Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Maccarelli, Sie sind seit Juni 2024 CEO der Holcim Schweiz. Welches sind die wichtigsten Änderungen, die Sie vornehmen möchten, welche Strategie verfolgen Sie mit der Holcim Schweiz?
Marco Maccarelli: Im Rahmen unserer Dekarbonisierungsstrategie überarbeiten wir unser gesamtes Zementproduktportfolio. Aufbauend auf dem Susteno-Konzept, also der Herstellung von zirkulärem, nachhaltigem Zement, verfolgen wir das Ziel, unser Produktportfolio bis 2030 stark zu dekarbonisieren und Kreisläufe weiter zu schliessen. Ich freue mich sehr, dass wir im November unseren Susteno 4S lancieren, der einen noch besseren CO2-Fussabdruck aufweist als sein Vorgänger Susteno und gegenüber einem Schweizer Massenzement 25 % CO2 einspart.
«Was die Entwicklung des Marktes anbelangt, sehe ich für das kommende Jahr eine leichte Erholung im Hochbau. Hinzu kommen grössere Infrastrukturprojekte wie die zweite Gotthardröhre oder die Axenstrasse, für die Holcim Baustoffe produziert und liefert.» Marco Maccarelli, CEO Holcim Schweiz
Das Halbjahresresultat der Holcim Gruppe zeigte ein leicht abgeschwächtes Wachstum, dafür eine rekordhohe Profitabilität. Wo steht die Schweiz im internationalen Vergleich, welche speziellen Merkmale zeichnen den Heimmarkt aus?
Unser Anspruch ist es, im Heimmarkt im Bereich «Sustainability» eine federführende Rolle innerhalb der Holcim Gruppe einzunehmen. Im Speziellen trifft dies vor allem auch für «Circularity» zu – ein Beispiel ist die Einführung unseres Susteno-Zements. Glücklicherweise haben wir in der Schweiz normative und rechtliche Rahmenbedingungen, die Innovationen und die Entwicklung von Business Cases fördern. Wir sagen immer: Die Schweiz ist für Holcim ein Pioniermarkt. Was die Entwicklung des Marktes anbelangt, sehe ich für das kommende Jahr eine leichte Erholung im Hochbau. Hinzu kommen grössere Infrastrukturprojekte wie die zweite Gotthardröhre oder die Axenstrasse, für die Holcim Baustoffe produziert und liefert.
Noch gilt die Zementindustrie als einer der grossen Verursacher von CO2 mit einem weltweiten Anteil von ca. 8 Prozent (Anteil in der Schweiz ca. 5 Prozent). Entscheidend für den grossen Ausstoss ist der Klinker, der beim Brennen von Kalkstein bei 1450 Grad entsteht. Pro Kilo Klinker wird etwa ein halbes Kilo CO2 aus dem Kalkstein freigesetzt. Welche Möglichkeiten gibt es, den Klinker zu reduzieren oder zu ersetzen, welchen technischen Entwicklungen räumen Sie die grössten Erfolgschancen ein?
Ein grosses Potenzial zur CO2-Reduktion sehen wir bei der Produktion von Zementen mit tieferem Klinkerfaktor. Unser Ziel bis 2030 besteht darin, den Anteil an Zementen mit tieferem Klinkerfaktor kontinuierlich zu erhöhen. Gleichzeitig erhöhen wir den Anteil an alternativen Brennstoffen und entwickeln kontinuierlich klimafreundliche Produkte und Lösungen. Und auch die Wiederverwertung von Bauabbruchmaterialien spielt eine grosse Rolle – und da ist die Schweiz weltweit einer der Leader.
Mit dem Startup Oxara und dem Baustoffunternehmen KIBAG sind Sie eine Partnerschaft eingegangen, um kohlenstoffarme und zementfreie, kreislauffähige Baustoffe zu entwickeln und vertreiben. Wie genau ist die Rollenverteilung, welche konkreten Ziele haben Sie sich in dieser Partnerschaft gesetzt?
Nachdem Oxara, KIBAG und Holcim die Oulesse®-Technologie validiert und das Marktpotential dieser Lösung evaluiert haben, planen wir gemeinsam das Ausrollen des Produktes. Das gebündelte Fachwissen und die Ressourcen aller Partner ermöglichen es uns, die Technologie effektiv zu skalieren und die Zugänglichkeit nachhaltiger Baustoffe auf dem Schweizer Markt weiter voranzutreiben.
