von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Clémençon, das IPO von Galenica vor einem Jahr war gleich mehrfach überzeichnet und seither hat Ihr Unternehmen, was die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen anbetrifft, geradezu eine Punktlandung hingelegt. Betreiben Sie das „Management von Erwartungen“?
Jean-Claude Clémençon: Wir haben uns ambitiöse Ziele gesetzt. Ambitiös in Anbetracht der Marktsituation. Aber auch in Bezug auf unsere Entwicklungsstrategie. Wir haben diese Ziele erreicht und unsere Versprechen gehalten.
Mit Pharmapool, Unione Farmaceutica Distribuzione und Galexis besitzt Galenica als Grossist gleich drei Firmen, die auch selbstdispensierende Ärzte mit Medikamenten beliefern. Beisst sich das nicht mit Galenicas Apotheken?
Wir sind Dienstleister für „alle Akteure“ im Gesundheitsmarkt und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur schweizweiten Medikamentenversorgung bei Apotheken, Ärzten und Spitälern. Wir haben immer wieder in die Logistik investiert, damit wir wachsende Volumen abdecken und neue Bedürfnisse erfüllen zu können. Dank unseren Partnerschaften mit allen Beteiligten im Gesundheitsmarkt sind wir am Puls der Kunden, können Trends und auch neue gesetzliche Anforderungen antizipieren. Davon profitieren direkt nicht nur unsere Kunden, sondern auch die Patienten, zum Beispiel in Bezug auf die Qualitätssicherung beim Medikamententransport.
Die Logistikdienstleistungen der Galenica sind ja im Geschäftsbereich Services zusammengefasst, und dieser macht rund zwei Drittel des Gruppenumsatzes. Das letztjährige Umsatzwachstum von 7.4 Prozent ist aber hauptsächlich auf die erfolgreiche Integration von Pharmapool zurückzuführen. Kann dieser Bereich nur durch Zukäufe wachsen?
Unsere Logistik-Unternehmen spielen eine zentrale Rolle bei der Medikamentenversorgung, nicht nur für Galenica, sondern für den gesamten Schweizer Gesundheitsmarkt. Die Wachstumsmöglichkeiten – auch über Akquisitionen- sind in diesem Geschäftsbereich im kleinen Schweizer Markt jedoch begrenzt. Unser Fokus liegt darauf, unsere Dienstleistungen aufrechtzuerhalten, kontinuierlich zu verbessern und weiterzuentwickeln. Das beinhaltet den Ausbau des bestehen Kundenportfolios oder die Akquisition neuer Kundensegmente, aber auch neue Angebote und Dienstleistungen und zwar sowohl für Industriepartner als auch für Kunden, wie sie zum Beispiel Medifilm mit der Verblisterung von Medikamenten anbietet.
Im anderen Geschäftsbereich Products&Brands halten Sie nach neuen Produkten und Partnerschaften Ausschau. Im Moment sind es 40 Eigenmarken. Bis wann wird sich diese Zahl verdoppeln?
Erstens: wichtig ist Qualität und nicht Quantität. Zweitens beruht die Wachstumsstrategie bei Products & Brands nicht alleine auf dem Ausbau der Eigenmarken, sondern genauso auf Partnerschaften, indem wir den – teilweise exklusiven – Vertrieb von Marken übernehmen. Mit unseren rund 500 Apotheken bieten wir nationalen und internationalen Pharma- und Beauty-Unternehmen ein einzigartiges Verkaufsnetz an. Und drittens: natürlich prüfen wir Opportunitäten laufend, und nutzen Chancen, wie beispielsweise mit Merfen – eine renommierte Schweizer Traditionsmarke, die uns den Einstieg in den Wundbehandlungsmarkt ermöglichte.
Der Markt für Schönheits- und Pflegeprodukte war letztes Jahr aber rückläufig. Ist der Schweizer Markt gesättigt?
Der Schweizer Markt für Schönheits- und Pflegeprodukte ist von starker und zunehmender Konkurrenz geprägt. Hinzu kommen vermehrt ausländische Anbieter, online oder via Einkaufstourismus. Mit Aderma von Pierre Fabre haben wir bewiesen, dass in diesem zunehmend von Konkurrenz geprägten Umfeld noch Potential für Neulancierungen vorhanden ist.
«Das Vernetzen und Kombinieren von bewährten stationären Angeboten mit neuen Online-Möglichkeiten, Trends und Bedürfnissen ist für uns ganz zentral.»
Jean-Claude Clémençon, CEO Galenica Gruppe
Angekündigt ist eine Produkt- und Dienstleistungsoffensive im Apothekenmarkt. Was darf man darunter verstehen?
