Professor Laurence Kotlikoff von der Boston University.
Interview von Cushla Sherlock, Corporate Communications Credit Suisse
Cushla Sherlock: Wie wird sich der demografische Wandel auf die Finanzbranche auswirken?
Laurence Kotlikoff: Die alternde Gesellschaft wird die heutigen fiskalischen Probleme in vielen Ländern noch verschärfen. Ein perfektes Beispiel dafür sind die Vereinigten Staaten. Wir haben gewaltige Zahlungsverpflichtungen aufgrund der Ansprüche unserer Rentner an das Renten- und Gesundheitssystem. Diese Verpflichtungen belasten den Staatshaushalt derart, dass die Vereinigten Staaten im Grunde pleite sind. Jeder, der US-Staatsanleihen kauft, könnte dadurch in Schwierigkeiten geraten.
«Zunächst einmal sollten Anleger die fiskalischen Implikationen der demografischen Entwicklung bedenken und die Finger von langfristigen Staatsanleihen der Vereinigten Staaten und anderer Länder lassen.» Professor Laurence Kotlikoff von der Boston University
Sind die Auswirkungen des demografischen Wandels in den verschiedenen Ländern unterschiedlich?
Ja. Es gibt Länder, die ihre Renten- und Gesundheitssysteme unter Kontrolle haben, sodass die Bevölkerungsentwicklung die Verpflichtungen für den Staat oder die nachfolgende Generation nicht in die Höhe treibt. Australien beispielsweise hat eine Rentenreform durchgeführt und steht jetzt sehr gut da. Auch in Kanada, Neuseeland und Chile sind die Staatsfinanzen im Lot und werden nicht unter dem demografischen Wandel leiden. Vor allem Grossbritannien, die Vereinigten Staaten und Deutschland, aber auch andere europäische Länder werden hingegen erhebliche Probleme bekommen.
Die politisch Verantwortlichen in den nicht betroffenen Ländern haben also offensichtlich die relevanten demografischen Daten analysiert und danach gehandelt. In anderen Ländern ist das wohl nicht der Fall?
Genau. Norwegen ist ein gutes Beispiel. Das Land erzielt hohe Einnahmen aus der Ölförderung und war klug genug, sich Gedanken darüber zu machen, wie es für die nächste Generation aussieht. Die Norweger haben sich die Frage gestellt: Was passiert, wenn wir das ganze Geld jetzt ausgeben? Dann haben sie einen Ölfonds gegründet – einen sogenannten Generationenfonds, in dem sie einen Teil der Einnahmen für künftige Generationen anlegen. Auch die Niederländer diskutieren über eine Rentenreform. Auf Basis der demografischen Daten soll entschieden werden, wie die heutige ältere Generation und die heutige mittlere Generation, aber auch die künftige mittlere Generation – also die heutigen Kinder – in der Reform zu behandeln sind.
Für die Credit Suisse ist der demografischen Wandel ein Megatrend mit langfristigen Auswirkungen auf die Gesellschaften. Wie können Anleger davon profitieren?
Zunächst einmal sollten Anleger die fiskalischen Implikationen der demografischen Entwicklung bedenken und die Finger von langfristigen Staatsanleihen der Vereinigten Staaten und anderer Länder lassen, die durch die Bevölkerungsentwicklung im Zusammenspiel mit dem Leistungsniveau der Sozialsysteme in grosse Schwierigkeiten geraten werden. Man sollte sich fragen, wie die Vereinigten Staaten damit umgehen werden. Sie werden viel Geld drucken, um ihre Verpflichtungen erfüllen zu können, und das wird die Inflation nach oben treiben. Wer da Staatsanleihen kauft, wird sie in verwässerten Dollars zurückbezahlt bekommen. Anleger sollten sich hier vor den fiskalischen Problemen in Acht nehmen. Darüber hinaus sollten sie sich fragen, was ältere Menschen in Zukunft nachfragen werden. Das werden Gesundheitsleistungen sein – vielleicht auch Ferienhäuser. Sie werden Pflegeheime benötigen und Gehhilfen. Es geht darum, das Konsumbündel der älteren Bevölkerung vorherzusagen.
Sie haben viel über alternde Gesellschaften gesprochen. Welche Probleme schaffen sie für die Finanzmärkte?
Die Finanzmärkte könnten einen falschen Eindruck von einer Volkswirtschaft bekommen. Japan ist ein Beispiel dafür. Das Land sieht sich nicht nur mit einer alternden, sondern auch mit einer stark schrumpfenden Bevölkerung konfrontiert. Auch in Ländern wie Russland und Italien wird die Einwohnerzahl dramatisch sinken. Die Folge sind deutlich niedrigere Wachstumsraten als in anderen Ländern. Es könnte also der Eindruck entstehen, dass die japanische Wirtschaft schwächelt und Anlagen sich nicht lohnen, weil das Wachstum ausbleibt. Das wäre aber die falsche Schlussfolgerung. Tatsächlich muss man den Produktionszuwachs pro Kopf heranziehen und die Zahlen um die demografische Entwicklung bereinigen. Dann könnte sich zeigen, dass Japan in Wirklichkeit besser dasteht, als es scheint – im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo die Bevölkerung im Laufe des Jahrhunderts um mehr als ein Drittel wachsen und das absolute BIP steigen wird. In Japan ist ein schrumpfendes BIP zu erwarten.
Können Sie abschliessend zwei bis drei der grossen Veränderungen nennen, auf die wir uns im Zuge des demografischen Wandels im kommenden Jahrzehnt einstellen sollten?
Erstens wird, absolut gesehen, die Bevölkerung in den Vereinigten Staaten und in Afrika stark wachsen, während China, Europa und Russland einen deutlichen Bevölkerungsrückgang verzeichnen. Das heisst, die Bevölkerung in den Industrieländern wird im Vergleich zu den Entwicklungsländern schrumpfen. Zweitens werden auch die fiskalischen Probleme eine grosse Rolle spielen. Weder die Vereinigten Staaten noch einige andere Länder können diese gewaltigen Probleme schnell genug lösen. Eine Renten- oder Gesundheitsreform durchzuführen ist eine Sache. Ob die Reform aber weitreichend genug ist und schnell genug greift, um wirklich Veränderungen zu bewirken, steht auf einem anderen Blatt. Wir in den Vereinigten Staaten denken da nicht wie erwachsene Menschen und machen uns anscheinend keine Gedanken über unsere Kinder. Drittens schliesslich sollte man bedenken, was die älteren Menschen kaufen werden.