Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Hodel, die Coronakrise hat die digitale Transformation in Bereichen wie Fernunterricht, Homeoffice oder virtuelle Meetings massiv beschleunigt. Wo sehen Sie Gewinner und Verlierer der digitalen Transformation in diesem Jahr?
Jürg Hodel: Von Gewinnern oder Verlierern zu sprechen halte ich in diesem Zusammenhang nicht für zielführend. Wir waren als Individuen und in den Unternehmen gefordert, in der Organisation und den Arbeitsprozessen sehr schnell Änderungen umzusetzen. Vor allem in den indirekten Bereichen wurden Arbeitsmodelle dynamisch angepasst und laufend adaptiert. Davon waren von Entwicklung über Einkauf bis Finance und Controlling praktisch alle Einheiten betroffen.
«Die Schweizer Unternehmen haben auch in vergangenen Krisen gezeigt, dass sie grundsätzlich sehr resilient und adaptiv sind.» Jürg Hodel, Co-CEO Staufen.Inova
Im Vorteil waren sicher Firmen, welche auch für Support- und Führungsprozesse die Basis mit einfachen und belastbaren Prozessmodellen gelegt hatten. Andere Firmen nutzten die Gelegenheit, um direkt zu agilen und crossfunktionalen Strukturen zu wechseln. Für sie waren der Aufwand und die Unsicherheit sicher höher. Aber wer jetzt Gewinner oder Verlierer ist?
Wenn es aufseiten der Arbeitnehmer Gewinner gibt, dann vielleicht die, die von zu Hause aus arbeiten können, im Vergleich zu jenen, die in den Betrieb müssen. Das wird sicher nachhaltige Auswirkungen auf die Zusammenarbeit haben und auf der anderen Seite neue Rekrutierungsmöglichkeiten für die Firmen eröffnen.
Die Schweiz wird aktuell hart kritisiert für ihre im internationalen Vergleich milden Massnahmen bei der Bekämpfung der Pandemie. Wirtschaftlich scheinen dafür die Auswirkungen weniger gravierend zu sein als in anderen Ländern. Worauf führen Sie das zurück?
Die Schweizer Unternehmen haben auch in vergangenen Krisen gezeigt, dass sie grundsätzlich sehr resilient und adaptiv sind. Unterstützend wirken sicher unsere Kultur und der Wille, in der Not gemeinsam pragmatische Lösungen zu finden. Dies, in Kombination mit den bekannten Stärken, hat sicher zu dieser Entwicklung beigetragen.
In der Studie «Transformation 2020» hat Staufen.Inova versucht herauszufinden, was Schweizer Firmen als die eigentlichen Treiber des Wandels identifizieren, welche Gefahren und Chancen sie erkennen und welche Faktoren über Erfolg und Niederlage zu entscheiden vermögen. Was waren für Sie die überraschendsten Erkenntnisse?
Der Veränderungsdruck ist sehr hoch, getrieben zum einen durch Disruption und zum anderen durch eine wachsende Dynamisierung des Marktes. Überraschend ist, wie positiv die Firmen gegenüber dem Transformationsbedarf eingestellt sind und wie weit anscheinend viele Unternehmen in der Transformation schon sind.
Der Bundesrat betont immer wieder, dass Massnahmen bei der Bekämpfung von Corona nur wirken, wenn die Bevölkerung sie versteht und mitträgt. Wie sieht das bei der Umsetzung von strategischen Änderungen in Unternehmen aus, wie gut werden da die Mitarbeitenden über die Massnahmen informiert und motiviert, diese umzusetzen und mitzutragen?
In einer Krise sprechen wir von Krisenmanagement und Krisenkommunikation. Hier ist es sehr wichtig, regelmässig in kurzen Abständen über die aktuelle Situation zu informieren, die Lagebeurteilung des Krisenstabes und der Geschäftsleitung darzustellen sowie notwendige Massnahmen kurz, prägnant und verständlich zu kommunizieren.
«Klar scheint einzig, dass wir generell und speziell in der Industrie mit einer höheren Instabilität umzugehen lernen müssen.»
Für die erfolgreiche Umsetzung einer strategischen Änderung, einer Transformation oder auch nur für einen Change sind in der Kommunikation folgende Punkte elementar:
- Wohin wollen wir? – Ziel bzw. Zielzustand sind für alle klar und verständlich darzulegen.
- Warum machen wir das? – Chancen und Risiken müssen aufgezeigt werden.
- In welchen Schritten und welchem Zeitraum wollen wir das Ziel erreichen?
