Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Frau Picenoni, die Ski WM in St. Moritz ist Geschichte. Dem Kurort hat Sie zwar einen Gäste-, aber keinen Umsatz-Rekord gebracht. Wie waren die Auswirkungen auf das beschauliche Sils?
Jolanda Picenoni: In Sils im Engadin logierten während der Ski WM zahlreiche Skiteams. Die anwesenden Gäste freute es, für einmal so nah bei den Spitzensportlern zu sein. Die Ski WM war ein erfolgreicher Anlass, der medial sehr stark verbreitet wurde. Es gingen wunderschöne, eindrückliche Winterbilder um die Welt. Einige Stammgäste hatten ihren Aufenthalt aber auch bewusst auf den Zeitpunkt nach der Ski WM gelegt, um dem Trubel zu entgehen und die für Sils typische Ruhe zu geniessen.
«Sils muss weiter in die Schneeproduktion und das Loipenangebot investieren. Darüber hinaus rüsten aber auch einige Hotels mit neuen Wellness-Angeboten auf.» Jolanda Picenoni, Geschäftsführerin Sils Tourismus
Schneemangel und Wetterkapriolen gehören bald auch zu höher gelegenen Tourismusdestinationen zu prägenden Grössen. Was unternehmen Sie, um den Tourismus in Zukunft weniger wetterabhängig zu machen?
Einerseits ist es sehr wichtig, dass die hiesige Infrastruktur wie Langlaufloipen, Skipisten und Eisplatz am 1. Dezember jeweils bereit steht. Das heisst konkret, Sils muss weiter in die Schneeproduktion und das Loipenangebot investieren. Darüber hinaus rüsten aber auch einige Hotels mit neuen Wellness-Angeboten auf.
Wie sieht die aktuelle Aufteilung der Einnahmen zwischen Winter- und Sommersaison aus und wie wollen Sie in Zukunft die Anteile für die verschiedenen Jahreszeiten entwickeln?
In Sils logieren in den Sommer- beziehungsweise Wintermonaten fast gleich viele Gäste. Sicherlich hat der Herbst noch Potential, da streben wir eine Saisonverlängerung an.
Starker Franken, spontane Buchungen statt lange Vorausplanung, hohe Lohn- und Nebenkosten. Mit welchen Hindernissen kämpft Sils am meisten und welche Lösungen sehen Sie, um die Naturschönheit zwischen den beiden Seen nachhaltig weiter zu entwickeln?
Wichtig ist, dass alle Leistungsträger sich auf diese Situation einstellen und auf neue Gäste-Bedürfnisse eingehen. Die Klaviatur des Marketings gilt es, vollumfänglich zu spielen. Der Gast soll ein Kontrast zum Alltag in Sils erleben. Wenn wir die Messlatte an uns so hoch setzen, gelingt es uns auch mit dieser Top-Leistung die Gäste zu verblüffen. Uns ist deshalb auch der persönliche Kontakt des Gastgebers und der Partner vor Ort sehr wichtig.
Die stille und beeindruckende Naturkulisse um Sils hat zu früheren Zeit bekannte Dichter und Denker wie Nietzsche, Hesse oder Thomas Mann angelockt. Wie lässt sich das heute noch vermarkten, da junge Touristen mit den Klassikern kaum noch etwas anfangen können?
Die zahlreichen Dichter kamen primär wegen der Natur und der einmaligen Landschaft nach Sils. Dies ist bei unseren aktuellen Gästen heute noch so. Wenn sie dann vor Ort sind, sind das Nietzsche-Haus oder die Biblioteca Engiadina eine wichtige Begegnungsstätte. Unser Kulturprogramm (Konzerte, Lesungen, Theatervorstellungen und Tagungen) gilt es, auf die heutigen Gäste abzustimmen.
«Die zahlreichen Dichter kamen primär wegen der Natur und der einmaligen Landschaft nach Sils. Dies ist bei unseren aktuellen Gästen heute noch so.»
Veranstaltungen wie die Nietzsche Werkstatt oder Resonanzen sind gelungene Beispiele, wie junge Touristen die Kultur kennenlernen. Ein aktuelles Beispiel für ein Angebot an die Jungen wären die von uns erstmals durchgeführten Silser Chorwochen, für die bereits rege Anmeldungen eingehen.
Heute ist viel von Innovation, Digitalisierung und Erlebniswelten auch im Tourismus die Rede. Welchen Einfluss hat das auf die Gestaltung Ihres Angebotes, was setzen Sie dem eventuell bewusst entgegen?
