Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Huwiler, Sie haben im Januar die Geschäftsleitung von Accenture Schweiz übernommen. Wie hat die gleichzeitig einsetzende Coronakrise Ihre Strategie beeinflusst, wie hat sich das Jahr bis anhin entwickelt für Accenture?
Marco Huwiler: Das war natürlich ein etwas «anderer» Start in meine neue Rolle, als ich es mir vorgestellt habe. Mein erster Gedanke in der Coronakrise war allerdings nicht, wie wir unsere Strategie retten, sondern was wir tun können, um unsere Mitarbeitenden so gut wie möglich zu schützen. Uns ist es gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz ins Home Office zu bringen und nahezu ohne Unterbrechungen virtuell weiter miteinander und unseren Klienten zu arbeiten. Das ist eine tolle Leistung – und zwar von unseren Mitarbeitenden!
«Mein erster Gedanke in der Coronakrise war nicht, wie wir unsere Strategie retten, sondern was wir tun können, um unsere Mitarbeitenden so gut wie möglich zu schützen.»
Anfangs waren wir, wie fast alle Unternehmen, sehr vorsichtig. Niemand wusste, wie lange der Lockdown anhalten und wie schnell sich die Pandemie ausbreiten würde. Keiner von uns hatte sowas je erlebt und anfangs standen ja auch die düstersten Szenarien im Raum. Wir mussten auf alles vorbereitet sein. Hatten wir einen fixen Plan? Nein; aber wir haben uns auf unsere Stärken besinnt und das getan, was wir am besten können: Unternehmen bei der Digitalisierung helfen.
Normalerweise leiden Dienstleister in Krisen immer am stärksten, aber diesmal war es anders. Wir haben schnell gemerkt, dass unsere Klienten – im Gegensatz zur Finanzkrise –nicht pauschal alle Investitionen zurückfahren. Das Gegenteil war der Fall; für ihre digitale Transformation geben sie nun sogar mehr Geld aus als zuvor. Der CEO von Microsoft, Satya Nadella, hat es ganz gut auf den Punkt gebracht. Er sagte: «Wir haben in nur zwei Monaten den Digitalisierungsschub von zwei Jahren erlebt.» Wir wissen allerdings nicht, wie stark die zweite Welle der Pandemie das Geschäft unserer Klienten und damit auch unser Geschäft belasten wird.
Die wirtschaftlichen Folgen der Epidemie zeigten sich in einer unerwartet grossen Anzahl von Gesuchen für Kurzarbeit, einem der grössten Unterstützungsprogramme in der Schweiz und Europa und einer steigenden Anzahl von Arbeitslosen. Wie schätzen Sie die Aussichten für die kommenden zwei Jahre, wer sind die Verlierer und Gewinner dieser Krise?
Ich glaube nicht, dass wir so pauschal Gewinner und Verlierer benennen können. Klar, eine Fluggesellschaft wie die Swiss hatte einen starken Umsatzrückgang während ein Online-Händler wie Brack sich vor Aufträgen kaum noch retten konnte. Das sind aber nur die extremen Beispiele; dazwischen gibt es viele Nuancen.
Eines ist fast allen Unternehmen gemein: Die Schweiz hat von allen drei deutschsprachigen Ländern die höchste Exportabhängigkeit. Wenn die globale Nachfrage zurückgeht oder die Lieferketten unterbrochen sind, trifft das unsere Wirtschaft härter als anderswo. Folglich war der Einbruch im Frühjahr heftig; das Konjunkturbarometer zog aber schnell wieder an und erreichte im September ein neues Allzeithoch. Die Frage ist nun: Wieviel bleibt von diesem Optimismus noch im Winter?
«Wenn die Geschäfte landesweit erneut schliessen müssten, ginge auch die derzeit so wichtige Binnennachfrage zurück, weil die Menschen nicht mehr konsumieren können.»
Die Infektionszahlen steigen derzeit stark an; in einigen Kantonen haben wir bereits einen Lockdown. Wenn die Geschäfte nun landesweit erneut schliessen müssten, ginge auch die derzeit so wichtige Binnennachfrage zurück, weil die Menschen nicht mehr konsumieren können. Die Politik sollte in den nächsten Wochen und Monaten bemüht bleiben, einen guten Mittelweg zu finden.
Wie sind die Aussichten für KMUs und Startups?
