Markus Kilb, CEO TWINT, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Kilb, Sie sind seit gut eineinhalb Jahren CEO von Twint und haben in dieser Zeit die gesamte Geschäftsleitung neu besetzt. Welche Strategie verfolgen Sie in der neuen Besetzung, was sind die wichtigsten Ziele in den kommenden zwei Jahren?
Markus Kilb: Unsere Strategie war, TWINT zur beliebtesten digitalen Zahlungslösung der Schweiz zu entwickeln. Dies ist uns gelungen. Ein Grund dafür ist sicher unsere lokale Verankerung: Wir gehen auf die spezifischen Schweizer Bedürfnisse an Mobile Payment ein.
«Wir werden die Anzahl Transaktionen bis Ende 2021 verdoppeln und damit bereits im kommenden Jahr zum Niveau der Kreditkartenzahlungen aufschliessen.» Markus Kilb, CEO TWINT
Unsere offene Plattform ermöglicht neue Anwendungsformen, die wir in der Schweiz eingeführt haben: Zahlen auf dem Bauernhof, am Parkplatz im Restaurant – egal ob es ein elektronisches Zahlterminal gibt oder nicht. So wird die Erfolgsstory von TWINT weitergehen. Das Wachstum bei Nutzerinnen und Nutzern sowie Händlern ist ungebrochen. Mit den führenden Banken als Anbieter und innovativen Händlerlösungen bleiben wir zukunftsfähig. Konkret heisst das, dass wir die Anzahl Transaktionen bis Ende 2021 verdoppeln werden und damit bereits im kommenden Jahr zum Niveau der Kreditkartenzahlungen aufschliessen.
Twint hat sich nach der Zusammenlegung mit Paymit im Schweizer Markt etabliert. Weshalb braucht es nebst all den internationalen Bezahllösungen wie Apple Pay, Google Pay oder Samsung Pay, welche mittlerweile von fast allen grösseren Banken unterstützt werden, eine Schweizer Lösung?
Weil nationale Lösungen dann Sinn machen, wenn es ihnen gelingt, lokale Partnerschaften einzugehen, die andere nicht können. TWINT geht über das Bezahlen hinaus und ist mehr als eine im Smartphone hinterlegte Kreditkarte. Wir richten uns an den Interessen der Schweizer Bevölkerung aus. Dazu gehört nicht nur die direkte Anbindung an ein Schweizer Bankkonto.
Wir verbinden jetzt schon mehr Kunden, Händler und Banken als jede andere Zahlungsplattform. Darum ist TWINT heute die klare Nummer 1 in diesem Bereich. Zum Vergleich: Nur mit TWINT können Sie digital in über 2’000 Hofläden bezahlen oder in 500 Gemeinden und Städten und an 200’000 Parkplätzen die Gebühren begleichen. Auch künftig werden wir laufend weitere Partner finden, um vielseitige Funktionen, Dienste und Services zu verknüpfen und in die TWINT App zu integrieren.
Die Coronakrise hat die Online-Umsätze massiv ansteigen lassen und aus Hygienegründen wird von vielen Stellen der Verzicht auf Bargeld empfohlen. Wie hat sich die Krise bis anhin auf Ihr Geschäft ausgewirkt, welche zusätzlichen Chancen bieten sich Twint durch die verstärkte Digitalisierung?
TWINT entspricht exakt dem steigenden Bedürfnis, digital, mobil und kontaktlos mit dem Smartphone bezahlen zu können. Das führt dazu, dass mehr Menschen und Unternehmen (Händler) TWINT ausprobieren und den Alltagsnutzen und die Vorteile für sich entdecken.
«Nur mit TWINT können Sie digital in über 2’000 Hofläden bezahlen oder in 500 Gemeinden und Städten und an 200’000 Parkplätzen die Gebühren begleichen.»
Das starke Kundenwachstum seit dem letzten Jahr wurde durch die erhöhte Nachfrage nach hygienischen Zahlungsmethoden noch beflügelt. Die neue Art zu Bezahlen wirkt sich aber nachhaltig auf das Verhalten der Schweizer Bevölkerung aus. Wir wuchsen auch nach dem Lockdown rasch weiter auf dem Weg zur beliebtesten Bezahlmethode der Schweiz.
