von Robert Jakob
Moneycab.com: Herr Braunschweiler, im letzten Jahr stieg der Hörgeräteumsatz um 6.6 Prozent, gemessen in lokalen Währungen. Bei den Implantaten ging es aber um 2,4 Prozent rückwärts, obwohl man sich doch da die grössten Wachstumsraten verspricht. Was muss sich trotz der im ersten Halbjahr 2016/17 eingetretenen steten Wachstumsbeschleunigung ändern?
Lukas Braunschweiler: Unser Halbjahresergebnis 2016/17 zeigt, dass wir eine starke Grundlage für weiteres Wachstum haben, mit einem klaren Fokus auf die langfristige Umsetzung unserer Strategie. Wir haben eine Reihe von innovativen Hörlösungen eingeführt, welche von unseren Kunden hervorragend aufgenommen worden sind. So zum Beispiel Audéo B-R – das wiederaufladbare Hörgerät von Phonak mit der kürzesten Ladezeit und der längsten Laufzeit, das jemals gebaut wurde – oder Naída Link, das weltweit erste Hörgerät, welches speziell für den Einsatz mit einem Cochlea-Implantat-System entwickelt wurde. Unsere attraktive Produktpipeline bildet ein starkes Fundament für den weiteren Erfolg. Ausserdem werden wir im Bereich Retail zunehmend Synergien nutzen, die sich aus der Übernahme von AudioNova ergeben.
Mit der Übernahme des holländischen Hörgeräte-Retailunternehmens AudioNova geht Sonova konsequent den Weg der vertikalen Integration weiter. Welche betriebswirtschaftliche Kennzahl ist für Sie bei einem solchen Zukauf der grösste Treiber?
Nach dieser Akquisition wird jedes siebte Hörgerät, das wir produzieren, über unsere Ladentische gehen. Das wird an die 40 Prozent des Umsatzes beisteuern und sichert uns Profitabilität und die Marge in diesem Vertriebskanal. Die Nähe zu den Endkunden ist für uns sehr wichtig, wir wollen ihnen durch professionellen Service und individuell abgestimmte Hörlösungen einen echten Mehrwert bieten.
«Produkte, die weniger als zwei Jahre alt sind, machen bei Sonova rund zwei Drittel der aktuellen Hörgeräteverkäufe aus.»
Lukas Braunschweiler, CEO Sonova
Geht man davon aus, dass nur ein Sechstel aller Schwerhörigen Hilfe in Anspruch nimmt, bietet der weltweite Markt für Hörlösungen ja genug Potential. Neben Sonova teilen sich noch William Demant und Siemens (Sivantos) die Marktführerschaft. Wie differenzieren Sie sich von diesen beiden Grosskonkurrenten im Detail?
Wir haben bereits erfolgreich eine Reihe wichtiger Schritte bei der Umsetzung hin zu unserem voll integrierten Geschäftsmodell unternommen, das so einmalig in der Branche ist. Neben unserer klaren Retailausrichtung verfügen wir über eine attraktive Produktpipeline mit einem der umfassendsten Portfolios in der Industrie – von Hörgeräten zu Cochlea-Implantaten bis hin zu drahtlosen Kommunikationslösungen. Um den speziellen Bedürfnissen unserer Kunden noch besser gerecht zu werden, entwickeln wir unsere Technologien ständig weiter. Unsere hohe Innovationskraft zeigt sich an der Tatsache, dass Produkte, die weniger als zwei Jahre alt sind, bei uns rund zwei Drittel der aktuellen Hörgeräteverkäufe ausmachen.
Ist eine EBITA-Marge wie gegen Ende des letzten Jahrzehntes von fast 30 Prozent noch jemals erträumbar?
