von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Eberhardt, vor sechs Jahren haben Sie Oviva mitbegründet. Wie entstand die Idee, eine Ernährungsberatungs-Plattform einzurichten?
Kai Eberhardt: Die Idee kam von einem Mitgründer, einem Kinderarzt, der in seiner Praxis gesehen hat, wie viele Jugendliche mit immer mehr Gewichtsproblemen zu kämpfen hatten. Bei der Ernährungsberatung wollten sie jedoch nicht mitmachen und sie sind häufig in ihr Smartphone geflüchtet. Das Smartphone war für ihn ein Weg diese Patienten zu erreichen. Dass die Behandlung keine physische Untersuchung, Blutabnahmen oder sonstigen Körperkontakt benötigt, ist eher eine Ausnahmeerscheinung in der Medizin. Der Digitalisierung kommt dies aber entgegen.
Für welche Zielgruppe ist die App-unterstützte Ernährungsberatung bestimmt?
Für Menschen mit Krankheiten, die von der Ernährung beeinflusst werden. Das schliesst viele der Volkskrankheiten wie Bluthochdruck, Typ 2 Diabetes oder einfach Adipositas, aber auch Lebensmittelallergien und -intoleranzen und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen mit ein. Die Unterstützung via App erfordert dabei nur ein Smartphone. Die App ist sehr einfach gehalten, so dass ein Patient ohne Technologiewissen sich schnell darin zurecht findet. Sie ermöglicht eine effektive Behandlung ohne viele Termine und kommt so vielbeschäftigten Menschen entgegen. Zudem ist die Betreuung enger, man bekommt als Patient also schneller Antworten auf Fragen. Das führt zu besseren Ergebnissen der Behandlung.
«Prinzipiell kann jede Person, die sich besser ernähren und gesünder leben möchte, von Oviva profitieren.»
Kai Eberhardt, Co-Founder und CEO Oviva
Und für wen eignet sie sich besser, für wen weniger?
Wir behandeln vor allem Menschen die bereits Krankheiten entwickelt haben oder dafür gefährdet sind solche zu entwickeln. Prinzipiell aber kann jede Person, die sich besser ernähren und gesünder leben möchte, von Oviva profitieren.
Wie können wir uns den Ablauf vorstellen, wenn sich jemand für eine Ernährungsberatung von Oviva entscheidet?
Typischerweise beginnt es mit der Feststellung einer Krankheit durch den Arzt. Als Teil der Therapie verordnet der Arzt eine Ernährungsberatung, sofern diese indiziert ist. Mit der Verordnung erhält der Patient bei uns einen Termin und die Einladung, sich in unsere App einzuloggen. Darin kann er bereits vor der ersten Therapiesitzung beginnen, Essen, Symptome und Verhaltensweise zu protokollieren und sich Informationen zur Krankheit im Selbststudium anzueignen. In der Folge findet ein Termin mit der Ernährungsberaterin statt, typischerweise in der Praxis seines Arztes, gefolgt von einer mehrmonatigen Begleitung durch unsere Ernährungsberaterin. Dabei wird der Patient unterstützt, seinen Lebensstil umzustellen. Dies findet typischerweise teilweise aus der Ferne via App und teilweise in persönlichen Sitzungen vor Ort statt.
Wie viele Arztpraxen sind in Ihr Netzwerk eingebunden?
Wir konnten schon über 350 Praxen in unser Schweizer Netzwerk aufnehmen. International sind es weitere 600. Wir arbeiten hauptsächlich mit Allgemeinmedizinern, Pädiatern, Endokrinologen, Gastroenterologen und Gynäkologen. Die Ernährung beeinflusst unserer Gesundheit auf vielfältige Art und Weise.
Wie breit ist das Angebot der Oviva-Ernährungstherapien?
Wir können bei allen ernährungsbedingten Krankheiten unterstützen. Inzwischen sind 150 Ernährungsfachkräfte bei uns angestellt, so dass wir uns über das Team auch mit seltenen Erkrankungen auskennen und über 20 Sprachen sprechen.
Wo liegen denn die grössten Vorteile der virtuellen Beratung über die App?
Durch den einfacheren Zugang über die App erreichen wir den Patienten mit einer sehr effektiven und kostenwirksamen Behandlung.
