Marc von Waldkirch, CEO Sensirion, im Interview

Marc von Waldkirch

Sensirion-CEO Marc von Waldkirch. (Foto: Sensirion)

Von Sandra Willmeroth

Moneycab: Herr von Waldkirch, 2023 war ein Verlustjahr für Sensirion mit dem höchstem Jahresverlust seit dem IPO im Jahr 2018. Erwarten Sie für 2024 wieder schwarze Zahlen oder wird es ein Übergangsjahr?

Marc von Waldkirch: 2023 war für Sensirion in der Tat ein schwieriges Jahr. Nach drei Boomjahren 2020 bis 2022, in denen wir den Umsatz um insgesamt 70% steigern konnten, wurden wir 2023 durch starke Lagerkorrekturen unserer Kunden sowie durch Einmaleffekte negativ beeinflusst. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass dies ausschliesslich auf eine starke Nachfragedelle und nicht auf den Verlust wichtiger Kunden zurückzuführen ist.

«Wir erwarten für das laufende Jahr eine Rückkehr auf den Wachstumspfad dank einer moderaten Nachfrageerholung, vor allem aber dank Neugeschäft. Bei der Profitabilität rechnen wir mit einem Übergangsjahr.» Marc von Waldkirch, CEO von Sensirion

Wie bereits im März 2024 kommuniziert, erwarten wir für das laufende Jahr eine Rückkehr auf den Wachstumspfad dank einer moderaten Nachfrageerholung, vor allem aber dank Neugeschäft. Bei der Profitabilität rechnen wir mit einem Übergangsjahr. Diese Guidance haben wir auch jüngst anlässlich der Halbjahreszahlen im August bestätigt.

Sensirion produziert Sensoren zur Messung von Luftströmung, Gasen und Feuchtigkeit für die Medizin-, Auto- und Industrie. Welcher Bereich wächst am stärksten? Es heisst, in mehr als jedem dritten neu hergestellten Auto weltweit ist ein Sensor von Sensirion integriert.

Derzeit verzeichnen wir ein anhaltend robustes Wachstum im Automobilmarkt, insbesondere durch Neugeschäft im Modulgeschäft, in dem wir die führenden OEMs direkt beliefern.

Ist eine weitere Ausweitung der Angebotspalette geplant? Welche Neuerungen sind in der Pipeline?

Bereits anlässlich unserer Bilanzpressekonferenz im März 2024 haben wir kommuniziert, dass wir im Bereich der Leckagesensorik grosses zusätzliches Potenzial sehen. So arbeiten wir derzeit intensiv an einer neuen Produktfamilie von Gasleckagesensoren für Klimaanlagen für den US-Markt. Dort wird in Zukunft eine neue Klasse von Kältemitteln in Klimageräten vorgeschrieben. Diese Kältemittel sind weniger klimaschädlich, aber leichter entflammbar. Dies eröffnet Sensirion neue Möglichkeiten, innovative Leckagesensoren in diesem Markt zu platzieren.

Ein technologischer Meilenstein wurde zudem vor wenigen Monaten mit der offiziellen Ankündigung eines neuartigen, chipbasierten CO2-Sensors erreicht. Es handelt sich dabei um einen der weltweit kleinsten Sensoren zur direkten CO2-Messung, der eine Vielzahl neuer Anwendungen zur Überwachung der Raumluftqualität ermöglicht, die bisher aufgrund von Grössen- und Kostenbeschränkungen nicht realisierbar waren.

«Ein technologischer Meilenstein wurde zudem vor wenigen Monaten mit der offiziellen Ankündigung eines neuartigen, chipbasierten CO2-Sensors erreicht. Es handelt sich dabei um einen der weltweit kleinsten Sensoren zur direkten CO2-Messung.»

Ein chinesisches Unternehmen ist ebenfalls ein grosser Player in der Branche. Wie setzen Sie sich gegen den Billigproduzenten durch?

Ich würde unsere Wettbewerber nicht als Billigproduzenten bezeichnen. Im Gegenteil, ich habe grossen Respekt vor unseren chinesischen Konkurrenten, die vor allem durch Schnelligkeit und kosteneffizientes Moduldesign punkten. Da können wir Europäer noch viel lernen.

