von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Reichert, da Ihr Grossaktionär der Riese EnBW (Energie Baden-Württemberg) ist, hat auch die Politik ein Wort mitzureden. Vor- oder Nachteil?
Jörg Reichert: Wir sind ein regional verankertes Unternehmen und sind im Gegensatz zu EnBW zu grossen Teilen im südbadischen Raum tätig. Die BW-Landespolitik ist für uns nicht so sehr relevant wie für die EnBW. Umso mehr allerdings die regionale Politik vor Ort, das heisst auf Landkreis- und Gemeindeebene. Hier verspüren wir von allen Seiten ein hohes Interesse an unserer Arbeit, unseren Leistungen sowie unseren heutigen und zukünftigen Nachhaltigkeitsbestrebungen. Unser Ziel ist es, hier einen regelmässigen und offenen Austausch mit den entsprechenden Personen und Gremien zu initiieren und aufrechtzuerhalten. Aus unserer Sicht ist dieser Austausch unerlässlich und förderlich für unsere Arbeit – denn wir verfolgen dasselbe Ziel wie Landkreise, Städte und Gemeinden, eine sichere, nachhaltige Energieversorgung für die Menschen in der Region.
Inwiefern hilft die Bi-Nationalität der Firma das Geschäft in schwierigeren Zeiten auszubalancieren?
Ukraine-Krieg, Preisturbulenzen an den Energiemärkten, stark gestiegene Inflation – das Geschäftsjahr 2022 brachte nie dagewesene Herausforderungen und grosse Unsicherheiten bei den Menschen und den Unternehmen. Auch für Energiedienst war 2022 kein einfaches Jahr. Neben den oben genannten Gründen war 2022 vor allem von einer am Hochrhein sehr schlechten Wasserführung geprägt. Die negativen Effekte aus der deutlich geringeren Produktion konnten allerdings durch das boomende Photovoltaik-Geschäft in der Schweiz teilweise kompensiert werden. Da stieg die Anzahl der installierten Anlagen um 32% im 2022. Unsere Bi-Nationalität und auch die breite Diversifizierung unserer Geschäftssparten helfen, das Geschäft auch in schwierigen Phasen auszubalancieren.
«Die negativen Effekte aus sehr schlechter Wasserführung am Hochrhein konnten durch das boomende Photovoltaik-Geschäft in der Schweiz teilweise kompensiert werden.»
Jörg Reichert, Vorsitzender der Geschäftsleitung Energiedienst Holding AG
Mit der EnAlpin AG mit Sitz in Visp/Wallis versorgen Sie Industrie und Privatpersonen mit Strom. Die Preiskapriolen auf den Beschaffungsmärkten zwangen zu einer Preiserhöhung von 40% zu Jahresbeginn. Das dürfte wieder kehren, da alle fleissig Strom gespart haben, oder?
Zur Beantwortung dieser Frage müssen zwei Tatsachen näher betrachtet werden: Zum einen produzieren Energiedienst und EnAlpin mit den eigenen Wasserkraftwerken nicht genügend Strom, um alle Kunden mit eigens produziertem Strom zu beliefern. Das heisst, wir kaufen die fehlende Ökostrom-Menge aus zertifizierter Wasserkraft am Strommarkt ein. Die anhaltende niedrige Wasserführung bedeutet zudem, dass wir zusätzliche Mengen einkaufen müssen. Wir sind also von den Marktpreisen abhängig und tragen somit auch ein gewisses Risiko bei den aktuell sehr volatilen Preisbewegungen.
Aber Sie betreiben doch sicher eine glättende langfristige Beschaffungsstrategie?
Selbst in Perioden mit guter Wasserführung müssen wir zu gewissen Teilen Strom am Markt einkaufen. Und diese Mengen beschaffen wir uns nicht etwa kurzfristig wenige Tage vor Verbrauch des Stroms (am sogenannten Spotmarkt), sondern teilweise bis zu vier Jahre im Voraus (dieser Markt ist der Terminmarkt). Die Grafik in unserem Geschäftsbericht auf Seite 10 zeigt die Strompreise am Terminmarkt mit Stichtag 31.12.2022 und die unglaublichen Schwankungen.
Bestellten 2018 noch 30 Prozent Ihrer Geschäftskunden Ökostrom, lag ihr Anteil 2022 bereits bei weit über 60 Prozent. Liegt das am geringeren Aufpreis oder am Gewissensdruck?
