Michael Balmer, CEO Senozon AG. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Balmer, im August 2010 haben Sie zusammen mit Marcel Rieser die Senozon AG gegründet, ein Technologie- und Beratungsunternehmen mit den Spezialgebieten Standortplanung und -bewertung, Verkehrs- und Infrastrukturplanung sowie Mobilitätsforschung. Wie kam es dazu?
Michael Balmer: Der Grund dafür ist typisch für einen ETH Spin Off: Die langjährigen Forschungsarbeiten, die wir in der Gruppe von Prof. Kai Nagel, TU Berlin, und Prof. Kay Axhausen, ETH Zürich, durchgeführt haben, zeigten in der Anwendung für die Westumfahrung Zürich, dass die produzierten Resultate nicht nur valide sind, sondern auch eine Vielzahl neuer Informationen liefern, die nicht nur in der Verkehrsplanung sondern auch in der Standortbewertung von grossem Nutzen sind. Damit diese Innovation in den Markt gebracht werden kann, haben wir uns daraufhin entschlossen, die Senozon zu gründen.
Inwieweit konnten Sie Ihre damaligen Pläne in den letzten sechs Jahren verwirklichen?
Es war uns von Beginn weg klar, dass wir uns in einem sehr spezialisierten Marktumfeld bewegen, bei dem typischerweise die Mobilitätsaspekte eher zurückhaltend betrachtet werden. Umso mehr sind wir stolz darauf, dass wir mit dem Spagat von technologiegestützter Verkehrs- und Standortberatung bei gleichzeitiger Entwicklung standardisierter Datenprodukte es aus reiner Eigenfinanzierung geschafft haben, unterdessen etwa die Hälfte des Umsatzes durch Produkte zu etablieren. Somit sind wir heute – früher als geplant – in einer intensiven Expansionsphase. Wir haben vor kurzem unsere Produkte in Deutschland lanciert und planen bis Ende Jahr die Erweiterung auf Österreich.
«Wir sind heute – früher als geplant – in einer intensiven Expansionsphase.»
Michael Balmer, CEO Senozon
Mobilitätsforschung ist ein komplexes Gebiet. Ihr Dienstleistungsmodell basiert auf der von der ETH Zürich und der TU Berlin entwickelten Verkehrs- und Verhaltenssimulation MATSim (Multi Agent Transport Simulation). Was ermöglicht MATSim?
Mit MATSim ist uns ein sehr umfangreicher Innovationsschritt in der Verkehrsplanung gelungen, hauptsächlich weil wir bekannte Methoden aus der Verkehrsplanung mit modernsten Technologien in der Informatik verknüpft haben. Zudem hat die rasante Entwicklung in der Rechnerleistung dazu beigetragen, dass sich diese doch sehr komplexe Modellierung der Mobilität auf ganze Länder anwenden lässt.
Ebenso hat die Entwicklung im Bereich „Big Data“ sehr geholfen, immer präzisere Modelle zu bauen. Eigentlich haben wir mit MATSim schon „Big Data“ produziert, als der Begriff noch gar nicht existierte.
Wie lässt sich das Modell ständig erweitern?
Das Spezielle an MATSim ist, dass diese eine „Open Source“ Software ist. Seit etwa 12 Jahren entwickeln Forscher in der ganzen Welt an neuen Anwendungsgebieten und Funktionen. Diese Community – an der wir uns ebenfalls tatkräftig beteiligen – sorgt dafür, dass aktuellste Fragestellungen in der Mobilitätsforschung umgesetzt werden. Wir als Unternehmen profitieren somit direkt von diesen Entwicklungen und steuern im Gegenzug dazu bei, dass die Software stabil und erweiterbar bleibt.
«Eigentlich haben wir mit MATSim schon „Big Data“ produziert, als der Begriff noch gar nicht existierte.»
Das Raum-Zeit-Verhalten von Einzelpersonen – sei es privat oder beruflich – Haushalten und Unternehmen ist äusserst variabel. Wie exakt lassen sich denn Aussagen treffen?
Ein wichtiger und äusserst grundlegender Aspekt hier ist, dass zwar die Mobilität als solches sehr variabel ist, nicht jedoch die Entscheidungsprozesse, die zur der Mobilität führen. Verkehrsplanungsmodelle modellieren die Mobilitätsnachfrage. Das Symptom – der Verkehr – ist das Resultat dieser Nachfrage. Das unterscheidet übrigens auch die Modelle von der reinen „Big Data“ Analyse, die zwar das Symptom sehr gut abbilden kann, jedoch deren Ursache verschlossen bleibt. Aus diesem Grund lassen sich mit diesen Verkehrsmodellen auch Aussagen über die Verkehrsströme in der Zukunft treffen.
Nehmen wir ein konkretes Beispiel: Mit ihrem Mobilitätsmodell haben Sie im Vorfeld der Abstimmungen über die 2. Gotthardröhre eine Wirkungsanalyse des alpenquerenden Verkehrs am Gotthard vorgenommen. Können Sie uns das Vorgehen kurz erläutern?
