Michael Wiener, Projekt Dolfinos

Michael Wiener

Michael Wiener. (Foto: Startups.ch)

von Patrick Gunti

Moneycab: Herr Wiener, Sie und Ihr Team sind für das Projekt Dolfinos – einer Halterung, die es Geigern erlaubt, ihr Instrument optimal zwischen Schulter und Kinn zu platzieren – mit dem Swiss Startups.ch Award ausgezeichnet worden. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie und die weitere Entwicklung des Projekts?

Michael Wiener: Dieses Jahr war der Swiss Startups Award gegenüber den bisherigen Austragungen in unserer Kategorie äusserst kompetitiv. Anstatt je drei erste Preise für die italienische, französische und deutsche Schweiz, gab es nur noch einen Gesamtsieger, bei einer Rekordbeteiligung von über 130 Mitbewerbern. Deshalb sind wir schon ein bisschen stolz, dass wir in jeder Ausscheidungsrunde von der jeweiligen Jury die Pole Position zugesprochen erhielten und am Schluss beim Onlinevoting auch das breite Publikum von unserem Startup überzeugen konnten.

Der Gewinn des Swiss Startups Award ist natürlich eine Ehre aber auch eine Verpflichtung, denn damit geht die Anerkennung einher, dass wir nicht nur gute Arbeit geleistet haben und die Ingredienzen für Erfolg besitzen. Es wird uns damit auch das Vertrauen entgegengebracht, dass wir das Potenzial haben, unsere Produkte mit einem Mehrwert für den Kunden am Markt zu etablieren und auf diesem Weg ein prosperierendes Unternehmen aufbauen zu können. Und sicher bedeutet das Preisgeld dieses Awards für uns auch eine willkommene Finanzspritze, gerade in der Gründungsphase des Startups, wo die Ausgaben emporschnellen und die Eigenmittel schnell dahinschmelzen.

Können Sie uns Dolfinos etwas näher erklären?

Wir haben erkannt, dass für unsere Anwender, die Geiger und Violaspieler, seit 200 Jahren ein ungelöstes Problem besteht. Es ist vergleichbar mit dem Velociped vor der Einführung des Kettenantriebs. Das Fahrzeug war schon da – aber erst ergänzt mit dem Kettenantrieb wurde es zur Kraftverstärkungsmaschine. Ähnlich verhält es sich mit der Geige, weil, anders als beim Klavier, die Verbindung Mensch-Instrument sehr komplex ist.

Ans Klavier setze ich mich und vergesse den Stuhl nach wenigen Sekunden auf dem ich sitze. Für das Geigenspiel muss man eine sehr unbequeme Haltung einnehmen und zwischen Geige und Mensch befindet sich der Kinnhalter und die Schulterstütze, die dermatologische und orthopädische Leiden beim Spieler verursachen und zudem schlecht an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden können. Das behindert das freie und virtuose Spielen enorm und führt auch zu gesundheitlich ernsthaften Schädigungen bei über 70% aller Berufsmusiker. Deshalb war der Quantensprung einer Innovation schon längst überfällig. Und dieser Herausforderung haben wir uns gestellt.

Und was hat es mit dem Namen Dolfinos auf sich?

Delfine faszinieren und überraschen uns immer wieder mit ihrem Verhalten und sie lächeln dabei. Das ist genau was wir erreichen wollen, wenn die Musiker dereinst mit unseren Stützen spielen. Nein, Spass beiseite, der Delfin verkörpert das bionische Prinzip, welches wir von Anfang an in der Entwicklung verfolgt haben. Die ergonomische Form, mit ihrem maximal reduzierten Reibungswiderstand, die empfindsame Haut des Delfins, seine Schönheit und Smartness aber auch sein hochentwickelter Akustikapparat, das sind für uns zentrale Benchmarks bei der Entwicklung unserer Produkte. Zudem ist Dolfinos ein attraktiver und gut kommunizierbarer Markenname, den wir im übrigen auch schützen können.

«…Deshalb war der Quantensprung einer Innovation schon längst überfällig. Und dieser Herausforderung haben wir uns gestellt.»
Michael Wiener

Wie ist die Geschäftsidee entstanden?