Lebenstilumstellung ist einer der ersten und effektivsten Wege um Diabetes, Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte und einige weitere Krankheiten zu verhindern oder mindestens deren negativen Effekte zu mindern. Eine effektive Lebenstil- und Ernährungsumstellung benötigt meistens Monate enger Zusammenarbeit zwischen Fachperson und Patient. Ärzte haben dafür nicht die Zeit und werden schlecht oder nicht dafür bezahlt. Patienten brechen traditionelle face-to-face-Behandlungen in ca. 50% der Fälle verfrüht ab, bei sind es weniger als 20%. Zudem spart unsere Behandlung Kosten im Gesundheitssystem. Denn die Alternative für den Patienten ist häufig, bis ans Lebensende täglich Medikamente nehmen zu müssen.
«Unsere Behandlung spart Kosten im Gesundheitssystem. Denn die Alternative für den Patienten ist häufig, bis ans Lebensende täglich Medikamente nehmen zu müssen.»
Welche technischen Möglichkeiten bietet die App?
Der Patient kann alles wichtige zu seiner Krankheit aufzeichnen (Fotos vom Essen, Symptome, Aktivitätslevel, Gewicht, Blutwerte etc.), diese mit seiner Beraterin teilen und sich dazu austauschen (Chat, Videocall). Ausserdem kann er viele Informationen zu seiner Krankheit und wie er damit umgehen soll lesen (Videos, Podcasts, Rezepte). Alle diese Daten sind sicher gespeichert, werden nur verschlüsselt übertragen und nicht an Dritte weitergegeben.
Es gibt eine Vielzahl Bewegungs- und Gewichtstracker am Markt. Lassen sich diese in die Oviva-App integrieren?
Ja, viele davon. Wir haben von Anfang darauf gesetzt, die Werkzeuge, die man schon hat, möglichst einfach in der Behandlung zu integrieren. Der Patient kann Wearables bei uns anbinden, so dass Werte automatisch erfasst werden. Am meisten wird der Schrittzähler, der in allen Smartphones zum Standard gehört, durch den Patienten angebunden. Der ist fast immer verfügbar und in den meisten Fällen genau genug.
Wie stark ist der Erfolg der Behandlung von der eigenen Motivation abhängig?
Wir können dem Patienten helfen, seine Situation und die Möglichkeiten der Lifestyle- und Ernährungsumstellung zu verstehen. Wir identifizieren Probleme, schlagen Lösungen vor, motivieren und coachen. Der Patient muss aber selbst Veränderungswille mitbringen.
Wie sieht das Oviva-Geschäftsmodell aus und – aus Sicht des Patienten interessant: Lassen sich Ihre Dienstleistungen über die Krankenkasse abrechnen?
Wir sind eine grosse Praxis für Ernährungsberatung. Die Technologie erlaubt uns, Patienten besser zu erreichen, bessere Ergebnisse zu erzielen und kostengünstiger zu arbeiten, als es face-to-face möglich wäre. Sofern der Patient krank ist und die Behandlung vom Arzt verordnet wird, werden die Kosten in fast allen Fällen durch die Krankenkasse bezahlt.
«In Grossbritannien wurden wir aus vielen Wettbewerbern als führender digitaler Anbieter für das weltweit grösste Diabetes-Präventionsprogramm ausgewählt.»
Oviva ist in den letzten drei Jahren stark gewachsen. Wie viele Menschen nutzen die App – und wie erfolgreich sind sie bei der Erfüllung ihrer Zielsetzungen?
International konnten wir schon 90’000 Patienten helfen und wachsen in allen Ländern, in denen wir aktiv sind. Besonders erfreulich ist, wie gut wir in Grossbritannien ankommen. Wir wurden dort aus vielen Wettbewerbern als führender digitaler Anbieter für das weltweit grösste Diabetes-Präventionsprogramm ausgewählt. Davon erwarten wir weiteres starkes Wachstum.
Jüngst hat Oviva in einer Series-B-Finanzierung 21 Mio Dollar erhalten. Wofür werden die Investitionen eingesetzt?
Immer mehr Menschen sind von chronischen Krankheiten betroffen, die in vielen Fällen stark von der Ernährung beeinflusst werden. Die Krankheiten erzeugen auch erhebliche Kosten im Gesundheitswesen. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, mit hervorragender Beratung und Technologie zu helfen, möglichst viele – insbesondere der kostspieligen – Folgeerkrankungen zu vermeiden und unseren Patienten zu helfen, länger und glücklicher zu leben. Die Investitionen werden wir für noch bessere Technologie und schnelleres Wachstum einsetzen.