Joos Sutter, Vorsitzender der Coop Geschäftsleitung
von Patrick Gunti
Herr Sutter, Coop musste im vergangenen Jahr einen Gewinnrückgang von 8,1 % auf 432 Mio Franken hinnehmen. Der Umsatz konnte zwar dank der vollständigen Akquisition von Transgourmet massiv gesteigert werden. Im Detailhandel ging der Umsatz aber um 0,9 % zurück. Wie würden Sie das Umfeld beschreiben, in dem das Resultat zu Stande kam?
2011 war für den Detailhandel ein Jahr mit vielen Herausforderungen. Nachdem sich die Konjunktur im 2009 und 2010 erholt hatte, stagnierte die wirtschaftliche Dynamik im letzten Jahr wieder klar, insbesondere in der zweiten Jahreshälfte. Eigentlich hätte das 2011 bezüglich Konsum ja positiv ausfallen sollen, wurden doch wesentliche Lohnerhöhungen gesprochen. Gleichzeitig sind die Preise massiv gesunken, wie dies seit 1969 nicht mehr vorkam. Die dadurch erzielte Kaufkraftsteigerung hat sich jedoch nicht in der Konsumentenstimmung niedergeschlagen. Alles in allem muss man sagen, dass Coop sich dank ihrer klaren Strategie und strikter Finanzdisziplin in diesem schwierigen Jahr gut behauptet hat und ihren Marktanteil nach Nielsen ausgebaut.
Wie hoch waren die Einbussen auf Grund des massiv verstärkten Einkaufstourismus?
Der Einkaufstourismus hat infolge des schwachen Euros im letzten Jahr wieder massiv zugenommen. Man geht heute von einem Einkaufsvolumen von 5 Milliarden Franken aus, welches dem Schweizer Detailhandel jährlich entgeht und ins Ausland abfliesst. Andere Berechnungen gehen aktuell sogar von wesentlich höheren Zahlen aus. Allein im Jahr 2011 nahmen die abgestempelten Ausfuhrbescheinigungen im Reiseverkehr Deutschland Schweiz um 36 % zu.
«Man geht heute von einem Einkaufsvolumen von 5 Milliarden Franken aus, welches dem Schweizer Detailhandel jährlich entgeht und ins Ausland abfliesst.» Joos Sutter, Vorsitzender der Coop Geschäftsleitung
Coop hat erneut mit sinkenden Preisen reagiert. In welchem Umfang haben Sie in tiefere Preise investiert?
Coop hat in den letzten sechs Jahren über 1,4 Milliarden Franken in tiefere Preise investiert, verbesserte ihr Preis-Leistungs-Verhältnis laufend und führte insgesamt über 10’000 Preissenkungen durch. Im 2011 haben wir die grösste Preisabschlagswelle in unserer Geschichte durchgeführt: Über 4’500 Artikel des täglichen Bedarfs wurden massiv günstiger. Gesamthaft kostete uns dies 350 Millionen Franken.
Welche Möglichkeiten haben Sie alternativ, die immer preissensitiveren Konsumenten vom Einkauf im benachbarten Ausland abzuhalten?
Zum Glück ist der Schweizer Konsument nicht ausschliesslich auf den Preis fixiert. Natürlich ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit zentral – das ist für uns gewissermassen das «Pflichtfach». Auf der anderen Seite aber legen unsere Kundinnen und Kunden grossen Wert auf die Qualität und die Nachhaltigkeit der Produkte und Dienstleistungen. Wir können uns in diesem Bereich klar differenzieren gegenüber der Billig-Konkurrenz im und aus dem Ausland. Unsere nachhaltigen Eigenmarken entwickeln sich seit Jahren überdurchschnittlich – wir haben mit diesen im 2011 mit einem Wachstum von 5,9 % erstmals die magische Grenze von 2 Milliarden Franken Umsatz gesprengt. Bei den Bio-Produkten ist Coop seit Jahren Marktführerin.
«Was vielen Konsumenten leider noch zu wenig bewusst ist, ist, dass das Einkaufen ennet der Grenze in der Schweiz massiv Arbeitsplätze kostet.»