Im Geschäft mit Industriekunden und Weiterverteilern herrscht ein intensiver Wettbewerb. Geschäftskunden legen mehr und mehr Wert auf Grünstromlieferung. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: Erfüllung von ISO-Normen, gesetzlichen Vorgaben oder eigene Werte wie Nachhaltigkeit. Gerade der letzte Punkt scheint uns ein sehr wichtiger zu sein, der sich vermehrt auch im Rekrutierungsprozess bemerkbar macht. Potenzielle Mitarbeitende legen viel Wert auf die Nachhaltigkeit ihres Arbeitgebers und wollen mit ihrer täglichen Arbeit einen Beitrag für eine nachhaltige und grüne Zukunft leisten.
Bis 2025 streben Sie grüne 100 Prozent an. Wie werden Sie das erreichen?
Wir spüren eine stetig steigende Nachfrage seitens der Geschäftskunden, auf erneuerbare Energien umzustellen. Dies rührt zum einen natürlich aus den eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen der Unternehmen, zum anderen auch von einem zunehmenden Druck von aussen. So fordern Finanzinstitute im Rahmen von Finanzierungen, aber auch Kunden, zunehmend höhere Anstrengungen von den Unternehmen. Dies erhöht den Druck zusätzlich und trägt unseren Optimismus, bis 2025 die Hundert-Prozent-Marke zu erreichen.
«Wir spüren eine stetig steigende Nachfrage seitens der Geschäftskunden, auf erneuerbare Energien umzustellen.»
Nahwärmenetze sind nicht nur bei der Energiedienst Holding ein Renner, sondern in der ganzen Schweiz. Wie sieht das im nahen Bundesland Baden-Württemberg aus?
Im kommunalen Bereich werden grundsätzlich nachhaltige Wärmenetze stark nachgefragt. Wärmenetze, insbesondere in Kombination mit der Nutzung von industrieller Abwärme, reduzieren die CO₂-Emissionen einer Kommune deutlich und tragen so zur klimaneutralen Energieversorgung bei. Die kommunale Wärmeplanung wurde Ende 2020 als Werkzeug für die Energiewende ins novellierte Klimaschutzkonzept Baden-Württemberg aufgenommen. Sie ist für grosse Kreis- und kreisfreie Städte verpflichtend und muss dort aktuell umgesetzt werden. Für kleinere Kommunen mit weniger als 20,000 Einwohnern wird eine freiwillige Wärmeplanung gefördert.
Wie ist die Energiedienst Holding in diese Projekte eingebunden?
Ende Januar hat Energiedienst gemeinsam mit der Stadt Rheinfelden eine Verbindungsleitung in Betrieb genommen, die künftig das Nahwärmenetz der Stadt mit dem Nahwärmenetz von Energiedienst verbindet. In Grenzach wird gemeinsam mit der Gemeinde Grenzach-Wyhlen ein Nahwärmenetz gebaut. Zudem konnte Energiedienst mit der Stadt Donaueschingen eine Partnerschaft für den Ausbau der Nahwärme im nördlichen Teil Donaueschingens besiegeln.
Wie wird sich die seit März-Beginn in Deutschland geltende Strompreisbremse auswirken?
Als zuverlässiger Energieversorger setzen wir alles daran, dass unsere betroffenen Kundinnen und Kunden schnell und unbürokratisch entlastet werden. Denn wir glauben, dass es Lösungen für in Not geratene Haushalte und Unternehmen braucht. Wir befürworten vor allem staatliche Förderungen, die die Menschen motivieren, selbst Teil der Energiewende zu sein. Gleichzeitig ist bei Markteingriffen, wie zum Beispiel der Übergewinnabschöpfung, Vorsicht geboten, denn der Ausbau der erneuerbaren Energien darf dadurch nicht gestoppt werden. Und genau da wollen wir als Energiedienst-Gruppe einen signifikanten Beitrag leisten. Dass wenige unserer Kunden (unsere aktuellen Preise liegen in der Preisspanne zwischen 35 und 40 Cents pro kWh, und die Strompreisbremse greift erst ab 40 Cents) von der Strompreisbremse profitieren, zeigt, dass wir bestrebt sind unsere Kundinnen und Kunden bestmöglich zu entlasten, indem wir faire Preise anbieten. Und wir fordern weiterhin unsere Kunden dazu auf, Energie zu sparen, da sich das positiv auf die Energierechnung auswirkt.
«Bei Markteingriffen, wie zum Beispiel der Übergewinnabschöpfung, ist Vorsicht geboten, denn der Ausbau der erneuerbaren Energien darf dadurch nicht gestoppt werden.»