Ein Aspekt der Digitalisierung ist ihr Potential, Geschäftsabläufe und damit zusammenhängende Wertschöpfungsketten völlig neu zu gestalten (Disruption). Wie gross ist das Disruptionspotential von Twint, welche Geschäftsfälle möchten Sie künftig neu gestalten oder überhaupt erst ermöglichen?
Die Meisten sind ja noch bei Bargeld und Plastik. Wir sind zukunftsfähig, weil wir eben integrativ aufgestellt sind. Demnach halten wir Schritt mit neuen technologischen Entwicklungen und sich verändernden Kundenbedürfnissen. Unsere Vision ist somit offen nach vorne. Wir schaffen innovative Lösungen mit Alltagsrelevanz. Weil wir technologieunabhängig sind haben wir die Offenheit, den Bedürfnissen der Nutzer optimal zu folgen.
«Durch den Schwung Ende letzten Jahres und das exponentielle Wachstum im letzten halben Jahr haben wir bereits 3 Millionen Nutzer (Oktober 2020) und werden bis Ende Jahr über 100 Millionen Transaktionen verbuchen.»
Lassen Sie uns einen Freitagabend durchspielen: Stellen sie sich vor sie realisieren nach der Arbeit beim Blick in ihren Kalender, dass sie zum Geburtstagsessen einer Freundin im Restaurant abgemacht haben. Den Tisch haben sie glücklicherweise bereits vorige Woche über TWINT reserviert. Auf dem Weg bestellen sie aus der TWINT App heraus einen Strauss Blumen, lösen dabei einen Rabatt-Coupon ein und holen den Strauss mit dem via TWINT bestellten Taxi ab. Im Restaurant öffnen Sie das Menü über TWINT, bestellen gemeinsam das Essen über TWINT, bezahlen später das Essen per TWINT und geben ein schönes Trinkgeld über TWINT. Und weil sich ihre Freunde an der Rechnung beteiligen wollen, twinten sie ihren Anteil zurück und chatten mit ihnen innerhalb der TWINT App über den netten Abend.
Heute haben wir vieles davon bereits realisiert, den Rest nehmen wir uns für das nächste Jahr vor.
Twint möchte das Bargeld im täglichen Gebrauch weitgehend ersetzen. Neben der Begeisterung für die Digitalisierung gibt es aber auch wachsenden Widerstand gegen eine absolute finanzielle Transparenz, Bedenken wegen technischen Ausfallrisiken und zunehmenden Hackerangriffen. Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht eine bargeldlose Gesellschaft?
Wir machen den Menschen in der Schweiz ein Lösungsangebot für einfaches und sicheres Bezahlen, und mittlerweile nutzen die Hälfte der Schweizer Smartphone-Besitzerinnen und -Besitzer die TWINT App und bezahlen in jedem zweiten Schweizer Online-Shop mit TWINT. Insbesondere am POS also in den Ladengeschäften sind wir am stärksten gewachsen. Mit der höchsten ungestützten Bekanntheit aller Zahlungssysteme ist TWINT gemäss einer repräsentativen IPSOS-Studie heute bereits das präferierte Zahlungssystem junger Menschen in der Schweiz. Wir haben die kommende Generation bereits auf unserer Seite. Dennoch wird uns Bargeld noch lange erhalten bleiben.
Wie finanziert sich Twint, welche Kosten fallen beim Einsatz für den Händler, die Bank und den Nutzer an?
TWINT finanziert sich über drei Bereiche: Lizenzgebühren der angeschlossenen Banken, Einnahmen aus den Marketingmassnahmen von Händlern sowie über die Transaktionsgebühren, wie sie für alle Zahlungssysteme üblich und im Markt absolut vergleichbar sind. Bei der Höhe der Transaktionsgebühren liegt TWINT sogar oft deutlich tiefer als andere Anbieter. Die so generierten Erträge braucht TWINT, um das System laufend auszubauen und den immer noch massiv steigenden User- und Transaktionszahlen anzupassen.
