Marianne Wildi, CEO Hypothekarbank Lenzburg, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Frau Wildi, Sie haben nach Ihrem Handelsdiplomabschluss an der alten Kantonsschule in Aarau in der IT-Abteilung der Hypothekarbank Lenzburg eine Ausbildung begonnen. Seit 2006 sind Sie CEO der Bank, die Sie nie mehr verlassen haben. Was braucht es, dass eine solche Karriere möglich ist und würden Sie den Weg heute nochmals so machen?
Marianne Wildi: Ich hatte das Glück, dass ich Führungspersonen angetroffen habe, die mich begleiteten und unterstützten, die es verstanden haben, mir ein Umfeld zu bieten, wo ich Neues kennenlernen durfte und bis heute täglich dazulernen kann. Wichtig war auch das Vertrauen meiner Vorgesetzten in meine Fähigkeiten, die Chancen, die sie mir gaben. Dies versuche ich heute meinen Mitarbeitenden vorzuleben. Es war sicher auch ein Vorteil, dass ich in der IT-Abteilung der Hypothekarbank Lenzburg die bankeigene Bankensoftware Finstar mit entwickeln und gestalten konnte. Denn Finstar ist der eigentliche Kern unserer Bank und sichert unsere Unabhängigkeit. Als ehemalige Finstar-Entwicklerin verstehe ich damit die DNA unserer Bank wie wenige andere Mitarbeiter der Hypothekarbank Lenzburg. Zudem ist meine Vergangenheit als IT-Fachfrau ein grosser Vorteil für die Digitalisierung des Bankgeschäfts. Die zahlreichen Digitalisierungsinitiativen unserer Bank haben ja auch dazu geführt, dass wir im vergangenen Dezember zur digitalsten Bank der Schweiz gekürt wurden.
«Finstar ist der eigentliche Kern unserer Bank und sichert unsere Unabhängigkeit. Als ehemalige Finstar-Entwicklerin verstehe ich damit die DNA unserer Bank.» Marianne Wildi, CEO Hypothekarbank Lenzburg
2016 haben Sie in einem anspruchsvollen Umfeld den Ertrag um 4.7 Prozent auf 73.9 Millionen Franken, den Gewinn um 1.7 Prozent auf 21.6 Millionen Franken gesteigert. Die Bilanzsumme wuchs um 5.4 Prozent auf 4.9 Milliarden Franken. Wie sind die Erwartungen für das gesamte Jahr und welche Ziele setzen Sie sich für 2017?
Auf operativer Stufe streben wir auch für das kommende Jahr ein Ergebnis in der Grössenordnung an, wie wir es heute ausweisen konnten. Strategisch gehen wir in die neue Periode 2017 bis 2021. Als strategische Ziele verfolgen wir ein hybrides Geschäftsmodell, welches das herkömmliche Geschäft mit Bankfilialen und persönlichem Kundenkontakt pflegt, zugleich aber auch die Digitalisierung der Geschäfte vorantreibt. Zudem wollen wir das zinsindifferente Geschäft forcieren, insbesondere die Vermögensverwaltungsaktivitäten, die wir im neu geschaffenen Bereich HBL Asset Management bündeln, und die Finstar-Tätigkeiten, wo wir im vergangenen Jahr mit der Personalkasse der SBB ein erstes Nichtfinanzunternehmen als Kunden gewinnen konnten. Ein Ziel ist es auch, unser Geschäftsfeld in die urbanen Agglomerationen der Deutschschweiz zu tragen.
«Als strategische Ziele verfolgen wir ein hybrides Geschäftsmodell, welches das herkömmliche Geschäft mit Bankfilialen und persönlichem Kundenkontakt pflegt, zugleich aber auch die Digitalisierung der Geschäfte vorantreibt.»
Das Hypothekengeschäft wuchs mit 6 Prozent auf 3.7 Milliarden Franken stärker als der Bereich der Kundengelder (3 % auf 3.8 Milliarden). Wie sollte sich das Geschäft aus Risikosicht idealerweise für 2017 entwickeln, was werden Sie tun, um diese Entwicklung zu stützen?
