Jörg Bode, CEO GenTwo, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Bode, nach einer langen Karriere bei Traditionsbanken (Credit Suisse, Goldman Sachs, Lehman Brothers) sind Sie von Leonteq zu GenTwo gekommen. Wo sehen Sie die grössten Veränderungen in der Finanzbranche auf Ihrem Weg von den Grossbanken zu einem Startup.
Jörg Bode: Am meisten betroffen sind wohl die grundlegenden Marktmechanismen – und mit ihnen die Geschäftsmodelle. Es besteht ein nicht mehr aufzuhaltender Trend: Weg vom Allrounder, hin zum Spezialisten. So hat das „One Stop Shopping“-Modell, auf dem heute noch die Aktivitäten vieler Banken beruhen, meiner Meinung nach längst ausgedient. Der Grund ist einfach: In unserer komplex gewordenen (Finanz-)Welt ist ein einzelner Anbieter alleine schlichtweg nicht mehr in der Lage, das umfassende Leistungsspektrum entlang der langen Wertschöpfungskette vollständig und in durchweg hoher Qualität anzubieten.
«Das „One Stop Shopping“-Modell, auf dem heute noch die Aktivitäten vieler Banken beruhen, hat meiner Meinung nach längst ausgedient.» Jörg Bode, CEO GenTwo
Deshalb drängen immer mehr Newcomer mit angepassten Services auf den Markt. Es sind Spezialisten mit innovativen Geschäftsmodellen, die die etablierten, meist starr linear konstruierten Wertschöpfungsketten zunehmend infrage stellen …
Spezialisten, die starre Prozesse aber nicht nur infrage stellen, sondern auch gleich Teile davon übernehmen. Wie muss man sich diese Dynamik vorstellen?
Sobald eine Wertschöpfungskette aufgebrochen wird, bilden sich nicht selten neue Geschäftsmodelle oder gar ganze Wirtschaftszweige. Sie haben oftmals die Macht, Teile konventioneller Geschäftsabläufe zu disruptieren.
Ein Beispiel: Bis vor nicht allzu langer Zeit hat die Kapitalstärke eines Finanzinstituts überwiegend über dessen geschäftlichen Erfolg und Misserfolg entschieden; Deals konnte man sich leicht über starke Bilanzen „erkaufen“. Dieser Wettbewerbsvorteil hat sich in der letzten Zeit deutlich abgeschwächt. Neue Geschäftsmodelle folgen bereits einer völlig neuen Logik – die sich gleichzeitig viel stärker nach Angebot und Nachfrage orientiert.
So lassen sich zum Beispiel viele Kapitalerhöhungen mittlerweile ganz ohne die Einbindung von Banken online organisieren. Neue Kanäle, die man sich früher kaum hätte vorstellen können, – zum Beispiel Crowdfunding – taten sich auf. Diese Art von Dienstleistungen sind kunden- und auch zweckorientierter. Investmentbanken mit ihren starren Strukturen werden angesichts der aktuellen Entwicklungen künftig kaum noch mithalten können. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb GenTwo so erfolgreich ist.
«Wir wollen uns als globaler Player etablieren und aus unserem jetzigen Nischendasein heraustreten. Um dies zu erreichen, treiben wir über Automatisierungsbestrebungen die Skalierung unseres Geschäftsmodells voran.»
Wir errichten ausserbilanzielle Verbriefungsplattformen für Assetmanager, Banken oder andere institutionelle Kunden. Unsere Klientel kann über diese Infrastruktur konventionelle Anlageprodukte eigenständig und vor allem sehr flexibel emittieren.
Mit neuer Führung gehen meist auch neue Ideen einher. Was sind die Änderungen, die zuoberst auf Ihrer Liste stehen, welche wichtigsten Projekte möchten Sie in den nächsten 12 Monaten umsetzen?
Ich bin bei GenTwo angetreten, um ein spannendes Schweizer Verbriefungs-Startup zu einem weltweit führenden FinTech-Unternehmen aufzubauen. Wir wollen uns als globaler Player etablieren und aus unserem jetzigen Nischendasein heraustreten. Um dies zu erreichen, treiben wir über Automatisierungsbestrebungen die Skalierung unseres Geschäftsmodells voran. Nur so werden wir neue Marktsegmente erschliessen und unsere strategischen Ziele – das sind die Internationalisierung und ein starkes Unternehmenswachstum – erreichen können.