Die Schweizer KMUs sind sehr innovativ und anpassungsfähig. Sie können die Richtung deutlich schneller wechseln als die grossen Konzerne und haben aus der ersten Welle vielfach die richtigen Lehren gezogen. Dazu gehört zum Beispiel, die Risiken in den weit verzweigten globalen Lieferketten zu minimieren oder in E-Commerce zu investieren. Bei den Startups erwarte ich, dass gerade Bereiche wie Cleantech, also umweltfreundliche Lösungen für Industrie und Verbraucher, oder Biotech jetzt profitieren.
Die Schweiz ist bis anhin vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Wo steht die Schweiz innerhalb von Accenture im internationalen Vergleich, in welchen Kompetenzbereichen spielt die Schweiz auch international eine führende Rolle?
Bisher haben wir als Unternehmen die Krise gut gemeistert, global ist Accenture im vergangenen Fiskaljahr, das im August endete, sogar um drei Prozent gewachsen. Vieles hängt aber vom weiteren Verlauf der Pandemie global und in der Schweiz ab; und diesen kann niemand vorhersagen.
Für uns ist klar: Wir wollen trotz aller Herausforderungen im Schweizer Markt wachsen. Der Digitalisierungsschub durch Covid-19 wird uns bei diesem Vorhaben hoffentlich weiteren Aufwind verschaffen. Wir sehen zum Beispiel eine starke Nachfrage nach Cloud-Lösungen bei den Unternehmen. Viele wollen aber nicht einfach nur ihre Prozesse und Anwendungen in eine moderne technische Infrastruktur übertragen, um etwa Wartungs- und Servicekosten für die eigenen Server zu sparen. Sie verfolgen ganz andere Ziele.
«Der Umstieg auf die Cloud ist ein komplexes Vorhaben, bei dem die technische Umsetzung eng mit den Besonderheiten der jeweiligen Branchen verknüpft werden muss.»
Es geht heute viel stärker um den konkreten Nutzen für das Unternehmen, der sich aus der Cloud ergibt: Wie kann ich mein Geschäft agiler gestalten, um schneller auf Veränderungen zu reagieren? Wie kann ich dadurch unabhängiger von Krisen werden? Wie verkürze ich mit Hilfe der Cloud die Zeit, die es braucht, um neue Geschäftsmodelle zu echten Umsatztreibern zu skalieren? Hier kommt Accenture ins Spiel, weil wir nicht nur die Technologie sehr gut kennen und mit allen grossen Cloud-Anbietern zusammenarbeiten, sondern auch ein umfangreiches Know-How in den jeweiligen Industrien unserer Klienten haben. Der Umstieg auf die Cloud ist ein komplexes Vorhaben, bei dem die technische Umsetzung eng mit den Besonderheiten der jeweiligen Branchen verknüpft werden muss.
Während sich die Börsen erstaunlich schnell wieder erholen, ortet eine aktuelle Studie von Accenture bei den europäischen Banken ein Kreditausfall-Risiko in der Höhe von 415 Milliarden Euro. Welche Folgen wird das für die Finanzindustrie haben, was bedeutet das für die ebenfalls zunehmende Verschuldung von Privathaushalten und Unternehmen?
Unsere Banken spielen eine entscheidende Rolle dabei, die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Pandemie abzufedern und für eine schnelle Erholung der Privathaushalte und kleinen Unternehmen zu sorgen. Die Geschwindigkeit, wie die Hilfskredite in der Schweiz in den Markt gebracht wurden, war vorbildlich. Wenn nun die staatlichen Hilfsprogramme auslaufen, müssen die Institute einspringen und vermehrt «normale» Kredite vergeben. Das ist zum einen wegen der unsicheren Zukunftsaussichten der Kreditnehmer riskant, zum anderen erfordert es mehr Eigenkapital zum Schutz vor Kreditausfällen.
Wie gehen die Banken mit diesem Dilemma am besten um?
Die Finanzindustrie muss jetzt die Flucht nach vorne antreten und in neue digitale Lösungen für ihre Kunden investieren. So können die Banken das Geld erwirtschaften, dass sie benötigen, um den höheren Eigenkapitalbedarf zu decken. Uns sollte jedoch allen bewusst sein, dass die zweite Welle für viele Unternehmen zum Überlebenskampf führen wird, wenn sie zur Überbrückung nicht weitere Kredite oder finanzielle Hilfen erhalten. Ihr eigenes Polster ist nämlich in der ersten Welle oft schon zusammengeschmolzen. Wichtig ist, dass wir hier gezielt vorgehen und nicht nach dem Giesskannenprinzip jedem ein bisschen was abgeben. Damit wäre letztlich niemandem geholfen.
«Uns sollte jedoch allen bewusst sein, dass die zweite Welle für viele Unternehmen zum Überlebenskampf führen wird, wenn sie zur Überbrückung nicht weitere Kredite oder finanzielle Hilfen erhalten.»
