen sich alte Gewissheiten auf. «Der ÖV ist gut, das Auto ist schlecht» gilt nicht mehr. Bei einer Mobilitätsveranstaltung stellte eine Vertreterin des ÖV deswegen die Frage «»Warum braucht es den ÖV noch, wenn alle Autos fossilfrei unterwegs ist?». Diese Frage ist berechtigt, denn das Kosten-Nutzen-Verhältnis gemäss ARE von heute 7.9 Rp/Personenkilometer für den Individualverkehr versus 5.1 Rp/Pkm für die Schiene verbessert sich mit der Dekarbonisierung zugunsten der Individualmobilität.

Mit der Digitalisierung und perspektivisch autonom fahrenden Shuttles ergeben sich neue Mobilitätsformen und das Potential für Effizienzsteigerungen, das heisst, auch die Chance der intelligenteren Nutzung vorhandener Infrastrukturen.

«Das Kosten-Nutzen-Verhältnis gemäss ARE von heute 7.9 Rp/Personenkilometer für den Individualverkehr versus 5.1 Rp/Pkm für die Schiene verbessert sich mit der Dekarbonisierung zugunsten der Individualmobilität.»

Wir sollten also zusammenarbeiten, die Chance neuer Technologien und Antriebskonzepte nutzen und die verschiedenen Verkehrsträger intelligent vernetzen. Daran arbeiten wir auch bei der AMAG z.B. mit unserem MaaS-Angebot «allride», Finanzierungsangeboten für e-Bikes oder unserer Beteiligung an «holo», dem in Europa führenden Unternehmen für die Implementierung autonomer Systeme.

Die Schweiz ist ein ausgesprochenes Allrad-Land. Gerade bei den Allradfahrzeugen gibt es aber noch kaum günstige und kleine Fahrzeuge mit Elektroantrieb im Angebot. Wann wird sich das ändern, welche Fahrzeuge werden aus Ihrer Sicht in Zukunft die höchste Nachfrage in der Schweiz haben? 

Aufgrund der höheren Initialkosten wurde zunächst die Ober- und Mittelklasse elektrifiziert. Jetzt bringen wir aber zügig auch kleinere Elektrofahrzeuge, etwa wird der Skoda Elroq SUV auch mit Allrad angeboten und gegen Ende 2024 für einen Preis um die EUR 35.000 eingeführt. Ende kommenden Jahres dann den VW in der Polo-Klasse für EUR 25.000 und 2027 von VW einen echten Einsteiger für 20.000 EUR und sind dann in allen Segmenten präsent.

Ich denke, wir haben ganz unterschiedliche Bedürfnisse und entsprechend wird der Markt sich auch ausdifferenzieren, zum Beispiel: Grosse Autos mit grossen Batterien für die Vielfahrer und jene, die das Potential des bi-direktionalen Ladens nutzen wollen, das heisst, mit Ihren Batterien auch am Strommarkt aktiv sein wollen, kleinere Fahrzeuge mit grosser Reichweite als vollwertige auch reisetaugliche Autos und günstige Fahrzeuge mit kleinen Batterien für die Stadt, den Alltagsverkehr und gegebenenfalls als Zweitauto

Bei Solaranlagen, elektronischen Komponenten, Batterien und auch erschwinglichen Elektrofahrzeugen hat China sich eine führende Position geschaffen, bis hin zu faktischen Monopolstellungen und ist zudem für viele Hersteller der wichtigste Absatzmarkt. Was bedeutet das für die Zukunft der europäischen Automobilindustrie und kleine Märkte wie die Schweiz?

Die Rahmenbedingungen und Ziele für die genannten Branchen sind in China von der Politik in den jeweiligen 5-Jahresplänen klar definiert worden und werden seit vielen Jahren relativ konsequent umgesetzt. Ich denke, die Politik bei uns hat verstanden, dass es für Unternehmen in diesen Branchen langfristig stabile Rahmenbedingungen braucht, damit die grossen Investitionen auch getätigt werden.

Vor diesem Hintergrund nimmt die europäische Autoindustrie den Wettbewerb an und liefert grossartige Elektroautos. Nehmen wir zum Beispiel den VW ID.7, dem ersten Auto überhaupt, welches im ADAC-Autotest die Note «sehr gut» erreicht hat oder den Bestseller Skoda Enyaq, der gerade bei auto motor und sport die chinesische und amerikanische Konkurrenz deutlich hinter sich gelassen hat, oder den soeben vorgestellten Audi A6-etron: 700 km Reichweite, 270 kW Ladegeschwindigkeit und ein atemberaubend schönes Design.

«Ich denke, die Politik bei uns hat verstanden, dass es für Unternehmen in diesen Branchen langfristig stabile Rahmenbedingungen braucht, damit die grossen Investitionen auch getätigt werden.»

All diese Produkte bringen wir selbstverständlich in die Schweiz, die Fahrzeuge werden im europäischen Ausland produziert, die Schweizer Zulieferer sind massgeblich involviert, die Produktion ist bilanziell CO2-neutral, die Volkswagen AG baut mit Grünstrom betriebene Batteriefabriken in Europa auf und Recyclinganlagen. Wir nennen das «Erneuerbare Mobilität». Und für die Schweiz bedeutet dies: mehr Wertschöpfung, mehr Arbeitsplätze, weniger CO2.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Unsere Universitäten sind bei den besten der Welt, wir haben herausragende Institute in der Grundlagenforschung und viele globale Unternehmen. Damit: 1) Freuen wir uns auf die Zukunft und 2) Machen wir etwas daraus.


Helmut Ruhl bei Linkedin

AMAG Group AG


Dieses Interview wurde mit der Unterstützung des Swiss Green Economy Symposiums erstellt.

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