Zum einen hat der Bundesrat die Stellung des Apothekers als wichtiges Element in der Grundversorgung erkannt und die Kompetenzen der Apotheker in der Revision des Medizinalberufe-Gesetzes (MedBG) erweitert: Der Apotheker als universitärer Medizinberuf soll sich in Zukunft die Grundkenntnisse über Diagnose und Behandlung häufiger Gesundheitsstörungen und Krankheiten aneignen. Indem Apotheker künftig eine Diagnose für einfache Krankheiten erstellen und diese dann auch behandeln können, können sie ihre Rolle als erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen noch besser wahrnehmen. Das sind Chancen, die wir nutzen wollen.
Gibt es auch starke Angebotserweiterungen?
Wir bauen Dienstleistungen und Checks laufend aus, zum Beispiel im Bereich Impfen oder Analysen, wie mit den verschiedenen Gesundheitschecks für Themen wie Allergien, Medikamentenverträglichkeit, Diabetes oder Gehörproblemen. Neu haben wir auch einen Generika-Check eingeführt, bei dem die Patienten beraten werden, welche ihrer Medikamente sich mit Generika ersetzen lassen. Ergänzt werden die Kompetenzen mit neuen Formaten, wie der Walk-in-Klinik Aprioris. Hier bieten wir in der Apotheke medizinische Soforthilfe – wenn nötig in Zusammenarbeit mit einem Arzt. Das Vernetzen und Kombinieren von bewährten stationären Angeboten mit neuen Online-Möglichkeiten, Trends und Bedürfnissen ist für uns ganz zentral. Der Kunde will heute jederzeit und überall Hilfe. Das heisst, dass wir nicht nur vor Ort, also in der Apotheke, unsere Angebote und unsere Kompetenzen erweitern, sondern gleichzeitig unsere Online-Angebote für alle, die zu Hause oder unterwegs sind, kontinuierlich ausbauen. Omni-Channel heisst das bekannte Stichwort, wobei nicht nur der einzelne Kanal per se wichtig ist, sondern eben die Kombination und Vernetzung der verschiedenen Möglichkeiten.
Hinzu kommen neue Angebote bei der Betreuung von Patienten zu Hause. So bietet Mediservice neu nicht nur die persönliche Betreuung der Patienten vor Ort an, sondern auch via Video-Telefonie. «Distance Healthcare», also die Therapiebegleitung auf Distanz. Ein zukunftsträchtiges Modell, das mehr Flexibilität bietet und Kosten- und zeitaufwändige Hausbesuche reduziert.
Welche dieser vielen neuen Produkte werden die allgemeinen Highlights sein?
Die Kunden wünschen sich immer mehr «natürliche» Alternativen zu traditionellen Therapieformen. Der Markt der komplementärmedizinischen Arzneimittel wächst überdurchschnittlich. Dieses Sortiment passt hervorragend in unsere Portfolio-Strategie, Beratungsprodukte anzubieten und den Kunden in der Apotheke im persönlichen Gespräch professionell zu unterstützen. Die Gesundheitsberatung wird sich generell weiterentwickeln, auch mit der Digitalisierung. Sei dies vor Ort in der Apotheke zum Beispiel mit professionellen Tools für die Analyse von Beschwerden oder mit der Video-Therapiebegleitung, also der Betreuung von Patienten auf Distanz.
Wieviel Prozent Ihres Apothekenumsatzes läuft denn mittlerweile über „Click & Collect“, das nun seit einem Dreivierteljahr eingeführt ist?
Mittlerweile wird die Möglichkeit, Medikamente, welche vom Gesetz her nicht versandt werden dürfen, im Internet zu bestellen und dann in der Apotheke nach Wahl abzuholen, bereits bei mehr als 20 Prozent der Online-Bestellungen genutzt. Die Nachfrage steigt stetig. Aktuell bieten unsere Online-Shops rund 16’000 Produkte an. Wir erhöhen auch das Angebot laufend. Im Vergleich zum Gesamtumsatz einer Apotheke ist der Anteil des Online-Geschäfts heute noch marginal. Im Zentrum steht die Strategie, über alle Kanäle hinweg präsent zu sein, und diese Möglichkeiten für die Kunden optimal zu vernetzen.
Swissness ist besonders bei otc-Medikamenten ein Verkaufsargument, wie der jahrzehntelange Erfolg von Anti-Brumm bezeugt. Wird „Swissness“ eine Ihrer Zukunftsstrategien sein?
Wir sind ein Schweizer Unternehmen mit Fokus auf den Schweizer Markt, das ist ein zentrales Element unserer Strategie und unserer Kultur. Wir führen zahlreiche Schweizer Traditionsmarken wie Anti-Brumm, Perskindol oder Merfen, das sind Trümpfe, die wir ausspielen und auch in Zukunft nutzen werden. Das heisst aber nicht, dass wir uns anderen Marken verschliessen, die Tradition und Renommee haben und qualitativ überzeugen, wie beispielsweise die Adler Schüssler Salze oder Aderma.