Bei der Innovationskraft haben wir dagegen die Nase vorn, vor allem wenn es um die Miniaturisierung der Umweltsensorik geht. Das haben wir erst kürzlich mit der Einführung des neuen kleinen CO2-Sensors wieder unter Beweis gestellt.

Grundsätzlich freue ich mich über Wettbewerb: Zum einen zeigt er, dass wir in einem attraktiven Wachstumsmarkt tätig sind, zum anderen hält er uns in unserer Innovationskraft und in unserem Drang nach besseren Lösungen für unsere Kunden immer auf Trab.

Die Technologien entwickeln sich in einem rasanten Tempo. Wie halten Sie in Forschung und Entwicklung da mit? Wieviel investiert Sensirion in F&E?

Im Durchschnitt investieren wir rund 20 bis 23 Prozent unseres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Damit bleiben wir Technologie- und Innovationsführer und ermöglichen zahlreiche neue Anwendungen sowie zukunftsorientierte Wachstumsfelder.

Sie halten am (teuren) Produktionsstandort Stäfa in der Schweiz fest und weiten dieses sogar noch aus. Wie rechnet sich das im Vergleich zur Produktion in einem Billiglohnland wie China?

Ich denke, man muss hier differenzieren. Es ist richtig, dass wir für die Komponentenfertigung am Produktionsstandort Schweiz festhalten. Für die hochkomplexen und hochautomatisierten Halbleiter-Produktionslinien ist es vor allem entscheidend, gut ausgebildete Ingenieure zu finden, die diese Prozesse auf den Produktionsanlagen entwickeln und auch am Laufen halten. Diese finden wir in der Schweiz dank unserem hervorragenden Ausbildungssystem, z.B. an der ETH, sehr gut. Die Operatorenkosten hingegen sind dank dem hohen Automatisierungsgrad der Anlagen tief.

«Für die hochkomplexen und hochautomatisierten Halbleiter-Produktionslinien ist es vor allem entscheidend, gut ausgebildete Ingenieure zu finden, die diese Prozesse auf den Produktionsanlagen entwickeln und auch am Laufen halten.»

Die Modulfertigung hingegen, die mehr manuelle Prozesse beinhaltet, findet bereits heute grösstenteils in unseren Werken in Ungarn und China statt.

Sensirion baut derzeit auch in Ungarn die Produktion aus. Wird der Ausbau planmässig im Jahr 2024 fertig und wie viele neue Kapazitäten werden damit geschaffen?

Dieses Projekt liegt voll im Zeitplan. Damit schaffen wir aber zunächst nur die räumlichen Kapazitäten für weiteres Wachstum im Modulbereich. Die Kapazitäten in Produktionslinien werden dann sukzessive mit dem Fortschritt der einzelnen Modulprojekte ausgebaut.

Der Ausbau spiegelt aber auch unseren mittel- und langfristigen Optimismus wider, der sich einerseits aus einer starken Pipeline an gewonnenem Neugeschäft für die kommenden Jahre und andererseits aus den unterstützenden Megatrends wie Energieeffizienz, Klimawandel und Gesundheit ergibt.

Sie haben Anfang des Jahres für 2024 einen Umsatz bis 280 Mio und eine EBITDA-Marge zwischen 5 und 10 Prozent in Aussicht gestellt. Bleibt es bei dieser Prognose?

Wir haben unsere Guidance in der Halbjahreskommunikation vom August unverändert bestätigt und erwarten weiterhin einen Jahresumsatz von 250-280 MCHF und eine bereinigte EBITDA-Marge von 5-10%.

Und welche Entwicklung erwarten Sie im Jahr 2025?

Wie üblich werden wir anlässlich unserer Bilanzmedienkonferenz im März 2025 einen offiziellen Ausblick auf das Jahr 2025 geben. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh für eine verlässliche Prognose. Dafür ist die aktuelle Visibilität an den Märkten aktuell zu tief angesichts der zahlreichen geopolitischen und makroökonomischen Herausforderungen.

In den letzten Jahren hat die Profitabilität stark gelitten und die operative Marge ist auf etwas über 4% gesunken. Welche Massnahmen haben Sie ergriffen?

