Max E. Katz, Präsident des Schweizer Reise-Verbands (SRV) (Bild: SRV)
Interview von Robert Wildi
Robert Wildi: Herr Katz, im März und April buchen viele Schweizer normalerweise ihre Sommer- und Herbstferien. Viele Reisebüros klagen zurzeit jedoch über gähnende Leere. Woran liegt das?
Max E. Katz: In der Tat ist der gegenwärtige Buchungseingang bei unseren Mitgliedern zurückhaltend. Der Hauptgrund sind die verschiedenen Terrorattentate der jüngeren Vergangenheit an beliebten Feriendestinationen wie Ägypten, Tunesien, der Türkei oder auch in Städten wie Paris und Brüssel. Es ist offensichtlich, dass viele Konsumenten verunsichert sind.
«Ägypten läuft schon seit Jahren eher harzig, in Tunesien und der Türkei haben die jüngsten Ereignisse ganz direkte negative Folgen.» Max E. Katz, Präsident des Schweizer Reise-Verbands (SRV)
Ganz generell oder nur, was diese spezifischen Destinationen betrifft?
Die grossen Buchungseinbrüche betreffen vor allem die Länder, wo konkret etwas passiert ist. Ägypten läuft schon seit Jahren eher harzig, in Tunesien und der Türkei haben die jüngsten Ereignisse ganz direkte negative Folgen. Gewisse Reiseveranstalter beklagen zurzeit allein für die Türkei Rückgänge um bis zu 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In Tunesien sieht es ähnlich aus. Das schenkt schon ein, zumal vor allem die Türkei in den letzten Jahren enorme Massen an Badetouristen auch aus der Schweiz angezogen hat
Profitieren andere Ziele?
Da die Einbussen vor allem das Segment der klassischen Badeferienpauschalreisen betreffen, springen andere Ziele in die Bresche. Allen voran Spanien, wo ein regelrechter Boom herrscht. Auf den Kanarischen Inseln und teils auf dem Festland beträgt das aktuelle Buchungsplus teilweise 30 Prozent. Auch Portugal, Italien, Kroatien oder Zypern laufen gut.
«Ich bin überzeugt, dass Griechenland auf Vorjahrsniveau kommen wird, da die Kapazitäten zum Beispiel auf den Kanaren nicht unbegrenzt sind.»
Dafür Griechenland nicht?
In Griechenland ist das Bild heterogen. Die Flüchtlingsströme hemmen den Badetourismus auf Inseln wie Kos, Lesbos oder Samos, nicht aber auf Kreta. Dennoch bin ich überzeugt, dass Griechenland auf Vorjahrsniveau kommen wird, da die Kapazitäten z.B. auf den Kanaren nicht unbegrenzt sind. Auch für Destinationen wie Skandinavien, vor allem kleinere europäische Städte, die USA sowie Fernreisen ganz generell stellen wir eine solide Nachfrage fest. Insgesamt gibt es gleichwohl nichts schön zu reden: Zurzeit hinken die Buchungs- und Umsatzzahlen der Schweizer Reisebranche hinter dem Vorjahr zurück.
Rechnen Sie bei weiteren Anschlägen bald mit den ersten Insolvenzen in der Branche?
Das ist zumindest im Moment eine sehr hypothetische Frage. Erstens weigere ich mich, solche Negativszenarien hinauf zu beschwören. Zweitens kommt es von Fall zu Fall darauf an, was sich wo genau ereignet. Fakt ist, dass die meisten seriösen Reisebüros einen langen Atem haben und auch in schwierigen Zeiten über genügend Liquiditätsreserven verfügen. Falls Sie das meinen: Im Moment ist mir kein einziger Fall von einem Reisebüro aus unseren Reihen bekannt, das als Folge der aktuellen Buchungsflaute in ernsthafte Probleme geraten ist.
Treibt die aktuelle Unsicherheit auch Kundenschichten ins Reisebüro zurück, die zuvor vorwiegend im Internet gebucht haben?
Diesen Trend können wir bestätigen. Hochwertige und professionelle Beratung wird in solchen Zeiten besonders wertgeschätzt. Gerade im Familiensegment ist dies deutlich spürbar. Man will genau informiert sein, wie Branchenspezialisten die aktuelle Lage in den verschiedenen Destinationen einschätzen oder wie es sich im Falle von kurzfristigen Ereignissen mit den Annullationsbedingungen verhält.
Ist denn die Branche diesbezüglich kulant?
Ja, denn alle grösseren Reiseveranstalter halten sich an die Weisungen des EDA. Das heisst: Wenn für ein Ferienziel eine offizielle Reisewarnung herausgegeben wird, können Reisebürokunden ihre entsprechende Reservation gebührenfrei stornieren oder umbuchen. Das sieht anders aus, wenn man Flug und Unterkunft direkt im Internet bucht. Airlines und Hotels kümmern offizielle Reisewarnungen in der Regel herzlich wenig.
«Sollte der Buchungsstau über die nächsten Wochen anhalten, wird 2016 möglicherweise ein Last-Minute-Jahr.»
Dafür verlangt das Netz kein Beratungshonorar.
Es bietet ja auch keine vergleichbare Dienstleistung. Nehmen wir die immer komplizierteren Flugtarife der Airlines als Beispiel. Für Normalsterbliche ist dieser Wirrwarr an Klassen und Zuschlägen aus eigener Kraft praktisch nicht mehr zu verstehen. Der Profi im Reisebüro nimmt diese Arbeit ab und kennt in der Regel sogar Kniffs, um dem Kunden einen günstigeren Tarif mit Sonderkonditionen herauszusuchen. Sowas kann eine Suchmaschine nicht. Dass dafür auf der Rechnung ein Beratungshonorar von vielleicht 60 Franken erhoben wird, versteht sich von selbst und wird von fast allen Kunden auch akzeptiert. Ferner ist der Reisebürokunde im Gegensatz zum Selbstbucher dank der Kundengeldabsicherung auch bei Insolvenzen finanziell geschützt.
