Lukas Bühlmann, Direktor VLP-ASPAN

Lukas Bühlmann

Lukas Bühlmann, Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN.

von Patrick Gunti

Herr Bühlmann, wie erleben Sie als Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung heute die Schweizer Landschaft?

Die Schweiz ist stark zersiedelt. Die Siedlungen fransen aus, der Verkehr nimmt zu; und dies auf Kosten der schönen Landschaften und des wertvollen Kulturlands. Wir tun so als hätten wir eine zweite Schweiz in der Schublade.

Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptfaktoren für die allseits konstatierte und kritisierte Zubetonierung der Schweiz?

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Ein Hauptgrund ist sicher die grosse Gemeindeautonomie in der Raumplanung und das Unvermögen vieler Gemeinden über die Grenzen hinaus zu schauen. Nicht wenige Gemeinden sehen ihr Glück in möglichst grossen Wohn- und Gewerbezonen, in der Ansiedlung von Einkaufszentren und flächenintensiven Gewerbebetrieben und vergessen dabei die Auswirkungen ihrer Planungsentscheide auf die Infrastruktur, Siedlungs- und Lebensqualität.

Raumplanung wird zwar seit Jahrzehnten diskutiert, nachhaltige Lösungen wurden aber nicht gefunden. Ist es falsch zu behaupten, dass die bisherige Raumplanung in der Schweiz gescheitert ist?

Die Raumplanung in der Schweiz ist nicht gescheitert. Es gibt zweifellos erhebliche Versäumnisse. Auf der andern Seite muss man sehen, dass die Schweiz ohne Raumplanung ganz anders aussehen würde. Das Land wäre noch viel stärker zersiedelt, unsere schönen Landschaften und zahlreiche wertvolle Naherholungsgebiete wären verschwunden und die Verkehrsprobleme wären noch viel grösser als heute.

«Die Raumplanung in der Schweiz ist nicht gescheitert. Es gibt zweifellos erhebliche Versäumnisse. Auf der andern Seite muss man sehen, dass die Schweiz ohne Raumplanung ganz anders aussehen würde.» Lukas Bühlmann, Direktor Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung

Bundesrätin Doris Leuthard hat Sie als den Vater des neuen „Raumkonzept Schweiz“  von Bund, Kantonen und Städten bezeichnet. Schildern Sie uns bitte die Eckpfeiler des Raumkonzepts?

Bundesrätin Leuthard hat mich in der Tat als „Vater“ des Raumkonzepts bezeichnet. Ich bin dies aber nicht. Das Raumkonzept wurde von einer 30-köpfiger Arbeitsgruppe erarbeitet, der ich angehörte. Eine zentrale Aussage des Raumkonzepts ist, dass die heutigen raumplanerischen Probleme nur in funktionalen Räumen, das heisst Gemeinde- und Kantonsgrenzen überschreitend, gelöst werden können. Entsprechend sieht das Raumkonzept zwölf Handlungsräume vor. Dabei kommt den drei Metropolitanregionen Zürich, Basel und Genf-Lausanne als wichtige Wirtschaftsmotoren eine zentrale Bedeutung zu. Daneben gibt es aber auch viele andere wichtige funktionale Räume, die Synergien nutzen und ihre Stärken besser ausspielen müssen.

Die ländlichen Gebiete werden anders als in der ETH-Studie nicht zu „alpinen Brachen“ und „stillen Zonen“ erklärt, sondern über die grossen Tourismuszentren und zahlreiche „ländliche Zentren“ infrastrukturmässig gestärkt. Vorbei sind jedoch die Zeiten, wo überall alles ermöglicht wird. Weitere Eckpfeiler des Raumkonzepts sind die bauliche Verdichtung anstelle ausufernder Siedlungen und die bessere Abstimmung von Siedlungsentwicklung und Verkehr.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass die angestrebte bessere Koordination gelingt?

Bereits die Erarbeitung des Konzepts und der vorliegende Entwurf haben Einiges bewirkt, denn viele Kantone, Regionen und Gemeinden mussten sich durch die Positionierung im Raumkonzept mit ihrer Rolle auseinandersetzen. Das Raumkonzept leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Sensibilisierung für die raumplanerischen Belange. Immer stärker setzt sich in den Köpfen fest, dass die raumplanerischen Probleme nur über eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit lösbar sind. Diese Funktion des Raumkonzepts ist nicht zu unterschätzen. Daneben braucht es jedoch auch Massnahmen auf Gesetzesebene. Mit der laufenden Revision des Raumplanungsgesetzes des Bundes und verschiedenen Anpassungen der Bau- und Planungsgesetze der Kantone tut sich in dieser Hinsicht einiges.

