Janwillem Acket, Chefökonom der Bank Julius Bär, zu den aktuellen Aussichten für die Weltwirtschaft, der Zukunft des Euros, Pleitegeiern und dem speziellen Fall Schweiz. Das Interview wurde Mitte Juli 2011 aufgezeichnet.
Von Matthias Niklowitz, Derivative Partners Media AG, payoff.ch
payoff: Herr Acket, wie präsentiert sich die Weltwirtschaft gegenwärtig?
Janwillem Acket: Die vorauslaufenden Indikatoren aus den USA, Deutschland und China weisen für das dritte Quartal auf einen sogenannten «Soft Patch», also eine leichte Wachstumsdelle, hin. Das war zu erwarten nach einer fulminanten Beschleunigung mit einem Höhepunkt im vergangenen Winterhalbjahr 2010/2011. Aber die Weltwirtschaft wird trotz der Delle weiter wachsen. Wir erwarten keinen «Double Dip». Die Wachstumsimpulse kommen weiterhin aus den Schwellenländern.
Könnte es aber nicht zu einem Abzug westlicher Gelder aus den Schwellenländern wie 1997/1998 mit entsprechender Krise dort kommen?
Nein, die Situation ist jetzt eine ganz andere. Jetzt benötigen die Schwellenländer keine Hilfen des IMF, sie haben oft Haushaltsüberschüsse, hohe Währungsreserven und eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik. Man hat dort die Lehren von 1998 gezogen – und jetzt befinden sich eher die entwickelten Länder in einer kritischen Situation. Die USA gehen fiskaltechnisch einem Konkurs entgegen, wenn die Verschuldungsobergrenze nicht angehoben wird.
«Die vorauslaufenden Indikatoren weisen auf eine leichte Wachtumsdelle hin.»
Wie sieht es in den USA aus?
In den USA sind die Steuern unter der Regierung Bush zu stark gesenkt worden und auch die jetzige Obama-Regierung hat das nicht korrigiert. Und jetzt machen die Vereinigten Staaten ihre Zentralbank, die eigentlich unabhängig sein sollte, zur Geisel. Der Immobiliensektor ist dort am Boden, die Haushalte sind weiter dabei, ihre Schulden abzutragen. Seit Ausbruch der Krise sind 8,75 Mio. Arbeitsplätze abgebaut und nur 1,8 Mio. neu geschaffen worden – es fehlen somit 7 Mio. Jobs, und das ist nicht gut für den Konsum und die Entwicklung des Steuersubstrats. Wir brauchen aber Wachstum und anschliessend höhere Steuern, nur so können die Staatsfinanzen in den USA nachhaltig saniert werden.
Kurz noch ein Blick nach Übersee: Wird es ein Quantitative-Easing-3-Programm in den USA geben?
Nein, denn der Grund für ein QE3 fällt weg. QE2 hatte man beschlossen, weil man deflationäre Tendenzen befürchtete, und solche sind heute nicht in Sicht bei einer Kerninflation von 1,5% und einer Gesamtinflation über 3% gegenüber dem Vorjahr.
Auf was muss sich die Schweiz einstellen?
Die Schweiz ist ein spezieller Fall. Sie ist eine kleine offene Volkswirtschaft, die Industrie stellt meist innovative Nischenprodukte im Hochtechnologiebereich her, der Dienstleistungssektor dominiert mit dem starken Finanzplatz. Als Glücksfall erweist sich jetzt, dass Deutschland mit einem Anteil von 20% der grösste Handelspartner ist und viele Schweizer Zulieferer von den deutschen Exporterfolgen profitieren. Hinzu kommt, dass Schweizer Firmen im Bereich Luxusgüter und Hightech die Preismacht haben und mit der hohen Bewertung des Frankens recht gut klarkommen. Es gibt aber auch Bereiche in der Industrie, die das nicht können, und hier ist mit einer weiteren Verlagerung der Produktion ins Ausland zu rechnen. Generell ist es aber so, dass die Schweizer Wirtschaft seit der Einführung der flexiblen Wechselkurse 1973 mit der Aufwertung umgehen musste und dank der hohen Flexibilität der Wirtschaft noch vieles in der Schweiz produziert werden kann. Wir haben aber eine Wirtschaft mit einem Dienstleistungsanteil von 80%. Hier leidet der Tourismus, aber Wealth Management, wo die Schweiz weltweit die Nummer eins ist, und der gesamte Finanzplatz laufen gut. Grund dafür ist auch das stabile politische System, die robusten staatlichen Finanzen und der konstruktive Dialog der politischen Parteien. Und der Franken ist weiterhin die klassische Fluchtwährung.
Welche Rolle spielt die Zuwanderung für die Schweiz?