Aus theoretischer Sicht könnte man die Genetik des Unternehmens mit dem Begriff «User Innovation» charakterisieren. Die Anwender, von welchen ich selbst auch einer bin, sind so unzufrieden mit den traditionellen Lösungen, dass die Notwendigkeit der Abhilfe einfach auf der Hand liegt. Nach einem Schlüsselerlebnis an einem Meisterkurs, wo ich einer jungen Geigerin begegnet bin, die wegen den beschriebenen Unzulänglichkeiten der bestehenden Stützenlösung schon zwei Hautoperationen hinter sich hatte und kurz davor war, ihren Traumberuf aufgeben zu wollen, entschied ich mich, in meinem Leben etwas für die Menschen zu tun, die dieses wundervolle Instrument gerne ohne diese zusätzlichen Stressoren erlernen und spielen möchten – denn Geige spielen ist ja so schon schwer genug.

Nach etwa zwei Jahren Grundlagenforschung kam mir die zündende Idee und ich zeigte sie einem Kollegen von der ETH. Dieser verstand zwar nichts von Musik aber als einer der führenden Wissenschaftler im Bereich «Additive Manufacturing» und als erfahrener Unternehmer sagte er zu mir, geniale Idee, ich helfe dir das zu entwickeln und so kam alles ins Rollen.

Die Herausforderungen waren vielfältig: Viele Geigenspieler leiden unter Rücken-, Schulter- und Halswirbelbeschwerden, einseitig belasteten Muskeln, Haltungsschäden, allergischer Dermatitis. Wie sind Sie das Projekt angegangen?

Da ich selber von der Hochschule komme, hatte ich erstens den Ehrgeiz zu verstehen, wie es eigentlich dazu kam, dass das Problem bisher noch nicht gelöst werden konnte und zweitens wollte ich herausfinden, auf welchem Weg eine nachhaltige Umsetzung meiner Idee realisiert werden kann. Daraus habe ich dann nach der Grundlagenforschung die Ausarbeitung eines KTI-Antrags in Angriff genommen. Dieses Projekt für Forschung und Entwicklung, als Joint Venture zwischen Wirtschaft und Hochschulen, ist jetzt unlängst von der Eidgenössischen Kommission für Enabling Sciences des BBT bewilligt worden.

«Genauso simpel und einleuchtend die Kette beim Fahrrad dem Betrachter erscheint, wenn er sie zum ersten Mal sieht, genauso simpel und einleuchtend wird unsere Lösung sein.»

Was unterscheidet Ihre Erfindung von bisher erhältlichen Produkten auf dem Markt?

Sie ist keine weitere Variante bisheriger Lösungsansätze, sondern ein radikal neuer Zugang, den wir mit dem Begriff: «Body-Violin-Interface» beschrieben haben. In der Kreativitätsforschung würde man das als Lösung dritter Ordnung bezeichnen. Und auf solche Lösungen kommt man nur, wenn man sich sehr viel Grundlagenwissen angeeignet hat – und zwar aus allen möglichen Perspektiven und für alle denkbaren Dimensionen der Aufgabenstellung und dann all diese Erkenntnisse „absinken“ lässt, damit Platz für den Quantensprung frei wird, zu dem die menschliche Innovationskraft in Form von Eingebungen und luziden Träumen, also sogenannten „Heureka Erlebnissen“ fähig ist.

Etwa in einem halben Jahr werden wir soweit sein, dass wir das Geheimnis lüften können. Denn genauso simpel und einleuchtend die Kette beim Fahrrad dem Betrachter erscheint, wenn er sie zum ersten Mal sieht, genauso simpel und einleuchtend wird unsere Lösung sein.

Wie ist Ihr Team zusammengesetzt und welche Partner sind am Projekt beteiligt?

Weil in diesem Fall die Aufgabenstellung einiges komplexer ist als bei der Erfindung der Fahrradkette, habe ich der Zusammensetzung des Teams einen sehr hohen Wert beigemessen. Genau hier hört nämlich der Vergleich mit dem Fahrrad auf. Um diese „break through solution“ erzielen zu können, müssen Musiker, Ingenieure, Akustiker, Designer, Geigenbauer und Ärzte zusammenarbeiten können und jemand muss da sein, der es schafft, all diese unterschiedlichen Disziplinen in die Kooperation zu führen. Und wenn wir am Ende den «Proof of Concept» haben, dann fängt die Arbeit ja erst an, das Produkt muss man ja auch verkaufen können.

