von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Süss, ein im Q3 um mehr als ein Viertel eingebrochener Bestelleingang. Lässt Sie das noch ruhig schlafen?
Michael Süss: Unsere Quartalsergebnisse spiegeln die Schwäche der Schlüsselmärkte und den anhaltenden Gegenwind bei den Währungen wider. Viele Unternehmen stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Wir haben bereits Massnahmen angekündigt und überprüfen weitere operative und strategische Massnahmen zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Unternehmens. Für die kommenden Quartale ist unsere Innovations-Pipeline mit Lösungen gefüllt, die den Kundennutzen steigern. Die langfristigen Nachfragetreiber für unsere beiden Geschäftsbereiche sind intakt und das stimmt uns zuversichtlich, was das weitere Wachstumspotenzial unseres Unternehmens angeht.
Sie erwarten für das Gesamtjahr weiterhin eine organische Umsatzschrumpfung um einen mittleren einstelligen Prozentbetrag. Was macht der Problemmarkt «Filament»?
Der Umsatzrückgang in unserem Filamentgeschäft ist vor allem darauf zurückzuführen, dass wichtige Kunden in China ihre Investitionen in Anlagen aufschoben, nachdem sich die Konjunktur im Land klar abschwächte. Hintergrund dafür war ein deutlicher Rückgang des Konsums von Textilien aufgrund von Inflation, höheren Zinssätzen und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Die Nachfrage nach Polymerprodukten wird jedoch von Megatrends wie dem Bevölkerungswachstum gestützt. Deshalb bin ich, was die mittel- bis langfristige Entwicklung unseres Polymergeschäfts angeht, sehr zuversichtlich. Wir erwarten, dass sich die Auftragslage ab 2024 erholt.
Was kann das auf Stufe EBITDA-Marge für diese Division bedeuten?
Die operative EBITDA-Marge der Polymer Processing Solutions Division ging im 3. Quartal auf 11,1% zurück. Dies ist durch niedrigere Verkaufsmengen, negative Währungseffekte und Inputkosten beeinträchtigt. Im Laufe des Quartals setzte die Division ihre angekündigten Kostenmassnahmen fort, wobei die ersten positiven Auswirkungen im Laufe des 4. Quartals erwartet werden.
Jetzt sind in Indien, Vietnam und China bedeutende Ausstellungen. Was versprechen Sie sich davon?
Asien ist unser grösster Absatzmarkt. Im Bereich Filamenten sind wir dort marktführend, und wir bauen unser Non-Filament-Geschäft weiter aus. Für uns ist es sehr wichtig, unseren Kunden weiterhin die neuesten Innovationen und Technologien zu präsentieren. Diese Messen geben uns die Möglichkeit, bestehende Beziehungen zu stärken und neue aufzubauen.
China ist als Volkswirtschaft gerade regelrecht verpeilt. Müssen wir uns weltweit Sorgen machen?
Wir waren eines der ersten Unternehmen, welches im vergangenen Jahr transparent kommuniziert hat, dass sich die Wirtschaftsentwicklung in China verlangsamt – mit signifikanten Auswirkungen auf unser Geschäft. Entsprechend haben wir frühzeitig begonnen, Massnahmen zu ergreifen, um die Auswirkungen der Konjunkturabschwächung abzufedern. Wir sehen das aber auch als Gelegenheit, unsere Innovationskraft und Expertise zu stärken: Wenn sich der Markt in China wieder erholt, wollen wir noch stärker sein, um davon zu profitieren. China ist derzeit mit einem langsameren Wachstum konfrontiert und muss entsprechend einige Korrekturen vornehmen. Dabei sollte man jedoch nicht übersehen, dass das Land in den nächsten Jahren immer noch jährliche BIP-Wachstumsraten von rund 5% verzeichnen dürfte – was zu den höchsten weltweit gehört.
«Unsere Bilanz ist solide und wir haben im Mai 2023 Anleihen emittiert, die unsere kurzfristige Liquidität zusätzlich unterstützen.»
Michael Süss, Executive Chairman Oerlikon
Cashflow ist in Zeiten hoher Zinsen sicher King. Was erwarten Sie diesbezüglich für Ihr Unternehmen?
Die bereits erwähnten Auftragsverschiebungen bei Polymer Processing Solutions haben natürlich vorübergehend ungünstige Auswirkung auf das Nettoumlaufvermögen. Sobald sich die Auftragslage erholt, erwarten wir jedoch, dass sich das auch auf den Cashflow positiv auswirkt. Entscheidend ist, dass man handlungsfähig bleibt. Unsere Bilanz ist solide, und wir haben im Mai 2023 Anleihen emittiert, die unsere kurzfristige Liquidität zusätzlich unterstützen.
Neue Materialien verbessern viele Produkte. Welches sind momentan die zukunftsträchtigsten Stossrichtungen?
Die industrielle Produktion wird weiterwachsen, um die steigende Nachfrage nach Produkten wie Autos, Elektronik und anderen Konsumgütern zu befriedigen. Industrie-Unternehmen suchen dabei zunehmend nach nachhaltigeren, effizienteren und kostengünstigeren Lösungen. Dies wiederum steigert die Nachfrage nach modernen Beschichtungen wie unsere hauchdünne, noch härtere und glattere BALINIT MAYURA Beschichtung, die Verschleiss minimiert und die Lebensdauer von Werkzeugen verlängert.
