Marc Werner, CEO Galenica, im Interview

Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Werner, Galenica hat im Jahr 2024 einen Umsatz von CHF 3,92 Milliarden erzielt, was einem Wachstum von 4,7 % entspricht. Welche strategischen Massnahmen haben Ihrer Meinung nach am meisten zu diesem Erfolg beigetragen, und wie planen Sie, das Wachstum in den kommenden Jahren aufrechtzuerhalten?
Marc Werner: Wir sind organisch gewachsen, haben unser Apothekennetz mit attraktiven Standorten erweitert und haben Marktanteile in den wichtigsten Kernbereichen gewonnen, sowohl im B2C als auch B2B. Gleichzeitig haben wir in unsere Effizienz investiert, etwa mit der Einführung eines neuen Logistiksystems. Wir haben zudem strategische Weichen gestellt für unseren Erfolg in den kommenden Jahren, insbesondere mit der Ausrichtung unseres Home-Care-Geschäfts. Unser Ziel ist klar: Wir wollen die integrierte Gesundheitsversorgung weiter vorantreiben.
«Die Gesundheitskosten steigen, weil mehr Leistungen nachgefragt werden, nicht weil die Preise gestiegen sind. Die Medikamentenpreise sind in den letzten Jahren sogar kontinuierlich gesunken.» Marc Werner, CEO Galenica
Die Schweiz kämpft mit einem zunehmenden Medikamentenmangel, aktuell sind rund 740 Medikamente nicht verfügbar. Welche Rolle spielt Galenica bei der Bewältigung dieses Problems, und welche konkreten Massnahmen ergreifen Sie zur Sicherstellung der Versorgung?
Die Medikamente fehlen auch in unseren Lagerbeständen. Umso wichtiger ist es, dass wir bei den verfügbaren Medikamenten besonders schnell und effizient handeln. 99 Prozent davon können wir innerhalb von 24 Stunden ausliefern, bei Bedarf auch zweimal täglich. Um die Versorgung zusätzlich abzusichern, haben wir 2023 gemeinsam mit Sandoz die Safety Stock Initiative gestartet. Damit erhöhen wir gezielt die Sicherheitsbestände von generischen Medikamenten für chronisch Erkrankte. Unsere Logistik prüft täglich die Verfügbarkeit und reagiert flexibel auf Nachfragespitzen. Apotheken können zudem Engpässe überbrücken, indem sie nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt fehlende Medikamente durch alternative Medikationen ausgleichen.
Die Gesundheitskosten in der Schweiz steigen kontinuierlich, und die Krankenkassenprämien sollen 2025 um durchschnittlich 6 % steigen. Wie kann Galenica dazu beitragen, die Kosten im Gesundheitssystem zu senken, ohne die Qualität der Versorgung zu gefährden?
Die Gesundheitskosten steigen, weil mehr Leistungen nachgefragt werden, nicht weil die Preise gestiegen sind. Die Medikamentenpreise sind in den letzten Jahren sogar kontinuierlich gesunken. Wir setzen auf Gesundheitsberatungen, die meist kostengünstiger sind, als zum Arzt zu gehen und Notfallstationen und Arztpraxen entlasten. Nun hat auch das Parlament grünes Licht gegeben, dass Apotheken zukünftig Impfungen und gewisse Gesundheitsdienstleistungen über die Krankenversicherungen abrechnen können.
Im Home-Care-Bereich entlasten wir die Fachkräfte in ihren administrativen Tätigkeiten, indem wir einfache Bestellungen von Medikamenten und Verbrauchsmaterialien ermöglichen. Damit bleibt mehr Zeit für die Pflege. Und unsere Logistik sorgt dafür, dass Medikamente schnell und zuverlässig dort ankommen, wo sie gebraucht werden.
Sie sind seit fünf Jahren CEO von Galenica. Welche Ihrer Entscheidungen betrachten Sie als die wichtigsten für die Entwicklung des Unternehmens, welches sind die wichtigsten Projekte, an denen Sie aktuell arbeiten?
