Lukas Braunschweiler, CEO Sonova. (Foto: Sonova)
von Christa W. Spoerle
Moneycab: Herr Dr. Braunschweiler, nun sind Sie ein gutes Jahr CEO von Sonova. Was ist Ihr wichtigster Eindruck vom Unternehmen?
Lukas Braunschweiler: Sonova ist eine starke Firma mit einer sehr starken Marktposition, also ein solider asset, wie man das auch nennt. Sonova besitzt grosse Innovationskraft speziell auf der Produkteseite und damit auch entsprechendes Entwicklungspotenzial. Ich sehe Sonova also sehr positiv und bin überzeugt, dass die Firma langfristig ihre Stärken ausnutzen kann.
Sind Sie von etwas überrascht worden?
Firmenspezifisch weniger, eher von einigen industriespezifischen Merkmalen. Ich komme aus der Sparte Life Science und Diagnostik und bin deshalb etwas erstaunt, wie die Hörgeräte-Industrie beim Thema Asien noch etwas hinterherhinkt. Dass die Industrie erst durchschnittlich 10% des Umsatzes in asiatischen Ländern erzielt, erstaunt mich. Das hat vor allem historische Gründe und hängt auch mit der Entwicklungsgeschichte Chinas zusammen. Doch diese Entwicklung birgt natürlich auch Chancen für die Zukunft, deshalb werde ich mich speziell für dieses Thema einsetzen.
«Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass China in 10 Jahren die Nummer zwei hinter den USA belegen könnte … mit einem Umsatz von 100 Mio CHF.»
Lukas Braunschweiler. CEO Sonova
Also ist China wirklich ein wichtiger Fokus? Wird es einmal der wichtigste Markt sein?
Ja, sicher, wir wollen bis in 5 Jahren über alle Produkte dort einen Umsatz von 100 Mio CHF erzielen. Also nicht nur Hörgeräte, sondern auch Implantate. Positiv für uns ist, dass wir bereits heute in China der grösste Hersteller von Hörgeräten sind. Wir haben bereits zwei Produktionsstandorte in Asien, nämlich in China und Vietnam und können diese als Basis für die die künftige regionale Entwicklung nutzen. Wenn ich schon heute auf China als unsere Nummer eins setze, bin ich vielleicht zu visionär. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass China in 10 Jahren die Nummer zwei hinter den USA belegen könnte. Dafür sprechen sicherlich demografische Aspekte und, wie die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass 15% der Weltbevölkerung ein Hörproblem hat. Davon haben aber in den Industriestaaten erst 3% ein Hörgerät. In China liegt dieser Anteil noch tiefer und die Bevölkerungszahl ist 5x höher als in Amerika.
Auch die Sonova-Aktie hat anfangs Januar etwas gelitten, als die amerikanische HIA nur von einer geringer als erhofften Erholung der Absatzzahlen im November berichtet. Hat Sie das überrascht? Haben Sie diese geringe Erholung auch gespürt, immerhin sind die USA ihr wichtigster Absatzmarkt?
Diese Zahlen haben uns nicht überrascht, sie lagen im Rahmen unserer Erwartungen. Wir gehen davon aus, dass der Markt international durchschnittlich wertmässig längerfristig um die 2-4% p.a. wächst. Natürlich mit zeitlichen und regionalen Unterschieden, wobei die USA darüber und Europa wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in einigen Ländern darunter liegt und Asien überproportional wächst. Vor allem interessiert uns aber die strukturelle Veränderung des Marktes.
Für uns war gut, dass wir im VA Veterans Sector, der stärker gewachsen ist, mit einem Anteil von gut 50%, gut vertreten sind. Vor allem in Amerika sind wir im privaten Sektor relativ noch nicht so stark vertreten. Damit sehen wir da natürlich Wachstumspotenzial. Deshalb relativieren wir das gesamte Marktwachstum und sehen eher die einzelnen Segmente an. Die Interpretation dieser Zahlen ist zudem manchmal auch etwas schwierig. Man muss diese über eine längere Periode anschauen.
