Hendrik Lang, CEO Finnova, im Interview
von Sandra Willmeroth
Moneycab.com: Herr Lang, mit Ihnen als neuem CEO hat Finnova Ende 2019 eine neue Strategie und damit einhergehend auch einen Transformationsprozess vom Produkt- zum Lösungsanbieter angekündigt. Wie nah sind Sie diesem Ziel in den vergangenen zwei Jahren gekommen?
Hendrik Lang: Wir setzen unsere Strategie 2025 fokussiert mittels eines Transformationsprogramms um und liegen dabei im Plan, was mich sehr freut. Der Wandel vom reinen Produktentwickler und Serviceprovider hin zum integralen Lösungsanbieter ist in der Tat ein zentrales Element der Strategie. Um in Zukunft noch gezielter auf die zunehmend heterogenen Markt- und Kundenbedürfnisse eingehen zu können, stellen wir uns als Lösungsanbieter wesentlich breiter auf. Das Programm ist anspruchsvoll und stützt auf die Entwicklung neuer Flagship-Produkte und -Lösungen, die Erweiterung des Geschäftsmodells mit Themen wie Schnittstellenstandardisierung zur weiteren Öffnung der Finnova Banking Software, Weiterentwicklung unserer SaaS-Angebote und Gewinnung von Marktanteilen im Private-Banking-Segment, mit der Eröffnung neuer Geschäftsfelder in den Bereichen wie Distributed Ledger oder Allfinanz und schliesslich auf den bei Transformationsprozessen wichtige Themen wie Entwicklung der Unternehmenskultur und der Organisation. In allen Bereichen haben wir schon gute Ergebnisse und Fortschritte erzielt. Es gibt aber auch weiterhin noch einiges, das wir anpacken können. Wichtig ist, dass diese Veränderungen bei Kunden und Mitarbeitenden bereits spürbar werden. Mir persönlich macht es viel Spass, den Weg zusammen mit einem motivierten Team zu gehen.
«Flexibilität ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Werteversprechens an die Kunden.»
Hendrik Lang, CEO Finnova
Sie haben die Öffnung angesprochen, ein Thema, das Ihnen bereits 2019 sehr am Herzen lag. Wurde dieser Schritt vollzogen?
Flexibilität ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Werteversprechens an die Kunden – und gleichzeitig auch an unsere Partner. Flexibilität setzt zwei Dinge voraus: erstens ein offenes System und zweitens den entsprechenden Mindset, um auch wirklich offen für Partnerschaften zu sein und ein grosses Ecosystem zu etablieren.
Wir haben die Finnova Banking Software bereits lange vor der neuen Strategie geöffnet und unseren Kunden sogenannte Finnova Integration Services (FIL) zur Verfügung gestellt, mittels derer sich Drittapplikationen in den Finnova Core integrieren lassen. Heute sind diese Services (FIL) für die wesentlichen Bankprozesse wie Zahlen, Anlegen, Onboarding etc. verfügbar. Mit der Finnova Open Platform integrieren und orchestrieren wir die Prozesse über sämtliche Kanäle hinweg und gewährleisten einen effizienten Betrieb von Digitalisierungs-Applikationen. So kommt alles aus einem Guss. Die Open Platform ist sozusagen das Rückgrat der Digitalisierung und gleichzeitig das Bindeglied zwischen Front-End und Back-End.
Wie meinen Sie das mit dem Mindset genau?
Der entsprechende Mindset bedingt, dass man den eingeschlagenen Weg der Öffnung bedingungslos geht. So sehen wir Dritte nicht primär als Wettbewerber, sondern insbesondere als Partner für Ergänzungen im Produkt oder für eine zusätzliche Lösung. Der akzelerierte Wandel im Bankenmarkt, die sich rasch ändernden Kundenbedürfnisse, die geforderten kürzeren Time-to-Market in der Produktentwicklung und die limitierten Ressourcen erfordern in der Entwicklung der schnelllebigen Frontbereiche eine klare Antwort auf «Make, co-develop or buy»-Strategiefragen. Wir fokussieren unsere Entwicklungen viel bewusster, gehen zunehmend Partnerschaften ein und entwickeln gemeinsam mit Dritten Software oder integrieren ihre Software in den Finnova Core und bieten die Lösung der Finnova Community z. B. als «as a Service» an. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren viel bewegt, was uns Kunden und Partner auch so zurückspiegeln.