Stellen Sie bei den Konsumenten einen gewissen Egoismus fest, der sich darin manifestiert, einfach möglichst günstig einzukaufen, ohne die volkswirtschaftliche Bedeutung des Detailhandels oder der Produzenten und der damit verbundenen Arbeitsplätze zu berücksichtigen?
Wie gesagt, unsere Kundinnen und Kunden differenzieren durchaus und schätzen die hohe Qualität der Schweizer Landwirtschaftserzeugnisse. Der Umsatz mit Bio-Produkten, die ja zum grössten Teil aus der Schweiz stammen, ist um 4 % gestiegen, unsere junge Pro-Montanga-Linie mit Produkten aus dem Berggebiet kommt sehr gut an: Hier beläuft sich das Wachstum gar auf plus 7 %! Unsere Tiefpreislinie Prix Garantie hingegen ist eher rückläufig.
Was vielen Konsumenten leider noch zu wenig bewusst ist, ist, dass das Einkaufen ennet der Grenze in der Schweiz massiv Arbeitsplätze kostet – die 5 Milliarden Einkaufstourismus entsprechen gut und gerne 10’000 Arbeitsplätzen, welche über die Grenze verschoben wurden. In Relation zur Kaufkraft gibt man in der Schweiz für Lebensmittel am wenigsten aus, es sind dies 8%.
Sie haben internationale Lieferanten mit zum Teil unkonventionellen Methoden dazu gebracht, ihre Währungsgewinne an die Konsumenten weiterzugeben. Hätte man mit dem jetzt erzeugten Druck auf die Hersteller diese Preisabstände nicht schon früher verringern können?
Die Auslistungen waren das allerletzte Mittel, nachdem wir auf dem Verhandlungsweg nicht mehr weiter gekommen sind. Dieser Schritt – einmalig in der Geschichte der Coop Genossenschaft – hat die Diskussion um die Hochpreisinsel auch auf politischer Ebene neu entfacht. Inzwischen hat Coop diverse Verhandlungserfolge erzielt und konnte 56 Artikel wieder in ihr Angebot aufnehmen sowie die Preise bei rund 2700 Markenartikeln senken.
Wie hat sich das Geschäft mit Bio- und Fairtrade-Produkten entwickelt?
Mit einer Zunahme von 4 % zum Vorjahr setzte Coop insgesamt 829 Millionen Franken mit Bio-Lebensmitteln um. Das ist, wie schon in den vergangenen Jahren, ein klar überdurchschnittliches Wachstum. Mit den Nachhaltigkeits-Eigenmarken insgesamt setzte Coop erstmals über 2 Milliarden Franken um.
Coop gehört auch weltweit zu den führenden Vermarkterinnen von Fairtrade-Produkten. Zu einem weiteren grossen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit verhalf uns 2011 die Umstellung der umsatzstarken Qualité&Prix-Produkte auf Fairtrade-Rohstoffe. Es handelt sich dabei um das Reis-, Tafelschokolade- und Kaffeesortiment und um exotische Früchte. Damit kommen wir unserer ehrgeizigen Vision – Fairtrade zum Standard in der Beschaffung zu machen – einen weiteren Schritt näher.
«Coop gehört auch weltweit zu den führenden Vermarkterinnen von Fairtrade-Produkten.»
Coop wurde im vergangenen Jahr als nachhaltigste Detailhändlerin der Welt ausgezeichnet. Wie will Coop dieser Ehre und gleichzeitig Verpflichtung in Zukunft nachkommen?
Diese Auszeichnung ist für uns eine grosse Ehre, wie übrigens auch der «Goldene Zuckerhut» der deutschen Lebensmittelzeitung, den wir letztes Jahr erhalten haben. – ebenfalls für unsere Pionierarbeit hinsichtlich Nachhaltigkeit. Wir haben uns für die Zukunft klare Ziele in allen unternehmerischen Bereichen gesetzt und legen jedes Jahr im Nachhaltigkeitsbericht Rechenschaft darüber ab, was wir diesbezüglich erreicht haben. Unser ganz grosses Ziel ist, dass wir bis 2023 CO2-neutral sein wollen. Darauf arbeiten wir seit geraumer Zeit hin – nicht erst, seit wir die genannten Preise erhalten haben.
