Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Liniger, Sie haben Relai 2019 gegründet, mit dem Anspruch, die einfachste Bitcoin-Anlage-App Europas anzubieten. Wo stehen Sie heute bei der Erfüllung des Anspruches, wie viele aktive Benutzerinnen und Benutzer hat die App, wie sieht das Anlagevolumen aus?
Julian Liniger: Der Startschuss für Relai war der F10/SIX Fintech Hackathon Anfang 2019, als mein Mitgründer Adem Bilican und ich den ersten Prototypen der App gebaut und einer Jury vorgestellt haben. Im Sommer 2020 sind wir dann mit dem ersten MVP live gegangen und die App wurde ca. 1’000 mal heruntergeladen im ersten Monat. Da haben wir gemerkt, dass es sich lohnt für dieses Projekt all-in zu gehen.
«Langfristig ist die Schweiz mit ca. 9 Millionen Einwohnern ein zu kleiner Markt für ein B2C Fintech Startup, da ist die EU mit seinen über 400 Millionen Einwohnern doch deutlich interessanter.» Julian Liniger, CEO Relai
Wir hatten allerdings kein Geld, keine Gründer Erfahrung, kein relevantes Netzwerk, und keine Ahnung, was auf uns zukommen würde. Heute, 4 Jahre nach dem Go-Live, zählen wir über 400’000 App Downloads, über 100’000 aktive Nutzer, und ein kumuliertes Handelsvolumen von ca. einer halben Milliarde EUR/CHF. Dies haben wir mit einem relativ kleinen Mittelaufwand (knapp 10 Mio. USD Venture Capital) und Team (knapp 30 Mitarbeitende) geschafft, worauf wir sehr stolz sind.
In welchen Ländern weist Relai das grösste Wachstum aus, wie beurteilen Sie die Schweiz als Kryptomarkt im internationalen Vergleich?
Ungefähr die Hälfte unserer Kunden bzw. unseres Handelsvolumens kommen aus Deutschland. Ca. 25% aus der Schweiz, gefolgt von Italien, Frankreich und Österreich. Die Schweiz ist ein spannender Markt, um ein Projekt wie Relai zu launchen, weil man passiv auch die umliegenden, grossen Länder angehen kann. Dazu kommt, dass viel Kapital vorhanden ist und die Bitcoin-Adoption mit 15-20% im Vergleich zu anderen Ländern in Europa relativ hoch ist. Langfristig ist es aber mit ca. 9 Millionen Einwohnern ein zu kleiner Markt für ein B2C-Fintech-Startup, da ist die EU mit ihren über 400 Millionen Einwohnern doch deutlich interessanter.
Bitcoin befindet sich seit dem Start von Relai in einer beeindruckenden Berg- und Talfahrt mit Werten zwischen knapp 5’000 bis knapp 64’000 CHF. Wie wirkt sich das auf die Entwicklung von Relai aus, welche Strategie haben Sie selbst im Umgang mit Bitcoin?
Bitcoin ist kurzfristig volatil, jedoch langfristig stets in einem Aufwärtstrend. Während Fiat-Währungen wie EUR oder CHF kurzfristig stabil, jedoch langfristig stets im Abwärtstrend sind. Für uns als Broker ist Volatilität im Markt immer gut. Wenn der Bitcoin-Preis hoch geht, kommen mehr neue Nutzer dazu, weil das Thema in den Medien breitgetreten wird. Wenn der Preis sinkt, kaufen unsere existierenden Nutzer mehr BTC ein, da sie den langfristigen Wert von Bitcoin kennen und somit mehr davon akkumulieren wollen. Die tiefsten Nutzerzahlen und Handelsvolumen sehen wir, wenn der Preis über längere Zeit stabil bleibt, wobei wir auch da gute Umsätze erzielen können, da viele unserer Kunden automatische wöchentliche Sparpläne am laufen haben.
Als Unternehmen akkumulieren wir selbst seit Anfang dieses Jahres ebenfalls Bitcoin als Reserve-Kapital, weil wir daran glauben, dass der Wert unserer Reserven und somit der Wert unserer Firma langfristig gesteigert werden kann.