«Ein grosses Potential zur CO2-Reduktion sehen wir bei der Produktion von Zementen mit tieferem Klinkerfaktor. Unser Ziel bis 2030 besteht darin, den Anteil an Zementen mit tieferem Klinkerfaktor kontinuierlich zu erhöhen.»
Mit dem Oxacrete Oulesse® von Oxara gibt es jetzt ein zementfreies Bindemittel aus rezykliertem Material, welches den CO2-Ausstoss des herkömmlichen Zements um 70 % reduzieren soll, zudem ungiftig und leicht zu handhaben sei. Damit wären praktisch alle Probleme der Zementindustrie mit einem Schlag gelöst. Wo liegt der Haken und wann kann damit der herkömmliche Zement vollständig abgelöst werden?
Oxacrete Oulesse® ist zum heutigen Zeitpunkt nur für beschränkte Anwendungen wie zum Beispiel Innenanwendungen einsetzbar. Hinzu kommt, dass die Anwendung spezifische Baupraktiken erfordert – so dauert zum Beispiel die Ausschalung länger als bei herkömmlichen Betonen.
Ein möglicher Weg, den CO2-Ausstoss zu vermindern, ist der Einsatz von rezykliertem Beton. Wie gut sind die Kreisläufe dafür in der Schweiz schon vorbereitet, welchen Anteil macht der rezyklierte Beton heute am Gesamtumsatz, wie soll er sich in den kommenden Jahren entwickeln?
Rezyklieren ist eine tragende Säule unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Wir führen Bauabbruchmaterialien in den Stoffkreislauf zurück und setzen Beton immer wieder neu ein. Unser Ziel ist es, den Anteil ressourcenschonender Zemente im Portfolio von aktuell 10 % bis 2030 auf über 50 % zu steigern. Gleichzeitig streben wir für den Anteil ressourcenschonender Betone im Portfolio 40 % an. Aktuell machen die Ecopact Betone ca. 24 % unseres Net Sales im Beton aus.
Holcim und andere grosse Zementhersteller setzen viel Hoffnung auf Technologien zur Abscheidung, Nutzung und Speicherung von Kohlenstoff (CCUS, Carbon Capture Utilisation and Storage). Wie weit sind hier Lösungen schon massentauglich, welche Lösungen beurteilen Sie als vielversprechend?
Um Netto-Null zu erreichen, wird es unvermeidbar sein, einen Teil des CO2 abzuscheiden, zu nutzen oder zu speichern. Im Vordergrund stehen bei uns aktuell Projekte zur Abscheidung und Weiterverwendung von CO2, sogenannte CCU-Projekte (Carbon Capture and Utilization). Bis vollständige Capturing-Anlagen in der Schweiz realisiert werden können, ist unter anderem auch eine Transport-Infrastruktur (Pipelines) nötig. Daher liegt unser Fokus kurzfristig noch auf der weiteren Optimierung der Energien (AF, Biomasse) und der Formulierung von Zementen mit tieferem Anteil an Klinker.
«Rezyklieren ist eine tragende Säule unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Wir führen Bauabbruchmaterialien in den Stoffkreislauf zurück und setzen Beton immer wieder neu ein. Unser Ziel ist es, den Anteil ressourcenschonender Zemente im Portfolio von aktuell 10 % bis 2030 auf über 50 % zu steigern.»
Bis vollständige Capturing-Anlagen in der Schweiz realisiert werden können, ist unter anderem auch eine Transport-Infrastruktur (Pipelines) nötig. Daher liegt unser Fokus kurzfristig noch auf der weiteren Optimierung der Energien (AF, Biomasse) und der Formulierung von Zementen mit tieferem Anteil an Klinker.
Oft wird Beton in einem eigentlich unnötigen Masse eingesetzt, weil er günstig und gut zu verarbeiten ist. In Decken zum Beispiel könnte man aus struktureller und statischer Sicht oft mit viel weniger Beton auskommen (Materialeinsparungen bis zu 75 %). Welche Rolle spielt Holcim bei der Aufklärung zur Reduktion von Beton in Bauten, auch wenn dies kurzfristig nicht geschäftsfördernd ist?