«TWINT finanziert sich über drei Bereiche: Lizenzgebühren der angeschlossenen Banken, Einnahmen aus den Marketingmassnahmen von Händlern sowie über die Transaktionsgebühren.»
Während jüngere Nutzer vor allem den schnellen Austausch von Geld über Twint schätzen, tun sich viele ältere nur schon mit der Online-Verwendung einer Kreditkarte schwer. Wie wollen ältere Menschen zu Twint-Nutzern machen, welche Kundensegmente haben für Twint das grösste Potential?
TWINT ist für alle. Bei den Jungen liegt TWINT gemäss diverser Studien als Bezahlmethode erster Wahl vorne. In den Gruppen der über 50+ und vor allem auch der über 60-jährigen verzeichnen wir derzeit die höchsten Zuwachsraten.
Immer mehr Menschen erkennen für sich die Vorteile einer bargeld- und kontaktlosen Zahlung mit dem Smartphone. Die IPSOS-Studie zeigt, dass wir als einfach, unkompliziert, sicher und seriös wahrgenommen werden. Das ist für Menschen in der zweiten Lebenshälfte sehr wichtig.
Zu Beginn des Jahres hat Twint die Schwelle von 2 Millionen Nutzern erreicht. Welche Ziele haben Sie bezüglich Nutzern und Transaktionen für 2020 und ab welcher Grössenordnung wird Twint die Gewinnschwelle erreichen?
Durch den Schwung Ende letzten Jahres und das exponentielle Wachstum im letzten halben Jahr haben wir bereits 3 Millionen Nutzer (Oktober 2020) und werden bis Ende Jahr über 100 Millionen Transaktionen verbuchen. Mit diesem Wachstum wird TWINT bereits im kommenden Jahr auf das Niveau der Kreditkartenzahlungstransaktionen aufschliessen.
Twint hat sich im technologisch und finanziell gut entwickelten Schweizer Markt etabliert. Wie stehen die Chancen für eine internationale Verbreitung, welche Hindernisse wären zu bewältigen, welche Pläne gibt es schon für ein Wachstum im Ausland?
TWINT ist Gründungsmitglied der EMPSA, European Mobile Payment Systems Association und deren Chairman ist Anton Stadelmann, CCO von TWINT. TWINT arbeitet intensiv an der Entwicklung der Interoperabilität. Mittelfristig sollen alle teilnehmenden Apps der Mitgliedsstaaten miteinander kompatibel sein. Ein konkreter Zeitplan besteht nicht, denn die technischen Entwicklungen geben in diesem Projekt den Takt an.
Das Thema Diversität und Gleichstellung wird bei der Wahl des Arbeitgebers immer wichtiger. Wie kommt es, dass in der Geschäftsleitung von Twint keine einzige Frau zu finden ist?
Unsere Geschäftsleitung umfasst nur drei Personen. Aber rund 40% unserer leitenden Führungspersonen sind Frauen, insbesondere in der IT.
Welche technologischen Entwicklungen haben aus Ihrer Sicht das Potential, die Gesellschaft in den kommenden Jahren fundamental zu prägen und zu verändern?
Neben der sich weiter beschleunigenden Vernetzung der Menschen untereinander sehe ich die Vernetzung der unterschiedlichen technischen Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, Gen- und Biotechnologie sowie 3D-Printing als einen Megatrend der unsere Zukunft deutlich verändern wird. Als TWINT sind wir laufend damit beschäftigt, uns zu überlegen, wie diese Technologien auch unseren Kunden zu neuen Problemlösungen verhelfen können.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Zunächst wünsche ich mir die Überwindung dieser Pandemie, die uns alle belastet und dann wünsche ich mir, dass die Menschen die positiven Erfahrungen aus dieser Situation bewahren mögen, die Solidarität und Hilfsbereitschaft die im Kleinen und im Grossen zu beobachten ist.