«Das Marktumfeld hat sich seit Bekanntgabe der Halbjahreszahlen nicht verändert»
Sehen Sie da Konsequenzen für ihre Jahresziele (Umsatz Plus 7-9%, EBITA +15-20%)?
Grundsätzlich kommentieren wir unsere Jahresziele nicht. Nur so viel: Das Marktumfeld hat sich seit Bekanntgabe unserer Jahresziele anfangs November nicht gross verändert. In Amerika sind wir mittel bis leicht positiv. In Europa sind die Bedingungen sehr unterschiedlich. Grossbritannien und auch Spanien laufen sehr gut, als eher schwierige Märkte entpuppen sich Italien, Frankreich und die Niederlande, wobei der holländische Markt für uns eher eine geringe Rolle spielt. Die asiatischen Märkte liegen über dem Durchschnitt.
Anfangs November konnten Sie mit einem Umsatzanstieg um 14,3% und einer EBITA-Verbesserung um 35,1% ein starkes Ergebnis vorlegen. Sehen Sie denn da noch Verbesserungspotential?
Die Halbjahreszahlen sind schon sehr stolz. Man muss allerdings fair sein, denn es waren auch einige Spezialeffekte, einige Vergleichs- und Aufholeffekte zu verzeichnen. Dabei haben wir klar kommuniziert, dass wir im ersten Halbjahr mit den Gehörgeräten etwas hinterherhinkten und hier im zweiten Halbjahr etwas deutlicher wachsen sollten. Aber es war ein Schritt in die richtige Richtung, denn wir wollen unsere EBITA-Marge schrittweise weiter verbessern. Wir haben vor einem Jahr gesagt, dass wir in 5 Jahren, also 2016/17, wieder eine EBITA-Marge von 25% rapportieren wollen, basierend auf konstanten Wechselkursen. Und wir versuchen natürlich mit unserem sehr innovativen Produktportfolio etwas stärker zu wachsen als der Markt.
Das betrifft nicht nur den bestehenden Herstellermarkt, sondern wir wollen auch den uns zugänglichen Markt selbst ausdehnen helfen. Also zum Beispiel den asiatischen Markt stärker für unsere Produkte öffnen, zudem aber auch schrittweise über den Retailmarkt sehr fokussiert wachsen. Und, wir wollen helfen, dass das Thema «Hören» insgesamt zu einem wichtigeren Thema wird. Wir müssen uns selbst mehr und mehr auch mit den Endkunden befassen, über verschiedene Ansätze wie direct marketing und social media, aber auch über Aufklärungskampagnen, damit die Leute ermutigt werden, ihre Hörprobleme anzugehen.
Wo orten Sie denn die wichtigsten Gründe für das Wachstum? Bei der Zunahme des Anteils älterer Menschen in Europa/USA, der Zunahme der Kaufkraft in den BRIC-Ländern oder den besseren, weil versteckteren und einfacher zu handhabenden Geräten?
Jeder Punkt spielt da eine Rolle. Das heisst, wir müssen an allen Fronten arbeiten. Deshalb beschränken wir uns nicht nur auf die Herstellung von Geräten, sondern auch auf weiterführende Dienstleistungen für die Kunden, sei es benutzerfreundliche Software, oder zusätzliche Apps etc. Das Zweite ist natürlich die Geografie, speziell die BRIC-Staaten: in Brasilien, einem deutlich wachsenden Markt, haben wir bereits einen schönen Anteil. Und in China wollen wir stärker wachsen. Zudem arbeiten wir natürlich an neuen Produktformaten wie z.B. Lyric, die sogeannte Kontaktlinse im Ohr, das Hörgerät in der Form eines Reiskorns, das erlaubt, unsichtbar sehr tief im Ohr versteckt 2-3 Monate kontinuierlich, aber komfortabel getragen zu werden. Das Positive bei Sonova ist, dass wir sehr gut aufgestellt sind und an allen diesen Fronten Kompetenzen und Wachstumspotenzial besitzen. Das Problem ist also mehrdimensional und deshalb gibt es nicht nur einen goldenen Schlüssel zum Wachstum.