Zurück zum Reisejahr 2016. Werden bald flächendeckend die Preise purzeln?
Sollte der Buchungsstau über die nächsten Wochen anhalten, wird 2016 möglicherweise ein Last-Minute-Jahr. Das gilt speziell für die Türkei. Die seit dem Euro-Crash bereits deutlich gesunkenen Schweizer Ferienpreise werden sich im Hinblick auf den Sommer und Herbst tendenziell weiter verbilligen.
«Die Preise von identischen Ferienangeboten in der Schweiz entsprechen weitgehend denjenigen im benachbarten Ausland.»
Damit die Marge dabei nicht ganz draufgeht, müssen die Veranstalter vor Ort kräftig mit den Hoteliers nachverhandeln.
Das tun sie bereits heute und stossen auf ein breites Entgegenkommen. In der Türkei etwa ist der Tourismus eine Staatsangelegenheit. Lokale Hoteliers und andere Leistungsträger erhalten zurzeit finanziellen Support von der Regierung und sind natürlich bereit, ihre Tarife gegenüber den Reiseveranstaltern in dieser Notsituation gegen unten zu korrigieren.
Was tun Sie dagegen, dass viele Schnäppchenjäger auf der Suche nach noch günstigeren Ferienangebote in deutsche Reisebüros gehen?
Wir versuchen immer wieder, diese sich hartnäckig bei den Konsumenten festgesetzte Meinung zu widerlegen. Die Preise von identischen Ferienangeboten in der Schweiz entsprechen weitgehend denjenigen im benachbarten Ausland. Es gibt natürlich zu gewissen Reiseperioden saisonale Unterschiede oder unterschiedliche Buchungsstände, die zu Preisdifferenzen führen.
Die in der Regel zugunsten der Buchung im Ausland ausfallen?
Überhaupt nicht, ich gebe Ihnen ein aktuelles Beispiel. Schweizer Reiseveranstalter konnten ihre Sommerproduktion 2016 zu einem Euro-Wechselkurs von rund CHF 1,03 einkaufen. Zurzeit tendiert der Kurs wieder zu CHF 1,10. Das heisst konkret: Wer in der Schweiz bucht, profitiert.
Wo planen Sie selbst heuer Ihre Ferien?
Ich werde ins südliche Afrika reisen, eine Safari in Botswana unternehmen und dann noch in Kapstadt unterwegs sein. Soeben war ich auch einige Tage in Paris und habe es genossen. Die Polizeipräsenz in der Stadt ist nach wie vor gross, was einem aber auch ein Gefühl der Sicherheit gibt.
Der Gesprächspartner:
Max E. Katz (60) bildete sich nach einer kaufmännischen Lehre in einer Herrenkleiderfabrik an der damaligen HWV Zürich zum Wirtschaftsexperten weiter. Seine Berufskarriere führte ihn von Unilever (Brand Manager), Jacobs Suchard (Controller), Mars (Finanzchef) und Hürlimann (CFO) zum Reisekonzern Kuoni, wo er von 1995 bis 2010 als CFO und Mitglied der Konzernleitung tätig war. Nach der Frühpensionierung bei Kuoni wurde Katz Verwaltungsrat bei der Charles Voegele Holding AG und präsidiert diesen seit 2015. Zusammen mit dem langjährigen Kuoni-CEO Hans Lerch kaufte er vor vier Jahren die Best of Switzerland Tours AG, welche touristische Ausflugsprogramme in der Schweiz für ausländische Reisende anbietet und hat sich am 2012 gegründeten Software-Startup Nezasa beteiligt. Er ist zudem im touristischen Beirat der DER Touristik Köln und beim Kuba-Spezialisten Caribbean Tours Zürich. Zum Präsidenten des Schweizer Reise-Verbands (SRV) wurde Katz im Jahr 2012 gewählt.
Das Unternehmen:
Der Schweizer Reise-Verband (SRV) ist die Branchenorganisation der Reisebüros und Reiseveranstalter in der Schweiz und in Liechtenstein. Er vertritt die Interessen seiner Mitglieder auf nationaler und internationaler Ebene, ist aktiv in der Mitgestaltung von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und betreibt Lobbying gegenüber der Politik, der Wirtschaft und der Öffentlichkeit. Der Verband zählt rund
- 810 Aktivmitglieder: qualifizierte Reisebüros, Reiseveranstalter, Online Travel Agents und Incoming-Agenturen
- 135 Passivmitglieder: Fluggesellschaften, Fremdenverkehrsämter, Tourismusfachschulen, Autovermieter, (Reise)Versicherungen, EDV- und Consultingunternehmen sowie weitere der Touristikbranche nahe stehende Firmen.
Die Mitglieder des SRV repräsentieren rund 80% des gesamten Umsatzes von ca. CHF 12 Mia, welcher auf dem Reisesektor (Outgoing inkl. Geschäftsreisen) generiert wird. Der Verband wurde am 21. April 1928 in Genf als «Schweizerischer Reisebüro-Verband» gegründet. Anlässlich der Generalversammlung 2013 in Izmir wurde der neue Name «Schweizer Reise-Verband» von den Mitgliedern gutgeheissen. Der SRV vertritt die Interessen der gesamten Schweizer Reisebranche und will mit dem neuen Namen dem Wandel der Branche und der Mitglieder gerecht werden. www.srv.ch