Michael MacNicholas, Direktor Technologie-Strategie bei Deloitte, im Interview

Michael MacNicholas, Direktor Technologie-Strategie bei Deloitte, im Interview

Michael MacNicholas, Direktor Technologie-Strategie bei Deloitte (Bild: Deloitte)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr MacNicholas, in Ihrer neuesten CIO-Studie kommen Sie zu einem eigentlich paradoxen Ergebnis: Erhöhten Budgets mit einem Fokus auf Innovation stehen gleichzeitig Kostenreduktionen gegenüber. Wie soll das zusammen gehen?

Michael MacNicholas: Auf den ersten Blick erscheint die gleichzeitige Priorisierung von Innovation und Kostenkontrolle in der Tat paradox. Aber Innovation kann auch zur Kostensenkung beitragen, vor allem mittel- bis langfristig.

«Trotz der Aufwertung des Frankens sind die Schweizer IT-Budgets in den letzten zwölf Monaten signifikant gewachsen.» Michael MacNicholas, Direktor Technologie-Strategie bei Deloitte

Schweizer CIOs stehen aktuell einer Vielzahl von teils konkurrierenden Zielsetzungen gegenüber. IT-Budgets nehmen zu, gleichzeitig sollten die IT-Kosten in Grenzen gehalten oder gar reduziert werden. Kostenkontrolle wird in der Schweiz gar häufiger als wichtigste geschäftliche Priorität angesehen als irgendwo sonst in der Welt. Schweizer Unternehmen haben seit dem Frankenschock ein noch stärkeres Kostenbewusstsein entwickelt als sonst üblich. Andererseits wachsen die IT-Budgets, um Innovationen und digitale Technologie zu forcieren.

IT-Investitionen und -Innovation gelten häufig als Mittel, um Kostenreduktion und -kontrolle zu beschleunigen, beispielsweise durch die Reduzierung manueller Prozesse. Organisationen müssen deshalb zunächst Geld in die Hand nehmen, um profitabel zu sein und Kosten einzusparen. Dass die IT-Budgets trotz erhöhten Kostendrucks weiter steigen, betont wohl die wachsende strategische Bedeutung der IT – ein gutes Zeichen.

Wie hat sich die Frankenstärke auf die geplanten Budgets ausgewirkt und wie steht die Schweizer IT im Vergleich zu den ausländischen Mitbewerbern da bezüglich der finanziellen Ausstattung?

Trotz der Aufwertung des Frankens sind die Schweizer IT-Budgets in den letzten zwölf Monaten signifikant gewachsen. Laut unseren Umfrageergebnissen geben mehr als die Hälfte der befragten CIOs in der Schweiz an, dass ihre Budgets für das Jahr 2015 erhöht wurden. Dieser Wert ist deutlich höher als in den Vorjahren – und auch leicht höher als der globale Durchschnitt, der bei 48 Prozent liegt. Wir sehen darin einen klaren Aufwärtstrend, der sowohl die anhaltende wirtschaftliche Erholung als auch das steigende Bewusstsein für die strategische Bedeutung der IT in der Schweiz widerspiegelt.

CIOs wünschen sich, ebenfalls gemäss Ihrer Studie, eine vermehrte Einbindung in Fragen der Unternehmensstrategie und weniger operative Aufgaben. Wie gut sind die CIOs für strategische Aufgaben überhaupt vorbereitet?

Offenbar hegen Schweizer CIOs den Wunsch, aus der operationalen Ecke zu treten und mehr im direkteren Kontakt mit den Geschäftsführer zu stehen. Sie wollen nicht nur direkt an den CEO rapportieren, sondern auch in der Entwicklung der Unternehmensstrategie mit eingebunden werden. Gemäss unserer Umfrage wirken aber derzeit zwei Drittel der Schweizer CIOs entweder überhaupt nicht in der Gestaltung der Unternehmensstrategie mit oder führen diese nur aus.