Unsere spezialisierten Beschichtungslösungen sind auch angesichts des ungebrochenen Trends zu Reisen sowie vor dem Hintergrund des wachsenden Energieverbrauchs gefragt. Automobil, Luftfahrt und Energieerzeugung gehören daher weiterhin zu den besonders wichtigen Branchen für unsere Material- und Beschichtungsexpertise.
Und wenn man es auf drei Megaprodukte eingrenzt?
Dann würde ich Auto, Luxusgüter und Halbleiter nennen. Die Automobile der Zukunft werden Beschichtungstechnologien für ihre alternativen Antriebe, zum Beispiel Wasserstoff, benötigen, aber auch Lösungen wie unsere thermische Isolierschilde, welche die Sicherheit von Batteriefahrzeugen erhöhen. Die Luxusgüterindustrie entdeckt gerade das Thema Nachhaltigkeit für sich und wendet sich verstärkt umweltfreundlicheren PVD-Beschichtungen zu.
«Unsere thermischen Isolierschilde erhöhen die Sicherheit von Batteriefahrzeugen.»
Die Halbleiterindustrie benötigt ebenfalls Beschichtungslösungen sowie additiv gefertigte Bauteile. Der zunehmende Einsatz von KI, Robotik und anderer moderner Verbraucher- und Industrieelektronik treibt diesen Markt an. In allen drei genannten Branchen, Auto der Zukunft, Luxusgüter und Halbleiter, bieten wir bereits jetzt technologisch wegweisende Lösungen an, wie zum Beispiel unser BALORA HALONA YOF – eine patentierte Beschichtung der neuesten Generation für 3nm-Ätzprozesse. Und wir arbeiten kontinuierlich daran, weitere innovative Lösungen für diese und andere attraktive, wachstumsstarke Märkte zu erforschen und zu entwickeln.
Welche Rolle spielen prestigeträchtige Aufträge wie die Lieferung von Aluminiumteilen für die Ariane 6 für ihr Marketing?
Bei hochentwickelten Technologien wie Additive Manufacturing kommen die Vorreiter oft aus Branchen, in denen Innovation eine wichtige Rolle spielt. Innovative Kooperation ist immer ein wertvoller Treiber für das eigene Marketing. Deshalb ist die Vereinbarung mit der ArianeGroup für uns sehr wichtig. Wir stellen Wärmetauscher-Sätze für die Trägerrakete Ariane 6 her. Unser 3D-Druckverfahren ermöglicht es, dass die Teile sehr leicht sind und genau in den sehr begrenzten Einbauraum passen – das sind wichtige Differenzierungsmerkmale für Bauteile in der Weltraumtechnik – und natürlich ein gutes Beispiel für unsere AM-Expertise.
«Innovative Kooperation ist immer ein wertvoller Treiber. Deshalb ist die Vereinbarung mit der ArianeGroup für uns sehr wichtig.»
Oerlikon AM hat eine über zehnjährige erfolgreiche Zusammenarbeit mit Airbus. Wie sieht es denn mit Boeing aus?
Wir liefern unsere Oberflächenlösungen sowohl direkt an die OEMs in der Luftfahrtindustrie, einschliesslich Airbus, als auch indirekt über deren Zulieferer, zum Beispiel Rolls Royce, die auch Boeing beliefern.
Mit der letzten grossen Akquisition Riri ging Oerlikon noch breiter ins Luxussegment. Liegen da weiterhin die grössten Margen und Pricing Power gut beieinander?
Es ist unsere Strategie, mit unseren Kernkompetenzen in neue Märkte und Anwendungen zu expandieren. Das haben wir im Luxussegment getan und deshalb im Februar dieses Jahres Riri übernommen, um eine führende Position im Bereich Luxusmetallwaren einzunehmen. Der Luxusmarkt ist für uns sehr attraktiv, insbesondere das Premiumsegment. Die Branchenentwicklung ist aber auch dynamisch. Wir versuchen hier stets, die beste Marge und Pricing Power zu finden.
Die Kerninflation hält sich hartnäckig. Was bedeutet das gerade für das Luxussegment?
Luxus bedient ein sehr hochwertiges Verbrauchersegment und ist ein äusserst attraktiver Wachstumsmarkt, der tendenziell inflationsresistenter ist.
Wo liegt das langfristige Margenziel im Gesamtkonzern?
Unser «mittelfristiges» Ziel ist eine operative EBITDA-Marge von 17-19 Prozent für die Gruppe.
«Die meisten Kursziele der Analysten liegen über dem aktuellen Kursniveau.»
Im Moment dürfte es schwer werden Ihre Treasury Shares als Währung einzusetzen oder täusche ich mich da?
Die meisten Kursziele der Analysten liegen über dem aktuellen Kursniveau. Im Allgemeinen macht dies die Treasury Shares als Währung für M&A attraktiv. Nach der jüngsten Übernahme von Riri konzentrieren wir uns jetzt jedoch auf die Integration der neuen Einheit und nicht auf weitere grosse Fusionen und Übernahmen in naher Zukunft.