- Wie gehen wir vor?
- Was bedeutet das für «mich»? – Auch die Mitarbeiterperspektive sollte berücksichtigt werden.
Sehr oft werden diese Punkte zumindest teilweise kommuniziert, jedoch in vielen Firmen durch umfangreiche Textdokumente. Diese sind für die Mitarbeitenden oft schwierig zu lesen und zu verstehen. Ein Bild sagt mehr als x Seiten dicht beschriebene PowerPoint-Folien.
Die Reise- und Veranstaltungsbranche wird kaum mehr zu Zuständen wie vor der Pandemie zurückkehren können. Wie sieht das «New Normal» in der Industrie aus?
Das «New Normal» kennen wir noch nicht wirklich. Klar scheint einzig, dass wir generell und speziell in der Industrie mit einer höheren Instabilität umzugehen lernen müssen. Agile, adaptive Organisationen mit einem ausgeprägten Sinn für neue Geschäftsmodelle sind dabei sicher im Vorteil.
Die Krise hat unter anderem auch eine der Schwächen der Globalisierung aufgedeckt: die Abhängigkeiten in komplexen und verknüpften Lieferketten. Welche Entwicklungen und Änderungen sehen Sie hier in Zukunft?
Kleinere Firmen werden tendenziell ihre Lieferketten auf den EU-Raum und angrenzende Gebiete ausrichten. Grössere Unternehmen werden ihre Lieferketten noch stärker differenzieren, um situativ ausweichen zu können.
Krisen führen oft zu strategischen Um- und Aufbrüchen, dem gegenüber stehen aber kurz- bis mittelfristig angespannte finanzielle Rahmenbedingungen. Wie sollen Unternehmen damit umgehen?
Wir stellen fest, dass viele Unternehmen gut finanziert sind und Reserven für eine mögliche Neuausrichtung haben.
Zusätzlich wurde, getriggert durch die Krise, eine aktive, transparente Abstimmung und Kommunikation entlang der gesamten Supply Chain implementiert. Es entstehen partnerschaftliche Beziehungen, über welche neue Produkte, Services und notwendige Änderungen kollaborativ und somit schneller und mit weniger Risiko für die einzelnen Beteiligten umgesetzt werden können.
Ein besonderes Merkmal der digitalen Transformation ist der Aspekt der Disruption. Nicht graduelle Verbesserung ist das Ziel, sondern eine vollständig neue Lösung. Wie reagieren die Unternehmen darauf, wie viel Innovations- und Disruptionspotenzial orten Sie in den Traditionsunternehmen?
Innovation ist seit jeher das Rückgrat des Werkplatzes Schweiz. Viele Firmen, auch Traditionsunternehmen, investieren gerade jetzt in ihre Organisation und kollaborative Netzwerke, um agiler und schneller neue Lösungsangebote auf den Markt zu bringen. Dies muss nicht immer und zwingend disruptiv sein.
Einen zentralen Vorteil der Schweizer Unternehmen sehen wir auch in unserer KMU-Landschaft. Gute Ideen können schnell und pragmatisch umgesetzt werden. Damit können Schweizer Unternehmen häufig schnell auf neue Trends reagieren.
Wie sind aus Ihrer Sicht die Schweizer Unternehmen positioniert, um im internationalen Wettbewerb im nächsten Jahr zwischen den grossen Mächten USA, China und EU zu agieren, wo gibt es Verbesserungsbedarf?
Basis für den Wettbewerb auf Augenhöhe sind der möglichst hindernisfreie Zugang zum jeweiligen Wirtschaftsraum und stabile, verlässliche Rahmenbedingungen.
Auf der anderen Seite haben viele Schweizer Unternehmen in den jeweiligen Wirtschaftsräumen Niederlassungen, Tochterfirmen oder Beteiligungen, um die Wettbewerbsnachteile zu minimieren.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klaffen ja bekanntlich grosse Lücken. Lassen Sie uns deshalb besser bei der Wirklichkeit bleiben und versuchen, diese möglichst wünschenswert zu gestalten.
Dazu gehört für mich zum einen, dass die Schweizer Wirtschaft weiterhin attraktive Rahmenbedingungen vorfindet. Wir müssen zweitens alles daransetzen, die Krisenresilienz der Unternehmen zu erhalten. Wenn uns das gelingt, sieht die Wirklichkeit nach der Überwindung der Pandemie – also im viel zitierten «New Normal» – besser aus, als wir anfangs befürchtet haben.