Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Vontobel, Starmind will für Unternehmen “vernetzte Gehirne” bauen, die mit Algorithmen vorhandenes Wissen einfacher zugänglich machen und schneller treffende Antworten zu allen möglichen Fragen im Unternehmen finden. Was macht Ihre Lösung besser als zum Beispiel Googles Suchalgorithmus?
Marc Vontobel: Wir glauben, dass 80% des Wissens innerhalb eines Unternehmens in den Köpfen der Menschen steckt und nicht in irgendwelchen Datenbanken und Webseiten. Darum sucht unsere Technologie den richtigen Experten und nicht das richtige Dokument.
Nicht nur in Unternehmen bedeutet Wissen Macht. Wie wollen Sie Experten in Unternehmen dazu motivieren, dieses Wissen möglichst einfach allen zugänglich zu machen und sich somit einem erhöhten Risiko der Ersetzbarkeit auszusetzen?
Ganz im Gegenteil, wenn individuelles Wissen sichtbar ist, vermindert es das Risiko ersetzt zu werden! Denn dann sieht man schwarz auf weiss, wie oft und zu welchen Themen jemand anderen Personen im Unternehmen hilft. Solche Experten sind das wertvollste Gut für Firmen.
«Wir glauben, dass 80% des Wissens innerhalb eines Unternehmens in den Köpfen der Menschen steckt und nicht in irgendwelchen Datenbanken und Webseiten.» Marc Vontobel, Mitgründer & CTO Starmind International
In vielen Betrieben liegt das Wissen in den Köpfen der langjährigen Mitarbeitenden und Experten, nicht in digital verwertbarer Form vor. Wie muss sich ein Unternehmen vorbereitn und anpassen, um den grössten Nutzen aus den Lösungen von Starmind zu erzielen?
Das Unternehmen, beziehungsweise die Mitarbeiter, müssen Starmind benutzen wollen, das ist alles. Ansonsten ist es genauso einfach und intuitiv, wie eine Mail zu schreiben oder zum Telefonhörer zu greifen, um eine Antwort zu finden. Der Vorteil Starmind zu nutzen ist, dass der individuelle Wissensaustausch sichtbar und nutzbar für alle Mitarbeiter wird.
Die Digitalisierung hat das Potential, auch hochqualifizierte Jobs von Anwälten, Ärzten oder Programmierern mittels Robotik oder Künstliche Intelligenz zu gefährden. Was wird in der Zukunft weiterhin von Menschen besser erledigt werden können, welche Berufsbilder sind am meisten gefährdet?
Je repetitiver ein Beruf ist, desto grösser die Chance, dass ein Computer ihn irgendwann ersetzten wird. Auch für Berufe, welche in erster Linie auf der Analyse möglichst vieler Daten beruhen sehe ich die Zukunft nicht so rosig, denn das kann der Computer einfach besser. Alle Aufgaben, für die Kreativität, Empathie oder Erfahrung benötigt wird, sind nicht gefährdet! In solchen Jobs wird die AI und Robotik allerdings immer mehr zum unverzichtbaren Helfer.
Die durch die Informationstechnologie erzielten massiven Produktivitäts- und Innovationsgewinne haben zwar eine neue Generation von Marktgiganten wie Apple, Google, Amazon, Alibaba oder Facebook hervorgebracht, aber eigentlich recht wenig daran geändert, wie viel und intensiv die Menschen arbeiten. Welchen Einfluss wird hier die Digitalisierung haben?
Wie viel und intensiv Menschen arbeiten, hat meiner Meinung nach nichts mit der Digitalisierung, sondern viel mehr mit unserer Kultur zu tun. Wenn ein Arzt beispielsweise Röntgenbilder automatisiert analysieren kann und damit jeden Tag Stunden spart, wird er wohl nicht weniger arbeiten, sondern er nutzt die Zeit, um mehr Patienten zu behandeln.
«Jeder soll das tun, was er am besten kann und ihm am meisten Spass macht.»
