Jörg Beckmann, Geschäftsführer Swiss eMobility, im Interview

Jörg Beckmann, Geschäftsführer Swiss eMobility

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Beckmann, von 320’00 neu zugelassenen Personenwagen in der Schweiz waren 2016 gerade einmal 3’525 Elektrofahrzeuge, etwas weniger als 2015. Wie sollen Elektrofahrzeuge aus dem Nischendasein heraus kommen?

Jörg Beckmann: Im Jahr 2015 wurden in der Schweiz 3257 rein elektrische Fahrzeuge (BEV) neu zugelassen. 2016 waren es mit 3’295 etwas mehr. Gegenüber den Vorjahren ist das Wachstum nicht so rasant ausgefallen, weil die nächste Generation an eFahrzeugen mit deutlich gesteigerten Reichweiten erst jetzt auf den Markt kommen. Dementsprechend steigen heuer die Zulassungszahlen weiter deutlich an. Im ersten Quartal 2017 hält bei den Zulassungen der Kanton Bern mit 2,4% BEVs den Schweizer Spitzenwert.

„Die vermeintliche Beschränktheit von Lithium ist an den Haaren herbeigezogen und als Argument gegen die Elektromobilität nicht haltbar.“ Jörg Beckmann, Geschäftsführer Swiss eMobility

Die politischen Vorgaben und CO2-Auflagen für die Importeure, eine breitere eModellpalette, weiterhin sinkende Fahrzeugpreise und deutlich erhöhte Reichweiten, sowie ein schnell wachsendes und leicht zugängliches öffentliches (Schnell-)Ladenetz vereinfachen den Einstieg in die eMobilität drastisch. Noch schneller ginge es, wenn die Schweiz Norwegen kopieren würde: hier wurden im Juni 2017 mit 53% erstmals mehr Steckerfahrzeuge als Verbrenner zugelassen. Der Elektroantrieb ist bereits seit mehreren Jahren der erfolgreichste alternative Antrieb.

Tesla hat Elektroautos “sexy” gemacht, jedoch zum Preis, dass sie zuerst einmal energiefressende Sportwagen und Höchstpreis-Fahrzeuge anbieten mussten. Wie können Elektrofahrzeuge in Zukunft die Massenmobilität verändern?

Für alle Automobilhersteller galt und gilt: sämtliche Fahrzeuginnovation der letzten Jahrzehnte wurden über Premiummodelle in den Markt eingeführt! Tesla ist da keine Ausnahme. Elon Musk hat die eMobilität mit dem Roadster und den Modellen S und X nicht nur attraktiv gemacht, sondern spätestens mit dem Produktionsstart des Model 3  auch alltagstauglich und bezahlbar. Er folgt damit den Bestrebungen der traditionellen OEMs, die bereits seit einigen Jahren Mittelklassefahrzeuge mit eAntrieb anbieten – allen voran Nissan mit dem Leaf und BMW mit dem i3. Schon heute haben wir eine Preisparität: werden Investitions- und Betriebskosten eines elektrischen mit einem verbrennungsmotorischen Modell verglichen, bin ich elektrisch keineswegs mehr teurer unterwegs.

Über die Digitalisierung, die Vernetzung und dem Trend hin zum selbstfahrenden Auto entwickeln sich Fahrzeuge immer mehr zu digitalen Mobilitäts-Pods. Welche Entwicklungen sind grundlegend für die Mobilität der nahen Zukunft?

Während mit der Elektrifizierung die notwendige antriebstechnische Voraussetzung für einen nachhaltigen Wandel der motorisierten Mobilität geschaffen wird, wird nun mit der Automatisierung des Automobils und der Inverkehrsetzung selbstfahrender Fahrzeuge (AVs) die hinreichende Voraussetzung erbracht: Sorgt der emissionsfreie Elektroantrieb in einem ersten Schritt für einen Quantensprung bei der Energieeffizienz, so liefert des öffentliche vollautomatische, gemeinschaftliche genutzte Auto aus der Hand eines Flottenbetreibers im zweiten Schritt massiv Zuwächse bei der Nutzungseffizienz. Ohne die Elektrifizierung des automobilen Antriebsstrangs wäre die Automatisierung des klassischen motorisierten Individualverkehrs (MIV) bestenfalls eine Verschlimmbesserung einer ressourcenintensiven und klimaschädlichen verbrennungsmotorischen Automobilität – aber keinesfalls der Hoffnungsträger eines neuen nachhaltigen Mobilitätsparadigmas. Kurzum, nur als EV hat das AV eine Chance (verdient).