Welche Entwicklungen haben Sie im Online-Geschäft festgestellt?
Online ist definitiv ein Trend, der immer weitere Bereiche und Bevölkerungsguppen erreicht. Herr und Frau Schweizer kaufen immer häufiger von zu Hause aus oder mobil von unterwegs ein. Coop ist mit dem Online-Supermarkt coop@home und mit Microspot seit Jahren erfolgreich unterwegs. Um diesen Erfolg weiterzuschreiben, lancierten wir im 2011 gleich vier neue Internet-Shops der Formate Import Parfumerie, Toptip, Lumimart und The Body Shop und verpassten Interdiscount ein neues Design. Zusammen erreichten unsere Online-Shops einen Umsatz von 204 Millionen Franken. Dies bedeutet eine erfreuliche zweistellige Zunahme von 10,5 %.
Sie haben sich trotz der Einbussen mit dem Resultat für 2011 zufrieden gezeigt. Welches waren die positiven Aspekte im vergangenen Jahr und mit welcher Entwicklung rechnen Sie im laufenden Jahr?
Coop gewinnt nach Nielsen Jahr für Jahr Marktanteile so auch letztes Jahr. Für das laufende Jahr bin ich optimistisch, dass Coop auch weiterhin Marktanteile gewinnen wird. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen können wir nicht beeinflussen, wir können uns nur im Markt gut verkaufen.
Sie stehen seit September 2011 an der Spitze eines Unternehmens mit mittlerweile über 75’000 Angestellten. Wie haben Sie die ersten Monate erlebt und wie gehen Sie mit der Verantwortung um?
Ich war sehr beeindruckt von der guten Führungscrew. Die Werte Nachhaltigkeit und Vielfalt werden konsequent gelebt, ohne dass die Unternehmerseite bei vernachlässigt würde. Das Herz schlägt bei Coop für beide Aspekte. Für mich waren die ersten 5 Monate wirklich durch und durch spannend und vielseitig. Die Coop Geschäftsleitung befindet sich in einem Generationenwechsel . Philipp Wyss als neuer zum Leiter der Beschaffung ab April 2012 und Daniel Stucker als Leiter Trading sind ebenfalls neu in der Führungscrew.
Leider wurde mein Start als neuer operativer Chef der Coop durch den plötzlichen Tod unseres Finanzchefs Hanspeter Schwarz überschattet. Ich musste daraufhin interimistisch auch noch die Finanzen übernehmen. Damit hatte ich die Gelegenheit auch die finanziellen Abläufe und Konstellation gut kennen zu lernen. Jetzt freue ich mich aber , dass wir per 1. Juni in Person von Reto Conrad als neuen Leiter Direktion Finanzen / Services eine hochkarätige Verstärkung in unserer Geschäftsleitung bekommen.
Herr Sutter, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Joos Sutter (Jahrgang 1964) steht seit 1. September 2011 an der Coop-Spitze. Sutter ist in Thusis aufgewachsen und hat nach der Matur am Wirtschaftsgymnasium Chur 1990 erfolgreich das Lizenziat der Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule St. Gallen (lic. oec. HSG) erworben. Vier Jahre später folgte die Diplomierung zum Wirtschaftsprüfer. 1991 trat er bei Coopers & Lybrand in Zürich eine Stelle als Wirtschaftsprüfer an.
1996 wechselte er als Leiter Finanzen/Personal zur Impo Import Parfümerien AG, an der Coop damals zu 50 Prozent beteiligt war, bevor sie das Unternehmen 1998 vollständig übernahm. Joos Sutter wechselte 1999 zu einem weiteren Tochterunternehmen von Coop, der Interdiscount AG in Jegenstorf. Dort übte der Bündner verschiedene Funktionen aus wie Leiter Finanzen/Service, Leiter Verkauf und von 2005 bis 2009 Gesamtleiter der mittlerweile in Coop integrierten Division Interdiscount. Per 1. Januar 2010 erfolgte der Ruf in die Coop Geschäftsleitung. Als Leiter der Direktion Trading trug er die Verantwortung für Coop City , Coop Bau+Hobby, Interdiscount, Import Parfümerien, Christ, Toptip/Lumimart, Coop Vitality, Fust und The Body Shop.