Michael Kisch, CEO Aktiia und Jens Krauss, Leiter VP Systems CSEM, im Interview

Michael Kisch, CEO Aktiia und Jens Krauss, Leiter VP Systems CSEM, im Interview
Michael Kisch (l.) und Jens Krauss. (Foto: zvg)

von Robert Jakob

Moneycab: Herr Kisch, Sie sind seit knapp zwei Jahren Vollzeit-CEO bei Aktiia. Hat Sie das Thema Bluthochdruck als Sportler besonders gereizt?

Michael Kisch: Bluthochdruck oder Hypertonie ist die weltweit am häufigsten auftretende chronische Erkrankung. Sie betrifft 1,4 Milliarden Menschen und ist die Hauptursache für Herzinfarkte und Schlaganfälle, an denen jedes Jahr über 18 Millionen Menschen sterben. Bei all den Innovationen und medizinischen Fortschritten der letzten Jahrzehnte sollte man annehmen, dass wir den Menschen besser helfen können, ihren Blutdruck zu kontrollieren. Aber das Gegenteil ist der Fall: Leider funktioniert das in den meisten Ländern immer schlechter.

Warum, Ihrer Meinung nach?

Einer der Hauptgründe ist, dass wir bei der Überwachung des Blutdrucks noch immer auf eine 100 Jahre alte Technologie angewiesen sind, nämlich die allseits bekannte, aufblasbare Oberarm-Manschette. Die ist aber unangenehm, unbequem und wird daher nur ungern verwendet. Das erschwert die Zusammenarbeit zwischen Patienten und Arzt. Die Möglichkeit, den Blutdruck mit Hilfe von am Handgelenk getragenen optischen Sensoren dauerhaft zu messen, wird seit über 20 Jahren entwickelt. Aktiia war das erste und ist immer noch das einzige Unternehmen, dem es gelang, diese Technologie zu validieren und zu vermarkten. Die Kerntechnologie wurde zunächst am CSEM über einen Zeitraum von 15 Jahren entwickelt. Dabei wurden verschiedene Ansätze ausprobiert, bevor man den am besten funktionierenden herausfand.

Zahlen Patienten gerne die rund 200 Franken für das Aktiia-Armband?

Ich denke, dass unsere Kunden den Wert und die Bequemlichkeit der Aktiia-Lösung im Vergleich zu einer herkömmlichen Blutdruckmanschette erkennen und bereit sind, die notwendige Investition zu tätigen. Auch um ihre Erfahrung hinsichtlich des Managements ihres Blutdrucks zu verbessern.

Wie genau lässt sich der Blutdruck durch optische Pulswellenanalyse am Handgelenk messen?

Bei einer einzelnen Messung arbeitet unser Gerät genauso exakt wie eine herkömmliche Blutdruckmanschette. Aber wenn man die Daten in ihrer Gesamtheit betrachtet, das heisst, wenn wir Hunderte von Messwerten pro Woche auswerten können, bietet sich ein viel tieferes Verständnis über das wahre Blutdruckmuster einer Person.

Herr Krauss, es hat 15 Jahre gebraucht, um das unscheinbare Blutdruckmessbändchen von Aktiia zu entwickeln. Was floss da alles mit ein?

Wir sind beim CSEM seit Jahrzehnten im Bereich der medizinischen Wearable-Technologien und mussten hartnäckig bleiben, um die nicht-invasive, kontinuierliche Blutdruckmesstechnologie, den so genannten oBPM, optical Blood Pressure Monitor, zu erfinden. In der Tat war das CSEM der erste Akteur bei der Herzfrequenzmessung am Handgelenk, als es 2001 – genau 14 Jahre vor der Einführung der Apple-Watch – ein Patent anmeldete, das die Photoplethysmographie (PPG) mit Trägheitssensorik kombiniert, um die Herzfrequenz des Benutzers zu ermitteln. PPG enthält jedoch viel mehr Informationen als nur den Rhythmus. Wir haben unsere optoinertiale Messplattform weiterentwickelt, um auch andere Vitalparameter wie Atemfrequenz und Blutdruck sowie verwandte Parameter wie Stressindikatoren, Schlafqualität und verschiedene Arten von Herzrhythmusstörungen zu erfassen.

Keimzelle dieser Entwicklung ist das Schweizer Innovationszentrum CSEM. Herr Krauss, als dessen Vizepräsident sind Sie gleichzeitig Verantwortlicher für personalisierte digitale Gesundheitstechnologien. Sieht sich das CSEM als Brutkasten?

