von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr von Radowitz, Amazon-Gründer Jeff Bezos hat einmal gesagt: «Unsere Kunden sind uns gegenüber genauso lange loyal, bis ein anderer kommt und ihnen etwas Besseres bietet.» Wie weit ist es heutzutage überhaupt noch hin mit der Kundenbindung?
Konstantin von Radowitz: Die Kundenbindung hat sich eindeutig verändert. Dank des Internets und neuer Informationstechnologien haben Konsumenten Zugang zu so vielen Produkten und Informationen wie nie zuvor. Das macht es für Unternehmen und Marken schwieriger, den Kunden langfristig zu binden. Das heisst aber nicht, dass Kunden nicht mehr loyal sind. Wie verschiedene Umfragen zeigen, verhält sich die Mehrheit der Kunden immer noch loyal gegenüber gewissen Marken. Es kommt deshalb auch nicht von ungefähr, dass fast alle grossen Unternehmen auf Kundenbindungsprogramme setzen – dazu gehört übrigens auch Amazon.
Der Schweizer Handel setzt bei der Kundenbindung stark auf Loyalitäts- und Treueprogramme. Welche Bedeutung haben sie für den Handel?
Durch den rasch wachsenden Onlinehandel und den zunehmenden Wettbewerbsdruck grosser internationaler Anbieter wie etwa Amazon oder Zalando wird es für den stationären Handel in der Schweiz immer schwieriger, sich zu differenzieren. Ein gut aufgebautes Kundenbindungsprogramm, das einen echten Mehrwert bietet, kann hier Abhilfe schaffen. Dadurch kann viel gezielter auf den Kunden und seine Bedürfnisse eingegangen und somit letztlich die Kundenbindung erhöht werden.
Und was schätzen die Kunden an den Programmen?
Das Sammeln von Punkten ist natürlich wichtig, reicht aber alleine nicht aus, um die Mehrheit der Konsumenten zufrieden zu stellen. Immer gleiche Bonuspunkte und Rabattaktionen machen die Kunden nicht loyaler. Wichtig ist, dass Kundenbindungsprogramme emotionale Aspekte aufgreifen und so ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl schaffen. Wer Kundinnen und Kunden aktiv in die Vorhaben des Unternehmens miteinbezieht, etwa bei der Kreation von neuen Produkten, schafft eine emotionale Beziehung. Eng verbunden mit den Emotionen ist das Erlebnis. Hierbei geht es um eine reibungslose, schnelle und gezielte Interaktion mit dem Unternehmen oder der Marke. Wer diese bietet, kann die Kundschaft besser binden.
«Das Sammeln von Punkten ist natürlich wichtig, reicht aber alleine nicht aus, um die Mehrheit der Konsumenten zufrieden zu stellen.»
Konstantin von Radowitz, Leiter Consumer & Industrial Products bei Deloitte Schweiz
Welches sind die wichtigsten Leistungen, die die Loyalität von Kunden belohnt? Nur Coupons und Vergünstigungen alleine können es ja nicht sein…
Am häufigsten anzutreffen sind tatsächlich Coupons und Vergünstigungen. Daneben setzen einige Detailhändler mittlerweile aber auf auch spezielle Anlässe, die loyale Kunden exklusiv besuchen können. Vor dem Hintergrund des hohen Wachstums des Onlinehandels wird auch der Heimlieferservice immer wichtiger. Gewisse Anbieter bieten den Mitgliedern ihres Loyalitätsprogramms den Erlass der Versandkosten oder einen 24-Stunden-Lieferservice an.
Deloitte zeigt in einer Studie auf, das zwar über 60% der Konsumenten einmal in der Woche ein Loyalitätsprogramm wie Cumulus oder Supercard nutzen, aber über ein Drittel ihre Punkte oder Vergünstigungen selten oder gar nicht einlöst. Was für Erklärungen gibt es dafür?
Das hängt vor allem damit zusammen, dass es eine wachsende Zahl an verschiedenen Kundenbindungsprogrammen gibt, sich aber die meisten kaum voneinander unterscheiden. Das führt dazu, dass die grosse Mehrheit der Konsumenten zwar viele Kundenkarten besitzt, ein nicht unbeachtlicher Teil davon aber gar nicht aktiv nutzt und die Punkte somit liegen bleiben.
Welche wichtigen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein Kundenbindungsprogramm auch erfolgreich ist?
Wichtig ist, dass es mehr bietet als nur das Sammeln von Punkten. In unserer Studie greifen wir drei zusätzliche Elemente auf, die ein Kundenbindungsprogramm bieten sollte. Erstens sollte es die Emotionen ansprechen, wie ich bereits erwähnt habe. Zweitens sollte es dem einzelnen Konsumenten gezielte Angebote bieten und so auf seine individuellen Bedürfnisse eingehen. Je höher die Personalisierung der Angebote und Vergünstigungen, desto höher die Zufriedenheit der Kunden. Drittens schliesslich spielt auch eine gezielte und effiziente Kommunikation eine wichtige Rolle. Wer Kunden mit Benachrichtigungen überhäuft, läuft Gefahr, deren Loyalität negativ zu beeinflussen.
Sie empfehlen, verstärkt auf Emotionen und Individualität zu setzen. Wie müsste das aussehen, welche Programme könnten hier als «Vorbild» dienen?
Beispielsweise setzen Migros und Aldi bereits auf Emotionen und versuchen das angesprochene Wir-Gefühl mit ihren 2017 lancierten Werbekampagnen «Die Migros gehört den Leuten» oder «ALDI-Kind» umzusetzen. Weitere Beispiele sind Mitmach-Plattformen wie Migipedia oder Fooby (Coop), die die persönliche Begegnung zwischen Kunden und Unternehmen zu stärken versuchen.
