Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Dudler, in der von Staufen.Inova und AppliediT mit 417 Industrieunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführten Studie “Digitalisierung 2024” räumten sechs von zehn Unternehmen ein, bei der Analyse ihrer Daten bestenfalls an der Oberfläche zu kratzen. Weshalb sollte das ein Problem sein und was ist der Grund, dass Analysen nicht fundierter und gezielter angewendet werden?
Manuel Dudler: Aus einer oberflächlichen Datenanalyse lassen sich keine relevanten Erkenntnisse ableiten. Im einfachsten Fall sehen Unternehmen nur isolierte Zahlen aus verschiedenen Bereichen und wissen zu wenig über die Zusammenhänge zwischen ihnen. Sie sehen also vor lauter Zahlen den KPI-Wald nicht mehr.
«Verblüffend ist, dass bei einer Vielzahl der Firmen kognitive Dissonanz herrscht. Ihnen ist zwar bewusst, dass ihre Daten nicht optimal sind, doch trotzdem verlassen sich drei Viertel bei der Entwicklung ihrer Geschäftsstrategie auf diese als unzureichend erkannten Datensätze – ein riskanter Weg.» Manuel Dudler, Verwaltungsrat Staufen.Inova
Es gibt mit Sicherheit nicht die eine Hauptursache dafür. Datensilos und eingeschränkte Funktionalitäten der einzelnen Anwendungen bremsen die Unternehmen auf ihrem Digitalisierungskurs aus. Zudem entstehen Folgeprobleme, wenn schlechte Daten in die Strategie einfliessen und zu Fehlentscheidungen führen.
Was sind für Sie die wichtigsten und überraschendsten Erkenntnisse aus der Studie «Digitalisierung 2024»
Wir konnten in der Studie aufdecken, dass viele Unternehmen ihre Daten weder richtig auswerten noch vollständig verstehen. Das allein ist schon eine recht überraschende Erkenntnis. Doch verblüffend ist, dass bei einer Vielzahl der Firmen kognitive Dissonanz herrscht. Ihnen ist zwar bewusst, dass ihre Daten nicht optimal sind, doch trotzdem verlassen sich drei Viertel bei der Entwicklung ihrer Geschäftsstrategie auf diese als unzureichend erkannten Datensätze – ein riskanter Weg.
Dank der fortschreitenden Digitalisierung sollten doch eigentlich die wichtigsten Daten leichter und in einfach zu verarbeitender Form zugänglich sein. Woran liegt es also, dass trotz der vielen IT-Systeme und deren genormten Schnittstellen offenbar eine holistische Sicht auf ein Unternehmen immer noch schwer zu erstellen ist?
Der Softwaremarkt wächst unglaublich schnell und ist mittlerweile schwer überschaubar. Das hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass auch für sehr spezifische Anwendungsbereiche mehrere Anbieter zur Auswahl bestehen. Das ist zwar grundsätzlich eine Chance, doch die Unternehmen haben dadurch eine hohe Herausforderung: Sie müssen die richtige Software finden und die einzelnen Lösungen organisatorisch und technisch sauber integrieren. Das kostet Zeit und ist nur Schritt für Schritt zu erreichen.
Sie stellten anhand der Studie einen “regelrechten Daten-Wildwuchs” in den Unternehmen fest. Nach eigener Aussage nutzen aber fast 80 Prozent der Unternehmen eben diese Daten, um ihre künftige Strategie festzulegen. Was bedeutet das für die Qualität dieser Strategien, welche Risiken entstehen durch ein solches Vorgehen?
Mangelhafte Datenanalysen führen dazu, dass die Kernursachen nicht erkannt werden und das Management nur an den Symptomen herumdoktert. Das hat in vielen Fällen zwei ungünstige Folgen: die Durchlaufzeit in der Fertigung steigt, während gleichzeitig die Qualität der hergestellten Produkte sinkt. Im schlimmsten Fall führt dies zu einer sinkenden Zufriedenheit der Kunden und in der Folge ihrer Abwanderung. Das Worst-Case-Szenario ist dann erreicht, wenn ein Unternehmen schleichend seine Wettbewerbsfähigkeit verliert.