«Immer stärker setzt sich in den Köpfen fest, dass die raumplanerischen Probleme nur über eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit lösbar sind.»

Welchen Einfluss hat das Konzept auf die Verkehrsplanung? Nicht zuletzt der starke Ausbau und die Förderung der verkehrstechnischen Mobilität sind ja mit ein Grund für die Zersiedelung.

Das Raumkonzept sieht vor, dass vor dem Ausbau oder der Erstellung neuer Verkehrsinfrastrukturen die bisherigen Anlagen besser genutzt und optimiert werden. Dies soll über betriebliche Massnahmen und marktwirtschaftliche Steuerungs- und Anreizinstrumente geschehen. Die Endlosspirale von Siedlungsentwicklung und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur soll zudem über eine bessere Abstimmung von Siedlungsentwicklung und Verkehr durchbrochen werden.

Die Entwicklung soll künftig auf bereits bebaute Gebiete gelenkt werden. Städte und Ortskerne sollen verdichtet werden. Es ist viel von „verdichtetem Bauen“ die Rede und für jeden bedeutet es wieder etwas anderes. Wie definieren Sie den Begriff?

Die bauliche Verdichtung lässt sich nur schwer definieren und schon gar nicht in wenige Worte fassen. Bauliche Verdichtung muss massgeschneidert sein und auf den Ort Bezug nehmen. Einfach überall das Nutzungsmass zu erhöhen, wäre völlig falsch. Verdichtung soll vor allem in Gebieten mit guter verkehrsmässiger Erschliessung stattfinden, insbesondere in Gebieten mit einem guten öffentlichen Verkehr. Verdichtung geht auch nicht ohne Einbezug der Bevölkerung. Sie ist gewöhnungsbedürftig.

«Verdichtung soll vor allem in Gebieten mit guter verkehrsmässiger Erschliessung stattfinden, insbesondere in Gebieten mit einem guten öffentlichen Verkehr.»

Man kann nicht in Gebieten mit bisher zweigeschossigen Bauten plötzlich fünf- oder noch höhergeschossig bauen. In Städten wie Zürich, Genf und Basel ist Verdichtung daher etwas anderes als in Frauenfeld, Lenzburg oder Visp. Und sie ist noch einmal etwas anderes in ländlichen Gemeinden oder im Berggebiet. Verdichtungspotenziale gibt es jedoch überall. In ländlichen Gebieten geht es bei der Verdichtung oft auch um das Auffüllen von Baulücken und die Umnutzung nicht mehr benötigter landwirtschaftlicher Ökonomiebauten.

Raumplanerische Instrumente und gesetzliche Vollzugsgrundlagen würden bereits heute vorliegen. Wie können die verschiedenen Akteure zu griffigen Massnahmen verpflichtet werden, resp. wie lassen sich die heute zum Teil herrschenden Vollzugsdefizite beheben?

Es braucht wirksamere Gesetze. Auf der andern Seite ist die Aufklärung und Sensibilisierung der Behörden und Bevölkerung für die Anliegen einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung von zentraler Bedeutung. Auch die besten Gesetze lassen sich nicht vollziehen, wenn der Wille fehlt. Hier müsste viel mehr getan werden, beispielweise in Form von Sensibilisierungskampagnen, wie wir sie im Energiebereich oder im Gesundheitswesen kennen. Auch in den Schulen müsste die Raumplanung vermehrt ein Thema sein.

Wie stellen Sie sich zur Landschaftsinitiative?

Ich hoffe, dass die laufende Revision des Raumplanungsgesetzes so gut herauskommt, dass es die Landschaftsinitiative nicht mehr braucht.

Was wäre Ihre Vision der perfekten Schweizer Landschaft?

Meine Vision ist eine Schweiz, die ihre räumlichen Bedürfnisse in den nächsten 30 Jahren innerhalb der bestehenden Siedlungsgebiete befriedigten kann und der Nachwelt vielfältige Landschaften, wertvolles Kulturland und abwechslungsreiche Siedlungen mit hoher Lebensqualität hinterlässt.

Herr Bühlmann, besten Dank für das Interview.

Zur Person
Lukas Bühlmann (1957, lic. Iur) ist Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN, eines von Bund, Kantonen, Gemeinden und Experten getragenen Fachverbands für Raumplanung. Bühlmann arbeitet seit 1990 bei der VLP-ASPAN, zuvor war er Mitarbeiter im Bundesamt für Raumplanung.

Schweizerische Vereinigung für Landesplanung

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