Angesichts der historisch tiefen Zinsen und sinkender Zinsmargen macht es wenig Sinn, das Wachstum der Hypothekar- und anderen Kredite zu forcieren, wichtiger sind stabile Risikoparameter und Qualität der Objekte. Wir wollen damit nachhaltige Erträge generieren. Und eben: Das zinsindifferente Geschäft soll betont werden. Deshalb haben wir vor kurzem zwei Anlageprodukte herausgegeben, die auch bei unseren Kunden auf grossen Anklang gestossen sind.
Während viele Finanzinstitute mit der Digitalisierung noch etwas fremdeln oder eine erfolgreiche Strategie dazu suchen, hat sich die Hypothekarbank Lenzburg zu einer der digitalsten Banken der Schweiz gemausert. Welches sind die nächsten Projekte zur Umsetzung der Digitalisierungsstrategie?
Als börsenkotiertes Unternehmen können wir über einzelne Projekte im Evaluationsstadium nicht selektiv informieren. Wir sind aber mit mehreren Anbietern in Verhandlung, die nächsten Digitalisierungsschritte kommen ganz sicher. Allgemein gesprochen wollen wir damit unser Kernbankensystem digitaler machen. Wir sprechen von Modular Banking 2.0: In der ersten Version wurden Kernbankensysteme für den Interbankenbereich und anverwandte Service-Provider wie Börsenbetreiber weiterentwickelt. Dabei wurden die einzelnen Funktionen modulartig in die bestehende Systemarchitektur integriert. Beim Modular Banking 2.0 geht es um die Öffnung des Banksystems gegenüber dem Kunden. Wir machen das ebenfalls modulartig, indem wir verschiedene neue Funktionen über eine offene Schnittstelle integrieren: Die Vision ist dabei, dass der Kunde von der Kontoeröffnung, über Zahlungsabwicklung, Kontoadministration und Börsenaufträge alles digital erledigen kann. Um das nötige Knowhow zu sammeln, kooperieren wir jetzt mit Fintech-Anbietern, mit dem Ziel, die entsprechenden Dienste dereinst in unser Kernbankensystem integrieren zu können oder von ihnen zu lernen. Sehr wichtig dabei sind effiziente Prozesse.
«Ich finde Fintech bereichernd, nicht destruktiv. Man kann sich als Finanzinstitut dieser Entwicklung nicht verschliessen.»
In einigen Bereichen kooperieren Sie mit Fintech-Startups, die eigentlich das Ziel haben, über disruptive Angebote bestehende Strukturen zu zertrümmern. Wie sind Ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit, wie viel Disruption ist möglich, bevor das bestehende (Ertrags-)System kollabiert?
Ich finde Fintech bereichernd, nicht destruktiv. Man kann sich als Finanzinstitut dieser Entwicklung nicht verschliessen. Man muss dafür gerüstet sein und die Sache positiv und aktiv angehen. Und man muss relativ schnell agieren, sonst gerät man in den Rückstand. Die Fintech-Disruption halte ich bis zu einem gewissen Grad für einen Mythos. Nehmen Sie das Beispiel Creditgate24, mit denen wir im Crowdlending-Bereich kooperieren. Sie brauchen uns, um die Kundenbasis zu erweitern, wir brauchen sie, um unser Technologie- und Usability-Verständnis zu erweitern. Ich erlebe das auch mit anderen Fintech-Unternehmen als partnerschaftliches Verhältnis.
Ein eigenes Kernbankensystem, das zudem noch an einige wenige andere Unternehmen in Lizenz vergeben wird, gilt gemeinhin als impraktikabel, zu aufwändig und zu teuer. Was ist der Grund, dass die Hypothekarbank Lenzburg hier mit dem selbst entwickelten Finstar einen völlig eigenen Weg geht und wie sieht Ihre Kosten/Nutzen-Bilanz aus?