Die Schweiz ist in Ratings zum Thema Innovation immer in den vordersten Rängen. Die Coronakrise hat bei der Verwaltung und der öffentlichen Hand jedoch aufgezeigt, dass hier der Digitalisierungsgrad teilweise erschreckend tief ist. Wie kann sichergestellt werden, dass Innovation und Digitalisierung auch in der Verwaltung ankommen?
Der Veränderungsbedarf kommt aus meiner Sicht an, wobei das in einem föderalistischen System nicht immer einfach ist. Der Bundesrat hat mit der Verabschiedung der E-Government Strategie 2020-2023 ein klares Signal ausgesandt, dass der Bund, die Kantone und die Gemeinden enger zusammenarbeiten werden. Das Ziel der Behörden für die Interaktion mit dem Bürger lautet: Digital First. Durch die Pandemie steigt natürlich der Handlungsdruck, denn die Menschen vermeiden persönliche Besuche bei Behörden soweit es geht und fordern die digitale Verwaltung. Das wird sich nach der Coronakrise nicht ändern.
Was können Staat und Behörden noch tun, um die Schweiz ins digitale Zeitalter zu bringen?
Wenn wir über Verwaltungsdigitalisierung reden, sollten wir nicht nur elektronische Dienstleistungen für den Einzelnen im Blick haben. Der Staat hat einen unheimlich grossen Datenschatz – von geologischen Untersuchungen bis hin zu Statistiken über Fahrzeugzulassungen oder die Zahl der Hundehalter in einer Gemeinde – die er über einen Open-Data-Ansatz zugänglich machen sollte. Das Bundesamt für Statistik hat erst kürzlich angekündigt, sämtliche Geodaten aus seiner Datenbank unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Dazu gehören zum Beispiel die Daten aus Volkszählungen oder Informationen zur Bodennutzung. Ein richtiger Schritt, wie ich meine. Open Data ist nämlich ein «Spielplatz» für kreative Entwickler, die rund um diese Daten der öffentlichen Hand ganz neue Anwendungen bauen. Persönliche Informationen müssen dabei natürlich ausgeklammert bleiben.
«Der Staat hat einen unheimlich grossen Datenschatz – von geologischen Untersuchungen bis hin zu Statistiken über Fahrzeugzulassungen oder die Zahl der Hundehalter in einer Gemeinde – die er über einen Open-Data-Ansatz zugänglich machen sollte.»
Im Rahmen eines Wettbewerbs von digitalswitzerland konnte aufgezeigt werden, dass theoretisch eine Firmengründung innerhalb von Stunden vollzogen werden könnte. Realität ist in der Schweiz aber immer noch, dass es gemäss einer Weltbankstudie 10 Tage dauert und eine Firmenschliessung sich über mindestens ein Jahr hinzieht. Wo stehen wir hier im internationalen Wettbewerb und was sind die Auswirkungen der langwierigen Prozesse?
Die Schweiz liegt in den Rankings «Ease of Doing Business» und «Ease of Starting Business» auf den hinteren Plätzen 33 respektive 77. Diesbezüglich ist der Handlungsbedarf natürlich enorm. Die Prozesse für Firmengründer müssen dringend vereinfacht werden. Nur so kann der Innovationsstandort Schweiz langfristig mit anderen Ländern schritthalten. Gerade für ein Land, dessen wirtschaftlicher Erfolg auch auf innovativen KMUs und einer aktiven Gründerszene basiert, ist ein geringer Verwaltungsaufwand für Unternehmen ein wichtiger Standortfaktor. Initiativen, wie der Wettbewerb von digitalswitzerland, sensibilisieren die Entscheidungsträger und sollen dazu beitragen, dass die Schweiz sich «prozessoptimiert».
«Die Prozesse für Firmengründer müssen dringend vereinfacht werden. Nur so kann der Innovationsstandort Schweiz langfristig mit anderen Ländern schritthalten.»
Europa ist ausser mit SAP bei den führenden Technologie- und Internetunternehmen nicht präsent. Europäische Unternehmen investieren auch bedeutend weniger in neue Technologien als amerikanische Firmen. Wie wirkt sich das aus, wo sehen Sie Möglichkeiten, dass sich dies ändern könnte?
Das ist die gängige Sichtweise, dass wir in Europa die digitalen Technologien verschlafen haben und nun von chinesischen und amerikanischen Tech-Firmen überholt werden. Auf den ersten Blick stimmt das, aber auf den zweiten Blick sind heute auch viele andere Unternehmen, wie zum Beispiel ABB oder Volkswagen, digitale Champions.