Könnten Sie sich denn vorstellen, dass der Umsatz der Implantate einmal denjenigen der anderen Hörgeräte übertrifft?
Die Strategie von Sonova, in allen Hörbereichen positioniert zu sein, ist schon vor meiner Zeit eingeschlagen worden und wird von mir sehr unterstützt. Sonova bietet Lösungen für alle Probleme vom Innen- bis zum Aussenohr an. Bei den Implantaten handelt es sich um hochregulative Produkte, die natürlich einer Operation bedürfen. Aber 80% der Gründe für einen Hörverlust liegen im Innenohr oder dahinter. Häufig reicht hier eine reine Schallverstärkung nicht aus. Nach einem schwierigen Start bei den Cochlea-Implantaten liegen wir jetzt gut im Plan. Wir gehen davon aus, dass das Thema Implantate für mehr Leute ein Thema wird und deshalb in Zukunft stärker wird.
Heute ist es so, dass 40% der Implantate bei Kindern eingesetzt werden, die taub oder mit an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit zur Welt kommen. Die anderen 60% betreffen Erwachsene, die durch Unfälle oder Virenerkrankungen einen Hörverlust erlitten haben oder deren altersbedingte Schwerhörigkeit rasch voran schreitet. Bei sehr schweren Hörverlusten muss man auf Implantate zurückgreifen. Im Moment sind die am stärksten wachsende Implantatengruppe ältere Menschen. Das Implantat-Thema wird an Bedeutung gewinnen, wobei die heutige Technologie keineswegs das Ende bedeutet.
Zeichnet sich bei den Hörgeräten eine Verschiebung des Produktemix zwischen Premium, Advanced und Standard ab? Spielt der Preis oder die Technik die wichtigste Rolle für den Entscheid eines Hörgerätprodukts?
Das Wichtigste ist, dass man ein komplettes Portfolio anbieten und damit auf alle Hörbedürfnisse eingehen kann. Oft beobachtet man phasenweise Verschiebungen, wie jetzt in Deutschland, wo vor allem das mittlere Segment forciert wird. Dann gibt es wieder stärkere Phasen für low-end und high-end Produkte. Dies überträgt sich auch auf unsere Geschäftstätigkeit. Würden wir nur eine Produktekategorie bevorzugen, würden wir am Markt vorbei arbeiten.
Im ersten Halbjahr betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung mit 56,5 Mio CHF nur 6,5% des Umsatzes, statt der anvisierten 7-8%. Wie werden sie sich künftig entwickeln?
Wir haben im ersten Halbjahr einige F&E Posten bei Implantaten aktiviert. Das Ziel bleibt aber weiterhin, 7-8% pro Jahr in F&E zu investieren.
Welche Produkteneuigkeiten haben Sie in der Pipeline?
Wir haben im letzten Jahr unsere neue Hörgerate-Plattform vorgestellt, auf der wir unsere Produkte weiterentwickeln. Alle 2 Jahre kommt eine neue Plattform zum Tragen, in der wir alle Produkte laufend ablösen. Es geht dabei nicht nur um neue Hardware, sondern vor allem auch neue Leistungsmerkmale, um dem Kundenutzen zu erhöhen. Ziel ist das bessere Hören in allen Lebenssituationen. Es soll ja nicht so sein, dass man im Restaurant besser versteht, dafür die Vögel im Wald nicht mehr hört. Der neueste Trend ist da die automatische Anpassung an verschiedene Hörumgebungen. Speech in Wind zum Beispiel ist eine neue Funktion von Phonak, welche auf der Binauralen VoiceStream Technologie basiert und Hörgeräteträgern in Windgeräuschsituationen neben einem hohen Hörkomfort auch bestmögliche Sprachverständlichkeit bietet. Das ist eine Technologie, die wir bei Sonova sehr speziell entwickelt haben.
Was sind ihre wichtigsten Ziele für die kommenden Jahre?