Es ist keine Einzelleistung, sondern Teamwork. Ich bin überzeugt von Servant Leadership. Nur wenn Mitarbeitende sich entfalten können, wenn sie gehört werden und Wertschätzung erfahren, können sie ihr Wissen voll einbringen. Und nur dann bleibt ein Unternehmen auch im Wandel erfolgreich. Ein wichtiger Schritt war die Ausrichtung unserer Gruppe als integriertes Gesundheitsnetzwerk. Wenn unsere verschiedenen Angebote ineinandergreifen, können wir unsere Kundinnen und Kunden besser bedienen und sind effizienter. Das war die Grundlage, um grosse strategische Projekte anzustossen, etwa die Modernisierung unserer Logistikinfrastruktur oder die Digitalisierung der Customer Journey.
Der Apothekenmarkt in der Schweiz steht vor einem möglichen Umbruch durch Deregulierung und Online-Wettbewerb. Wie sehen Sie die zukünftige Rolle von Apotheken in der Gesundheitsversorgung, und wie bereitet sich Galenica darauf vor?
Heute bestellt man online oder scannt im Supermarkt selbst. Die Liberalisierung des Online-Versandhandels entspricht daher einem klaren Kundenbedürfnis. Sie ermöglicht es Apotheken, sich noch stärker ihre Aufgabe als Anlaufstelle bei Gesundheitsanliegen wahrzunehmen. Wir investieren deshalb gezielt in die Beratung und das Kundenerlebnis vor Ort. Gleichzeitig haben wir unsere Onlineshops ausgebaut, etwa mit dem Rezeptmanager, mit dem Medikamente aus Dauerrezepten digital nachbestellt werden können. Trotzdem gilt: Schmerzmittel sind keine Kaugummis. Patientensicherheit hat oberste Priorität. Die korrekte Abgabe, die richtige Indikation oder das Vermeiden von Risiken oder Wechselwirkungen müssen sichergestellt sein, auch bei Online-Bestellungen.
Künstliche Intelligenz und Digitalisierung durchdringen mittlerweile alle Lebensbereiche. Wo setzen Sie konkret auf Künstliche Intelligenz, welche Einsparungen und zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten ergeben sich daraus?
Künstliche Intelligenz stärkt uns in dem, was wir tun. Wir nutzen KI schon heute zum Beispiel für Chatbots, Programmierungsaufgaben, Marktanalysen oder für optimale Lieferplanungen. Also vor allem dort, wo grosse Datenmengen analysiert werden. In Zukunft soll sie uns unterstützen, noch kundenorientierter und effizienter zu werden. Es geht also nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern KI ermöglicht uns, wertvolle Zeit zu gewinnen, die wir für unsere Kundinnen und Patienten nutzen können. Dafür haben wir ein eigenes Kompetenzteam aufgebaut.
«Wir nutzen KI schon heute zum Beispiel für Chatbots, Programmierungsaufgaben, Marktanalysen oder für optimale Lieferplanungen. Also vor allem dort, wo grosse Datenmengen analysiert werden.»
Der Bereich “Logistics & IT” wuchs 2024 um 5,3 %, während “Products & Care” um 3,9 % zulegte. Welche Geschäftsbereiche stehen in Zukunft bezüglich Wachstum im Fokus, wo werden Sie die grössten Investitionen tätigen?
Für das laufende Jahr rechnen wir mit einem Umsatzwachstum von 3 bis 5 Prozent. Wir stärken unser Apothekennetz durch gezielte Akquisitionen sowie Investitionen in ein zukunftsorientiertes Kundenerlebnis vor Ort in den Apotheken samt umfassender Beratungsangebote. Parallel bauen wir den digitalen Kanal weiter aus, um eine nahtlose Medikamentenjourney über alle Leistungserbringer hinweg zu ermöglichen.
«Für das laufende Jahr rechnen wir mit einem Umsatzwachstum von 3 bis 5 Prozent.»
Ein weiterer Wachstumstreiber ist der Bereich Home Care, angestossen durch den demografischen Wandel und den Trend zur ambulanten Versorgung. Auch in der Logistik investieren wir gezielt in digitale Infrastruktur. Damit steigern wir Effizienz und erhöhen die Verfügbarkeit von Produkten.
Die Nachfrage nach Heimversorgungsdiensten stieg 2024 deutlich an. Wie plant Galenica, diesen Trend weiter zu nutzen und auszubauen?