Der modulare Aufbau unserer User Experience wird uns ebenfalls weiter ein Anliegen sein. So werden wir den Fehler, den einst viele Konkurrenten machten, von vornherein vermeiden. Alle unsere Einzeldienstleistungen werden von Grund auf so konzipiert sein, dass sie jederzeit wieder aufgebrochen, verändert, angepasst und einzeln verkauft werden können.
In der Geschäftsleitung sind nebst Ihnen die beiden Gründer, einer davon Ihr Vorgänger als CEO. Wie wird sich die neue Rollenverteilung auf die Kultur und die Strategie des Startups auswirken?
Mein Vorgänger Philippe A. Naegeli ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Management-Riege. Er hat die Rolle des Chief Vision Officers übernommen, um sich dem Ausbau nationaler und internationaler Ökosystemen zu widmen, welche über das Kerngeschäft GenTwos hinausgehen.
Investoren, Projektinhaber und Stakeholder werden über die neu gestalteten Ökosysteme effizient miteinander verbunden, langfristiges Wachstumspotenzial wird geschaffen. Der Ausbau der Ökosysteme wird GenTwos Kultur und Brand international stärken. Ausserdem werden wir so viel leichter in neue Kundenkreise vordringen können.
Welche Wachstumsperspektiven sehen Sie für das Thema Verbriefung, wie soll sich GenTwo international entwickeln?
Im In- wie im Ausland kratzen wir nach wie vor „nur“ an der Oberfläche. Zwar befinden sich bereits etwas mehr als 20 Prozent unserer Kunden im Ausland. Doch das Potenzial in Bezug auf den globalen Markt ist offenkundig unvorstellbar hoch. Aus Investorensicht hat die Demokratisierung des Anlagemarkts gerade erst begonnen. Mit unseren Verbriefungsplattformen bieten wir unseren Partnern die Gelegenheit, an dieser vielversprechenden Entwicklung teilzuhaben und direkten Zugang zu jeglicher Art von Vermögenswerten zu schaffen.
«In den ersten drei Jahren unseres Bestehens sind unsere „Assets under Service“ auf über eine Milliarde Schweizer Franken angewachsen. Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung demnächst beschleunigt.»
Zwar konnten wir im Zuge der Pandemie unser Auslandsgeschäft nicht in gewünschtem Masse vorantreiben. Doch dies wird sich mit Ende der Krise ändern; wir werden die Internationalisierung bald effektiv in Angriff nehmen. Zusammen mit ausgewählten strategischen Partnern werden wir in verschiedenen Auslandsmärkten auftreten. Sobald genügend regionaler „Appetit“ in einer Region geweckt ist, werden wir eine entsprechende lokale GenTwo-Workforce vorort errichten.
Die Zeichen stehen gut: In den ersten drei Jahren unseres Bestehens sind unsere „Assets under Service“ auf über eine Milliarde Schweizer Franken angewachsen. Ich gehe davon aus, dass sich diese Entwicklung demnächst beschleunigt.
GenTwo hat sich spezialisiert auf Plattformen zur Verbriefung sämtlicher Anlagewerte. Welches sind heute die häufigsten Anlagewerte, die verbrieft werden und welche Kunden haben den grössten Bedarf an solchen Plattformen?
Die über GenTwo verbrieften Assets halten sich hinsichtlich ihrer Kategorien „Public Markets“ und „Private Markets“ ungefähr die Waage. Zu den Public Markets zählen wir Standardwerte wie Aktien oder Bonds. Private Markets beziehen sich auf unkonventionellere Assets, zum Beispiel die der Bereiche „Private Equity“ oder „Private Debt“, welche sich auf nicht kotierte Anlagen beziehen, die für viele Investoren schwer oder überhaupt nicht zugänglich waren.
«Banken können über die flexibel aufgesetzte Infrastruktur eigene White-Label-Produkte schnell auf den Markt bringen – ohne die eigene Bankenbilanz zu belasten.»
Konkret verbrieft haben wir schon Hotelfinanzierungen, Hollywoodfilme und Netflix-Serien, Schiffscontainer oder auch zukunftsträchtige Real-Estate-Projekte. Kundentypen, die den derzeit grössten Bedarf nach unserer Lösung signalisieren, sind Assetmanager, Venture-Capital-Investoren, Family Offices, aber auch eine wachsende Zahl von Banken. Letztere können nämlich über die flexibel aufgesetzte Infrastruktur eigene White-Label-Produkte schnell auf den Markt bringen – ohne die eigene Bankenbilanz zu belasten.