Wie haben sich Umsatz und Gewinn im vergangenen Corona-Jahr entwickelt?
Wir konnten wie in den Vorjahren unseren Umsatz erneut steigern. Beim Gewinn sind wir leicht unter dem Vorjahr geblieben, da wir signifikant in die SaaS-Themen und neue Lösungen investiert haben, sind aber sehr zufrieden.
Welcher Bereich wächst stärker, der Produktbereich oder der Bereich Services?
Der Services-Bereich wächst prozentual schneller. Dies liegt zum einen daran, dass er wesentlich kleiner ist, so dass sich ein höheres prozentuales Wachstum leichter erzielen lässt. Aus dem Services-Bereich heraus treiben wir aber auch Themen wie SaaS oder Innovations-Plattform. Darunter fallen z. B. unser neues Portal as a Service, das wir gemeinsam mit ti&m entwickelt haben, sowie unsere Innovations-Plattform, die sämtliche Digitalisierungsapplikationen der Kunden konsistent über die Open Plattform mit dem Finnova Core integriert als As-a-Service-Modell zur Verfügung stellt. Das sind grössere Vorhaben, die vom Projekt über die Infrastruktur bis hin zur Software alles einschliessen und somit überproportional zu unserem Wachstum beitragen.
Es ist auch ein Ziel Ihres Unternehmens, jedes Jahr neue Kunden zu gewinnen. Konnten Sie das Ziel letztes Jahr erreichen, trotz Corona?
Im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres sah es so aus, dass wir das Ziel verfehlen, aber am Ende hat es dann doch geklappt. Dieses Jahr sind wir gut gestartet. Seit Januar dieses Jahres nutzt die Banque du Léman die Finnova Banking Software. Sie zählt auf die Leistungen von Swisscom Banking. Und eine weitere Privatbank stösst zur Finnova Community. Sie wird im Herbst produktiv gehen und dabei auf die Leistungen unseres Partners InCore setzen. Anfang des nächsten Jahres folgt dann noch eine Privatbank. Sie nimmt unser Banking-as-a Service-Angebot in Anspruch. Dieser Service wird vollumgänglich in Seewen erbracht, wo unser eigenes Dienstleistungszentrum – das Application Management – steht. Wie man sieht, verfügen Finnova-Kunden über verschiedene Wahlmöglichkeiten, nicht nur hinsichtlich Drittapplikationen, sondern auch im Betrieb und beim Business Process Outsourcing.
«Wir sehen einen neuerlichen Trend zu Allfinanz.»
Stichwort Allfinanz: Sie haben mit der Vorsorgeplattform Liberty Ende 2019 einen ersten Kunden aus dem Vorsorgebereich gewinnen können und wollen zudem künftig auch Versicherer und Vermögensverwalter als Kunden gewinnen. Inwieweit hilft da der deutsche Mehrheitsaktionär msg Systems AG, zu dessen Kernbranchen auch der Bereich Versicherungen gehört?
So wie wir als Anbieter von Bankensoftware seit Längerem ein Ecosystem pflegen und weiter aufbauen, geschieht auf der Versicherungsseite momentan das Gleiche. Wir sehen einen neuerlichen Trend zu Allfinanz. Ein Core-Insurance-Anbieter kann dabei nicht alle Bedürfnisse der Versicherungen erfüllen. Somit braucht es Partner im Ecosystem und Finnova positioniert sich als ein solcher Partner. Wir bieten spezifische komplementäre Lösungen aus dem Banking, z. B. im Kreditgeschäft, im Portfolio Management, zu Compliance-Themen wie Geldwäscherei, Betrugserkennung u. v. a.