Wir sind ein nationales Innovationszentrum für Mikrotechnologie und -elektronik, und es ist unsere Aufgabe, die Schweizer Industrie zu stärken, indem wir Innovationen entwickeln und als Technologieanbieter für den Industriesektor auftreten. Heute ist das CSEM ein führendes Innovationszentrum für das digitale Gesundheitswesen mit jahrzehntelanger Erfahrung in den Bereichen medizinische Sensorsysteme, Miniaturisierung, drahtlose Konnektivität, ASIC-Design (anwendungsspezifische integrierte Schaltung, Anmerkung d. Red.) mit einem extrem niedrigen Energieverbrauch und Datenanalyse. Wir unterstützen den digitalen Wandel im Gesundheitswesen mit unseren medizinischen Sensoren, die immer kleiner, vernetzter und intelligenter werden.

«Die Armbanduhr ist das «Wearable» der ersten Stunde, und die Schweizer Zeitmessung steht für Präzision und emotionales Design im Detail.»

Die Wurzeln des CSEM stecken in der Schweizer Uhrenindustrie. Verführt das zur Miniaturisierung und besonderer Detailverliebtheit, sprich Genauigkeit?

Die Armbanduhr ist das «Wearable» der ersten Stunde, und die Schweizer Zeitmessung steht für Präzision und emotionales Design im Detail. Diese Eigenschaften repräsentieren sehr gut die DNA vom CSEM: geringer Stromverbrauch und Präzision. Kleine, präzise und tragbare Objekte wie das kontinuierliche Blutdruckmessgerät von Aktiia passen daher gut zu unseren Forschungsschwerpunkten und -kompetenzen.

Herr Kisch, im Vergleich zu Smartwatch-Lösungen ist die Aktiia-Blutdruckmessung weniger schwankungsanfällig. Wie «glättet» Aktiia die Messwerte?

Bis heute kann keine Verbraucher-Smartwatch bieten, was Aktiia bietet. Die Unternehmen, die Wearables für Endverbraucher anbieten, versuchen es zwar, aber sie sind nicht in der Lage, mit unserer Technologie mitzuhalten, was die behördlichen Zulassungen und das Vertrauen der Ärzte angeht. Aktiia konzipiert seine Produkte so, dass sie nicht nur Patienten ansprechen, sondern auch Ärzte informieren, damit sie medizinische Entscheidungen besser treffen können. Dies erfordert einen umfassenderen Ansatz, der wesentlich mehr Validierung erfordert.

«Wir haben unsere Messplattform weiterentwickelt, um auch andere Vitalparameter wie Atemfrequenz und Blutdruck sowie Stressindikatoren, Schlafqualität und verschiedene Arten von Herzrhythmusstörungen zu erfassen.»

Herr Krauss, gibt die kooperative Arbeitsweise beim CSEM eine Blaupause für erfolgreiche Entwicklungsprojekte im Bereich eHealth ab?

Digital Health ist ein sehr breit gefächertes und multidisziplinäres Forschungsgebiet und erfordert eine umfassende Koordinierung verschiedener Disziplinen wie Sensorelektronik, Mikroelektronik mit geringem Stromverbrauch, Softwaretechnik, Signalverarbeitung und Datenanalyse, Systemintegration und -technik, Gesundheits- und Medizinwissenschaft bis hin zu Fragen der Regulierung. Ohne eine enge Zusammenarbeit mit den verschiedenen akademischen und gesundheitspolitischen Akteuren wird man daher im Bereich der digitalen Gesundheit nicht erfolgreich sein. Das ist die Hauptmotivation, warum das CSEM Anfang dieses Jahres Büros auf dem Insel-Campus in Bern eröffnet hat: um eng mit den klinischen und akademischen Partnern zusammenzuarbeiten und näher an den Patienten zu sein.

Was unterscheidet amerikanische von Schweizer Startups bei Digitalprojekten in Health Diagnostics?

Es ist kein Geheimnis, dass die Schweiz bei der digitalen Transformation hinterherhinkt, insbesondere im Gesundheitsbereich. Die USA sind eine digitale Nation, verfügen über ein lebhaftes Risiko-Ökosystem und sind ein idealer Ort, um digitale Gesundheitsinnovationen auf den Markt zu bringen, wie es unser Partner AVA Women in der Vergangenheit getan hat. Zudem passt die Food and Drug Administration heute ihren Ansatz zur Validierung neuer digitaler Gesundheitsprodukte an, während die neuen Vorschriften der europäischen Medizinprodukteverordnung das Leben für Schweizer Start-ups und den Marktzugang nicht einfacher machen.

