Marcel Dobler, Nationalrat, Unternehmer, Bobfahrer, im Interview
Interview von Anouk Arbenz und Christoph Hilber, Unternehmerzeitung, P-Connect
Herr Dobler, Anfang September starteten Sie an den Bob-Starter Schweizermeisterschaften. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Marcel Dobler: Im Zweierbob wurden wir wie erwartet Zweite. Im Viererbob erlitt unser Pilot eine leichte Zerrung und wir mussten abbrechen.
Weshalb haben Sie einen zweiten Platz erwartet?
Es gibt in der Schweiz ein sehr grosses Leistungsgefälle im Bobsport, zudem hat man es jahrelang nicht geschafft, Nachwuchs nach zuziehen. Wirklich gute Anschieber gibt es wenige in der Schweiz.
«Als wir angefangen haben, dachten wir nie, dass das Unternehmen so gross wird. Der Name Digitec ist im Ausland geschützt, wir konnten deshalb nie ins Ausland expandieren.» Marcel Dobler, Nationalrat, Unternehmer, Bobfahrer
Haben Sie mit dem Spitzensport bereits vor ihrer unternehmerischen Karriere angefangen?
Ich war immer relativ sportlich. Habe mit Fussball angefangen, wusste aber immer, dass ich kein Profisportler werde. Von 2000 bis 2006 habe ich Digitec aufgebaut und mich stark auf das Unternehmen fokussiert. Anfangs habe ich ja sogar selber Kunden bedient. Nach fünf, sechs Jahren waren wir bereits um die hundert Leute. Ich konnte es mir dann so einrichten, dass ich am Nachmittag trainieren konnte. Später habe ich mit Zehnkampf angefangen. Bereits im ersten Jahr wurde ich Dritter an den Schweizermeisterschaften. Mit den Siegen steigt auch die Lust und so trainierte ich fleissig weiter – 2009 wurde ich Schweizermeister im Zehnkampf. Als ich 2014 meine Anteile an der Firma verkaufte, hatte ich wieder mehr Zeit und überlegte mir, welche Sportart ich in Angriff nehmen könnte. Für Golf war ich noch zu jung (lacht). Ich war immer sehr schnell, aber viel zu schwer, weshalb der Bobsport ideal passte. Ich bin jetzt 35. Man sagt, Spitzensport kann man nur zehn Jahre lang betreiben. Ich habe also noch ein oder zwei Jahre – genau bis zur Olympiade.
Viele schaffen den Schritt vom Startup zum Grossunternehmen nicht. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?
Zunächst muss man sagen: Als wir angefangen haben, dachten wir nie, dass das Unternehmen so gross wird. Der Name Digitec ist im Ausland geschützt, wir konnten deshalb nie ins Ausland expandieren. Wir haben gar nicht daran gedacht, dass es jemals so weit kommen könnte. Ausser unserem ausgeprägten Ehrgeiz, besser als die Konkurrenz zu sein, gibt es in diesem Sinne kein Erfolgsgeheimnis. Wir wurden durch ganz viele Einzelschritte so gross; wir haben ganz viele Male etwas richtig und einige Male auch was falsch gemacht. Wir drei haben uns sehr gut ergänzt und waren genug objektiv, um zu erkennen, was wir gut konnten und was nicht. Es ist schlauer, jemand anders machen zu lassen, was man selber nicht kann.
«Heute wäre ich viel schneller und würde mehr Risiko eingehen. Wir waren sehr vorsichtig.»
Oftmals verpasst man es als Jungunternehmen, auch Prozesse mitzuentwickeln. Hatten Sie da Berater oder sind Sie organisch gewachsen?
Nein, das war alles organisch. Unser Wettbewerbsvorteil war, dass wir alle sehr technikaffin waren. Im Gegensatz zur Konkurrenz haben wir unsere Business Software selber programmiert, jede einzelne Zeile Code. Dadurch waren wir in der Lage, alle Prozesse genau auf unsere Bedürfnisse zuzuschneiden und konnten eine hohe Qualität gewährleisten. Aus Fehlern lernten wir schnell und passten das System respektive den Algorithmus entsprechend an. Unser USP war die Rasterung, die es erstmalig erlaubte, aus beispielsweise 200 Notebooks genau die fünf herauszufiltern, die den Kunden interessieren. Dieser findet so genau das, was er sucht.
