Marc Werner, CEO Galenica Gruppe, im Interview
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Werner, nach einem schwierigen Start ins 2021 hat Galenica im 2. Quartal des Geschäftsjahres stark zugelegt. Dabei hat COVID-19 das Geschäft bestimmt. Wie fordernd waren die letzten Monate?
Marc Werner: Sehr fordernd! Die letzten Monate haben uns klar gezeigt, wie dynamisch die Situation momentan ist und wie kurzfristig wir uns auf neue Gegebenheiten einstellen müssen. Wir haben aber auch klar gesehen, dass wir dazu in der Lage und flexibel genug sind, unsere zentrale Rolle im Schweizer Gesundheitswesen jederzeit wahrzunehmen.
Ein organisatorischer Kraftakt in den letzten Monaten war insbesondere die Abgabe der Corona-Selbsttests an die Bevölkerung durch die Apotheken, welche von den Behörden kurzfristig am 30. März 2021 mit Beginn ab dem 7. April 2021 beschlossen wurde. Dank einer gemeinsamen Meisterleistung unserer Mitarbeitenden waren die Tests nur sieben Tage nach dem Entscheid in allen Apotheken verfügbar.
Wie gross war der logistische Aufwand?
Der logistische Aufwand dahinter war immens und hat unsere Mitarbeitenden in der Logistik und in den Apotheken aufs Äusserste gefordert. Wir haben innert kürzester Zeit eine separate Lager- und Vertriebslogistik auf die Beine gestellt und allein in den ersten vier Wochen nach dem Start über vier Millionen Selbsttests an Apotheken geliefert. Und auch in den Apotheken blieb den Mitarbeitenden nur wenig Zeit, die Abgabe der Selbsttests vorzubereiten. Hinzu kam die logistische Herausforderung, dass die Selbsttests in 25er Packungen in die Apotheken geliefert wurden und dort in 5er Sets umgepackt werden mussten. Aufgrund der behördlichen Vorgaben mussten die Selbsttests in den Apotheken für die Abgabe an die Kunden umkonfektioniert werden.
Ein Umsatzwachstum von 9,9%, getrieben vor allem auch durch die Covid-Schnelltests und Impfungen gegen das Coronavirus in rund 260 Apotheken der Gruppe: Darf man Galenica als «Gewinner» in der Coronakrise betiteln?
Das sehr gute Umsatzwachstum kommt nicht nur von unseren Angeboten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wir haben neue Produkte im Portfolio, mit denen wir in neue Marktsegmente expandieren konnten. Mit der Spezialapotheke Mediservice sind wir mit neuen Medikamenten gegen seltene Krankheiten stark gewachsen. Und auch im Grosshandel haben wir insbesondere im Ärztesegment Marktanteile gewonnen. Aber ja, die Test- und Impfangebote sowie die logistische Unterstützung der Behörden bei der Impfstofflogistik haben ihren Teil beigetragen.
«Das sehr gute Umsatzwachstum kommt nicht nur von unseren Angeboten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wir haben neue Produkte im Portfolio, mit denen wir in neue Marktsegmente expandieren konnten.»
Marc Werner, CEO Galenica Gruppe
Hingegen muss man bedenken, dass uns das auch einiges gekostet hat. Wir mussten die Ladenlayouts der Apotheken für die Test- und Impfangebote anpassen, zusätzliches Personal schulen, vom administrativen Aufwand der Terminverwaltung ganz zu schweigen. Und das alles während dem normalen Tagesgeschäft. Hinzu kommt, dass wir in den Apotheken an den Hochfrequenzstandorten mit dem Umsatz immer noch weit unter Vor-Pandemie-Zeiten liegen. Und auch unsere Produkte gegen Grippe und Erkältung und Produkte für die klassische Reiseapotheke leiden nach wie vor stark.
Per Ende Juni wurden bereits über 80’000 Antigen- und PCR-Tests durchgeführt und 38’000 Coronaimpfungen verabreicht. Wie planen Sie diesbezüglich für die kommenden Monate?
Wir können nicht vorhersehen, wie sich die Situation in den kommenden Monaten entwickeln wird. Jedoch stellen wir seit einigen Wochen eine abflachende Nachfrage nach Selbsttests fest. Entsprechend haben wir unsere Logistik und Lieferketten angepasst. Wie eingangs erwähnt, wir werden flexibel bleiben.
Inwieweit hat Galenica die Behörden bei der Impfstofflogistik unterstützt? Das Verteilkonzept ist ja von Kanton zu Kanton unterschiedlich.