Die Frage, die sich hier gestellt hat, war, inwiefern würde in der Zukunft der alpenquerende Verkehr den Pendlerverkehr beeinflussen, unter der Annahme der Alpeninitiative, dass der Gotthard in Zukunft trotzdem 2-spurig je Richtung betrieben wird und damit mehr Güterverkehr anzieht. Um diese Frage zu beantworten haben wir in unserem gesamtschweizerischen Mobilitätsmodell diese Annahmen umgesetzt. Der Fokus der Wirkungen lag dann nicht auf den Verkehrsmengen am Gotthard, sondern auf den veränderten Verkehrsbelastungen und deren Auswirkungen auf die Verkehrsnachfrage der Pendlerbevölkerung in den betroffenen Agglomerationen.
Auf MATSim basiert auch das Geschäftsfeld der Standortplanung und Standortbewertung. Derzeit unterstützt Senozon die US-Kette Dunkin› Donuts bei der Standortplanung für ihren Markteintritt in der Schweiz. Welche Daten können Sie Ihrem Auftraggeber als Entscheidungshilfe unterbreiten?
Der Standortbewertungsmarkt war für uns von Beginn weg sehr spannend, da das Mobilitätsmodell Informationen bietet, die zuvor für die Standortbewertung nicht zur Verfügung standen. So sind – gerade im Retail-Bereich – quantitative Aussagen zu Passantenströmen und Erreichbarkeiten essentiell für die Bewertung und Wahl eines Verkaufsstandortes. Dunkin‘ Donuts nutzt hierbei unsere Web-App Produkte, um mit ein paar Klicks zielgruppenspezifisch potenzielle Standorte nach diesen Qualitätsmassen zu beurteilen.
Gilt für Immobilienunternehmen was für Retailer oder Unternehmen wie Dunkin› Donuts gilt? Wie stark zeigen sich Immobilienmakler oder Immobilienberater an Services wie Senozon Locations interessiert?
Hier hat sich gezeigt, dass die Mobilitätskenngrössen – im Speziellen die Erreichbarkeiten – ebenfalls von grossem Nutzen sind. Jedoch sind die Fragestellungen in den Nuancen etwas anders. Aus diesem Grund sind wir momentan daran, die Produkte auf die Fragestellungen besser zuzuschneiden. Zudem sind wir stetig daran die Produktpalette zu erweitern. Hier ist gerade im Bereich der Immobilien-Entwicklung ein sehr grosses Interesse auf Seite von Zukunftsszenarien.
«Gerade im Detailhandel ist es von mässigem Interesse, wo die Bevölkerung wohnt. Viel wichtiger ist es, wo die Leute im Tagesverlauf sind, denn dann sind auch die Läden offen.»
Was unterscheidet Senozon Locations von anderen Standort-Analyse-Werkzeugen?
Im Gegensatz zu herkömmlichen Werkzeugen fokussieren wir uns sehr stark auf die Mobilität. Die wichtigsten zwei Aspekte sind hierbei die zielgruppenspezifische Analyse und die tageszeitlichen Unterschiede. Gerade im Detailhandel ist es von mässigem Interesse, wo die Bevölkerung wohnt. Viel wichtiger ist es, wo die Leute im Tagesverlauf sind, denn dann sind auch die Läden offen.
Eine Erweiterung ist Senozon Locations für Bürogebäude. Wie ist dieses Angebot modelliert?
Auch hier spielt die Erreichbarkeit eine wichtige Rolle, sei es um das Mitarbeiterpotenzial abzuschätzen oder auch die Nähe zu Zulieferer und Konkurrenz zu quantifizieren. Ebenso ist das umliegende Angebot – vom Restaurant bis zum Fitnesscenter – ausgewiesen. Aber auch hier gilt das Gleiche wie für Wohnimmobilien: Wir sind stetig daran unsere Angebote auszubauen und zu verbessern.
Im Frühling wird Senozon Locations auch für ganz Deutschland verfügbar sein. Haben Sie weitere Länder im Visier?
Bis Ende 2016 werden wir unsere Services ebenfalls für Österreich anbieten um den gesamten DACH Bereich abzudecken. Weitere europäische Länder folgen ab 2017. Hierbei ist Grossbritannien von grossem Interesse für uns, nicht nur auf Grund des Marktpotenzials sondern auch um im angelsächsischen Raum Fuss zu fassen.
Wie sehen Sie die Entwicklung Ihres Unternehmens in den kommenden Jahren?
Abgesehen von der geographischen Expansion in weitere Länder arbeiten wir ständig an der Entwicklung neuer Online-Produkte. In der Standortbewertung und im Geomarketing Bereich sind dies unter anderem «Hot Spot» und «White Spot» Karten oder «Location Finder». Ebenso sehen wir ein grosses Potenzial im Infrastrukturbereich für Impact Analysen von Emissionen und standardisierte Prognose Szenarien. Sie sehen, uns wird es in den nächsten Jahren sicherlich nicht langweilig.
Herr Balmer, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Michael Balmer studierte an der ETH Zürich Informatik und promovierte anschliessend am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme (IVT, ETH Zürich) auf dem Gebiet der Nachfragegenerierung für agentenbasierte Verkehrssimulationen.