Es ist sicher nicht ganz einfach und eine grosse Herausforderung, mit Finstar neben den grossen Anbietern wie Avaloq oder Finnova bestehen zu können. Aber wir schaffen das, wie wir es mehrfach bewiesen haben. Unsere Vorteile sind Flexibilität, Unabhängigkeit und die daraus resultierende Geschwindigkeit. Dabei haben wir ganz unterschiedliche Kunden: Privatbanken, die SBB-Personalkasse, Regional- und Sparkassen und freuen uns auf künftige Partner.
Wie viel investieren Sie jährlich, um Finstar den neuen Geschäfts- und Technologie-Entwicklungen anzupassen?
Zahlendetails geben wir nicht bekannt. Tatsache ist, dass wir Finstar gewinnbringend auslizenzieren können.
«Beim Modular Banking 2.0 geht es um die Öffnung des Banksystems gegenüber dem Kunden.»
Viele kleine und mittlere Finanzinstitute setzen bezüglich IT auf die Auslagerung ganzer nicht kundenorientierter Bereiche an externe Anbieter. So genannte BPO (Business Process Outsourcing) Angebote aus der Cloud stehen vermehrt ganz oben auf der Prioritätenliste. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung und inwieweit kann Finstar hier als Alternative positioniert werden?
Wir haben die „Cloud“ quasi schon mit der Gründung von Finstar eingeführt. Cloud ist ja nur ein neuer Begriff für das Datenmanagement in einem externen Datenzentrum. Wir betreiben Finstar in unserem eigenen Rechenzentrum. Aus Sicht der Finstar-Kunden, zu denen mit der Spar- und Leihkasse Leuk auch die kleinste Bank der Schweiz zählt, sind unsere Service-Angebote auch „cloudbasierte“ Outsourcing-Prozesse. Nur eben mit einem sehr flexiblen Preis-Leistung-Modell, das wir je nach den Bedürfnissen und der Grösse des Geschäftspartners anpassen können.
Die Digitalisierung eröffnet nicht nur branchenfremden und ausländischen Konkurrenten die Möglichkeit, einzelne Funktionen vor allem in der Kundeninteraktion, auch ohne kostenintensives Filialnetz direkt anzubieten, sie bietet auch kleinen Instituten, über ihre natürlichen geografischen Grenzen hinaus zu wachsen. Welche Chancen eröffnen sich für die Hypothekarbank Lenzburg, welche konkreten Schritte haben Sie geplant?
Konkretes können wir noch nicht bekanntgeben. Selbstverständlich bringt die Digitalisierung auch eine Ausweitung des Geschäftsgebietes. Wir machen zudem tagtäglich die Erfahrung, dass viele Bankkunden sehr wohl auf der Suche nach neuen Partnern sind. Und als Universalbank können wir sämtliche Dienstleistungen im Finanzbereich anbieten. Aber heute scheinbar wahnsinnig innovative Produkte wie Robo-Advisor werden in ein paar Jahren für eine Bank kein Differenzierungsmerkmal mehr darstellen. Das wird zur Massenware. Wir werden uns neben der Digitalisierung durch den persönlichen Kundenkontakt auszeichnen und zwar für alle Generationen. Das ist unser Unterscheidungsmerkmal.
Ausgebildete IT-Experten sind in der Schweiz Mangelware und werden schnell mit hohen Salären umworben. Wie gelingt es Ihnen, genügend IT-Fachkräfte zu finden und zu halten?
Wir können einen interessanten Arbeitsplatz bieten und bei uns arbeitet man in einem kompetenten und überschaubaren Team. Der direkte Kontakt mit den Bankmitarbeitenden ermöglicht den IT-Mitarbeitenden, die Bedürfnisse und Anforderungen direkt aufzunehmen und das Resultat in der Praxis zu erleben.
Auf der einen Seite die Globalisierung und der Hochfrequenzhandel auf der anderen Seite die einheimischen KMU und die Nebenbörsen. Wo setzt die Ihre Bank die Schwerpunkte ihres Asset Managements, mit welchen Strategien sollen Ihre Kunden die eigenen Vermögensverhältnisse verbessern können?