Neu bietet Ihre Lösung nebst der Segregierung der einzelnen Plattformen auch eine plattform-interne Abschirmung von Produkten. Was genau ist der Nutzen davon für die Kunden und wie wird sich das auf die Entwicklung neuer Anlageprodukte auswirken?
Ziel ist, auch eine potenzielle “plattforminterne” Übertragung von Risiken zu verhindern. Aufgrund dieses besonderen Kundenbedürfnisses haben wir den Sicherheitsstandard nochmals erhöht. Im April 2021 haben wir unser Produktangebot im Sinne einer zweifachen Segregation aufgerüstet.
Neben den voneinander getrennt aufgesetzten Verbriefungslösungen gibt es also nun auch eine plattforminterne Trennung von Produkten. Einzelne, integrierte „Asset-backed Securities“ werden über abgetrennte Zellen voneinander ferngehalten. Und so gibt es GenTwos erfolgreiche Segregation nicht mehr nur auf Plattform-, sondern auch auf Produktebene.
Die zweistufige Segregation wirkt wie ein zusätzlicher Schutz, durch den das Emittentenrisiko einzelner Anlageprodukte nahezu ausgeschlossen ist. Wir gehen davon aus, dass wir mit dem zusätzlichen Schutzlevel weitere Investorengruppen aufs Parkett bringen und neue Kundensegmente erschliessen werden.
Fintechs sind vor allem dadurch sehr agil, dass sie sich wenig um gewachsene IT-Strukturen kümmern müssen. Wie stellen Sie sicher, dass Sie nicht in dieselbe “Legacy-Falle” tappen, wie die grossen Finanzinstute, welche alte Lösungen nicht mehr erneuern können und zu hohen Kosten noch Jahre mitschleppen?
Dies wird in der Tat von vielen Unternehmen – insbesondere der Finanzbranche – oft unterschätzt. Auch wenn uns aufgrund unseres erst dreijährigen Bestehens überholte Legacy (noch) nicht belastet, müssen wir veralteten Systemen und Lösungen frühzeitig vorbeugen.
Dabei gilt auch, eingefahrene Gewohnheiten früh abzulegen, wenn sie nicht mehr zweckdienlich sind oder nicht mehr in das bestehende Setup passen. Man muss bereit sein, gewachsene (und durchaus auch erfolgreiche) Strukturen jederzeit zu hinterfragen und obsolet gewordene Elemente zu eliminieren. Wir legen starken Wert darauf, Mitarbeiter zu beschäftigen und neu zu engagieren, die sich auf dem jeweils neuesten IT-Level befinden.
Aufgrund einer Vielzahl technischer Anbindungen zu unterschiedlichen Service-Providern werden wir unsere IT-Landschaft agil halten. Dabei legen wir grossen Wert auf Modularität und stellen damit sicher, dass nicht alle Elemente ersetzt werden müssen, wenn sich einmal die IT-Infrastruktur ändert. Wer von vornherein alle Komponenten eines Prozesses in Stein meisselt, muss damit rechnen, an Agilität zu verlieren.
Das fachliche Wissen und die Technologie rund um das Thema Verbriefung sind sehr spezifisch und nicht sehr breit gestreut. Wie können Sie beides auch in Zukunft skalieren und den Marktanteil von GenTwo bedeutend erhöhen?
Es ist richtig, dass das Thema „moderne Verbriefung“ immer noch in den Kinderschuhen steckt. Obwohl der Markt in den letzten Jahren rapide gewachsen ist, ist das Potenzial selbstverständlich weiterhin sehr hoch. Wir haben mit über einer Milliarde „Assets under Service“ nicht einmal ein Prozent des Schweizer Marktanteils erreicht. Wie wir das weitere Potenzial für uns nutzen werden?
Der Schlüssel liegt in der „Ausbildung“ heutiger und künftiger Partner. Über die Ausbildung werden wir in immer weitere Kundensegmente vorstossen und Marktteilnehmern weltweit den Nutzen unserer Instrumente näher bringen. Wir werden die sogenannte „Unique Selling Proposition“ (USP) international vorantreiben und den Mehrwert innovativer Verbriefungslösungen in unterschiedlichen Wertschöpfungsketten erläutern. So ermöglichen wir unseren Kunden, sich vom Standard abzugeben und sich neu zu erfinden, damit sie ihren Kunden wiederum Mehrwert bieten. Ich bin zuversichtlich, dass wir das Vertrauen vieler weiterer Partner gewinnen werden.