Und heute machen das alle so.
Genau. Wir waren jedoch die Ersten. Und wir haben nicht nur das gemacht. Wir haben heute 150 bis 200 Lieferanten elektronisch angebunden, mit Informationen zu Verfügbarkeit und Preisen. Die automatische Preisaktualisierung sagt uns, wo wir einkaufen sollen. Von den ca. 200’000 Produkten im Sortiment werden fast alle automatisch durch das System eingekauft.
Was würden Sie rückblickend anders machen?
Heute wäre ich viel schneller und würde mehr Risiko eingehen. Wir waren sehr vorsichtig.
«Ich kann mich sehr gut unterordnen, aber dann brauche ich jemanden, von dem ich etwas lerne und den ich respektiere.»
Was war die grösste Herausforderung beim Aufbau von Digitec?
Wir hatten Mühe beim Aufbau des Personals. Es gab Jahre, in denen wir um mehr als 100 Prozent gewachsen sind. Wenn man so schnell wächst, muss man auch viele Leute einstellen. Man hinkt damit immer hinter her. Heute ist das etwas anders mit der Personalplanung. Wir hatten auch Probleme damit, die richtigen Leute zu finden. Es gibt zum Beispiel wenige gute Programmierer auf dem Stellenmarkt.
Könnten Sie sich vorstellen, in einem Grossbetrieb zu arbeiten?
Ich kann mich sehr gut unterordnen, aber dann brauche ich jemanden, von dem ich etwas lerne und den ich respektiere. Wenn ich mich fragen muss, was ich eigentlich genau dort zu suchen habe, ist das nicht das richtige Unternehmen für mich. Natürlich darf es Reibungen geben. Ich denke, es war auch das Erfolgsgeheimnis von Digitec, dass wir drei so unterschiedlich und selten gleicher Meinung waren. Ich habe über zehn Jahre mit diesen beiden Jungs gearbeitet, da ist klar, dass es mal Differenzen gibt. Ich habe mehr Zeit mit ihnen verbracht als mit meiner Frau (lacht)!
Wie gingen Sie damals mit Konflikten um?
Man versucht, den anderen zu überzeugen. Manchmal ist man halt der Unterlegene. Das ist wie in der Politik. Hätte man nie Recht, müsste man sich überlegen, ob man am richtigen Ort ist.
Digitec hat es geschafft, viele andere Startups scheitern aber. Wie beurteilen Sie die Rahmenbedingungen für Jungunternehmen und KMU in der Schweiz?
Wenn man die Rahmenbedingungen der FintechSzene hier mit denen in England vergleicht, ist das wie Tag und Nacht. Um eine Banklizenz zu erhalten, braucht man in der Schweiz mindestens 20 Millionen Franken. In England ist man bei einer Million mit dabei. Oder die Arbeitsbewilligungen: Neulich kam ein extrem innovatives ETH SpinOff auf mich zu, das Schwierigkeiten bekommt, weil ihr amerikanischer Kollege in der Schweiz keine Bewilligung erhält. So kommt man einfach nicht weiter.
Was müsste man konkret tun, um Startups und Gründertum in der Schweiz zu fördern?
Ich könnte mir einen liberaleren Ansatz der Idee des Zukunftsfonds Schweiz vorstellen; dass ich als Marcel Dobler auf dem Pensionskassenausweis sagen könnte: Ich will, dass 0.5 Prozent meiner Altersvorsorge in nachhaltige Projekte oder in Schweizer Startups investiert werden. Das macht natürlich erst Sinn, wenn ein gewisses Volumen zusammen kommt, aber es könnte viel verändern und ist weit nachhaltiger, als Schulden von anderen Ländern zu kaufen.
Könnten Sie sich vorstellen, selbst wieder etwas Neues aufzubauen?