Die Zuwanderung bringt sehr qualifizierte und dadurch meist kaufkräftige Arbeitskräfte in die Schweiz, und bei den neu besetzten Stellen in den Bereichen Gesundheit, Technologie, Finanzen und Bildung stärkt dies damit auch die Inlandnachfrage. So gesehen ist die Schweiz eine Insel der Glückseligen. Mit dem starken Franken haben wir eigentlich ein Luxusproblem. Auch für Deutschland sind wir ein wichtiger Handelspartner mit einer hohen Verflechtung. Es ist jedoch auch entscheidend für uns, was in Europa passiert.
«Der Franken ist weiterhin die klassische Fluchtwährung.»
Rechnen Sie mit der Pleite Griechenlands?
Es wird aller Wahrscheinlichkeit nach in den kommenden zwei Jahren keinen Konkurs, einen sogenannten «Default», geben, wenn die aktuell zu beschliessenden Massnahmen umgesetzt werden. Ein Schuldenschnitt könnte zwar von den Ratingagenturen wie ein Default bewertet werden. Aber mit dem neuen, zweiten Rettungsprogramm hat man erst einmal Zeit gewonnen. Und das ist auch eine Chance für Griechenland, das Steuersystem zu reformieren und dort die Einnahmen zu steigern. Es ist richtig, dass die EU letzthin gegenüber Griechenland hart geblieben ist. Jetzt ist der Ball bei der griechischen Regierung – sie muss jetzt ihr Problem mit den Steuern lösen. Und sie muss auch der eigenen Bevölkerung klar machen, dass nicht wieder die Ärmeren die Zeche zahlen müssen. Das ist schwierig zu lösen, und deshalb geht es erst einmal darum, Zeit zu gewinnen.
Wird Griechenland zur eigenen Währung zurückkehren?
Nein, das erwarte ich nicht. Noch am Abend der Vertrauensabstimmung der gegenwärtigen Regierung gingen viele Griechen zu den Geldautomaten und holten sich Bargeld, Euro, für alle Fälle. Das Vertrauen in die Währung ist intakt. Wenn Griechenland den Euro abschaffen und eine eigene Währung einführen würde, würde man eine Währung haben, die niemand will. Ein Euroaustritt ist deshalb keine praktikable, sondern eine unrealistische, zerstörerische Option.
Sehen Sie Inflationsgefahren?
In den aufstrebenden Ländern wie China und Brasilien hat man bereits eine hohe Inflation. In Brasilien stehen die Leitzinsen jetzt bei über 12%. In beiden Ländern bremsen die Notenbanken die Konjunktur. In Europa und den USA ist die Teuerung bereits deutlich angestiegen, auch aufgrund der gestiegenen Rohstoffpreise. Die meisten Notenbanken – als Ausnahme erscheint hier Brasilien – sind, aufgrund ihrer expansiven Gangart nach der Finanzmarktkrise, etwas in Verzug mit der Normalisierung der Zinsen, sodass die meisten realen Leitzinsen noch auf historischen Tiefständen verharren. Ich erwarte aber lediglich moderate Inflationsraten in den kommenden 18 Monaten und nicht die hohen Raten, die man in der OECD zu Beginn der 1980er-Jahre gesehen hatte.
Und ist Gold jetzt eine sinnvolle Anlage als Schutz?
Der Goldpreis ist immer ein Angstindikator. Aber lassen Sie mich etwas weiter ausholen: Ben Bernanke, der US-Notenbankchef, hatte die Situation in den 1930er-Jahren mit dem New Deal sehr genau erforscht. Das Konjunktur-Programm der Regierung Roosevelt war praktisch gescheitert. Erst die massive Dollar-Abwertung und anschliessend der Zweite Weltkrieg brachten die US-Konjunktur wieder in Schwung. Der erste Teil des Erfolgsrezeptes von damals wird heute durch die Fed umgesetzt. Gold ist in diesem Zusammenhang vor allem ein Mittel der Werterhaltung gegenüber dem Dollar und Schwachwährungen. Gegenüber dem Franken hat sich Gold beispielsweise seit einem Jahr kaum bewegt.
Der Gesprächspartner
Janwillem Acket ist Chefökonom bei der Schweizer Privatbank Julius Bär und Leiter des JB Global Economic Research, Zürich. Der gebürtige Niederländer schloss die Uni Bern als lic. rer. pol. ab. Bevor Janwillem Acket im Jahr 2000 zur Bank Julius Bär kam, war er u.a. Stadtökonom von Thun, Prognostiker und Head Macroeconomic Research bei einer Schweizer Grossbank bzw. deren Tochtergesellschaft. Neben seiner beruflichen Tätigkeit stellt er sich als Experte im Rahmen der BVF (Banken, Versicherungen, Finanzplaner)-Prüfungen zur Verfügung. Janwillem Acket ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.