Wie gross schätzen Sie Marktpotenzial ein?

Gemäss unseren Erhebungen gibt es gut 10 Millionen Menschen, welche Geigenstützen zum Spielen benutzen. Und wir rechnen damit, dass wir mit unseren Unique Selling Propositions und der geeigneten Marketingstrategie ca. ein Jahr nach Markteintritt 0,8% dieser Anwender überzeugen können, diese Innovation zu nutzen. Und Geigenspielen boomt. Allein in China kommen jedes Jahr 100’000 Geigenanfänger dazu. Aber damit ist auch schon klar, dass es ein sehr cleveres Marketingkonzept braucht, unser Produkt, von dem es, trotz Patentschutz Nachahmer geben wird, als Erste und 100% vertrauenswürdige Marke etablieren zu können. Und da ist der Produktionsstandort Schweiz ein entscheidender Trumpf, weil wir damit die hohe Qualität und Effizienz unserer Produktion sicherstellen und so die Konnotation zum Premiumsegment optimal ausspielen können.

«Ausnahmslos alle waren sprachlos beim Anblick des Konzeptmodells.»

Sie haben Dolfinos von namhaften Geigern testen lassen. Wie war deren Reaktion?

Diese Musiker haben sich bereits tausende von Stunden mit dem Geigenspiel befasst und in ihrem täglichen Leben dreht sich alles um dieses Instrument und trotzdem ist keiner auf diese Idee gekommen. Ausnahmslos alle waren sprachlos beim Anblick des Konzeptmodells, welches wir mit unserem ETH Partner nach einem handgefertigten Urmodell durch einen Reverse Engineering Prozess in mehrfacher Ausführung mit einem 3D Printer, genauer gesagt, im technologisch hochstehenderen Laser Sintering Verfahren auf einer Maschine im Labor hergestellt haben. So eine Hightechanlage kostet 800’000 CHF und ist nicht zu vergleichen mit den bekannten 3D-Printern, wie sie zurzeit überall im Munde sind.

Einer unserer ersten externen Berater, Professor Detlef Hahn vom Royal College of Music in London sagte wörtlich: „This innovation might become the breakthrough solution the whole violin community is waiting for“.

Wo steht das Projekt heute, welche weiteren Schritte folgen und wie präsentiert sich ihr Zeitplan?

Zurzeit entwickeln wir mit Hilfe eines eidgenössisch geförderten Forschungsprojekts zusammen mit dem ETH Institut INSPIRE und der Zürcher Hochschule der Künste die ersten Funktionsmodelle. Danach kommt die Herstellung der 0-Serie für das medizinisch begleitete Testing mit Berufsmusikern, welche ernsthafte gesundheitliche Probleme haben. Da arbeiten wir zusammen mit dem Orchester der Zürcher Oper und der Dermatologischen Uniklinik Zürich und suchen noch Paten, die uns helfen, diese einzelangefertigten Funktions-Prototypen für die betroffenen Musiker zu finanzieren. Ganz wichtig ist der frühe Einbezug von Anwendern, die wir zurzeit mit einer Onlinebefragung und unserem Facebook-Account in die Entwicklung einbeziehen.

Auf der anderen Seite beinhaltet unsere Strategie die Zusammenarbeit mit weltbekannten Geigern als Experten, die, sofern wir den Innovations-Durchbruch wirklich schaffen, als First Mover mit ihren Testimonials von unschätzbarem Wert für einen schnellen und überzeugenden Markteintritt sein werden. Parallel dazu entwickeln wir unser Sales & Marketingkonzept weiter und arbeiten am Aufbau des Produktions- und Vertriebsnetzwerkes. Einen ersten Testmarkt werden wir bereits im 2014 mit Kickstarter eröffnen. Auf diesem Weg des Crowdfundings können wir das Produkt mit Early Adopters lancieren und gleichzeitig kostengünstiges Investment betreiben.

«Der Mensch ist nicht, wie man gemeinhin annimmt, der grösste Risikofaktor, es sind dies die kontextuellen Bedingungen, die man nicht beeinflussen kann.»