Ich habe viele Ideen. Zwei Wochen, nachdem ich bei Digitec aufgehört habe, kam bereits jemand mit einer super Idee auf mich zu. Dann habe ich aber schweren Herzens abgelehnt. Ich sagte mir: «Ich kann nicht nach 15 Jahren bei Digitec nach zwei Wochen schon wieder anfangen. Jetzt muss ich erst einmal Pause machen.» Zudem hatte ich durch den Aktionärbindungsvertrag ein zweijähriges Konkurrenzverbot. Ich entschied mich, etwas komplett anderes zu machen und in die Politik zu gehen.
«Das Entscheidende aber sind die Menschen. Du musst dich selber richtig einschätzen können: Wo bin ich stark, wo bin ich schwach? Was kann ich, wo brauche ich Hilfe?»
Sie haben Ihr Studium in Wirtschaftsinformatik nach Ihrer Zeit bei Digitec nachgeholt. Wie war das, in einem Hörsaal zu sitzen, in dem jeder weiss, dass man bereits ein Millionen Unternehmen aufgebaut hat?
Die Leute wussten das gar nicht. Dadurch, dass ich nur einzelne Fächer nachholen musste, war ich gar nicht in einer festen Klasse. Ich habe mich dann eher zurückgehalten, als dass ich verraten hätte, dass ich bereits ein Unternehmen erfolgreich gegründet und geführt habe.
Was hätten Sie Ihren Mitstudenten damals geraten?
Das hängt ein bisschen mit der Frage zusammen: Warum gibt es Unternehmen, die Erfolg haben, und andere, die scheitern? Auf der einen Seite ist es schlichtweg Glück: Timing und Businessmodell müssen stimmen. Das Entscheidende aber sind die Menschen. Du musst dich selber richtig einschätzen können: Wo bin ich stark, wo bin ich schwach? Was kann ich, wo brauche ich Hilfe? Wenn jemand das Gefühl hat, er kann alles, ist das eine riesige Gefahr für das Unternehmen. Was ich extrem wertvoll fände für die Schweiz, ist eine gute Fehlerkultur. Wenn man mit zehn Leuten am Tisch sitzt und die Hälfte hat Angst, etwas zu sagen, weil es falsch sein könnte, ist das Gift für die Zukunft des Unternehmens. Hierarchische Strukturen verstärken dies.
Muss man zum Unternehmer geboren sein?
Ich denke schon. Es gibt viele, die schreiben Berichte und analysieren Alles, aber sie sind nicht imstande, dann etwas damit anzufangen, zu entscheiden, wie es jetzt weitergeht. Aus den Fakten, die man hat, muss man auch Handlungen ableiten. Auch Verhandeln ist nicht Jedermanns Sache. Man muss den Mut haben, etwas auszuprobieren und ein gutes Gespür für den Markt haben. Ein Unternehmer muss sehr viel können, muss sozusagen ein Allrounder sein.
Auf Ihrer Webseite sind wir auf folgendes Zitat gestossen: «Unser Land wird von Personen dominiert, denen wirtschaftliche Prozesse fremd sind.» Müsste man mehr unternehmerisch denkende Leute ins Parlament holen, und kann man das überhaupt?
Ich als Unternehmer, der sich seiner Firma gegenüber verpflichtet fühlte und sich mit ihr identifizierte, wäre nie auf die Idee gekommen, gleichzeitig in die Politik zu gehen. Das wurde erst möglich, als ich mich komplett gelöst hatte.
Das heisst aber, dass nur eine kleine Gruppe von Unternehmern es sich leisten kann, in die Politik zu gehen.
Die Gruppe wird sogar noch kleiner, wenn man diese nach geeigneten Kandidaten durchsiebt, die auch den richtigen Charakter dafür haben. Die meisten Unternehmer wollen etwas bewegen. Das langsame politische System ist mit dieser Charaktereigenschaft eines Unternehmers nicht gerade kompatibel. Die meisten, die in der Politik sind, tun dies aus zwei Gründen: Aus Machtanspruch oder aus Idealismus.
Was ist Ihr Fazit nach drei Sessionen und 250 Tagen im Amt?