Wo befinden sich die Industrieunternehmen auf dem Weg der digitalen Transformation im Vergleich mit anderen Unternehmen, wie könnten sie die eigene Transformation beschleunigen und qualitativ verbessern?
Eine solche Transformation ist für jedes Unternehmen sehr individuell. Entscheidend sind neben der Grösse des Unternehmens die Ausgangssituation und die eingesetzten Ressourcen. Besondere Schwierigkeiten werden Unternehmen haben, die in der Vergangenheit die Daten in Silos mit unterschiedlichen Prozessen und Anwendungen gesammelt haben.
«Mangelhafte Datenanalysen führen dazu, dass die Kernursachen nicht erkannt werden und das Management nur an den Symptomen herumdoktert.»
Hier eine Vereinheitlichung zu schaffen, ist keine einfache Aufgabe. Das Unternehmen sollte in jedem Fall darauf achten, die Datentransformation schrittweise anzugehen. Sinnvoll ist es beispielsweise, einzelne Projekte aufzusetzen, die in maximal einem halben Jahr umsetzbar sind. Dann werden Erfolge etwas schneller sichtbar als bei einem Big-Bang-Ansatz.
Durch das Internet der Dinge steigt die Rohdatenmenge, die von Maschinen und Objekten anfallen, nochmals enorm an. Wie soll es gelingen, von dieser Ebene die Daten in aussagekräftige Informationen zur Definition strategischer und taktischer Entscheidungen zu verdichten? Welche Blaupausen oder Roadmaps gibt es dazu?
Wir empfehlen ein 10-Schritte-Modell (siehe Kasten), um einen ganzheitlichen Blick auf die im Unternehmen vorhandenen Daten zu erreichen. Zuerst ist die Formulierung eines Ziels notwendig, das durch die Datenanalysen erreicht werden soll – beispielsweise die Erhöhung der Produktqualität.
Anschliessend müssen die relevanten Daten identifiziert, gesammelt, integriert und bereinigt werden. Erst daran schliesst sich die Analyse an, und die Daten können sinnvoll ausgewertet werden. Wichtig ist zudem eine Kommunikation der Ergebnisse und eine Schulung der Mitarbeitenden, um Konsequenzen aus der Analyse zu ziehen.
Zu einer sinnvollen Transformation gehört auch die kontinuierliche Überwachung und Anpassung der Datenanalyse. Wichtig dabei: Die Abfolge der einzelnen Schritte ist als Schleife zu verstehen. In vielen Fällen muss sie nach Auswertung der Erfahrungen erneut durchlaufen werden.
Damit Unternehmen vermehrt in die Qualität und Analyse von Daten investieren, müssen den Aufwänden auch messbare Vorteile gegenüberstehen. Wo sehen Sie die wichtigsten Gewinne, welche die Unternehmen mit einer verbesserten Datenanalyse erzielen können, und wie können diese gemessen werden?
Unternehmen sollten die eigenen Daten als Asset sehen und sie konsequent für Analysen, Prozessverbesserungen und Entscheidungen nutzen, um sich stetig weiterzuentwickeln. Datenanalysen steigern die organisatorische Effizienz und führen zu deutlichen Verbesserungen in der Fertigung.
Aktuelle Zahlen liefern nur eine Momentaufnahme. Richtig interessant wird es erst, wenn die Daten der vorgelagerten Prozesse in Kombination mit dem aktuellen Ist-Zustand analysiert werden. Dann werden verborgene Zusammenhänge und interne Abhängigkeiten sichtbar.