«Grundsätzlich stehen Unternehmen vor der enormen Herausforderung, radikale Innovation in bereits bestehenden, grossen Organisationen mit traditionellen Einnahmequellen voranzutreiben.»

Inwieweit sich CIOs über die strategische Verantwortung bewusst sind, besteht noch Uneinigkeit. Um ausserhalb des Bereichs IT in der Organisation anerkannt zu werden, sollte ein IT-Leiter vollständig in das Unternehmen «eintauchen», um ein umfassendes Verständnis für das Geschäft zu entwickeln, das weit über den Tech-Bereich hinausgeht. Und ein CIO sollte das Thema IT-Betriebsprozesse nicht grossartig in der Geschäftsleitung thematisieren, da solche operative Alltagsthemen selten von Interesse sind.

Auch wenn Innovation und neue Technologien ein wichtiger Bestandteil der IT sind, stehen CIOs vor der Herausforderung diese aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und gegebenenfalls skeptisch beurteilen. Allzu häufig stellen sie sich als Verfechter neuer technologischer Anwendungen dar, statt das Unternehmen pragmatisch im Hinblick auf die Möglichkeiten und den Reifegrad innovativer Technologien zu beraten.

Aktuell beherrscht das Thema der Digitalisierung die Agenda fast jeden CEOs. Inwieweit ist Digitalisierung eine IT-Aufgabenstellung, wie gross sind andere Anteile wie Organisation, Prozesse, Ausbildung?

Wann immer die Digitalisierung weitreichende Veränderungen für das Geschäftsmodell einer gesamten Branche bereithält — wie es beispielsweise im Zeitungs- und Verlagswesen der Fall ist — rückt das Thema nicht nur in den Fokus von IT-Leiter und deren Abteilung, sondern betrifft die gesamte Organisation mit all ihren Prozessen. Aus diesem Grund sollte das gesamte Management von Anfang an mit einbezogen werden, um die Herausforderungen gemeinsam zu meistern, und die Marschrichtung vorgeben. Im Rahmen dieses Dialogs kann der IT-Leiter eine wichtige Rolle als der Technologieexperte einnehmen.

Grosse Innovationen in der IT, wie auch in anderen Bereichen, entstehen oft ausserhalb der traditionellen Unternehmen in Startups, Spin-Offs und unabhängigen Forschungsinstituten. Was können grosse Unternehmen tun, um selbst vermehrt  Innovationen hervorzubringen?

Grundsätzlich stehen Unternehmen vor der enormen Herausforderung, radikale Innovation in bereits bestehenden, grossen Organisationen mit traditionellen Einnahmequellen voranzutreiben. CIOs können technologische Trends und deren Potenzial oft besser erkennen als Aussenstehende.

Zu den derzeit bedeutendsten Entwicklungen zählen dabei die Ablösung von Legacy-Systemen, Big Data, Analytics, Digitalisierung und Cloud-Lösungen. Mit den richtigen Investitionen zum richtigen Zeitpunkt können Firmen ihre IT-Abteilungen nicht nur zu profitablen Unternehmenszweigen, sondern zum Motor für weiteres Wachstum machen.

Dabei liegt es an den CIOs, Investitionsfelder zu erschliessen und ein ausgewogenes Verhältnis von Systempflege und Innovation zu finden, die von den normalen Prozessen und dem Druck innerhalb der Organisation abzugrenzen sind. Als grösstes Investitionshemmnis werden noch immer Vorbehalte der Geschäftsleitungen gegenüber risikoreichen Investitionen genannt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns hoch ist, sollte an der Umsetzung festgehalten werden, um dem Unternehmen eine Zukunftsperspektive und eine Absicherung vor disruptiven Veränderungen zu ermöglichen.

Fast alle Investoren und Medien konzentrieren sich auf “das nächste grosse Ding”, die milliardenschwere, disruptive Geschäftsidee. Wo sehen Sie Ansätze, die, vielleicht auch ohne den disruptiven Charakter, die nächsten Jahre technologisch prägen?