Innensicht und Aussensicht sind komplett verschieden. Was die Medien berichten in Bezug auf das Parlament hat zum Teil über haupt keine Relevanz für die Politik. Der «Skandal» neulich um Roger Köppel und Simonetta Sommaruga ist ein gutes Beispiel dafür. Jeder Parlamentarier definiert seine Rolle selbst. Du kannst in den Kommissionen sein und wirklich etwas bewirken oder ein Provokateur sein oder ein Hinterbänkler, der gar nichts macht. Nur weil einer viel in den Medien ist und ein Provokateur ist, heisst das noch lange nicht, dass der irgendwas zu sagen hat oder irgendetwas macht. Ich persönlich habe vor allem vom FC-Nationalrat profitieren können. Es gibt unendlich viele parlamentarische Anlässe, die ich Inzucht-Veranstaltungen nenne, weil sich dort immer die gleichen Leute treffen. Man kann dort gar nicht parteiübergreifend Kontakt knüpfen. Die besseren Anlässe sind jene wie der FCNationalrat oder der Tabak Club, da ist von links bis rechts alles dabei. Dort kann man auch unkompliziert auf einander zugehen und fragen, ob sie dir ihren Standpunkt bei einem umstrittenen Thema noch einmal erklären könnten. Man trägt auf eine Art unterschiedliche Hüte: Humorvoll und respektvoll auf dem Rasen, aber ernst und stur vor dem Rednerpult.
«Nur weil einer viel in den Medien ist und ein Provokateur ist, heisst das noch lange nicht, dass der irgendwas zu sagen hat oder irgendetwas macht.»
Worüber können Sie sich aufregen?
Über die Bauernlobby. Bauern machen lediglich 0.7 Prozent des BIP aus, gewinnen aber jede Abstimmung. Überall muss man nun sparen: In der Bildung, bei der Sicherheit etc. Alle müssen sparen, nur die Bauern nicht. Der Witz ist: Zwei bis drei Prozent der Bauernbetriebe schliessen pro Jahr. Und doch geben wir immer gleich viel Geld aus, dabei müsste man diese zwei bis drei Prozent sparen können. Die Bauern würden immer noch gleich viel Geld erhalten. Das war der Vorschlag von Ueli Maurer, der mit 14 zu 10 Stimmen abgelehnt wurde.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie verändern/abschaffen/einführen?
Mein Wunsch wäre, dass bei Abstimmungen, bei denen es um die Zukunft geht – beispielsweise das Thema AHV – die ganze Bevölkerung abstimmen müsste.
Wie geht es nun weiter?
Ich habe viele Anfragen, aber ich möchte nur etwas machen, das mich auch wirklich leidenschaftlich packt. Ich kenne Leute, die haben bis zu zehn Firmenbeteiligungen, sind aber nirgends so richtig dabei. Das könnte ich nicht, ich will aktiv mitgestalten und bestimmen. Ich finde das nicht so befriedigend, nur von Aussen zuzusehen. Was ich mache, mache ich richtig.
Der Gesprächspartner:
Marcel Dobler ist FDP-Nationalrat und Gründungsmitglied der heutigen Digitec Galaxus AG. Nach seiner Lehre in Elektronik und der Berufsmatur begann Dobler sein Studium in Wirtschaftsinformatik an der Hochschule für Technik Rapperswil. Noch während des Studiums gründete er 2001 zusammen mit Oliver Nägeli und Florian Teuteberg das Unternehmen Digitec. Dieses führte Dobler 13 Jahre lang und entwickelte es zum führenden Schweizer Onlineshop mit einem Jahresumsatz von über 500 Millionen Franken.
2006 begann seine sportliche Karriere: 2009 gewann Dobler den Schweizermeistertitel im Zehnkampf, 2012 war er Schweizermeister im Mannschaftsmehrkampf. Zwei Jahre nach Übernahme von Digitec durch die Migros beendete Marcel Dobler seine Tätigkeit als CEO, verliess das Unternehmen und konzentrierte sich von da an auf seine politische Karriere.
Bei den Schweizer Parlamentswahlen von 2015 wurde er in den Nationalrat (FDP) gewählt. Seit 2014 trainiert Dobler als Bobanschieber: Sein Team erreichte an den Europameisterschaften den 16. Platz, an den Weltmeisterschaften den 23. Dieses Jahr gewann er an den Schweizermeisterschaften in St.Moritz die Silbermedialle im Zweierbob und die Goldmedaille im Viererbob. Marcel Dobler und sein Team werden 2018 an den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang in Südkorea teilnehmen.