Die geringe Wasserführung des Rheins dürfte Ihnen wohl auch in den nächsten Jahren Sorge bereiten, oder?
Natürlich machen wir uns über niedrigere Wasserstände Gedanken und verfolgen die Situation genau, denn die Natur ist unsere Quelle für die Energie. Fakt ist, dass der Februar ein sehr trockener Monat war – auch im Vergleich zu den Jahren davor – und es ist auch so, dass die Schneeschmelze früher einsetzt. Unsere Prognosen orientieren sich immer an den durchschnittlichen Monatswerten der vergangenen zehn Jahre. Es ist unmöglich, eine Vorhersage zu treffen, wie sich das Jahr bezüglich Wasserführung weiterentwickelt. Niedrige Abflüsse im Frühjahr können auch im weiteren Verlauf des Jahres durch höhere Abflüsse im Herbst oder Winter kompensiert werden. Es gibt immer wieder Jahre, in denen in einer Hälfte besonders wenig Wasser floss und in der anderen aussergewöhnlich viel.
Aktuell bereiten Sie für rund zwanzig grosse Freiflächen Photovoltaik-Kleinkraftwerke vor. Wie weit kann die Nutzung von Brach- und Freiflächen für die Stromerzeugung gehen?
PV-Freiflächen sind genau wie alle übrigen Anlagen zur Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien und unabhängig von der Region absolut wichtig. In Südbaden sind die Voraussetzungen durch die gute Sonneneinstrahlung und die in der Regel nebelfreien höheren Lagen im Schwarzwald ideal für den Bau von PV-Anlagen. Im Vergleich zu nördlichen Lagen in Deutschland kann damit mit einer vergleichbaren Anlage in Südbaden bis zu zehn Prozent mehr Energie produziert werden. Neben einem aktiven Beitrag zur Energiewende, führt eine lokale oder regional produzierte Energie auch dazu, dass Wertschöpfung vor Ort generiert wird.
«In Südbaden sind die Voraussetzungen durch die gute Sonneneinstrahlung und die in der Regel nebelfreien höheren Lagen im Schwarzwald ideal für den Bau von PV-Anlagen.»
Und was sind die Hindernisse?
Die neue Erzeugungslandschaft mit immer mehr dezentral produzierten erneuerbaren Energien schafft neue Herausforderungen für das Netz. Grössere Mengen an Strom werden neu an Stellen ins Netz eingespeist, die aus der Vergangenheit nicht für solche Energieflüsse vorgesehen waren. Für grössere PV-Freiflächenanlagen müssen zum Teil auch mehrere Kilometer lange Netzanschlussleitung bis in ein Unterwerk neu gebaut werden. Generell muss das gesamte Stromnetz mit seinen unterschiedlichen Spannungsebenen fit für die Energiewende gemacht werden. Investitionen in unsere Stromnetze und der Ausbau der Erneuerbaren sind also der Schlüssel der Energiewende.
TRITEC AG und winsun AG, neu fusioniert, sowie Alectron AG, ein führendes Solar-Unternehmen in der Zentralschweiz, übernommen: die Energiedienst Holding will zu einem führenden Solarstromdienstleister der Schweiz werden. Wie hoch soll der Anteil am Umsatz im Konzern werden?
Soviel können wir verraten: Im vergangenen Jahr haben wir in Deutschland und in der Schweiz 695 Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 19,1 MWp-Spitzenleistung installiert. Das ist eine ordentliche Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Denn da waren es 547 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 13,7 MWp. Ein erwähnenswertes Projekt: Im Kanton Solothurn am Standort Neuendorf durften wir für die Migros Verteilbetrieb AG eine der leistungsstärksten Solaranlagen der Schweiz installieren. Auf einer Fläche von zehn Fussballfeldern liefert die aus circa 37.000 PV-Modulen bestehende Anlage rund 9.000 Megawattstunden Strom.
Das entspricht dem Energiebedarf von über 3000 Dreipersonen-Haushalten und deckt 30 Prozent des Stromverbrauchs der MVB in Neuendorf. Zu Beginn dieses Jahres lässt sich sagen, die Auftragsbücher sind voll. Der aktuell sehr hohe und volatile Strompreis leistet seinen Beitrag dazu. Privat- und Geschäftskunden erkennen, dass sie sich mit einer eigenen PV-Anlagen unabhängiger von den Entwicklungen des Energiemarkts machen können. Zudem spielt natürlich das Erreichen der Klimaschutzziele über die Erzeugung von eigenem CO2-freiem Strom eine sehr wichtige Rolle.