Datengestützte Entscheidungen und das Testen-und-Lernen-Modell sind beide Ansätze, die verstärkt zur Neudefinierung der Unternehmensstrategie angewendet werden. Ähnlich der Unternehmensführung eines Startups, gehen wir davon aus, dass die Möglichkeiten neuer Technologien Prozesse derart vereinfachen, dass sie in den nächsten fünf Jahren wesentlich stärker verbreitet sind.

Die Schweiz erlebt aktuell fast eine Explosion von Initiativen, Inkubatoren, Fonds und Events zum Thema Digitalisierung. Niemand will eine scheinbar viel versprechende Entwicklung verpassen. Was braucht es, dass zum Beispiel Zürich konkurrenzfähig wird zu Startup-Szenen wie denjenigen in Berlin, London, New York oder im Silicon Valley?

Die Dichte an qualifizierten Arbeitskräften und einer ausgeprägten Infrastruktur ist in Zürich äusserst hoch. Zwar wird der Startup-Lifestyle im Vergleich zu anderen Standorten wie in London oder Berlin als eher geordnet wahrgenommen, dennoch gilt Zürich als ebenso attraktiv.

«Die Dichte an qualifizierten Arbeitskräften und einer ausgeprägten Infrastruktur ist in Zürich äusserst hoch.»

Ein Nachteil für die Startup-Szene sind die Schweizer Konsumenten, die aufgrund ihrer konservativen Einstellung langsamer Neuerungen akzeptieren wie etwa in Grossbritannien oder an der Westküste der USA. Dabei kann es für ein Startup von grossem Vorteil sein an einem lokalen Standort eingebunden zu sein, der sehr reaktionsschnell und anspruchsvoll ist.

FinTechs erhöhen den Druck für die Banken, schneller zu innovieren und Lösungen zu erstellen, welche die Kunden begeistern. Dem gegenüber stehen milliardenteure Investitionen der Banken in bestehende Systeme, die im Unterhalt Mittel binden und relativ unflexibel sind. Wie können sich Banken aus dieser unerfreulichen Situation befreien?

Banken müssen weiterhin in Kernsysteme investieren, um allen Anforderungen der Konsumenten gerecht zu werden, statt nur eine Nische zu bedienen. Dazu benötigen Unternehmen die entsprechenden IT-Kompetenzen dieser Grössenordnung. Während einige FinTech-Produkte sehr interessant sind, wird die Möglichkeit alles an einem Ort zu konzentrieren für Kunden weiterhin attraktiv bleiben.

Der Gesprächspartner:
Michael MacNicholas ist Leiter des Deloitte Strategieteams für Technologie in der Schweiz. Er berät seit 15 Jahren globale Organisationen in Grossbritannien, den USA und Europa. Mit seinem Expertenwissen unterstützt Michael CIOs darin, ihre IT-Organisation und -Prozesse pragmatisch umzugestalten, ihre Technologie-Architekturen und Portfolios zu optimieren und gross angelegte Programme in die Tat umzusetzen. Er leitet die Deloitte CIO-Umfrage inklusive der dazugehörigen Events in der Schweiz.

Das Unternehmen:
Deloitte ist ein führendes Prüfungs- und Beratungsunternehmen in der Schweiz und bietet branchenspezifische Dienstleistungen in den Bereichen Wirtschaftsprüfung, Steuerberatung, Consulting und Financial Advisory. Mit über 1‘400 Mitarbeitenden an den sechs Standorten Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano und Zürich (Hauptsitz) betreut Deloitte Unternehmen und Institutionen jeder Rechtsform und Grösse aus allen Wirtschaftszweigen. Deloitte AG ist eine Tochtergesellschaft von Deloitte LLP, dem Mitgliedsunternehmen in Grossbritannien von Deloitte Touche Tohmatsu Limited (DTTL). Über DTTL sind deren Mitgliedsunternehmen mit über 225‘000 Mitarbeitenden in mehr als 150 Ländern vertreten.

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