Inzwischen machen die Banken Bitcoin ihren Kunden als ETF (Exchange Traded Fund) zugänglich. Wie beeinflusst diese “Professionalisierung” die weitere Entwicklung von Bitcoin, was heisst das bezüglich der ursprünglichen Idee, eine Währung ausserhalb der traditionellen Finanzwelt und ohne die Compliance-Bürden anzubieten?
Die ETFs waren ein grosser Schritt für Bitcoin. Sie ermöglichen grossen und hoch regulierten Institutionellen Investoren einen einfachen Zugang zu BTC. Larry Fink, Gründer und CEO von Blackrock, dem grössten Vermögensverwalter der Welt, hat bereits nach drei Monaten angemerkt, dass der Bitcoin ETF der erfolgreichste Start eines ETFs war. Dieser hat im ersten Quartal mehr Investments angezogen als damals der Gold ETF, und ist bereits jetzt mit über 20 Mrd. USD Assets under Management ein global signifikanter Fonds.
«Als Unternehmen akkumulieren wir selbst seit Anfang dieses Jahres ebenfalls Bitcoin als Reserve-Kapital, weil wir daran glauben, dass der Wert unserer Reserven und somit der Wert unserer Firma langfristig gesteigert werden kann.»
Bitcoin ist und bleibt ein Asset, welches man unabhängig von Banken und dem traditionellen Finanzsystem halten kann, was auch viele tun und einer der grossen Pluspunkte dieses Assets darstellt. Es ist aber auch gut, dass es über die traditionellen Banking & Finance Vertriebskanäle in einem hoch regulierten Umfeld zugänglich gemacht wird, da verschiedene Investorentypen verschiedene Ansprüche haben. Was sie alle gemeinsam haben: Sie werden in den nächsten 10 Jahren Bitcoin in ihr Portfolio aufnehmen wollen, one way or the other.
2021 haben Sie 2.5 Mio CHF in einer Serie-A-Runde eingenommen, 2023 weitere 4.5 Mio USD. Wie sehen heute die Besitzverhältnisse aus, welche weiteren Finanzierungsrunden sind geplant?
Relai ist heute, wie in Startups üblich, aufgeteilt auf die Gründer, VC-Investoren, Angel Investoren und dem operativen Team. Wir planen eine weitere, grosse Wachstums-Finanzierungsrunde, um unsere EU-Expansion und die weitere Skalierung des Unternehmens voranzutreiben. Da wir profitabel operieren, haben wir dafür keinen Zeitdruck, trotzdem arbeiten wir darauf hin, dieses Jahr einen geeigneten Lead Investor zu finden und die Runde Anfang nächsten Jahres abzuschliessen, damit wir 2025 voll durchstarten und die EU für uns erobern können.
«Wir planen eine weitere, grosse Wachstums-Finanzierungsrunde, um unsere EU-Expansion und die weitere Skalierung des Unternehmens voranzutreiben.»
Neu kann man bei Relai auch Lightning Network Wallets eröffnen. Wer ist das Zielpublikum dafür, was sind die Risiken dieser noch ziemlich neuen Off-Chain-Technologie?
Wir haben Anfang dieses Jahres die Lightning-Wallets als Beta-Feature an all› unsere Kunden veröffentlicht. Es wird bisher erst von einer kleinen, Bitcoin-versierten Nischen-Kundengruppe genutzt, welche das Lightning-Netzwerk und dessen Vorteile gut kennen und sich für neue Technologien im Bitcoin-Space interessieren. Die meisten unserer Kunden sind jedoch Bitcoin-Neulinge und nutzen entsprechend vor allem die Kauf-, Verkauf- und Sparplan-Funktionen bei Relai.
Das Risiko bei Lightning ist, dass die Benutzerfreundlichkeit noch nicht ausgereift ist und somit die Erwartungen der Kunden, was Zuverlässigkeit und Performance der Relai Lightning Wallet angeht, noch nicht 100% befriedigt werden können. Genau deswegen haben wir Lightning als Beta-Version vermerkt. Geld kann zum Glück, trotz hin und wieder auftretenden Störungen, nicht verloren gehen. Und wir arbeiten natürlich hart daran, die noch auftretenden Mängel schnellst- und bestmöglich zu beheben.
Neben den Angeboten für Privatpersonen eröffnen Sie Unternehmen seit Anfang 2023 mit Relai Business die Möglichkeit, Bitcoin ihrer Unternehmensbilanz hinzuzufügen. Was bekommt er bei Relai, das ihm seine Bank nicht ebenfalls bietet?