Sils setzt auf Entschleunigung. Wichtig ist, dass unsere Angebote authentisch sind und zu Sils passen. Nur wenn sie zu den Silser Markenwerten (Naturphänomen, ursprünglich, inspirierend, wohltuend, gästezentriert, klar und behutsam) passen, werden die Angebote umgesetzt. Zum Beispiel die Wasserzeichenkonzerte auf dem Wasserfloss auf der Halbinsel Chastè oder der Engadin Skimarathon Nachtlauf mit Start in Sils. Zudem braucht es auch Mut, mal was Bewährtes zu reflektieren und abzustossen.
Immer öfters schliessen sich kleinere Tourismusgebiete zu umfassenden Regionen zusammen, die sich dann auch gemeinsam vermarkten. Was kann eine Destination wie Sils unternehmen, damit sie nicht als Fussnote einer grossen Region verschwindet?
Die eigenen Hausaufgaben tätigen und die touristischen Infrastruktur top halten beziehungsweise dezidiert – wo nötig – ausbauen. Verblüffende Angebote anbieten, Sils gemeinsam mit den hiesigen Leistungsträger weiter entwickeln und einen engen Austausch mit der Destinaton Engadin St. Moritz pflegen. Ideal ist, wenn man dabei die Kundenbrille auf hat.
In der Globalisierung wird vermehrt auch eine Sehnsucht nach Heimat und Überschaubarkeit spürbar. Wie könnte sich ein Kleinod wie Sils dies zu Nutze machen?
Indem wir weiterhin spannende, authentische Silser Geschichten erzählen, wie wir das zum Beispiel auf unserer Homepage tun. Zudem möchten wir den Gästen das Val Fex und seine Einzigartigkeit näher bringen und einen echten Kontrast zum Alltag bieten.
In heute kaum mehr fassbaren Entscheidung hat die Stimmbevölkerung 1978 ein hundertjähriges Bauverbot im Bereich des Silser- und Silvaplanersees beschlossen. Wie beurteilen Sie heute die Auswirkungen dieses Entscheides und glauben Sie, dass die Entscheidung heute nochmals so ausfallen würde?
Wir sind unseren Vorfahren dankbar, dass sie diesen Entscheid erwirkten. Sils ist dank dem Bauverbot heute ein intaktes, verkehrsberuhigtes Dorf umgeben von einer unglaublichen, schönen Landschaft. Dies hat bei den Gästen einen enormen Stellenwert.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Erstens wünsche ich mir einen sonnigen Herbst, in dem viele Unterländer ins wunderschöne Oberengadin kommen und Sils einen Besuch abstatten.
Zweitens wünsche ich mir, dass die Silser Bevölkerung dem Ausbau der Schneeproduktion zustimmen wird und wir einen schneereichen Winter 2017/18 mit vielen Sonnentagen in der Hochsaison geniessen können.
Die Gesprächspartnerin:
Jolanda Picenoni ist seit Juni 2016 die Geschäftsführerin von Sils Tourismus.
Ausbildungen
- 1986 – 1988 Lehre als Sportartikelverkäuferin, Scheuing Sport, St. Moritz
- 1988 – 1989 Lehre als Detailhandelsangestellte, Corviglia Sport, St. Moritz
- Aug. 92 – Juni 95 Höhere Fachschule für Tourismus HF, Samedan
- 2011 – 2012 Executive Master in Business Administration an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) in Chur (Fachhochschule Ostschweiz)
Berufliche Stationen (Auszug)
- Okt. 95 – Nov. 99 Eventmanagerin, Kur- und Verkehrsverein St. Moritz
- April 01- Feb 07 Ticino Turismo, Sales Managerin JP, CN, TW, RUS, D
- März 07 – März16 Rhätische Bahn, Leiterin Vertrieb Graubünden Süd
- Ab Juni 2016 Gemeinde Sils im Engadin / Segl, Geschäftsführerin Tourismus
Hobbies: Skitouren und Bergsport, Bewegung in der Natur, Schweiz entdecken
Sils Tourismus
ist die touristische Abteilung der Gemeinde Sils i.E./Segl und konzentriert sich auf das Ortsmarketing, die Gestaltung von Produkten, Angeboten und Veranstaltungen, die Koordination des Kultur- und Sportprogramms sowie des Informationssystems (online und Print) und stellt die Kommunikation zu den lokalen Leistungsträgern sicher. Sils Tourismus arbeitet eng mit der Tourismusorganisation Engadin St. Moritz zusammen, die seit 2008 das Marketing für die Destination wahrnimmt. Touristische Webseite: www.sils.ch