Bei Starmind haben die beiden Gründer, Pascal Kaufmann und Sie selbst, mit Peter Waser vor fast zwei Jahren einen erfahrenen Microsoft Manager als CEO geholt und fokussieren sich selbst auf andere Aufgaben. Wie schwer ist es, im eigenen Unternehmen die Macht zu teilen, was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
Wir leben unsere Philosophie ganz konsequent: Jeder soll das tun, was er am besten kann und ihm am meisten Spass macht. Darum fokussieren Pascal und ich uns auf Innovation und Technologie. Uns geht es um das bestmögliche Team. Jemanden wie Peter mit seinem unglaublichen Erfahrungsschatz als CEO zu haben, ist für die ganze Firma eine grosse Bereicherung.
Bei Jugendlichen hat das Internet teilweise schon zu erstaunlichen Entwicklungen geführt. Auswendig Lernen ist weniger wichtig als wissen, wo man bei Bedarf etwas findet (Google, Wikipedia), für Sprachen gibt es Echtzeit- Übersetzungsprogramme. Wie gross ist das Risiko, dass das Denken und Selbst-Können an “das Netz” delegiert wird und das eigene Gehirn wegen Nichtgebrauchs wichtige Fähigkeiten abbaut?
Die Frage ist, was in Zukunft wichtige Fähigkeiten sind: Auswendig lernen wird wohl in der Tat nicht mehr eine allzu grosse Rolle spielen. Ich kenne aber auch keine Menschen, die mit ihren herausragenden Leistungen im «Auswendiglernen» erfolgreich geworden sind. Viel mehr sind es individuelle Talente, Empathie, IQ, Kreativität, Innovationsdrang und Passion, die Menschen voranbringen. Glücklicherweise sind das alles Fähigkeiten, welche Computer nicht besitzen.
«Je repetitiver ein Beruf ist, desto grösser die Chance, dass ein Computer ihn irgendwann ersetzten wird.»
Eigentlich fürchte ich mich eher vor dem Gegenteil: Wenn Menschen den ganzen Tag repetitive Aufgaben ausführen, dann glaube ich, dass das Gehirn weit weniger genutzt wird, als wenn man sich neuartigen Dingen widmet.
Zur Lösung der ganz grossen Probleme wie der Klimaveränderung, Energie- und Nahrungsversorgung, Migrationsbewegung, könnte ein “globales Hirn” von Expertenwissen ein signifikanter Beitrag sein. Dem entgegen stehen jedoch, wie in den USA zu beobachten, vermehrte Tendenzen zum Nationalismus, zur Abschottung und ein zunehmender Wissenschafts-Skeptizismus. Wie können solche Tendenzen überwunden werden?
Unserer Technologie ist es egal, woher eine Person kommt, welche Hautfarbe, Geschlecht oder politische Einstellung sie hat. Wir vernetzen Menschen aufgrund ihres Wissens und ihrer Expertise und überwinden damit vom Menschen kreierte Grenzen.
Was empfehlen Sie jungen Schulabgängern, welche Fähigkeiten sollen sie sich aneignen, welche Berufe haben die grössten Perspektiven?
Viele Menschen glauben, dass Roboter schon bald so clever sein werden wie Menschen selbst. Davon sind wir noch sehr weit entfernt. Alles was Kreativität, Emotionalität, Innovation oder einfach Talent braucht, wird auch in Zukunft nicht von Robotern übernommen werden. Darauf würde ich mich in meiner Berufswahl stützen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Ich wünsche mir, dass in der aktuellen Diskussion über Robotik und künstliche Intelligenz mehr Menschen unterscheiden können, was Science-Fiction und was Realität ist. Denn Technologie sollte nicht primär gefürchtet, sondern richtig eingesetzt werden. Daraus folgt mein zweiter Wunsch: Wenn wir besser verstehen würden, was Computer können und was nicht, dann würden wir auch nicht versuchen, unsere Kinder zu menschlichen Robotern auszubilden, sondern ganz individuell ihre Stärken und Talente fördern. Es wird noch lange dauern, bis ein Computer den ersten Bestseller schreiben wird – dass dieser aber irgendwann von einem Computer übersetzt werden wird, müssen wir akzeptieren.
Das Interview entstand mit Unterstützung von Life Fair