Wir haben seit Anfang dieses Jahres über 100 Unternehmen, vorwiegend KMUs, als Kunden gewinnen können. Diese Firmen sind meist von Inhabern geführt, die Bitcoin verstanden haben und entsprechend als strategische Reserve auf Ihre Bilanz nehmen wollen sowie selbst verwahren wollen.
Die meisten Banken und Exchanges bieten keine Business-Konten für Bitcoin an, und wenn doch, dauert das Onboarding mehrere Wochen oder sogar Monate. Zudem ermöglicht es unseres Wissens kein anderer Anbieter dem Unternehmen, die BTC selbst zu verwahren. Bei Relai Business erhält das Unternehmen kostenlose Beratung und Onboarding-Unterstützung. Innert 48 Stunden ist der Kunde bereit Bitcoin zu kaufen, und befähigt diese auch selbst aufzubewahren, mit voller Kontrolle und ohne Gegenpartei-Risiko. Dies gibt es sonst nirgends im europäischen Markt.
Künstliche Intelligenz, selbstlernende Algorithmen, Chatbots, Anlage-Bots: Welche Technologien setzen Sie selbst bei Relai ein, welche Technologien haben aus Ihrer Sicht das Potenzial, die Finanzindustrie in den kommenden Jahren signifikant zu verändern?
Es gibt viele neue Technologien, die das Potenzial haben, die Finanzindustrie grundlegend zu verändern. Es handelt sich aber auch um eine sehr stark regulierte Branche, welche den Fortschritt stark verlangsamt und teils verunmöglicht. Ich glaube aber nichtsdestotrotz, dass in den nächsten Jahren Effizienzen gewonnen und Nutzererlebnisse signifikant verbessert werden können durch den Einsatz von Automatisierung, Künstliche Intelligenz, Machine Learning, und peer-to-peer Technologien wie Bitcoin. Alle diese Technologien setzen wir bereits bei Relai ein, um mit einem kleinen Team von knapp 30 Mitarbeitenden einer grossen Kundengruppe von über 100’000 aktiven Nutzern die einfachste Bitcoin-Experience in Europa zu bieten.
Wie sieht die weitere Entwicklungsstrategie von Relai aus, welche Märkte, welche Funktionen stehen im Vordergrund?
Ab nächstem Jahr werden wir, gestützt durch die grosse Wachstums-Finanzierungsrunde, stark und aggressiv in die EU expandieren. Die MiCA-Lizenz, welche wir noch dieses Jahr in Frankreich erhalten werden, wird es uns erstmals ermöglichen, aktiv Kunden in EU-Ländern zu akquirieren. Wir fokussieren uns im 2025 also stark auf die grossen EU-Länder wie Deutschland, Frankreich und Spanien.
«Ab nächstem Jahr werden wir, gestützt durch die grosse Wachstums-Finanzierungsrunde, stark und aggressiv in die EU expandieren.»
Ab 2026 expandieren wir dann weiter in die UK und den Mittleren Osten. Auf der Produkt-Seite werden wir weiterhin darauf hinarbeiten, dass Relai die einzige Bitcoin-App ist, die ein Retail-Nutzer braucht, inkl. Bitcoin-Wallet, Lightning-Wallet, Hardware-Wallet. Bitcoin kaufen, verkaufen, sparen, senden, empfangen, halten und tracken, alles aus einer Hand, super einfach und benutzerfreundlich.
Auch in unserem Privat- und Firmenkunden Segment bauen wir weiterhin unsere Dienstleistungen entsprechend der vielen Kundenwünsche aus. Wir gehen bald mit unserer Relai Private Web App auf den Markt und lancieren Schritt für Schritt ein Bitcoin Wealth Management Service-Portfolio rund um Steuern, Buchhaltung, Custody, Vererbung, Lending, Investment etc.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich wünsche mir, dass sich jeder Mensch dieses Jahr eine Woche Zeit nimmt, um sich mit der Geschichte des Geldes, unserem aktuellen Finanzsystem, und Bitcoin zu beschäftigen. Mein zweiter Wunsch würde sich damit dann wohl erübrigen: Mit Relai 1 Million Kunden, 100 Millionen USD Umsatz, und 1 Mrd. USD Unternehmensbewertung erreichen.