Als Vermögensverwalter verfolgen wir einen globalen Ansatz. Das heisst, wir investieren global diversifiziert, sei es auf Mandatsbasis, sei es mit unseren neuen aktiv gemanagten Anlagezertifikaten. Als Schweizer Anbieter liegt es auf der Hand, dass wir zudem einen Schweizer Fokus haben und uns auf die besonders dynamischen kleinen und mittleren Unternehmen in der Schweiz fokussieren. Dieses Umfeld liegt uns naturgemäss sehr nahe.
«Diversifikation ist für uns das A und O. Indem wir die Verlustrisiken minimieren, schaffen wir optimale Voraussetzungen für ein ansprechendes Anlageergebnis.»
Im Anlage-Bereich empfiehlt die Hypothekarbank Lenzburg ihren Kunden, weniger auf einzelne Titel sondern eher auf ETF-Zertifikate zu setzen. Dabei sind im vergangen Jahr mit dem eigenen Tracker “Multi-Asset: Ausgewogen” auch grössere Verluste vermieden, aber kaum Gewinne erzielt worden. Müssen sich Kleinanleger auf eine Zukunft ohne Gewinne einstellen?
Beim Multi-Asset-Tracker geht es in erster Linie darum, mit einem kleinen Budget in einen global diversifizierten Wertschriftenkorb zu investieren. Dabei gilt es, die richtige Balance zu finden zwischen dem Minimieren von Verlustrisiken und dem Maximieren der Ertragsmöglichkeiten. Diversifikation ist für uns das A und O. Indem wir die Verlustrisiken minimieren, schaffen wir optimale Voraussetzungen für ein ansprechendes Anlageergebnis.
Vor Kurzem haben Sie für KMU das Business-Planungstool Hypiplan an den Markt gebracht mit Funktionen zur Budgetierung, Mehrjahresplanung, Liquiditäts- und Investitionsplanung, Simulation verschiedener Währungsszenarien und Ergebniskontrolle. Wie sind die ersten Reaktionen ausgefallen, welche Ziele bezüglich Anzahl Benutzer und Umsatz haben Sie für das kommende Jahr?
Wichtiger als Umsatzziele ist, dass unsere Kundenberater das Tool selber anwenden und die Auswertungen beim Kundengespräch einsetzen. So können wir unsere Kunden vom Mehrwert ganz direkt überzeugen und so die Verbreitung des Tools fördern. Die ersten Reaktionen sind sehr positiv, aber wir haben noch keine mehrmonatige Erfahrung damit.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ein gutes Team, im geschäftlichen wie im privaten Umfeld, und Gesundheit.
Die Gesprächspartnerin
Marianne Wildi (51) ist in Schafisheim (AG) geboren. Sie arbeitet seit 1984 bei der Hypothekarbank Lenzburg. Im Rahmen firmenübergreifender Projekte hat sie auch andere Banken kennengelernt. Die Bankchefin ist unverheiratet und wohnt heute in Meisterschwand (AG). In Ihrer Freizeit taucht Wildi gerne in historische Romane und nordische Krimis ein. Sie spielt Es-Horn in der Musikgesellschaft Hunzenschwil-Schafisheim. Sie ist zudem Vizepräsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK), deren Vorstand Wildi vergangenen November zur Präsidentin nominiert hat. Die Wahl soll im Juni 2017 stattfinden.
Das Unternehmen:
Die Hypothekarbank Lenzburg AG bietet als unabhängiges Finanzinstitut seit 1868 Bankleistungen für Private, Gemeinden und Unternehmungen an. Um die Existenz und den Erfolg zu sichern, strebt sie mit einer fairen Preispolitik nach Gewinn und gesundem Wachstum. Das Produkt- und Leistungsangebot orientiert sich an den Bedürfnissen der Kunden und nicht nur am Vermögenssaldo.