Diese Marge wurde in einem viel attraktiveren Währungsumfeld erzielt. Nach der Aufhebung des Euro-Mindestkurses 2015 verteuerte sich der Franken auf einen Schlag um fast 20 Prozent. Ausserdem führen der Einstieg in das Geschäft mit Cochlea-Implantaten und die voranschreitende vertikale Integration zu einer Transformation der Sonova Gruppe mit deutlich höherem Umsatz aber etwas tieferer Marge. Trotzdem streben wir eine weitere Verbesserung der EBITA-Marge an. Mittelfristig wollen wir eine jährliche Margenverbesserung von etwa 60 Basispunkten erreichen.
«Mittelfristig wollen wir eine jährliche Margenverbesserung von etwa 60 Basispunkten erreichen.»
Technologisch ist die Hörgerätebranche extrem innovativ. Gibt es auch Neuigkeiten oder neue Ideen, was die Dienstleistungen anbetrifft?
In Zukunft werden immer mehr Dienstleistungen über digitale Kanäle angeboten. So können bald Folgetermine bei der Anpassung über das Internet vereinbart werden. Für die Kunden bedeutet dies einen grossen Fortschritt, denn sie müssen so nicht jedes Mal in das Fachgeschäft kommen. Wir haben Online-Hörtests entwickelt, die es Kunden erlauben, ihr Gehör zuhause in einem privaten Rahmen zu prüfen. In Grossbritannien werden diese E-Solutions bereits erfolgreich eingesetzt und tragen neben unserem Shop-in-Shop-Konzept in 500 Filialen der Drogeriekette Boots mit dazu bei, das Problembewusstsein der Bevölkerung zum Thema Hörverlust zu erhöhen. Neue Kunden wie die sogenannten „Silver Surfers“ (ältere Internet-Nutzer ab einem Lebensalter von circa 50 Jahren) werden auch vermehrt über digitale Kanäle angesprochen. Sie können dann zu Hause einen einfachen Hörtest machen, sich über Produkte informieren und einen Termin beim Hörakustiker vereinbaren. Bei dieser Art der Kommunikation wird auch der Bereich Social Media immer wichtiger.
Junge Menschen tragen ja heutzutage vermehrt Hörschäden davon. Wie sieht da die Stossrichtung aus?
Wir versuchen möglichst vielen jungen Leuten bewusst zu machen, dass sie auf ihr Gehör Acht geben müssen. Neben dieser Aufklärungs- und Präventionsarbeit, die auch über unsere Stiftung Hear the World Foundation erfolgt, möchten wir soweit kommen, dass Hörgeräte wie Brillen eher als trendiges Lifestyle-Accessoire wahrgenommen werden. Jugendliche tragen ja auch ganz selbstverständlich Kopfhörer oder kleine, im Ohr sitzende Geräte, die zum Beispiel den Puls messen.
«Die meisten Hörgeräteträger sind im Augenblick noch mehr mit ihrem Akustiker als mit dem Hörgerätehersteller verbunden.»
Wie stark ist in der Hörgerätebranche die Markentreue verankert?
Die meisten Hörgeräteträger sind im Augenblick noch mehr mit ihrem Akustiker als mit dem Hörgerätehersteller verbunden. Das ändert sich aber zunehmend, weil digitale Medien es uns erlauben, direkt mit den Endkunden in Kontakt zu treten. Diese Ansprache wollen wir weiter ausbauen und intensivieren, um so auch das Bewusstsein für das Thema Hören und Hörverlust zu steigern. Sehr wichtig ist aber auch unsere gute Beziehung zu den Hörakustikern. Mit innovativen Hörlösungen überzeugen wir sie davon, ihren Kunden unsere Produkte zu empfehlen.
Medizinische Notwendigkeiten hin oder her, Sonova hat in Brasilien unter der dortigen scharfen Rezession gelitten. Sehen Sie jetzt eine Verbesserung?
Der brasilianische Markt ist, wie viele Emerging Markets, sehr heterogen. Trotz Rezession und der damit verbundenen Abwertung der Währung ist der Privatmarkt nach wie vor attraktiv, und wir sehen dort ein anhaltendes Wachstumspotential.