«Unternehmen müssen tiefer in die Welt der Daten eintauchen, um zu verstehen, wie sie in ihrem Inneren ticken und welche Anpassungen zu welchen Ergebnissen führen.»
Die positiven Auswirkungen, die ein ganzheitlicher Blick auf die eigene Datenwelt haben kann, werden auch in der Industrie erkannt. So erwarten 57 Prozent eine Optimierung der Durchlaufzeiten, 52 Prozent eine Qualitätssteigerung und 48 Prozent eine Erhöhung der Kundenzufriedenheit. Diese wichtigen Messwerte zeigen, dass die mathematische Analyse von Daten jedem Unternehmen einen starken Schub geben kann.
Datenanalyse setzt statistisches und mathematisches Wissen voraus, die Aufbereitung der Daten IT-Know-how, die Umsetzung in die geschäftliche Bedeutung Fachwissen aus den Unternehmensbereichen. In welche Fähigkeiten und Profile müssen die Industrieunternehmen vermehrt investieren, um aus den Daten mehr Gewinn zu erzielen?
Unternehmen müssen tiefer in die Welt der Daten eintauchen, um zu verstehen, wie sie in ihrem Inneren ticken und welche Anpassungen zu welchen Ergebnissen führen. Denn egal, ob es um Lieferketten, Produktionsprozesse oder HR-Herausforderungen geht: Oft können schon kleine Anpassungen und Feinjustierungen an wenigen Stellschrauben eine enorme Hebelwirkung entfalten.
Deshalb sollten Unternehmen ein möglichst breites „Datenwissen“ bei ihren Mitarbeitenden schaffen. Dafür gibt es zahlreiche Möglichkeiten, beispielsweise Weiterbildungen in Data Science, aber auch die gezielte Suche nach Personal mit den entsprechenden Fähigkeiten. Es ist sicher sinnvoll, zumindest ein kleines Team aus Datenspezialisten zu besitzen, die in der IT und den Fachbereichen als Berater agieren können.
Sie sind selbst im Verwaltungsrat der Staufen.Inova AG. Wie gut sind die Ihnen zur Verfügung stehenden Daten im eigenen Unternehmen aufbereitet und können für die Strategiedefinition verwendet werden, welche nächsten Projekte sind vorgesehen, um die digitale Transformation weiterzuführen?
Die digitale Transformation ist auch bei der Staufen.Inova AG seit mehreren Jahren im Gange, sowohl für die internen Prozesse als auch für die qualitativ hochstehende und ganzheitliche Beratung unserer Kunden. Die dem Verwaltungsrat zur Verfügung stehenden Daten sind gut aufbereitet. Sie setzen sich zusammen aus PowerBI-Dashboards mit Live-Daten, szenariobasierten Prognosetools und Ad-hoc-Analysen für strategische Entscheidungen. Diese werden aus zentralen Datenquellen gespeist. Aktuell sind wir daran, das Abweichungsmanagement und die Kaskadierung von Führungskennzahlen mit Value Streamer zu digitalisieren.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Dies ist zum einen, dass wir die digitale Transformation immer als Enabler zur Prozessverbesserung oder zur Optimierung respektive Erweiterung des Geschäftsmodells sehen, das heisst der Business Nutzen muss immer im Vordergrund stehen. Zum anderen, dass wir die verschiedenen Disziplinen für die Transformation flexibler zusammenbringen: Datenanalysten, Fachvertreter, IT, etc., damit eine ganzheitliche Transformation möglich und erfolgreich wird.
Zehn Schritte zum Erfolg bei der Datentransformation 1) Zieldefinition 2) Datenidentifikation und -sammlung 3) Datenintegration 4) Datenbereinigung und -aufbereitung 5) Datenanalyse und -exploration 6) Datenaufbewahrung und Sicherheit 7) Modellentwicklung und -implementierung 8) Kommunikation der Ergebnisse 9) Kontinuierliche Überwachung und Anpassung 10) Schulung und Sensibilisierung |