Holcim setzt sich dafür ein, dass Beton gezielter und effizienter verwendet wird – da, wo es strukturell sinnvoll und möglich ist. Dieses Umdenken zu einem vermehrt leistungs- statt volumenbasierten Einsatz von Baustoffen fördern wir durch das Organisieren von Fachtagungen wie die jährliche Betontagung in Zusammenarbeit mit der ETHZ / EPFL sowie einem konstanten Austausch mit Partnerinnen und Partnern, Start-ups und Hochschulen.
So entwickeln und implementieren wir innovative Produkte, die einen effizienteren Einsatz von Baustoffen ermöglichen, wie zum Beispiel mineralische Dämmstoffe (Airium) oder Carbon Prestressed Concrete (CPC), wodurch sich der Materialeinsatz für Deckensysteme um 75 % reduzieren lässt. Ein weiteres Beispiel ist das Rippmann Floor System, ein innovatives und ressourceneffizientes Deckensystem mit einem um 80 % geringeren CO2-Fussabruck als herkömmliche Konstruktionen.
Der CO2-Emissionshandel, den die Schweiz 2008 einführte, hätte über kontinuierlich ansteigende Preise der Zertifikate den CO2-Ausstoss verringern sollen. Durch grosszügige Vergabe von Zertifikaten durch die Staaten an ihre grössten CO2-Emittenten wurden die Zertifikate für diese Firmen sogar zu einer weiteren Einnahmequelle. Wie beurteilen Sie die Wirksamkeit und die Zukunft des Emissionshandels?
Das EHS erhöht die Produktionskosten und trägt daher dazu bei, Innovationen und Investitionen zu fördern, die die CO2-Emissionen in der Klinkerproduktion verringern und den Einsatz von Klinker im Zement reduzieren. Durch die vorgesehene Reduktion der Zuteilungen der freien Zertifikate ab 2026 und den kompletten Wegfall ab 2034 wird der Druck hier weiter stark erhöht. Das EHS war und ist für Holcim ein Mittel zur CO2-Reduktion, das langfristiges nachhaltiges Wirtschaften fördert. Deshalb hat Holcim frühzeitig und vorausschauend in die Effizienz ihrer Anlagen investiert. Das EHS unterstützt diese Optimierung und gibt unseren Initiativen zur weiteren Reduktion von CO2-Emissionen weiteren Schub.
«Bis 2050 wollen wir ein Netto-Null- Unternehmen werden, es existieren jedoch bereits heute verschiedene Technologien wie z.B. Carbon Prestressed Concrete (CPC) oder das Rippmann Floor System, die massive Reduktionen zulassen.»
In Zukunft soll also Zement ohne grossen CO2-Ausstoss in der Herstellung auskommen, könnte vorwiegend aus rezyklierten Baustoffen hergestellt werden und als CO2-Speicher agieren, also vom CO2-Problem zu einer CO2-Lösung werden. Wo stehen wir aktuell in dieser Entwicklung, wann wird das Lösungs-Szenario Realität sein?
Bis 2050 wollen wir ein Netto-Null-Unternehmen werden, es existieren jedoch bereits heute verschiedene Technologien wie z.B. Carbon Prestressed Concrete (CPC) oder das Rippmann Floor System, die massive Reduktionen zulassen. Die Holcim Gruppe verfolgt mit ihren aktuellen CCUS-Anlagen bis 2030 das Ziel, dass wir 5 mt CO2 abscheiden und somit 8 mt CO2-freien Zement in Europa zur Verfügung haben werden. Holcim Schweiz entwickelt eigene Projekte, sobald die Logistik- und Einlagerungsfragen geklärt sind.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Zum einen wünsche ich mir natürlich, dass wir unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen. Einen grossen Hebel haben wir insbesondere im Bereich der Dekarbonisierung, der Kreislaufwirtschaft und der ressourcenschonenden Baustoffe. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Entwicklung und Umsetzung verschiedener Innovationsprojekte und am Umbau unseres Produktportfolios.
Zum anderen brauchen wir auch innovative Köpfe, um unsere Ziele zu erreichen. Wir müssen in unsere Belegschaft investieren, um langjährige Mitarbeitende zu behalten und neue Talente zu rekrutieren und zu formen. Daher wäre mein zweiter Wunsch zufriedene Mitarbeitende, die ein gemeinsames Ziel verfolgen und langfristig zum Wachstum unseres Unternehmens beitragen.
Dieses Interview wurde mit der Unterstützung des Swiss Green Economy Symposiums erstellt. |