Eine andere Baustelle ist die Costco-Kette. Wird eigentlich der überraschende Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahl irgendeinen versteckten Einfluss auf Ihr Business haben? Obamacare soll ja sogar weitgehend erhalten bleiben.
Wir haben in diesem Herbst die zweite Generation von Phonak Produkten bei Costco lanciert, und diese sind in den ersten Monaten sehr erfolgreich im Markt aufgenommen worden. Hörgeräte werden in den USA weitestgehend aus der eigenen Tasche bezahlt und nicht von einer Krankenversicherung. Die Präsidentschaftswahl und eine allfällige Abschaffung von Obamacare sollten daher keinen Einfluss auf das Geschäft in den USA haben.
Zuzahlungen von Krankenversicherungen sind in allem was Pharma oder Medizintechnik betrifft aber ein bedeutender Treiber. Drohen da in anderen Ländern grundlegende Veränderungen?
Veränderungen gibt es immer wieder in einzelnen Ländern mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen. Im Jahr 2016 gab es beispielsweise in den Niederlanden Druck auf die Preise durch Änderungen in der Erstattungsregelung. Dagegen verzeichnete der Hörgerätemarkt in Deutschland im Jahr 2014 eine Steigerung im zweistelligen Prozentbereich, nachdem die Krankenkassen im November 2013 die Zuzahlungsbeträge deutlich angehoben hatten.
Sonova generiert weiterhin Jahr für Jahr Hunderte von Millionen an freiem Cashflow. Gibt es auch strategische Ideen, das technische Knowhow auf anderen Gebieten als dem puren Hörgeräte-Markt einzusetzen?
Wir wollen in der Medizin bleiben und keine Konsumgüter fertigen. Unser Markt für Hörlösungen entwickelt sich aber ständig weiter, und durch die zunehmende Digitalisierung verbunden mit dem „Internet der Dinge“ eröffnen sich viele neue Möglichkeiten. Diese Chancen werden wir zum Wohl unserer Kunden nutzen.
Zum Gesprächspartner:
Lukas Braunschweiler (geb. 1956, Schweizer Staatsangehöriger) ist seit November 2011 CEO der Sonova Gruppe. Zuvor war er CEO des Schweizer Technologiekonzerns RUAG. Von 2002 bis 2009 leitete er als Präsident und CEO die Dionex Corporation. Das Unternehmen mit Sitz in Kalifornien ist im Bereich Lifescience tätig und war an der Nasdaq Börse kotiert. Zuvor war er von 1995 bis 2002 in der Schweiz und den USA in der Konzernleitung von Mettler Toledo, einem Hersteller von Präzisionsinstrumenten, in verschiedenen Positionen tätig. Lukas Braunschweiler verfügt über einen Master of Science in analytischer Chemie (1982) sowie über einen Doktortitel in physikalischer Chemie (1985) der ETH Zürich.
Zum Unternehmen:
Sonova mit Hauptsitz in Stäfa in der Schweiz ist der führende Anbieter von Lösungen rund um das Thema Hören. Die Gruppe ist im Markt durch ihre Kernmarken Phonak, Unitron, Hansaton, Advanced Bionics und AudioNova vertreten. Sonova bietet ihren Kunden eines der umfassendsten Produktportfolios der Branche – von Hörgeräten über Cochlea-Implantate bis hin zu drahtlosen Kommunikationslösungen. Gegründet 1947, ist die Gruppe heute weltweit in über 90 Ländern vertreten und beschäftigt mehr als 13’000 Mitarbeitende. Sonova erzielte im Geschäftsjahr 2015/16 einen Umsatz von CHF 2,07 Mrd. und einen Reingewinn von CHF 346 Mio. Über alle Geschäftsbereiche hinweg und durch die Unterstützung der Hear the World Foundation verfolgt Sonova die Vision einer Welt, in der jeder Mensch die Freude des Hörens und damit ein Leben ohne Einschränkungen geniessen kann.