Martin Hotz und Marco Fuhrer, Fuhrer & Hotz
Martin Hotz (l.) und Marco Fuhrer, Fuhrer & Hotz. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Hotz, Herr Fuhrer, Sie haben zusammen mit den Branchenspezialisten der Credit Suisse den jährlichen Retail Outlook erstellt. Ein Schwerpunkt bildet dabei der Einfluss des E-Commerce auf den Detailhandel. Bestellungen über Internet, immer häufiger mobil über Smartphone und Tablet, Lieferung der Ware am Tag der Bestellung, Pick-up-Stationen in Bahnhöfen oder an speziellen Abholstationen – inwieweit entspricht der Eindruck, der Onlinehandel sei omnipräsent der Realität?
Dieser Eindruck entspricht voll und ganz der Realität. Mittlerweile kann tatsächlich praktisch jedes Produkt online erworben werden. Und der Anteil der Konsumenten die – zumindest teilweise – von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, hat in den letzten Jahren zugenommen. Gemäss unserer aktuellen Studie „Multicrosschannel 2014“, welche wir in Kooperation mit den Firmen Bison Schweiz und Jegen Ladenbau erstellt haben, geben inzwischen 84% der Deutschschweizer an, zumindest gelegentlich im Internet einzukaufen. Allerdings muss man die Relationen im Auge behalten: Die Credit Suisse hat berechnet, dass Schweizer Detailhändler im Jahr 2013 nur gerade 4,7% ihres Umsatzes im Business-to-Consumer-Onlinehandel erwirtschaftet haben. Der stationäre Handel ist also nach wie vor um ein Vielfaches bedeutender als der Onlinehandel.
Was prädestiniert gerade den Heimelektronikmarkt für den Onlinehandel?
Ganz allgemein gibt es natürlich Unterschiede darin, wie gut sich Produkte für den Einkauf im Internet eignen. Während der Onlinehandel im Bereich Lebensmittel im Jahr 2013 nur gerade 1,5% des Gesamtumsatzes generierte, waren es im Bereich Heimelektronik bereits 23%. Heimelektronik-Produkte eignen sich aus verschiedenen Gründen besonders gut für den Onlinehandel. So kann man sich beispielsweise im Internet viel rascher einen Überblick über die Auswahl verschaffen, als wenn man ein stationäres Geschäft nach dem anderen besuchen muss. Zudem lassen sich Produkteigenschaften und Preise im Internet sehr transparent miteinander vergleichen, wobei die Preise von Onlineanbietern im Vergleich zu den stationären Angeboten in der Regel erst noch günstiger sind.
«Während der Onlinehandel im Bereich Lebensmittel im Jahr 2013 nur gerade 1,5% des Gesamtumsatzes generierte, waren es im Bereich Heimelektronik bereits 23%.»
Im Gegensatz dazu müssen Kleider und Schuhe in der Regel anprobiert werden, um zum idealen Produkt zu gelangen. Sieht man den Erfolg z.B. von Zalando, scheint dies dem Erfolg nicht abträglich zu sein.
Hier gibt es zwei Aspekte zu berücksichtigen. Einerseits ist die Retouren-Quote enorm hoch. Dies schmälert den Erfolg beträchtlich und zeigt auf, dass auch im Internet gekaufte Produkte zunächst mal anprobiert und bei Nichtgefallen (kostenlos) zurückgesendet werden. Zweitens ist es aber sicher so, dass gewisse Konsumenten es gerne in Kauf nehmen. ein paar Schuhe vor dem Kauf nicht probieren zu können, wenn sie diese dafür bequem von zuhause aus im Internet bestellen und sich so den Weg zum Laden, den dafür notwendigen Zeitaufwand und das allenfalls lästige Schlange stehen an der Kasse ersparen können.
Ist das problemlose und kostenlose Retournieren der Ware Voraussetzung für den Erfolg in diesem Segment?