Neben der Liberty-Vorsorge sind wir auch eine strategische Partnerschaft mit der VZ Depotbank eingegangen, die zur VZ Vermögensgruppe gehört. Und ja, die msg als Core-Insurance-Anbieterin ist für uns ein verlässlicher Partner, sowohl in der Schweiz als auch im Ausland. Wir profitieren von Know-how und Marktzugang. Das Beispiel msg Austria von vergangener Woche verdeutlicht, was ich meine. Zusammen mit der msg Austria konnten wir einen namhaften Versicherungskonzern für unser Finnova Analytical Framework gewinnen.
Wie kann man im Softwarebereich eine möglichst grosse Standardisierung erreichen?
Theoretisch kann man ein Produkt entwickeln, bei dem man davon ausgeht, dass es die Bedürfnisse vieler Banken erfüllt – und es dabei belassen. Was im Backoffice durchaus machbar und durchsetzbar ist, gestaltet sich bei den Lösungen für die Frontbereiche schwieriger. Denn die Banken wollen sich in den Frontapplikationen differenzieren. Daraus entstehen Individualanforderungen, welche dann zwangsläufig im Widerspruch zu einem Standardprodukt stehen.
Man kann auch hingehen und möglichst viele Banken in die Entwicklung eines Produkts miteinbeziehen, um all die verschiedenen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Dass so ein Produkt dann aber nie fertig würde, wissen wir alle.
Welchen Weg gehen Sie?
Wir entwickeln mit höchstens einer Handvoll Banken oder sogar nur einem Ankerkunden ein neues Flagship-Produkt und versuchen dabei, vielleicht 80 % der vielschichtigen Bedürfnisse mit dem Standard abzudecken. Für die verbleibenden bankindividuellen Wünsche bieten wir dann Werkzeuge wie unser Business Process Framework für deren Umsetzung oder die Möglichkeit von individuellen Anpassungen im Rahmen eines Auftrags. So entstehen kundenspezifische, gleichzeitig aber auch finanzierbare Lösungen, da sie zu einem grossen Teil auf einem Standardprodukt basieren. Und manchmal gehen wir auch den umgekehrten Weg: Unser Services-Team entwickelt eine Lösung für einen Kunden, die so gut ist, dass wir daraus ein Produkt gestalten. Wir leben den Grundsatz «So viel Produkt wie möglich und Individualisierung wo nötig», um die Gegensätze zwischen attraktiven Total Cost of Ownership (TCO) und Wunsch nach Individualisierung bestmöglich zu vereinen.
Wie steht es allgemein mit der Digitalisierung in der Bankenwelt, wie entwickelt sich der Markt diesbezüglich?
Der Markt entwickelt sich seit Jahren stark und diese Entwicklung hat sich mit Corona nochmals akzentuiert. Ein Bankkunde möchte heutzutage jederzeit und überall seine Bankgeschäfte tätigen können. Selfservice ist dabei ein wichtiges Thema, ebenso wie die Customer Experience, die sich entlang sämtlicher Touchpoints mit der Bank positiv manifestieren soll. Schliesslich soll die Digitalisierung der Bank aber auch helfen, Prozesse zu optimieren und damit Kosten zu reduzieren, da die Investitionen an der Front ja auch finanziert werden wollen.
Hinzu kommt ein zusätzlicher Wettbewerbsdruck durch die Neobanken, die rein digitale Lösungen anbieten. Auf der grünen Wiese für einen ganz bestimmten Bereich etwas zu entwickeln ist häufig einfacher, als wenn man als Universalbank die ganze Breite des Bankgeschäfts und aufgrund der dualen Verkaufsstrategie sowohl die physischen als auch die digitalen Kanäle abzudecken hat. Gerade im Back-End ist daher das Thema «Automatisierung» nach wie vor sehr aktuell, um die Wettbewerbsfähigkeit einer Universalbank zu stärken.
