Lucas Seiler, CEO Textshuttle, im Interview

Lucas Seiler

Lucas Seiler, CEO Textshuttle. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Seiler, Textshuttle bietet innovative Lösungen auf Basis künstlicher Intelligenz für die automatische Sprachverarbeitung in Unternehmen. Warum machen Sie Ihre Übersetzungssoftware in unseren Landessprachen nun kostenlos der Öffentlichkeit zugänglich?

Lucas Seiler: Ganz einfach – Die Schweiz hat eine Plattform verdient, die unsere Landessprachen beherrscht und Inhalte in der Schweiz verarbeitet. Im Jahr 2023 sollte niemand Texte ohne KI-Unterstützung schreiben müssen.

Die Übersetzungen werden mittels KI erstellt. Können Sie uns vereinfacht erklären, wie das funktioniert?

Ein KI-System lernt aus Beispielen, den sogenannten Trainingsdaten. Im Fall von KI-gestützter Übersetzung handelt es sich bei den Trainingsdaten um Textpaare, bestehend aus einem Originaltext und dessen Übersetzung. Dem KI-System werden viele solcher Trainingspaare präsentiert, aus denen es Strukturen, Muster und Zusammenhänge der Textpaare erkennt und lernt. Dieser Lernprozess ermöglicht es der KI, auf der Grundlage der während des Trainings gelernten Muster neue Texte zu übersetzen.

Von welchen Faktoren hängt letztlich die Qualität der Übersetzungen ab?

Insbesondere zwei Faktoren sind hier ausschlaggebend: Die Menge und Qualität der Trainingsdaten. Je mehr unterschiedliche Beispiele ein KI-System während des Trainings sieht, desto besser kann es neue Texte übersetzen. Und natürlich ist es wichtig, dass die Trainingsbeispiele korrekt sind, damit das KI-System keine Fehler erlernt.

«Je mehr unterschiedliche Beispiele ein KI-System während des Trainings sieht, desto besser kann es neue Texte übersetzen.»
Lucas Seiler, CEO Textshuttle

Künstliche Intelligenz ist seit diesem Jahr in aller Munde, so, als hätte es sie zuvor nicht gegeben. Textshuttle beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Entwicklung massgeschneiderter Übersetzungssysteme basierend auf neuronalen Netzen. Wie ordnen Sie den aktuellen «Hype» ein?

Wir stören uns selber, dass jedes zweite Stück Software heute mit einem KI-Label versehen wird. Je nach Ansicht ist das auch nicht falsch: Die ersten KI-Systeme waren regelbasiert, und so kann man die Bezeichnung je nach Interpretation des Begriffs relativ breit verwenden. Wir sprechen lieber von Machine Learning bzw. Deep Learning, also dem Einsatz von – inzwischen sehr grossen – neuronalen Netzen, und bei Textshuttle haben wir von Anfang an nichts anderes gemacht. Wenn wir «KI» sagen, dann meinen wir «echtes, modernes maschinelles Lernen» – und das sieht jeder, der unser Tool mit anderen Systemen wie Google Translate oder DeepL vergleicht.

Im Übrigen sehen wir KI nicht als Hype, auch wenn gerade viel Marketing damit gemacht wird. Nach der digitalen Transformation von 2000–2020 sind wir spätestens mit dem Aufkommen von Large Language Models wie ChatGPT am Anfang einer nächsten Disruption, die nicht zu unrecht als «KI-Transformation» bezeichnet wird. Das sagen nicht nur Schaumschläger. Selbst einigermassen nüchterne Köpfe wie der deutsche Arbeitsminister Hubertus Heil sind inzwischen überzeugt, dass es «Ab 2035 […] keinen Job mehr geben [wird], der nichts mit KI zu tun hat».

KI birgt enorme Chancen. Wir vertreten deshalb die Haltung, dass jedes kompetitive Unternehmen im Jahr 2023 eine KI-Strategie braucht, um das volle Potenzial von KI auch tatsächlich zu nutzen. Es ist spannend zu sehen, dass Firmen wie Ringier das inzwischen nicht nur erkannt, sondern gar zur Chefsache gemacht haben.

«KI birgt enorme Chancen. Wir vertreten deshalb die Haltung, dass jedes kompetitive Unternehmen im Jahr 2023 eine KI-Strategie braucht, um das volle Potenzial von KI auch tatsächlich zu nutzen.»

In der Gratisversion Ihres Übersetzungsdienstes sind alle vier Landessprachen abgedeckt, dazu Schweizerdeutsch. Andere Sprachen sind kostenpflichtig. Wie unterscheidet sich Textshuttle abgesehen davon von der internationalen Konkurrenz wie DeepL oder Google Translate?

Wir nehmen neben Schweizerdeutsch und Rätoromanisch auch ganz grundsätzlich Rücksicht auf die sprachlichen Eigenheiten der Schweiz: Dass das in der Schweiz gebräuchliche Schriftdeutsch sich von demjenigen in Deutschland unterscheidet, ist den grossen Techunternehmen egal; uns nicht. Überhaupt haben wir ein anderes Bewusstsein für die Wichtigkeit der einzelnen Übersetzungssprachen: Die herkömmlichen Übersetzungsdienste sind auf die Übersetzung von und nach Englisch optimiert, während bei uns beispielsweise Deutsch – Italienisch genau denselben Stellenwert geniesst wie Englisch – Deutsch.