„Parallel zur elektrisch angetriebenen Verkehrswende stecken wir mitten in einer erneuerbaren Energiewende. Beide Transformationen laufen parallel.“

Bei den Batterien, die entscheidend sein werden für die weitere Verbreitung von Elektromobilen, stehen aktuell die Lithium-Ionen-Batterien im Zentrum. Diese kommen auch immer mehr als Zwischenspeicher für Solaranlagen zum Einsatz. Wie nachhaltig kann die Mobilität sein, die auf einer auch nur beschränkt “fossil” verfügbaren Ressource (Lithium) aufbaut?

Die vermeintliche Beschränktheit von Lithium ist an den Haaren herbeigezogen und als Argument gegen die Elektromobilität nicht haltbar. Anders als bei der verbrennungsmotorischen Mobilität das Erdöl, wird bei der eMobilität das Lithium nicht verbraucht, sondern durch die Recyclierung der Batterien wiederverwertet. Zudem kommen ausgediente Fahrzeugbatterien als stationäre Energiespeicher im Rahmen der Energiewende dezentral zur Weiterverwendung. Der Elektroantrieb wird so zur wichtigen Säule einer globalen Kreislaufwirtschaft. Mit Benzin oder Diesel ist das unmöglich. Darüber hinaus sind Lithium-Ionen-Batterien nicht das Ende der Fahnenstage, sondern erst der Beginn eines neuen batterieelektrischen Antriebs im Auto bei dem künftig weitere, noch deutlichen effizientere und ressourcenschonende elektrochemische Verfahren zur Anwendung kommen werden.

Die Digitalisierung und e-Mobilität bringen zwei noch ungelöste Abhängigkeiten mit sich: Jene von erneuerbarer Energie und jene von sicheren Informationsnetzen. Woher soll die erneuerbare Energie in der Schweiz kommen, wenn die Elektrofahrzeuge von Nischenprodukt zum Massenphänomen werden sollten?

Die heutigen energiewirtschaftlichen Abhängigkeiten der Schweiz und insbesondere des Schweizer Automobilverkehr sind aufgrund des teuren Treibstoffimports weitaus brisanter! Mit dem Elektrifizierung des MIVs reduzieren wir den Energiebedarf im Fahrzeug auf ein Drittel – dank der wesentlich besseren Energieeffizienz des eMotors. Weiterhin gilt: Parallel zur elektrisch angetriebenen Verkehrswende stecken wir mitten in einer erneuerbaren Energiewende. Beide Transformationen laufen parallel. Bis zur Vollelektrifizierung des Schweizer MIV werden wir im europäischen Stromverbund ausreichend „grüne Elektrizität“ zur Verfügung haben. Im besten Fall fährt die Schweiz dann sogar mit heimischen Solarstrom.

Zur Sicherheit von Informationsnetzen: Hackerangriffe zeigen aktuell die Verwundbarkeit der Informationsnetze von Energie- und Transport-Unternehmen oder auch öffentlichen Diensten auf. Wie kann hier die Sicherheit erhöht werden bei gleichzeitig zunehmend komplexerer Vernetzung?

So schlecht ist es in der Schweiz gar nicht um die Informationssicherheit und den Datenschutz bestellt – insbesondere im Verkehr. Mit steigender Komplexität des Verkehrssystems werden zwar auch die rechtlichen und technischen Herausforderungen wachsen, aber die fortschreitende Digitalisierung des Mobilitätssektors nicht wirklich bremsen.

Was mit Uber und Airbnb begonnen hat, der Gedanke des Nutzens statt Besitzens, könnte auch den gesamten Bereich der Mobilität verändern. Immer die effizienteste Art der Fortbewegung wählen (Zug, Bus, Auto, Fahrrad, Flugzeug…) und nach Gebrauch bezahlen. Wie weit sind hier die konkreten Entwicklungen, welche wichtigsten Hindernisse gilt es zu überwinden?

Die kollaborative Mobilität, also das Teilen von Fahrzeugen, Fahrten und Infrastrukturen ist einer der drei grossen Transformationspfade in der Mobilität, neben der Elektrifizierung und Automatisierung. Zusammengenommen werden diese drei „Grazien“ unser Mobilität in den kommenden Jahren kolossal verändern. Der heutige rollende und ruhende Strassenverkehr weisst Ineffizienzen auf, welche durch kollaborativ genutzte, automatisierte Fahrzeuge massiv reduziert werden können. Während heute ein privates Automobil zu mehr als 90% ungenutzt bleibt und in vielen Schweizer Agglomerationen das ohnehin knappe Parkraumangebot noch weiter reduziert, wird ein kollaborativ genutztes selbstfahrendes Fahrzeug einen Grossteil seiner Lebensdauer unterwegs und besetzt sein. Nur so erwirtschaftet es eine angemessene Rendite für seinen Betreiber. Wird dieses Fahrzeug auf seinen Fahrten dann noch gemeinschaftlich von mehreren Passagieren genutzt, in ähnlicher Weise wie es bereits heute die Pooling-Angebote sogenannter Transport Network Companies (TNC) ermöglichen, lässt sich auch im rollenden Verkehr durch die Steigerung des Besetzungsgrades ein deutlicher Effizienzgewinn verzeichnen und die vom Strassenverkehr beanspruchte Fläche allenfalls reduzieren.