Diese Möglichkeit gibt dem Konsumenten natürlich zum Zeitpunkt des Kaufes eine gewisse Sicherheit. Er weiss, dass er seinen Kaufentscheid ohne Kostenfolge rückgängig machen kann, falls das bestellte Produkt nicht gefällt. Wenn ein Anbieter den Konsumenten diese Möglichkeit gibt, so müssen die Mitbewerber dies auch tun, um konkurrenzfähig zu bleiben. Im Bereich Kleider und Mode ist dies mittlerweile üblich; in anderen Segmenten hingegen (noch) nicht.
Auch das Lebensmittelsegment verzeichnet im Online-Handel starkes Wachstum, der Anteil am Gesamtumsatz ist aber trotz unkomplizierten Einkäufen und flexiblen Lieferungs- oder Abholmöglichkeiten noch eher bescheiden. Welches sind die grössten Hindernisse?
Das Einkaufen von Lebensmitteln ist überdurchschnittlich stark mit Emotionen verbunden – insbesondere bei Frischwaren, namentlich bei Früchten und Gemüse. Hier kann der stationäre Einkauf dem Einkäufer ein Erlebnis bieten, welches online nicht zu haben ist. Hinzu kommt, dass keine Tomate gleich ist wie die andere und man sich deshalb am liebsten selber jene auswählt, die qualitativ am besten aussieht.
«Das Einkaufen von Lebensmitteln ist überdurchschnittlich stark mit Emotionen verbunden.»
Welchen Einfluss hat der wachsende E-Commerce auf die Beschäftigung im Handel?
Betrachtet man die Schweiz als Binnenland, so dürfte sich dieser Trend in absoluten Zahlen nicht gross auf die Beschäftigung auswirken. Sicher wird es jedoch eine gewisse Verschiebung von den Arbeitsplätzen im Verkauf hin zur Logistik und zum Transport geben. Anders hingegen sieht die Situation aus, wenn Schweizer Konsumenten ihre Produkte zunehmend online bei ausländischen Detailhändlern beschaffen können. Hier gibt es derzeit jedoch noch verschiedene Hindernisse (Zölle, Fremdwährungen, erhöhte Transportkosten etc), welche diese Entwicklung bremsen.
Gerade die Preisentwicklung im Heimelektronikmarkt zeigt, dass die Preise mit dem wachsenden Onlineanteil unter Druck geraten sind. Lässt sich dies auch in anderen Segmenten feststellen?
Tendenziell ist dies sicher so. Ausschlaggebend hierfür ist zum einen der Umstand, dass Online-Händler aufgrund von geringeren Lager- und Standort-Kosten ihre Produkte günstiger anbieten können als stationäre Händler. Zudem hat das Internet die Transparenz von Preisen massiv erhöht, was automatisch zu einer Angleichung der Preise nach unten führt.
Welche weiteren grossen Veränderungen bringt der durch den E-Commerce beschleunigte Strukturwandel im Detailhandel mit sich – zum Beispiel in den Bereichen IT und Logistik?
Internet und E-Commerce haben den Detailhandel in den vergangenen Jahren bereits massiv verändert, und dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Bedeutung der IT und der Logistik nimmt massiv zu. Detailhändler sind zunehmend bestrebt, mit den Kunden über möglichst viele Touchpoints und Kanäle zu kommunizieren. Sei es über den stationären Laden, über die Homepage – je nachdem von zuhause aus oder unterwegs über mobile Geräte – , telefonisch etc. Hier die Fäden zusammenhalten zu können und gegen aussen einheitlich auftreten zu können ist eine gewaltige Herausforderung, die sämtliche Unternehmensabteilungen und -funktionen gleichermassen betrifft.
Wie stellt sich der Detailhandel auf die Veränderungen ein? Wie weit sind aus Ihrer Erfahrung die Strategien an die sich verändernden Bedingungen angepasst worden?
Mittlerweile ist der gesamten Branche bewusst geworden, dass Aussitzen nicht zum Ziel führt und auch Reagieren alleine nicht mehr reicht. Die Veränderungen geschehen momentan in einem derart hohen Tempo, dass man seine Strukturen bereits heute darauf ausrichten muss, was morgen geschehen wird. Man kann die Schweizer Detailhändler hier nicht gesamthaft betrachten. Die einen haben ihre Hausaufgaben gemacht und sind bereit für die Zukunft, andere dürften in den nächsten Jahren zunehmend grössere Herausforderungen zu bewältigen haben.