Aufgrund der geringen variablen Kosten unserer Komponentenprodukte reagiert die EBITDA- Marge jeweils überproportional auf Umsatzveränderungen. Dies zeigte sich sowohl in den vergangenen starken Wachstumsjahren im positiven Sinne (mit EBITDA Niveaus von teilweise über 30%) als auch im Jahr 2023 in umgekehrter Richtung. Trotz reduziertem Umsatz haben wir unsere Verkaufs- und Entwicklungsaktivitäten unverändert vorangetrieben, um in den Jahren 2024 und 2025 wichtige Produkteinführungen in neuen Anwendungen zu ermöglichen und damit das angestrebte mittelfristige Wachstum zu stärken.

Parallel dazu haben wir aber auch ein umfassendes Effizienz- und Kostenoptimierungsprogramm in allen Bereichen gestartet. Neben laufenden Kapazitätsanpassungen in den Produktionswerken haben wir beispielsweise alle Forschungs- und Entwicklungsprojekte einer kritischen Prüfung unterzogen. Dies führte auch zur Einstellung aller Aktivitäten im Bereich «Condition Monitoring» am Standort Berlin im April 2024.

Anfang dieses Jahres hat Sensirion den Entwicklungsbereich Zustandsüberwachung aufgegeben. Wie kam es dazu? Wird das die Bilanz belasten?

Wir haben das Berliner Startup AiSight im September 2021 mit dem Ziel übernommen, ein führender Anbieter von Gesamtlösungen im Bereich Zustandsüberwachung zu werden. Trotz einer ausführlichen Due Diligence im Vorfeld der Akquisition hat sich jedoch gezeigt, dass sich der Markt für Zustandsüberwachung deutlich langsamer und fragmentierter entwickelt als ursprünglich angenommen. Es gibt eine Vielzahl von Wettbewerbern, gegenüber denen eine technische Differenzierung nur schwer möglich ist. Diese Marktstruktur entspricht strategisch nicht dem Anspruch von Sensirion, durch Innovation zum führenden Anbieter in diesem Bereich zu werden. Diese Neubeurteilung führte zum Entscheid, diesen Entwicklungsbereich aufzugeben.

Finanziell führte der Entscheid, die Aktivitäten in Berlin einzustellen, zu einer ausserordentlichen Wertberichtigung von CHF 28.6 Mio. auf Stufe EBITDA und CHF 33.4 Mio. auf Stufe Reingewinn. Davon sind CHF 30.4 Mio. nicht liquiditätswirksame Wertberichtigungen, die sich einerseits aus dem von Swiss GAAP FER geforderten Goodwill- Recycling (CHF 25.6 Mio.) und andererseits aus dem Wegfall von steuerlichen Verlustvorträgen (CHF 4.8 Mio.) ergeben. Die restlichen rund 3 Mio. CHF sind Restrukturierungskosten. Alle ausserordentlichen Kosten wurden vollumfänglich der Erfolgsrechnung des ersten Halbjahres belastet.

«Finanziell führte der Entscheid, die Aktivitäten in Berlin einzustellen, zu einer ausserordentlichen Wertberichtigung von CHF 28.6 Mio. auf Stufe EBITDA und CHF 33.4 Mio. auf Stufe Reingewinn.»

Bei der jüngsten Tech-Welle an den Aktienmärkten blieb die Sensirion Aktie etwas aussen vor. Die Aktie steht immer wieder in der Kritik wegen der Nulldividendenpolitik und dem grossen Anteilen, die von den beiden Firmengründern gehalten werden. Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern?

Die Aktienanteile unserer beiden Gründer liegen derzeit bei je gut 5% und sind damit nicht aussergewöhnlich hoch. Als Unternehmen freuen wir uns aber sehr über diese anhaltende Loyalität unserer beiden Gründer, einerseits als Aktionäre, aber auch als Innovationstreiber in ihrer Rolle als CO-VRP. Dies stärkt das Unternehmen zweifellos in seiner langfristigen Entwicklung. In diesem Zusammenhang hat übrigens eine kürzlich veröffentlichte Studie auch gezeigt, dass börsennotierte Unternehmen mit einer starken Position der Gründer statistisch gesehen besser abschneiden. Ich sehe daher derzeit keinen Anpassungsbedarf.


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