Herr Kisch, wie sieht es beim Patentschutz aus?

Aktiia hat eine Reihe von Patenten zum Schutz ihrer Technologien. Darüber hinaus verfügen wir über Geschäftsgeheimnisse, geschützte Datensätze mit fast 40 Millionen Blutdruckmesswerten und Protokolle für klinische Studien, die uns vor der Konkurrenz schützen.

«Wir haben viele verschiedene Ansätze ausprobiert, mehrere Kehrtwendungen gemacht, zahlreiche Fehler begangen, aber man muss seinen Mitarbeitern das Recht zugestehen, zu scheitern.»

Es gibt sicherlich auch immer wieder Entwicklungshürden. Welche sind das?

Michael Kisch: Eine der grossen Fragen, an denen wir arbeiten, ist die Antwort auf die Frage: «Was kann man mit all diesen Daten machen?» In einer bestimmten Woche generiert Aktiia über 200 individuelle Messwerte. Mit einer herkömmlichen Blutdruckmanschette gibt es vielleicht eine einzige Messung pro Woche. Diese Daten zu analysieren und sie für Patienten und Ärzte aussagekräftig zu machen, ist unsere nächste grosse Entwicklungsaufgabe.

Jens Krauss: Um eine bahnbrechende Innovation auf den Markt zu bringen, braucht man Zeit, Herzblut und Ressourcen. Das CSEM hat 15 Jahre gebraucht, um eine funktionierende Methode zu entwickeln, mit der der Blutdruck kontinuierlich und ohne Manschette gemessen werden kann. Wir haben dabei viele verschiedene Ansätze ausprobiert, mehrere Kehrtwendungen gemacht, zahlreiche Fehler begangen, aber man muss seinen Mitarbeitern das Recht zugestehen, zu scheitern, und das Recht, es immer wieder neu zu versuchen, wenn es nicht klappt.

Herr Krauss, vor allem in Sensortechnologien ist das CSEM sehr stark. Was kann uns da alles noch blühen?

Im täglichen Austausch mit unseren klinischen Partnern in den Krankenhäusern stossen wir auf unzählige unerfüllte Bedürfnisse, das Leben von Patienten und Pflegepersonal zu verbessern. Zu-künftige Herausforderungen sind Datenintegrität und Datenschutz, Benutzerakzeptanz und -adhärenz, medizinische Compliance, die nahtlose Integration in den klinischen Arbeitsablauf sowie eine bessere automatisierte Verarbeitung. Insbesondere Systeme zur Fernüberwachung von Patienten sind eine treibende Kraft des digitalen Wandels im Gesundheitswesen. Und das CSEM unterstützt diesen Prozess mit seinen laufenden Entwicklungen im Bereich der Sensortechnologie, wie beispielsweise einem nicht-aufdringlichen Langzeit-EEG-Monitor, einem Trockenelektroden-Sensorkonzept zur Überwachung von Atemwegserkrankungen, einem medizinischen Wearable zur Überwachung der Gesundheit von Frauen während der Schwangerschaft und einem einzigartigen nicht-invasiven Lungenarteriendruck-Monitor.

Michael Kisch
Mike Kisch´s Leidenschaft ist es, Unternehmen zu gründen und Produkte zu entwickeln, die Menschen dabei helfen, ihre mentale und physische Gesundheit zu verbessern. Er begann seine Karriere in der Emerging Technologies Group bei Cisco Systems und war CEO von Startups im Bereich digitale Gesundheit. Aktuell ist er CEO bei Aktiia, dem Erfinder des weltweit ersten kontinuierlichen Blutdruckmessgeräts. Kisch ist Mitglied der Edmund Hillary Foundation und hat Abschlüsse der Washington University in St. Louis und der University of Wisconsin-Madison.

Jens Krauss
Jens Krauss diplomierte im Jahr 1991 an der ETHZ im Fachbereich der Biomedizinische Technik und arbeitet seit 1996 am CSEM, dem Schweizerischen Zentrum für Elektronik und Mikrotechnik. Er leitet seit 2009 die Business Unit SYSTEMS mit mehr als 100 Mit-arbeiterInnen mit Fokus angewandte Forschung im Bereich der wissenschaftlichen In-strumentation für die Raumfahrt und neue innovative, digitale Gesundheitslösungen. Krauss präsidierte von 2013-2016 die Schweizerische Gesellschaft für Biomedizinische Technik.

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