«Mittlerweile ist der gesamten Branche bewusst geworden, dass Aussitzen nicht zum Ziel führt und auch Reagieren alleine nicht mehr reicht.»
Seine Kunden zu kennen ist auch im Onlinehandel wichtig. Gibt es DEN oder DIE Onlineshopper(in) oder wie unterscheiden sie sich in ihrem Kaufverhalten?
Wir haben diese Frage in der angesprochenen Multicrosschannel-Studie detailliert untersucht und kommen dabei klar zum Schluss, dass es DEN typischen Onlineshopper so nicht gibt. Nichtsdestotrotz lassen sich unterschiedliche Verhaltensmuster zwischen männlichen und weiblichen Shoppern erkennen, aber auch zwischen Jung und Alt.
«seen offline, bought online» – oder umgekehrt. Wie verbreitet ist dieses Verhalten?
Unsere Untersuchungen zeigen, dass beinahe die Hälfte der Konsumenten in der Deutschschweiz vorzugsweise im stationären Handel einkauft, sich davor jedoch im Internet informiert. Umgekehrt sind es nur rund 10%, die sogenanntes Showrooming betreiben; sich also stationär informieren, anschliessend online kaufen. Demzufolge nützt das Internet heute dem Handel bezüglich Kundenfrequenz und Umsatz mehr als dass es schadet.
Mit dem Wegfall des Euro-Mindestkurses ist auch das Online-Shopping in der Eurozone billiger geworden. Lässt sich abschätzen, wie stark der «Online-Einkaufstourismus» wachsen wird?
Mit dem erstarkten Franken ist das Einkaufen im Ausland natürlich generell attraktiver geworden, unabhängig davon ob dies nun mit einem Einkaufstrip ins grenznahe Ausland oder übers Internet geschieht. Es ist also mit einem tendenziellen Wachstum zu rechnen. Das zukünftige Einkaufsverhalten von Konsumenten voraussehen zu können ist aber derart komplex, dass aussagekräftige Prognosen hier schlicht unmöglich sind.
Herr Hotz, Herr Fuhrer, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Martin Hotz trat nach einer kaufmännischen Grundausbildung und einem Studium als Betriebsökonom HWV vor über 20 Jahren in die Beratung ein. 1996 absolvierte er den Lehrgang „System-Marketing“ am Forschungsinstitut für Absatz und Handel an der Hochschule St. Gallen. Hotz, Partner und Mitinhaber von Fuhrer & Hotz – Excellence in Retailing, ist zudem Mitbegründer und -inhaber des Schweiz. Marketing-Forums, einer Aus- und Weiterbildungsplattform für Handel und Industrie. Zu den Schwerpunkten von Martin Hotz gehören unter anderem die Shopper-/ Verhaltensforschung am POS („Aus Shoppern Käufer machen“) sowie Mikro-Marketing-Projekte. Er ist Verfasser von zahlreichen Studien und Publikationen in Marketing- und Vertriebsthemen innerhalb des Detailhandels und Co-Autor der jährlich erscheinenden Dokumentation „Retail Outlook“ der Credit Suisse.
Marco Fuhrer ist studierter Betriebsökonom FH und hat sich in den vergangenen 15 Jahren als Marketingkoordinator bei den Globus-Warenhäusern, als Marketingberater bei Nielsen Schweiz sowie als Trade Marketing Manager und Mitglieder der Geschäftsleitung von Barilla Schweiz ein umfangreiches nationales und internationales Know-how angeeignet. Mit diesem Background begleitet und berät er seit dem Jahr 2006 als Partner und Mitinhaber von Fuhrer & Hotz – Excellence in Retailing namhafte Detail- und Grosshändler sowie deren Lieferantenpartner schwerpunktmässig im Bereich Trade Marketing (POS-Marketing / Category Management) und Customer Journey Optimierung (Verhaltensforschung am POS). Zudem ist Marco Fuhrer Verfasser diverser Studien und Fachberichte und Dozent an einer Hochschule.
Fuhrer & Hotz – Excellence in Retailing