Ausserdem bieten wir Interaktionsmöglichkeiten mit den erstellten Übersetzungen an, die es so noch nicht gibt, z.B. die Option zur Umformulierung ganzer Textpassagen.

Bei uns kann auch mehr Text in kürzerer Zeit übersetzt werden: Nutzende können auf textshuttle.com beliebig viele Texte mit einer Länge von bis zu 15’000 Zeichen (gegenüber 5’000 bei DeepL) übersetzen. Darüber hinaus können sie drei Dokumente pro Tag übersetzen, bei DeepL sind lediglich drei Dokumente pro Monat möglich. Übersetzte Dokumente sind bei Textshuttle editierbar und werbefrei.
Und die Übersetzung erfolgt auf unseren eigenen Servern in der Schweiz.

Schweizerdeutsch ist ja nicht Schweizerdeutsch. Die Sprache verändert sich nicht nur von Kanton zu Kanton, sondern auch regional. Welche Herausforderungen stellen sich da?

Wie angedeutet, ist es für eine gute Leistung von KI-Systemen ausschlaggebend, dass sie auf grossen Mengen an standardisiertem Text trainiert werden. Die fehlende Standardisierung der Schreibweise ist sicherlich eine der grössten Herausforderungen bei Schweizerdeutsch. So verzichten im Schweizerdeutschen z.B. viele auf Gross- und Kleinschreibung. Da Schweizerdeutsch primär in der mündlichen Kommunikation verwendet wird, ist die Anzahl der verfügbaren Texte ausserdem sehr begrenzt. Glücklicherweise haben wir bei Textshuttle viele schlaue Köpfe, dank denen es uns gelungen ist, diese Herausforderungen zu meistern und auch für Schweizerdeutsch ein überzeugendes KI-System zu entwickeln.

Im Moment übersetzt Textshuttle in Bärndütsch und Züritüütsch. Was folgt als Nächstes?

Wir richten uns diesbezüglich nach unserer Community. Wallisertiitsch und Bündner Dialekt werden beispielsweise oft genannt – aus technischer Sicht wäre grundsätzlich jeder Dialekt umsetzbar.

Im B2B-Bereichen zählen Sie Grosskonzerne wie OBI, Swiss Life, Vaudoise oder die Migros Bank zu Ihren Kunden. Wie unterscheiden sich die Übersetzungsdienstleistungen im Vergleich zum kostenlosen Angebot für alle?

Unternehmen haben spezifische Anforderungen – sowohl an die Übersetzungslösung wie auch an den Datenschutz. Deshalb bieten wir diesen Kunden eine massgeschneiderte Business-Lösung an, die wir auf deren individuellen Bedürfnisse anpassen. Ein erster Unterschied ist das Sprachangebot: Unsere Business-Lösung umfasst 20 Sprachen sowie das Corporate Wording eines Unternehmens in die Übersetzungen zu integrieren.

Es ist unser Ansatz, Unternehmen eine ganzheitliche Lösung zur Verfügung zu stellen, die von allen Anspruchsgruppen genutzt werden kann. Deshalb bieten wir verschiedene Integrationen in Drittapplikationen an, z.B. in Microsoft Office und in sogenannte CAT-Tools, die von professionellen Übersetzenden genutzt werden.

Ausserdem begleiten wir unsere Kunden eng, unterstützen sie vom Projektbeginn bis zum unternehmensweiten Rollout und bieten im Bedarfsfall raschen Support. Auch verschiedene Beratungs- und Schulungsleistungen bieten wir an.

Und, ganz wichtig: Business-Kunden können zwischen verschiedenen Hosting-Optionen wählen. Wir bieten nicht nur eine von uns gehostete Cloud-Lösung an, sondern können unsere Übersetzungslösung auf Wunsch auch auf der Kundeninfrastruktur installieren. Bei einer solchen On-Premise-Lösung verlässt während des Übersetzungsprozesses kein Text das Kundennetzwerk.

Wie wichtig ist es für Ihr Geschäftsmodell und Ihre zahlenden Geschäftskunden, dass alle Inhalte auf Schweizer Servern laufen?

Das ist nicht nur unseren Business-Kunden sehr wichtig, sondern auch ein Kernanliegen von uns, auf das wir grossen Wert legen.

DeepL/write kann mittlerweile ganze Texte redigieren resp. Verbesserungs- oder Änderungsvorschläge vorlegen. Werden Sie Ihre Anwendungen auch erweitern?

Wir bieten bereits jetzt Interaktionsmöglichkeiten mit den generierten Übersetzungen an, um diese zu redigieren. Neben der bereits genannten Möglichkeit zur Umformulierung ganzer Textpassagen bieten wir auch die Möglichkeit an, einzelne Wortalternativen auszuwählen.

Wir planen aber auch Funktionen, um Texte innerhalb derselben Sprache zu verbessern. Dadurch wird es beispielsweise möglich sein, komplizierte Texte verständlicher zu machen oder genderfaire Sprache zu berücksichtigen.

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