«Ich denke, dass die europäische Stärke darin liegt, an der Schnittstelle von neuer Technologie und traditioneller Industrie global eine führende Rolle einzunehmen.»
Software, digitale Prozesse und Plattformen werden in der Industrie nämlich immer wichtiger. Ich denke, dass die europäische Stärke darin liegt, an der Schnittstelle von neuer Technologie und traditioneller Industrie global eine führende Rolle einzunehmen. Von den Schweizer Unternehmen wünsche ich mir mehr Mut: Die digitale Transformation besteht nicht darin, die heutigen analogen Prozesse einfach eins zu eins zu digitalisieren. Es geht vor allem darum, sich stetig neu zu erfinden und ganz neue Wege zu gehen. Dazu gehört auch, nicht nur auf das eigene Unternehmen zu schauen, sondern zu überlegen, welchen Mehrwert offene Branchen-Plattformen bieten können. Diese digitalen Marktplätze funktionieren nämlich nur, wenn sie für alle Wettbewerber offen sind.
Die Coronakrise hat in verschiedenen Bereichen die Digitalisierung beschleunigt (Konferenzen, Sitzungen, Ausbildung). In welchen anderen Bereichen konnte die Innovation beschleunigt werden, wo sehen Sie Chancen, die sich in der Krise ergeben?
Jedes Unternehmen sollte mittlerweile erkannt haben, dass Digitalisierung nicht bedeutet, einfach eine neue Geschäftseinheit zu gründen, ein digitales Pilotprojekt nach dem anderen zu starten oder einen Online-Shop zu eröffnen. Das ist alles wichtig, aber wo ist die Innovation, wenn ein Pharmaunternehmen den Beipackzettel auf Papier durch einen digitalen ersetzt, der sich durch einen QR-Code auf der Verpackung abrufen lässt? Viel spannender ist doch die Frage, wie ich mit einem intelligenten digitalen Gesundheitsassistenten den Patienten im Alltag unterstütze, gesund zu leben und damit weniger Medikamente einzunehmen.
Die Bereitschaft, einerseits Technologie überhaupt zu nutzen und andererseits für innovative digitale Lösungen zu bezahlen, ist gerade in der aktuellen Situation bei vielen Menschen gestiegen. Wichtig ist: Der persönliche Mehrwert muss klar erkennbar sein – nur dann sind die Nutzer bereit, ihre Daten zu teilen. In einer weltweiten Umfrage zur Nutzung von Finanzprodukten haben wir letztes Jahr zum Beispiel herausgefunden, dass nahezu sechs von zehn Verbrauchern bereit sind, ihre persönlichen Daten mit der Bank oder der Versicherung zu teilen. Einzige Bedingung: Sie erwarten im Gegenzug bessere Konditionen beim Versicherungstarif oder der Kontoführung.
«Bei den stark ansteigenden Infektionszahlen ist effektives Contact Tracing ohne technische Hilfsmittel wie der App kaum noch machbar.»
Bei digitalen Gesundheitsanwendungen scheint mir die Skepsis noch gross zu sein, das haben wir bei der SwissCovid-App gesehen. Um noch mehr Menschen zu überzeugen, die App zu nutzen, müssen der Mehrwert im Kampf gegen Covid-19 und die Unbedenklichkeit bezüglich des Datenschutzes vielleicht noch aktiver kommuniziert werden.
Die grössten Tech-Unternehmen wie Google, Apple, Microsoft, Amazon oder Alibaba haben in der Krise ihre Marktposition und Gewinne sogar noch ausgebaut. Das stösst sogar in den wirtschaftsliberalen USA auf immer mehr Widerstand. Wie beurteilen Sie den Einfluss auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, wenn einige wenige Unternehmen die Weltwirtschaft in so zahlreichen Bereichen dominieren, welche Zukunftsaussichten bieten sich da KMU-geprägten Ländern wie der Schweiz?
Der Erfolg der grossen Tech-Unternehmen kommt ja nicht von ungefähr. Sie bieten ziemlich gute digitale Lösungen an und haben die Bedeutung von «User Experience» früh verstanden. Das ist in meinen Augen kein Grund zur Kritik. Wichtig ist, dass marktbeherrschende Situationen vermieden werden; der Kunde muss immer Wahlmöglichkeiten haben.
Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass Technologie ein sehr schnelllebiger Bereich ist, in dem Innovationsvorsprünge immer nur von kurzer Dauer sind. Nehmen Sie nur die neuen Player aus China, die gerade den Markt für Mobile Payment aber auch E-Commerce aufmischen, als Beispiel. Man sollte weiterhin nicht vergessen, dass die Tech-Firmen oft mehr als Partner denn als Gegner der «übrigen» Unternehmen auftreten. Sie stellen zum Beispiel die technische Infrastruktur zur Verfügung, die Innovationen wie das autonome Fahren oder die vernetzte Fabrik erst möglich machen.
«Wir sollten jedoch nicht vergessen, dass Technologie ein sehr schnelllebiger Bereich ist, in dem Innovationsvorsprünge immer nur von kurzer Dauer sind.»
Im klassischen Konsumentengeschäft sieht das sicherlich etwas anders aus, denn hier gilt: Wer die Schnittstelle zum Kunden besetzt, macht nicht nur das Geschäft, sondern hat auch Zugriff auf die Nutzerdaten. Da sind Unternehmen wie Google oder Amazon ganz klar im Vorteil, wenn es darum geht, personalisierte Angebote und eine herausragende Nutzererfahrung zu schaffen.
Bei den KMU sehe ich genau hier die Chance: Wer «Innovationsbausteine» nutzt, die von den grossen Tech-Playern in der Cloud angeboten werden, kann mit überschaubarem Aufwand und in kurzer Zeit innovative Lösungen für ein bestimmtes Segment entwickeln. Unsere KMUs waren immer ein Treiber der Innovation und behalten mit Hilfe solcher fertigen Lösungen den Anschluss. Hinzu kommt, dass es gerade in einem Hochpreisland wie der Schweiz wichtig ist, nicht jeden Teil der Wertschöpfung selbst entwickeln zu müssen.
Durch das Coronavirus wurden Energie- und Umweltfragen kurzfristig etwas aus dem medialen Fokus verdrängt. Welche Entwicklungen werden hier die kommenden Jahre prägen, welchen Beitrag kann Accenture leisten, um die dringendsten Probleme zu lösen?
Die Corona-Pandemie zeigt, dass wir in der Lage sind, international zu kooperieren und gemeinsam grösstmögliche Innovation in kürzester Zeit – wie etwa die Entwicklung eines Impfstoffs – zu erreichen.
Jetzt geht es darum, mit ähnlich starkem Willen auch die anderen grossen Probleme zu lösen, nämlich den Klimawandel und die zunehmende soziale Ungerechtigkeit. Viele Menschen haben durch die Coronakrise ihren Lebensstil hinterfragt und wollen zukünftig nachhaltiger konsumieren. Der erzwungene Verzicht auf Fernreisen hat vielen zum Beispiel die Augen geöffnet, dass die Wandertour in den Bergen auch voller Erlebnisse sein kann.
«Die Corona-Pandemie zeigt, dass wir in der Lage sind, international zu kooperieren und gemeinsam grösstmögliche Innovation in kürzester Zeit – wie etwa die Entwicklung eines Impfstoffs – zu erreichen.»
Die Unternehmen reagieren mit umweltfreundlichen Lösungen auf diese Veränderungen im Bewusstsein der Konsumenten. Dabei unterstützen wir unsere Kunden, indem wir ihnen zum Beispiel beim Einstieg in die Kreislaufwirtschaft helfen. Das ist in der Praxis weitaus komplexer, als einfach nur Einweg- durch Recycling- oder nachwachsende Materialien zu ersetzen. Meist sind dafür ganz andere Lieferketten und Verarbeitungsprozesse nötig. Bei der Bewältigung dieser logistischen Herausforderung geht es nicht ohne digitale Technologien.
Wir arbeiten aber auch mit dem Zürcher Cleantech-Startup Climeworks zusammen, das eine Technologie entwickelt hat, um CO₂ aus der Luft zu filtern. Das eingefangene Klimagas wird dann in der Erde gespeichert oder aber in der Lebensmittelindustrie und in Gewächshäusern weiterverarbeitet. Unseren Kunden aus dem Bankbereich helfen wir zum Beispiel dabei, nachhaltige Finanzprodukte nach den sogenannten ESG-Kriterien zu entwickeln. Es ist nämlich gar nicht so einfach, den ökologischen oder sozialen Fussabdruck eines Investments zu messen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Mein erster Wunsch: Dass wir alle gesund bleiben und die zweite Welle möglichst rasch bewältigen, ohne die gesamte Wirtschaft erneut herunterzufahren. Mein anderer Wunsch ist, dass wir gerade durch die eingeschränkten sozialen Kontakte den Wert von zwischenmenschlichen Beziehungen wieder stärker zu schätzen lernen.