„Die kollaborative Mobilität, also das Teilen von Fahrzeugen, Fahrten und Infrastrukturen ist einer der drei grossen Transformationspfade in der Mobilität, neben der Elektrifizierung und Automatisierung.“

Erste Hersteller stellen die Gesamt-Effizienz des Elektromobils in Frage und votieren für von Biogas angetriebene Fahrzeuge, die zum Beispiel in Italien schon eine signifikante Verbreitung haben. Eine Alternative?

Nein! Das ist ein alter Hut, der kaum mehr politische Unterstützung findet und volkswirtschaftlich nicht tragfähig ist. Es wird schlichtweg Zeit, dass wir die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeitschancen ergreifen, die in der Elektrifizierung unserer motorisierten Alltagsmobilität stecken. Flüssigkeiten und Gase sollten wir nur noch in denjenigen Mobilitätswerkzeugen verbrennen, die wir elektrisch (noch) nicht antreiben können.

Die Politik unterstützt die Elektrofahrzeuge durch Steuervergünstigungen und Doris Leuthard macht Werbung für ihren Tesla. Genügt das, oder braucht es weitere Anreize?

International betrachtet macht sich die Schweiz gar nicht schlecht, auch wenn hier nicht mit der grossen Kelle angerichtet und die Elektromobilität mit massiven Subventionen bedacht wird. Wichtig sind vielmehr regulatorische Massnahmen, die den Bau eines flächendeckenden, öffentlichen Ladenetzes voran treiben oder auch Bauvorschriften, die Ladeplätze und Lehrrohre auf Parkplätzen und in Tiergaragen vorsehen. Frau Leuthard mit dem Bund, aber auch die Kantone und Kommunen haben hier durchaus eine wichtige Leitrolle.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Heute Abend mit meiner Familien in der Aare zu schwimmen und danach für alle Burger mit Pommes!

Der Gesprächspartner:
Jörg Beckmann ist promovierter Verkehrssoziologie und Diplom-Ingenieur für Raumplanung. Seine Kompetenzen und Interessen liegen in der sozialwissenschaftlichen Mobilitätsforschung, der europäischen Verkehrspolitik, der Verkehrssicherheitsarbeit, der Zukunftsforschung im Mobilitätsbereich sowie der strategischen Politik- und Unternehmensberatung innerhalb des Verkehrssektors.

Die Mobilitätsakademie als „Think-& Do-Tank“ des TCS
Die Mobilitätsakademie des TCS befasst sich seit dem Jahr 2008 mit zukunftsweisenden, nachhaltigen Mobilitätsformen und schafft als “Think- & Do-Tank” über Verbandsgrenzen hinweg einen vorurteilsfreien Raum für kreatives Verkehrsdenken und -handeln. Insbesondere verfolgt sie mit ihren Aktivitäten die grossen transformatorische Entwicklungen im Verkehrssektor – von der Dekarbonisierung des motorisierten Individualverkehrs dank seiner Elektrifizierung, über die Deprivatisierung individueller Mobilitätswerkzeuge im Kontext der Share Economy und des “digital shifts”, bis hin zur Demotorisierung urbaner Verkehre und dem Bedeutungszuwachs einer aktiven, bewegungsfördernden Mobilität.

Um diese Trends einzufangen und aktiv mit zu gestalten gründete die Mobilitätsakademie bereits 2009 das Schweizer Forum Elektromobilität als neutrale Plattform für die Marktentwicklung elektrischer Fahrzeuge in der Schweiz. 2012 baute sie dann ihre Themenführerschaft im Bereich Elektromobilität durch die Gründung des Branchenverbandes Swiss eMobility, dessen Generalsekretariat die Mobilitätsakademie im Mandat führt weiter aus. Swiss eMobility vertritt die politischen und wirtschaftlichen Interessen seiner Kollektiv- und Einzelmitglieder gegenüber dem Bund, Kantone und Kommunen. Gemeinsam mit den Verbandsmitgliedern koordiniert die Mobilitätsakademie seit 2015 den jährlichen Schweizer Tag der Elektromobilität (Swiss eDay) und organisiert mit dem Schweizer Kongress Elektromobilität den jährlichen Branchentreff zum Thema.

www.mobilityacademy.ch

www.swiss-emobility.ch


Das Interview entstand in Zusammenarbeit mit dem
LifeFair Forum zu Digitalisierung & Mobilität.
Dienstag 29.8.2017 in Zürich um 18.00 im Forum St. Peter beim Paradeplatz.
LifeFair

Exit mobile version