Sie waren als Heilpädagogik Professor an der Fachhochschule  Hochschule für Angewandte Wissenschaften St. Gallen tätig, haben diesen Job aber aufgegeben und konzentrieren sich auf Dolfinos. Wie viel Risikofreudigkeit braucht es, um aus einer Geschäftsidee ein erfolgreiches Projekt zu machen?

Gerade wenn man wie ich von den Geistes- und Sozialwissenschaften kommt, ist es am Anfang schwer, sich auf die anfänglich noch sehr fremde Businesswelt einzulassen. Schon da muss man bereit sein sich aufs Glatteis zu begeben und zunächst dauernd auf die Schnauze oder vielleicht besser auf den Hintern zu fallen. Und diese Herausforderungen hören ja nicht auf, wenn man sich mal etwas sicherer bewegt, es gibt dauernd  etwas zu lernen, insofern liebe ich das Risiko, ich bin ein neugieriger Mensch. Es gibt aber auch Risiken, die schwerer wiegen, z.B. dass man sich verausgabt, sich verrennt, sich verkalkuliert. Bei all dem ist das A und O eine starke Crew zu haben, auf die man sich stützen kann. So ein verlässliches Team entsteht natürlich nicht von alleine. Ich betone aber immer wieder: Der Mensch ist nicht, wie man gemeinhin annimmt, der grösste Risikofaktor, es sind dies die kontextuellen Bedingungen, die man nicht beeinflussen kann.

Um darauf angemessen reagieren zu können, braucht es Change-Management-Kompetenzen. Das Risiko Mensch ist nur dann virulent, wenn man als leitende Person wenig Menschenkenntnisse hat und die sogenannten notwendigen Softskills teilweise unausreichend sind, was zugegebenermassen ein relativ verbreitetes  Phänomen zu sein scheint. Ich habe den Studierenden in meinen Seminaren zum Thema Kommunikation immer gesagt: Wie soll man kooperieren können, wenn man die Werkzeuge dazu, die Kommunikationstechniken, nicht gründlich trainiert hat? Und wenn ich heute mit Managern spreche, kann ich mich dabei beobachten, wie es mir manchmal nicht auf den ersten Anhieb gelingt zu erklären, was der entscheidende Unterschied zwischen der Anwendung von Kommunikationstechniken und der Fähigkeit sich zu verständigen ist.

Zurück zur Risikofreudigkeit: Mut aber auch Durchhaltevermögen und Leidenschaft sind natürlich trotzdem unumgänglich. Ich würde jedoch sagen, als nicht mehr ganz junger Jungunternehmer kann ich unserem Startup etwas bieten, was Aristoteles als eine nützliche Tugend für jedes Unternehmen bezeichnet hat: Die Mitte zu finden zwischen Feigheit und Tollkühnheit. Ich finde das Französische kennt hier einen sehr schönen Begriff, der mir noch näher steht: Courage. Darin stecken die Worte Herz und Reife. Zwei Begriffe die gerade zu diesem Venture besonders gut passen.

Bleibt noch Zeit, selber Geige zu spielen?

Leider viel zu wenig. Aber ich habe mich selbst überlistet, indem ich mich auf eine kammermusikalische Partnerschaft mit einer Pianistin eingelassen habe. Das hilft mir, zumindest für die Dauer unserer gemeinsamen Stunden mein geliebtes Instrument in die Hand zu nehmen und ihm ein paar hoffentlich anständige Töne zu entlocken. Ich freue mich auf den Augenblick, wo ich das Unternehmen meinen jungen Mitstreitern übergeben werde, um mich dann ganz den schönen Künsten und meinem Stiftungsprojekt für Kunstschaffende, die unter schweren Formen von Verfolgung und Diskriminierung leiden, zu widmen.

Herr Wiener, wir wünschen Ihnen viel Erfolg. Besten Dank für das Interview.

Zur Person:
Michael Y. Wiener, Jahrgang 1957, gründete als Musiktherapeut 1988 seine erste Firma und arbeitete 18 Jahre als Dozent für Lernpsychologie, Kommunikation und Heilpädogogik an der FHS St.Gallen. Er ist verheiratet mit einer selbständigen Designerin und Vater von zwei erwachsenen Kindern.

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