Mit Gentwo Digital fokussieren Sie sich speziell darauf, Krypto-Assets bankenfähig zu machen. Wie entwickelt sich dieser Bereich unter dem zunehmenden Bekanntheitsgrad von Kryptowährungen, wo sehen Sie die grössten Chancen und Risiken in diesem Geschäftsbereich?
GenTwo Digitals Geschäftsentwicklung hat sich dank des Krypto-Booms der letzten Monate äusserst erfreulich entwickelt. Die starke Nachfrage nach digitalen Assets hat in den letzten Monaten zu den folgenden Entwicklungen geführt: Im Monat April 2021 haben wir 44 Produkte verbrieft, 17 Plattformen gebaut und 274 Millionen Schweizer Franken „Assets under Service“ erzielt. Auch die Qualität der umgesetzten Kundenprojekte steigt unaufhörlich an.
So hat zum Beispiel die SEBA Bank Krypto-Währungen über ihre GenTwo-Plattform verbrieft und im April 2021 diverse „Exchange-traded“-Produkte (ETP) an der Schweizer Börse (SIX) gelistet. Auch viele innovative Assetmanager nutzen unsere Verbriefungslösung. Dies, um sich im Krypto-Bereich zu positionieren, Zugang zu den grossen Krypto-Währungen und Altcoins zu gewähren und neue Anlagestrategien auf Basis der vielversprechenden Anlageklasse zu entwickeln.
Die nach wie vor grösste Chance für GenTwo Digital besteht wohl darin, dass es eine Brücke zwischen der etablierten Finanzwelt und der noch jungen Krypto-Branche schlägt. Wir helfen dabei, Krypto-Assets in die gewachsene Finanzinfrastruktur zu integrieren. So werden immer mehr institutionelle Gelder – inklusive 1e-Lösungen – in das Segment gelangen.
«Die SEBA Bank hat Krypto-Währungen über ihre GenTwo-Plattform verbrieft und im April 2021 diverse „Exchange-traded“-Produkte (ETP) an der Schweizer Börse (SIX) gelistet. Auch viele innovative Assetmanager nutzen unsere Verbriefungslösung.
Unser grösstes Risiko liegt in den hohen Kursvolatilitäten. Diese könnten der Akzeptanz als neue Assetklasse entgegenwirken und sie als adäquates Anlageinstrument infrage stellen.
Welches sind aus Ihrer Sicht die bedeutendsten Entwicklungen, technologisch und fachlich, die den Markterfolg von GenTwo entscheidend beeinflussen werden?
Zunächst einmal ist da das wachsende Kundenbedürfnis nach neuen, alternativen Werten, die neue Gewinnchancen in Aussicht stellen. Über die Nutzung einer GenTwo-Plattform lassen sich viele weitere Nischenthemen und zusätzliche Expertise wirtschaftlich auf den Markt bringen. Hinzu kommt, dass unsere Emissionsplattformen ausserbilanziell errichtet werden und deshalb durch sie lancierte Produkte nicht mit dem Emittentenrisiko von Banken behaftet sind.
Was GenTwos Markterfolg ebenfalls beeinflusst, ist die zunehmende Innovationsbereitschaft von Assetmanagern, Venture-Capital-Investoren, aber auch Banken. Denn wer sein langfristiges Überleben am Markt sichern will, muss bereit sein, eingefahrene Geschäftsprozesse und Methoden zu überdenken und anzupassen. Damit verbunden ist natürlich auch der Wunsch nach mehr Flexibilität, dem wir als innovativer Zulieferer gerecht werden müssen. Zu guter Letzt das wachsende Vertrauen in die aufstrebende FinTech-Branche. Einzelleistungen durch unabhängige Spezialisten, die in der Lage sind, Teile der Wertschöpfungskette deutlich zu verbessern, sind zunehmend gesucht.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich wünsche mir, dass der Zugang zu allen Vermögenswerten bald vollständig demokratisiert sein wird, was bedeutet: Zutrittsbarrieren zu gewissen Assets sollten für niemanden mehr existieren.
Ausserdem wünsche ich mir, dass Startkapital verfügbarer wird, um viele zusätzliche spannende Anlagen auf den Markt zu bringen. Gute Ideen sollen schliesslich gewinnen. Die Regulierung sollte dabei nicht nur alteingesessene Institute schützen, sondern auch innovative Newcomer fördern. Politik und Wirtschaft sollten keine weiteren unnötigen regulatorischen Hürden errichten. Die voranschreitende Demokratisierung sollte nicht plötzlich ins Stocken geraten und die Innovationskraft der Schweizer KMU-Landschaft infrage stellen.