Für Händler ist es elementar, die Kunden und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Das geht über das Erfassen getätigter Einkäufe hinaus. Welche Möglichkeiten bieten sich hier den verschiedenen Branchen?
Loyalitätsprogramme sind das zentrale Instrument, um den Kunden und seine Bedürfnisse besser kennen zu lernen. Sie ermöglichen es den Detailhändler, zu verstehen, wann, wo und wie der Kunde einkauft. Dank neuster Technologien wie etwa künstlicher Intelligenz lassen sich diese Daten auswerten und entsprechende individuelle, auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Angebote ableiten.
«Loyalitätsprogramme sind das zentrale Instrument, um den Kunden und seine Bedürfnisse besser kennen zu lernen.»
Bekannt sind vor allem die Loyalitätsprogramme grosser Anbieter wie Migros, Coop, Aldi, IKEA etc. Wie aber können auch kleinere Händler oder Unternehmen profitieren?
Auch für kleinere Unternehmen gilt: Man muss mehr bieten als nur das Sammeln von Punkten. Wer den Kunden echten Mehrwert bieten will und dadurch deren Loyalität gegenüber dem Unternehmen erhöhen will, sollte sich auf den Erlebnisfaktor und das Zugehörigkeitsgefühl konzentrieren. Mit gezielten Events für loyale Kunden oder mit der Interaktion über soziale Medien lässt sich schon Einiges machen. Profitieren kann man auch von einem überzeugenden und kundenfreundlichen digitalen Auftritt des Kundenbindungsprogrammes. Ausgereifte digitale Lösungen und Tools sind heute auch für kleinere Unternehmen erschwinglich.
In der digitalen Welt ist die Wechselbereitschaft der Kunden viel grösser geworden. Entsprechend wichtig sind bei Loyalitätsprogrammen mittlerweile auch digitale Technologien. Wie lässt sich nun dank neuer Technologien die Loyalität steigern?
Gemäss unserer Umfrage liesse sich bei vielen – vor allem jüngeren – Konsumenten die Bindung zum Unternehmen erhöhen, wenn dieses gewisse digitale Technologien einsetzte bzw. anböte. 44% der 16 bis 29-jährigen und 31% der über 30-Jährigen Konsumenten haben angegeben, dass das Vorhandensein einer App, mit der Produkte und Dienstleistungen einfach ausgewählt, bestellt und bezahlt werden können, die Bindung zum Unternehmen erhöhen würde. Für die vielen Kundenkarten hat es heute sowieso kaum mehr Platz im Portemonnaie. Ebenfalls wichtig, ist die Personalisierung der Inhalte und Vergünstigungen des Loyalitätsprogrammes. 39% der jüngeren Konsumenten haben angegeben, dass sich ihre Loyalität erhöhen würde, wenn sie die Möglichkeit hätten, die ihnen zugesandten Inhalte zu personalisieren.
Besteht nicht die Gefahr, dass man auf dem digitalen Weg verschiedene Kundensegmente gar nicht mehr erreicht? Anders gefragt, wie leicht verständlich muss ein Konzept sein?
Natürlich gibt es immer noch gewisse Kundensegmente, die man kaum auf dem digitalen Weg erreicht. Deren Anteil an der Gesamtzahl der Konsumenten dürfte aber relativ gering sein und zudem stetig abnehmen. Für immer mehr Konsumenten, auch ältere, gehört das Smartphone heute zum Einkaufen dazu. Gemäss einer Untersuchung von Deloitte Schweiz nutzen 83% aller Schweizer Konsumenten digitale Geräte beim Einkaufen, sei es vor, nach oder während des Ladenbesuchs. Entscheidend ist aber, dass der Online-Auftritt eines Detailhändlers (App und Webseite) übersichtlich und ausgebaut ist. Es reicht somit nicht, nur eine App anzubieten, weil das erwartet wird. Diese muss eben auch entsprechend kundenfreundlich sein.
«Für immer mehr Konsumenten, auch ältere, gehört das Smartphone heute zum Einkaufen dazu.»
Machen sich die Schweizerinnen und Schweizer Sorgen darüber, was mit Ihren Daten passiert?
Eine gewisse Skepsis ist sicherlich vorhanden. Im Gegensatz zu China etwa ist die Frage des Datenschutzes hierzulande viel ausgeprägter, meiner Meinung nach auch zurecht. Interessant ist aber, dass sich die Mehrheit der Kunden ein Loyalitätsprogramm wünscht, das personalisierte Angebote und Vergünstigungen bietet, die auf ihrem bisherigen Kaufverhalten basieren. Anders gesagt, die Verwendung und Auswertung der Daten ist sogar gewünscht, solange sie dem Kunden einen Mehrwert bietet. Wichtig ist, dass der Detailhändler klar und offen kommuniziert, was mit den gesammelten Daten geschieht.
Herr von Radowitz, wir bedanken uns für das Interview.
Zur Person:
Konstantin von Radowitz ist Mitglied der Geschäftsleitung und leitet den Bereich Consumer & Industrial Products von Deloitte in der Schweiz. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Beratung industrieller Organisationen auf dem in- und ausländischen Markt. Sein umfassendes Know-how reicht von Transformationsprojekten bis zu komplexen M&A-Transaktionen und umfasst den gesamten Transaktionszyklus von den anfänglichen Abklärungen und Verhandlungen bis hin zur Integration.