Wenn vor einigen Jahren die Privatbanken mit Investitionen in die Digitalisierung teilweise noch zurückhaltend waren, so hat sich dies inzwischen stark geändert. Die Private Banking Community von Finnova beschäftigt sich nicht nur zunehmend mit dem Thema «Digitalisierung», sondern nimmt sogar eine Pionierrolle ein, wenn es um die Umsetzung von Geschäftsmodellen mit «Distributed Ledger» geht. Beobachten darf man dies sowohl bei der Maerki Baumann, der InCore Bank als auch aktuell bei der NPB Neue Privat Bank.
«Im Bereich Open Banking erleben wir den Markt noch sehr zurückhaltend.»
Wie sieht es im Bereich Open Banking aus?
Da erleben wir den Markt noch sehr zurückhaltend. Finnova engagiert sich im Rahmen des Projekts OpenBankingProject.ch aktiv in diesem Thema. Die wenigsten Banken haben ihre Geschäftsstrategien und Rollen im Kontext von Open Banking schon geprüft, geschweige denn schon festgelegt. Da ist alles im Fluss. Wir stellen aber in allen Banksegmenten zunehmende Bewegung in diesem Bereich fest. Und ich bin überzeugt, dass hier spannende Zeiten auf uns zukommen.
Finnova hat im Rahmen ihrer Strategie „transform25“ den Bereich „Technology“ mit Daniel Bernasconi als CTO neu geschaffen. Was sind die zentralen Ziele des neuen Bereichs?
Das Technology Competence Center (TCC) von Finnova beschleunigt und professionalisiert die Technologie-Adaption (Architektur, Technologien, Verfahren) im Sinne der Finnova-Strategie und mit folgenden Zielen: Finnova und ihre Partner können ihre Produkte und Lösungen noch effizienter entwickeln, integrieren und releasen. Finnova-Kunden profitieren auch weiterhin von einem einfachen, hoch skalierbaren Betrieb der Produkte und Lösungen von Finnova und ihren Partnern mit den im Vergleich besten TCO. Und Finnova-Kunden können neue Geschäftsmodelle effizient umsetzen, basierend auf innovativen Produkten und Lösungen von Finnova und ihren Partnern.
Ihr Konkurrent Avaloq ist vor Kurzem vom japanischen Weltkonzern NEC aufgekauft worden. Wie beurteilen Sie diese Übernahme?
Zur Übernahme von Avaloq durch NEC kann ich nichts sagen. Aber ich beurteile unsere Finnova-Aktionärsstruktur als ein echtes Asset. Sie setzt sich seit Jahren aus dem Mehrheitsaktionär msg Systems AG, einigen Kantonalbanken, der Swisscom sowie der Geschäftsleitung zusammen. Besonders prägend ist sicherlich die msg. Als inhabergeführtes und globales Beratungs- und Softwareunternehmen mit Hauptsitz in München lässt sie uns einerseits völligen unternehmerischen Freiraum und ist mit ihren Werten und ihrer Unternehmensphilosophie ein hervorragender Aktionär und Partner. Auch in geschäftlicher Hinsicht unterstützt uns die msg, indem sie Know-how und Ressourcen einbringt und uns hilft, in neuen Märkten dedizierte Leistungsangebote zu positionieren.
«Swissness ist im Hinblick auf unsere Werte und die Datensicherheit wichtig.»
Ist Finnova somit eher ein deutsches Unternehmen?
Nein, Finnova ist ein durch und durch schweizerisches Unternehmen. Swissness ist im Hinblick auf unsere Werte und die Datensicherheit wichtig. Wenngleich wir die Cloud eines amerikanischen Hyperscalers für Test und Entwicklung nutzen, befinden sich die produktiven Daten der Finnova-Community-Banken allesamt in Cloud-Lösungen von Schweizer Anbietern, die Partner von uns sind. Damit haben wir meines Wissens ein Alleinstellungsmerkmal in der Schweiz. Es ist aber durchaus so, dass wir beispielsweise im Rahmen einer «Follow-your-Customer»-Strategie momentan eine Privatbank bei ihrer Expansion ins Ausland unterstützen und wie gesagt mit der msg zusammenarbeiten, um im Ausland mit einzelnen Angeboten ebenfalls Marktanteile zu gewinnen. Aber auch bei diesen Aktivitäten steht Finnova für Swissness.