Ja, in der Schweiz bestimmt jeder Kanton nachgelagert zur Armeeapotheke seine notwendige COVID-19 Impfstofflogistik selbst. Entsprechend ist das Verteilkonzept kantonal unterschiedlich. Unsere Logistik-Unternehmen Alloga und Unione Farmaceutica Distribuzione (UFD) unterstützen die Behörden bei der Sicherstellung der COVID-19 Impfstofflogistik im Kanton Bern beziehungsweise im Tessin.
Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang sind neben der Leistung der Logistik und der Apotheken unsere digitalen Angebote von HCI Solutions. Die Ärzte- und Apotheken-Software Documedis wurde vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) als Meldelösung für Corona-Tests und Impfungen zugelassen, woraufhin HCI die Schnittstellen für die Software-Anbindung programmiert. Apotheken und Arztpraxen können nun mit den beiden neuen Funktionen «Documedis VAC» und «Documedis Schnelltest» Patientendaten für Impfungen und Tests erfassen, Bestätigungen drucken sowie die entsprechenden Daten per Knopfdruck an die zuständigen Behörden übermitteln.
Die Apotheken haben im Zuge der Coronakrise an Bedeutung gewonnen. Wie nachhaltig wird diese Entwicklung sein – sollte die Pandemie dereinst unter Kontrolle sein?
Ich bin überzeugt, dass die grosse Bedeutung der Apotheken sich auch nach der Coronapandemie nachhaltig festigen wird. Die Apotheke hat ihre Rolle als erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen unter Beweis gestellt. Mit den Beratungen und Dienstleistungen leisten sie einen entscheidenden Beitrag bei der Betreuung von Patienten und deren Medikamentenversorgung. Nicht nur in Pandemiezeiten!
«Ich bin überzeugt, dass die grosse Bedeutung der Apotheken sich auch nach der Coronapandemie nachhaltig festigen wird.»
Der Gang in die Apotheke ist einfach, es braucht keine Terminvereinbarung. Die Apotheke kann bei unkomplizierten und einfachen Gesundheitsproblemen kompetent beraten und umgehend helfen. Damit kann die Apotheke auch einen unnötigen Gang in die Notfallstationen der Spitäler verhindern und deren Überlastung reduzieren. In dieser Rolle ist die Apotheke auch ein wichtiges Bindeglied in der Zusammenarbeit von Arzt, Spital, Heim und Krankenkasse. Die Kompetenzen der Apotheke und ihre wichtige Rolle wollen wir weiter stärken und ausbauen, zum Beispiel auch in Rahmen von Kooperationen mit Partnern. Die Patientinnen und Patienten sollen das ganze Potenzial nutzen können mit Vorteilen für das gesamte Gesundheitssystem.
Erkältungen und Grippeerkrankungen gab es in der letzten Saison praktisch nicht und Sie gehen davon aus, dass sich dies in den kommenden Herbst- und Wintermonaten wenig verändern wird. Glauben Sie nicht, dass mit fallenden Restriktionen auch diese Infektionen wieder zunehmen werden?
Aktuell gehen wir davon aus, dass auch in diesem Herbst und Winter die typische Grippesaison auf niedrigem Niveau bleiben wird. Ich denke, dass eine gewisse Vorsicht in der Bevölkerung bleiben wird. Masken, Abstand und Hygieneregeln werden uns noch lange begleiten. Wie es in den kommenden Jahren weiter geht, wird sich zeigen. Schauen wir beispielsweise nach Asien. Dort hat das Tragen einer Maske nicht primär mit Selbstschutz zu tun, die Menschen tragen dort schon immer Masken, wenn sie sich krank fühlen, um ihre Mitmenschen zu schützen. Ich denke, etwas Ähnliches wird sich auch bei uns etablieren.
Auch der Onlinehandel legte deutlich zu und verdoppelte seine Umsätze. Wie stark war hier der Einfluss der Pandemie zu spüren?
Das Konsumentenverhalten bewegt sich seit Jahren hin zu Onlinekäufen. Das ist nicht erst seit der Coronapandemie der Fall. Jedoch hat COVID-19 dieses Konsumverhalten stark beschleunigt und wir haben unsere digitalen Angebote im Rahmen unseres strategischen Programms Omni-Channel auf die Bedürfnisse angepasst und ausgebaut. Inklusive den Selbsttest-Abonnements von Amavita und Sun Store haben sich die Online-Umsätze in den ersten sechs Monaten verdoppelt, aber auch ohne Produkte und Dienstleistungen zur Bekämpfung der Pandemie sind die Umsätze in den Online-Shops unserer Apotheken um beachtliche 30% gewachsen.
Verfora hat die Heilmittel-Produktpalette der Dr. Wild & Co. AG akquiriert. Wie sieht der Zeitplan des damit geplanten Aufbaus eines Ärzteaussendienstes aus?