«In 5-10 Jahren wird die Babyboomer-Generation zur wichtigen Zielgruppe für Mobilitäts-Hilfsmittel werden.»
Anfang 2018 hat Galenica Careproduct übernommen. Das Unternehmen vertreibt on- und offline Rollatoren, Rollstühle, Inkontinenzprodukte und andere Hilfsmittel. Das Sortiment ist insbesondere auf ältere Menschen und Menschen mit Behinderung ausgerichtet. Hier dürften wohl sehr grosse Wachstumsraten zu erwarten sein?
In 5-10 Jahren wird die Babyboomer-Generation zur wichtigen Zielgruppe für Mobilitäts-Hilfsmittel werden. Die Alterspyramide verschiebt sich, es wird immer mehr Rentner geben mit längerer Lebenserwartung, aber auch eingeschränkter Selbstständigkeit, und das alles bei einem gleichzeitig noch nie gekannten Mobilitätsanspruch, der heute ein wichtiger Bestandteil der Lebenszufriedenheit dieser Generation ist. Careproduct ist auf die künftigen Ansprüche und Herausforderungen dieser Kundengruppen spezialisiert.
Das ist aber nur ein Grund, warum wir uns in diesem Geschäft engagieren. Mit Careproduct stärken wir unser Know-how und unsere Marktposition im Online-Geschäft. Ein zusätzlich interessantes Synergie-Potenzial innerhalb von Retail ist der Ausbau des Angebots der Apotheken: Neu können sie ihren Kunden Produkte anbieten, die sie nicht selber am Lager führen und die dann via Careproduct direkt nach Hause geliefert werden.
Mit Documedis vertreiben Sie auch eine Software, die Gesundheits-Fachleuten auf einen Blick alle notwendigen Informationen zur Medikamentenabgabe zur Verfügung stellt. Ihre Tochter HCI Solutions schreibt die Software. Wie sichert sie sich gegen allzu neugierige Blicke der Krankenkassen ab?
Documedis erstellt eine patientenbezogene Risiko-Beurteilung aufgrund der aktuellen Medikation. Es erfolgt keine dauerhafte Speicherung der Daten. Nur der Leistungserbringer selbst sieht das Ergebnis.
Galenica hat ein sehr grosszügiges Aktienbeteiligungsprogramm. Mich wundert, dass nur jeder sechste Mitarbeitende die Gelegenheit nutzt, Aktien zum Vorzugspreis zu kaufen.
Also fast 20%, das ist doch eine tolle Zahl! Denn Sie müssen wissen: Kader erhalten im Rahmen des Bonus-Programmes jeweils ein Drittel ihres Bonus in gesperrten Aktien und sind also bereits dank diesen Massnahmen Aktionäre ihrer Firma. Unter den rund 20%, die 2017 am Mitarbeiter-Aktienprogramm teilgenommen haben, sind also einige neue Mitarbeiter-Aktionäre.
Zum Gesprächspartner:
Jean-Claude Clémençon, geboren 1962, Schweizer Staatsbürger hat einen Abschluss in Logistik an der Höheren Fachschule sfb Zürich und nahm am Programmfür Executive Development (PED) am IMD Lausanne teil. von 1988 bis 1995 war er Produktionsverantwortlicher der Rheintub AG (Rheinsulz) und Geschäftsleiter der Raintec GmbH (Dogern /Deutschland). 1995 trat er in die damalige Galenica Gruppe als Betriebsleiter Galexis Zürich ein, ab 1999 war er Leiter des Distributionszentrums Schönbühl, ab 2002 Leiter Galexis und von 2005 bis 2015 Leiter Geschäftsbereich Logistics sowie ab 2010 zusätzlich Verantwortlicher des Bereichs HealthCare Information.
Von 2010 wurde Jean-Claude Clémençon Mitglied der Generaldirektion der Galenica Gruppe, 2015 bis 2017 Leiter Geschäftsbereich Retail und seit 2017 CEO. Jean-Claude Clémençon ist auch Verwaltungsratsmitglied der Helvecura Genossenschaft, Bern.
Zum Unternehmen:
1927 von sechzehn Westschweizer Apothekern gegründet und stetig gewachsen, ist Galenica heute die Nummer eins bei Logistikdienstleistungen für Kunden im Gesundheitsmarkt, im Gross- und Versandhandel. Am bekanntesten aber sind die Apotheken, welche Galenica unter Marken wie Amavita und Sun Store in rund fünfhundert Verkaufsstellen betreibt.