Wir haben klare Finanzziele. Dazu gehört die bereits erwähnte EBITA-Marge von 25% möglichst in 5 Jahren und eine ROCE im Bereich des tiefen 30-Prozent-Bereichs, beide währungsbereinigt. Die erzielte Kapitalrendite ist in den letzten Jahren mit dem Kauf von Advanced Bionics deutlich gesunken. Diese wollen wir wieder sukzessive erhöhen. Wir werden unser innovatives Produktesortiment weiter ausbauen und wollen so unsere Marktposition weiter stärken. Grosse transformatorische Akquisitionen sehe ich derzeit nicht. Aber wir verfügen über genügend Cash Flow, um den Retail-Bereich mit rund 50 Mio pro Jahr weiter zu stärken. Dazu wollen wir vor allem die in 9 Ländern bestehenden Ketten verstärken. Und wir werden bei den Produkten uns vielleicht noch einzelne Technologien und einige Patente anlachen.
«Je nach Jahresabschluss könnte trotzdem im Verwaltungsrat eine mögliche Erhöhung der Dividende diskutiert werden.»
Was dürfen die Investoren in den kommenden Jahren zum Thema Verwendung des Cashs erwarten?
Trotz bedeutender Investitionen in neue Geschäftsfelder haben wir unsere Dividende beibehalten. Je nach Jahresabschluss könnte trotzdem im Verwaltungsrat eine mögliche Erhöhung diskutiert werden. Auch das Thema Aktienrückkauf könnte ein Thema werden. Aber gerade ein Buy-back dürfte vor der Zurückzahlung einer Bankschuld von 230 Mio 2014 kaum zur Sprache kommen. Priorität haben immer Akquisitionen, dann Dividenden und erst dann die weiteren Möglichkeiten.
Herr Braunschweiler, herzlichen Dank für das Interview
Zur Person:
Lukas Braunschweiler (geb. 1956, Schweizer Staatsangehöriger) trat im November 2011 als CEO in die Sonova Gruppe ein. Bevor er zur Sonova Gruppe stiess, war er CEO des Technologie- und Rüstungskonzerns Ruag Holding AG. Von 2002 bis 2009 leitete er als President & CEO die an der US-Börse Nasdaq kotierte, in Kalifornien ansässige Dionex Corporation, ein in der Life-Science-Industrie tätiges Unternehmen. Zuvor war er von 1995 bis 2002 in verschiedenen Positionen für den Präzisionsmessgeräte-Hersteller Mettler Toledo in der Schweiz und in den USA tätig. Lukas Braunschweiler hat an der ETH Zürich einen Hochschulabschluss in analytischer Chemie (1982) erworben und als Doktor in physikalischer Chemie (1985) promoviert.
Zum Unternehmen:
Sonova steht für Lösungen rund um das Thema Hören. Der global tätige Konzern ist der grösste Hersteller von Hörsystemen weltweit, Marktführer in der drahtlosen Kommunikation für audiologische Anwendungen, entwickelt und stellt fortschrittlichste Cochlea-Implantate her und ist Anbieter professioneller Lösungen zum Schutz des Gehörs. Die Sonova Gruppe ist in über 90 Ländern vertreten. Sie beschäftigt mehr als 8’000 Mitarbeitende, davon 37% in Amerika, 13% in der Schweiz, 27% im übrigen EMEA (ohne Schweiz) und 23% im asiatisch-pazifischen Raum (Stand 31. März 2012). Produziert wird hauptsächlich in der Schweiz, in China und in Vietnam. Der Vertrieb erfolgt über das eigene Grosshandelsnetzwerk und unabhängige Vertriebspartner. Zusätzlich besitzt die Gruppe Einzelhandelsgeschäfte in ausgewählten Ländern. Sonova erzielte im Geschäftsjahr 2011/12 einen Umsatz von CHF 1,62 Mrd. sowie einen Konzerngewinn von CHF 246 Mio. Die 1947 gegründete Sonova ist seit 1994 an der SIX kotiert.