Wir haben in den letzten Jahren gezielt in diesen Wachstumsbereich investiert und bieten heute ein breites Angebot für Alters- und Pflegeheime sowie Spitexorganisationen an. Das geht von klinischer Ernährung von Bichsel über automatisierte Bestellprozesse mit Lifestage Solutions bis hin zur individuellen Verblisterung von Medikamenten durch Medifilm oder die Betreuung durch die Heimärzte von Emeda. Der nächste Schritt ist die stärkere Integration dieser einzelnen Angebote auf einer digitalen Plattform, damit Pflegefachpersonen administrativ entlastet werden und mehr Zeit für die Betreuung der Patientinnen und Patienten bleibt.
Galenica betont eine nachhaltige Strategie. Können Sie konkrete Beispiele nennen, wie das Unternehmen ökologische und soziale Verantwortung übernimmt?
Nachhaltigkeit denken wir im Netzwerk gemeinsam mit unseren Partnern. Wir wollen das Gesundheitswesen langfristig sicher, zugänglich und verantwortungsvoll gestalten. Im Zentrum stehen die Patientensicherheit sowie die Gesundheitsförderung entlang der gesamten Versorgungskette – von der Lagerung über die Distribution bis zur Abgabe von Medikamenten.
Ein Beispiel dafür sind unsere Clinical Decision Support Checks, die 2024 über 369 Millionen Mal von Fachpersonen genutzt wurden, um Risiken bei der Medikation zu minimieren. Oder der eMediplan sowie der Rezepte-Manager, die Patientinnen helfen, Medikamente rechtzeitig nachzubestellen und richtig dosiert einzunehmen. Darüber hinaus setzen wir auf ressourcenschonende Abläufe und transparente Lieferketten. Mit der Gründung von Health Supply zum Beispiel reduziert Galenica die Komplexität, die bislang in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Transportdienstleistern entstanden ist, und erhöht die Effizienz und Planbarkeit in der Logistik, vor allem in urbanen Regionen. Ausserdem investieren wir viel in die Aus- und Weiterbildung und wollen für unsere rund 8’000 Fachexpertinnen und Talente eine attraktive Arbeitgeberin sein.
Angesichts globaler Herausforderungen wie Inflation und Lieferkettenproblemen: Wie stellen Sie sicher, dass Galenica weiterhin wettbewerbsfähig bleibt?
Wir gestalten das Gesundheitswesen integrierter. Wir setzen Lösungen um, damit Fachpersonen im Gesundheitswesen sich auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kundinnen und Patienten konzentrieren können und nicht auf Administratives.
«Wir investieren in unser Apothekennetz, in eine noch effizientere Logistik und in digitale Lösungen.»
Dafür vernetzen wir die verschiedenen Leistungserbringer. Das gilt für Kundinnen, die in unsere Apotheken kommen genauso wie für das Pflegepersonal in Heimen oder Ärzte, die bei uns Medikamente bestellen. Wir investieren in unser Apothekennetz, in eine noch effizientere Logistik und in digitale Lösungen.
Mit Blick auf das hundertjährige Jubiläum von Galenica im Jahr 2027: Was ist Ihre langfristige Vision für das Unternehmen, und wie möchten Sie diese umsetzen?
Wir entwickeln Galenica zum führenden Netzwerk für die integrierte Gesundheitsversorgung in der Schweiz weiter – nah an den Menschen und vernetzt mit allen relevanten Akteuren im Gesundheitswesen. Dazu bauen wir unsere Angebote konsequent aus, verknüpfen Dienstleistungen entlang der gesamten Versorgungskette und investieren in digitale Lösungen, die den Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen einfacher, sicherer und effizienter machen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei: Wie sehen die aus?
Ich bin nicht der Typ fürs Wünschen, ich glaube eher ans Anpacken. Erstens sollten wir alles dafür geben, weiterhin eine hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle Menschen in der Schweiz möglich zu machen – unabhängig von Alter, Wohnort oder Einkommen. Und zweitens, müssen alle Akteure den Wandel im Gesundheitswesen gemeinsam vorantreiben – mutig, vernetzt und konsequent ausgerichtet entlang der Bedürfnisse der Kundinnen und Patienten.