Aktuell befinden wir uns in der Aufbau- und Rekrutierungsphase für den Ärzteaussendienst. Der Start ist Anfang 2022 geplant mit dem Fokus auf Allgemeinmediziner, Pädiater und Geriater. Der Rx-Aussendienst gibt uns nicht nur die Möglichkeiten die übernommenen Wild-Produkte ViDe 3 und das Vitamin D Öl zu vermarkten, sondern auch weitere Verfora-Produkte und Dienstleistungen aktiv bei den Ärzten zu thematisieren.
Vor welchem Hintergrund ist die zuletzt erfolgte Akquisition der Lifestage Solutions AG zu sehen?
Die Akquisition der Lifestage Solutions ist eine strategische Initiative für Professionals, erweitert unser Angebot im B2B Markt und eröffnet uns Zugang zu einem interessanten Wachstumsmarkt. Lifestage Solutions entwickelt und betreibt eine voll integrierte digitale Handelsplattform für Spitex-Organisationen und Pflegeheime, die ihren Kunden die Alltagsabläufe mit Digitalisierung und modernsten Technologien vereinfacht. Das ist eine hervorragende Ergänzung zu unserem Angebot. Die Lifestage-Plattform wird künftig mit den bestehenden Produkt- und Dienstleistungsangeboten der Galenica Gruppe ausgebaut und bietet damit insbesondere Spitex-Organisationen und Heimen einen attraktiven Mehrwert. Und intern ergeben sich durch die Integration der Lifestage-Plattform grosse Synergiepotenziale, beispielsweise in der Logistik.
«Die Akquisition der Lifestage Solutions ist eine strategische Initiative für Professionals, erweitert unser Angebot im B2B Markt und eröffnet uns Zugang zu einem interessanten Wachstumsmarkt.»
Galenica hat die Prognosen für Umsatz und EBIT nochmals erhöht. Wie nachhaltig aber werden die Corona-Sondereffekte darüber hinaus sein?
Das wird sich zeigen. Wir wissen heute nicht, wie es mit der Pandemie weitergeht. Die Erhöhung der Umsatz- und EBIT-Prognose basiert auf der Annahme, dass die wiederkehrende Mobilität der Bevölkerung nicht wieder durch behördliche Anordnungen eingeschränkt wird und auch die Grippesaison in diesem Herbst und Winter auf tiefem Niveau bleibt. Mit der steigenden Impfquote wird die Nachfrage nach Test- und Impfangeboten in den Apotheken zurückgehen und so sehen wir die Umsatzsteigerung durch diese Angebote als einmalige Effekte. Die Beschleunigung und das starke Wachstum im Online-Verkauf wird jedoch bleiben und weiter zunehmen. Ebenso die Digitalisierung des Gesundheitswesens allgemein. Dort werden wir unsere Angebote und Leistungen verstärkt ausbauen.
Letzte Frage: Welche Lehren ziehen Sie nach gut eineinhalb Jahren aus der Pandemie, einerseits für Ihr Unternehmen, andererseits für sich persönlich?
Die Coronapandemie hat deutlich gezeigt, welche bedeutende Rolle Galenica mit ihren teils systemrelevanten Geschäftsaktivitäten im Schweizer Gesundheitsmarkt spielt, sei es bei der Logistik und der landesweiten Versorgung mit Medikamenten oder als erste Anlaufstelle für gesundheitliche Beratung und Betreuung.
Die vergangenen eineinhalb Jahre haben Galenica aber auch stark gefordert. Wir sind überzeugt, dass uns diese schwierige und einzigartige Situation gestärkt hat. Galenica ist gut im Markt positioniert. Wir haben Veränderungen und Chancen, die sich daraus ergeben haben, erkannt und einen klaren Weg definiert, wie wir diese anpacken und in Mehrwert für unsere Kunden und das Unternehmen umsetzen werden.
Ich persönlich sehne mich wie wohl jeder andere auch nach der Normalität. Ich bin nun seit knapp eineinhalb Jahren CEO von Galenica und habe es immer noch nicht geschafft, das Senior Management mal versammelt persönlich zu sehen. Zoom Meeting ersetzen nun einmal nicht den persönlichen Austausch, auch wenn wir uns mittlerweile gut daran gewöhnt haben. Aber auch hier sehe ich persönlich die Chancen. Die Digitalisierung und neue Arbeitsformen etablieren sich schneller als vermutet, es entstehen neue Formen der Zusammenarbeit, die sehr bereichernd und innovativ sein können. Ich denke, dass sich jedes Unternehmen dafür öffnen muss, um zukunftsfähig zu bleiben. Wir tun es jedenfalls!
Herr Werner, besten Dank für das Interview.