Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Wichman, seit bald sechs Jahren verzichten Sie bewusst auf Sterne- und Punkte-Optimierung bei bekannten Hotelratings. Welche Gäste finden trotzdem zu Ihnen?
Michel Wichman: Wir sind zwar kein 5*S-Haus sondern wir sind das 3*S-Hotel mit der 4*S-Infrastruktur in der 5*S-Umgebung. Diese Konstellation von Sternen gibt eine bunte Mischung. Bekannte Persönlichkeiten, Geschäftsleute, Einheimische, Familien, Millionäre oder zum Beispiel der Bauer Armin aus dem Dorf, der gerne seinen Stumpen auf der Terrasse raucht. Die Sterne bieten dem Gast eine Orientierung. Sie sind die Basis und das wird auch so bleiben. Unser Ziel war es immer auf Understatement zu setzen. Es ging uns darum, die Erwartungen der Gäste, eingestuft von einem Dreisterne-Konzept, zu übertreffen. Unsere Gäste sollen denken: „ Wow, was für ein tolles Haus“. Vier von fünf Gästen sind Schweizer.
«Unser Ziel war es immer auf Understatement zu setzen. Es ging uns darum, die Erwartungen der Gäste, eingestuft von einem Dreisterne-Konzept, zu übertreffen.» Michel Wichman, Gastgeber Hotel Spitzhorn Saanen
Ein Hotel wie das Spitzhorn wird vor allem auf Stammgäste bauen, denen das Image einer Nobelherberge weniger wichtig ist als die tatsächlich für den Gast erbrachte Leistung. Wie hoch ist der Anteil der Stammgäste im Spitzhorn und wie wollen Sie diesen weiter erhöhen?
Wir sind die Besten unter den Besten und bieten in vielen Bereichen Vier- oder gar Fünfsterne-Leistungen an, die in der konventionellen Dreisterne-Hotellerie nicht üblich sind. Mehrwert für den Gast lautet das Zauberwort. Aber noch viel wichtiger ist die Software. Umfragen bestätigen immer wieder, dass sich unsere Gäste (ob gross oder klein) erst wohl fühlen, wenn sie sehen und gesehen werden. Das eigentliche Produkt tritt dabei völlig in den Hintergrund. Unsere Gäste bezahlen für nichts so viel, wie für die sogenannten weichen Faktoren und die haben mit Ambiente, Gefühle, Farben, Phantasien, Emotionen und Wohlbefinden zu tun. 85% unserer Gäste sind wiederkehrende Gäste.
«Mehrwert für den Gast lautet das Zauberwort.»
Sie konnten als Pächter des im Besitz der Basler Versicherung befindlichen Hotels von Beginn weg in allen wichtigen Fragen mitreden und Ihre Ideen einbringen. Was hat sich bewährt, was würden Sie heute anders machen?
Wenn uns bei der Projektierung eine Fehleinschätzung unterlaufen ist, dann die: Das Restaurant scheint zu knapp bemessen. Ist das Hotel ausgebucht, können wir kaum Reservationen von auswärts annehmen. Sonst wird es zu unruhig im Lokal. Anderseits haben wir lieber ein Restaurant, das jeden Abend 2-mal voll ist, als ein Restaurant, das jeden Abend halb leer ist. Wir waren nicht in der Lage, schauen Sie sich gewisse Fünfsterne-Häuser an, viele Millionen zu investieren um schlussendlich zu konkludieren, dass die Rendite fehlt. Unser Konzept hat sich somit auch finanziell bewährt.
Ihr Leitgedanke im Hotel Spitzhorn lautet “nicht immer mehr von Allem, sondern das Beste vom Wichtigen”. Was ist für die Gäste heute das Wichtigste und wovon können Sie selbst nie genug haben?
Wir stellen das Wohlbefinden des Gastes radikal ins Zentrum. Luxus bedeutet nicht mehr ein Whirlpool im Badezimmer oder Foie gras auf der Speisekarte. Heute ist Zeit Luxus. Wir schenken dem Gast Aufmerksamkeit, sind für ihn da, leben die Gastgeberolle authentisch. Stichworte: Grundausbildung und solide Berufserfahrung. Das allein genügt jedoch nicht. Perfekte «Serving People» strahlen eine gewisse Leidenschaft für ihre Aufgabe aus. Das sieht der Gast in strahlenden Gesichtern, kluger Dienstleistung und top Qualität, soweit das Auge reicht. Ich liebe es!
«Wir stellen das Wohlbefinden des Gastes radikal ins Zentrum.»
Auch in der Küche macht sich eine gewisse Müdigkeit der globalisierten Hotelangebote bemerkbar, welche überall dasselbe bieten, während das Bewusstsein für lokale, nachhaltige Produkte wächst. Wie ist die Küche im Spitzhorn ausgerichtet?
Gastronomie ist verwandt mit Musik. Da wird mit Leidenschaft komponiert. Alles steht zur Wahl zwischen Schlager, Rapp, Märschen, Kammermusik, Serenaden und grossem Orchester. Der Unterschied… bei uns dampft das in grossen Pfannen. Kein Ohren-, wohl aber ein Gaumenschmaus. Wenn wir mit unseren Küchenmeister das Köchelverzeichnis unserer Küche besprechen, befällt uns regelmässig Hunger, was wir vorbereiten, ist schliesslich die grosse Versuchung unserer Gäste. Frische, meist einheimische Zutaten. Spezielle Suppentöpfe, Fische aus heimischen Gewässern, alpine Klassiker, deftige Rösti und süsse Verführungen finden sich im Angebot, dazu jeweils saisongerechte Spezialitäten.
Bekannte Destinationen leiden heute vermehrt an “Overtourism”: Zu viele Touristen, zu wenig Nachhaltigkeit, Konflikte mit den Einheimischen um knappe Ressourcen (Bauland, Wohnraum). Was können Sie tun, um dieser Entwicklung vorzubeugen?
Overtourism ist ein Problem, das viele Destinationen – von Grossstädten bis hin zu Skigebieten – in unterschiedlichen Ausprägungen betreffen kann. Und durch die Individualität jeder Region, gibt es zwar verschiedene Lösungsansätze, aber keine allumfassende Zauberformel, wie man Herr über das Problem wird. Overtourism ist eine Grippe, aber kein Krebs – das Problem ist heilbar, denke ich. Das Problem ist oftmals nicht Overtourism, sondern Under-Management. Als Gast sollte man boomende Reiseziele meiden, nach Geheimtipps suchen, die Nebensaison bevorzugen oder etwas länger bleiben.
«Das Problem ist oftmals nicht Overtourism, sondern Under-Management.»
Ein grosses Thema, das vor allem auch den Alpenraum betrifft, ist die Klimaerwärmung. Welchen Einfluss des Klimas nehmen Sie selbst wahr und wie könnte eine zunehmende Erwärmung Ihren Hotelbetrieb verändern?
Im Berner Oberland sind die Temperaturen in den vergangenen 120 Jahren um knapp zwei Grad Celsius gestiegen – beinahe doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. Und sie sollen noch mehr steigen. Forscher sagen einen Anstieg von weiteren zwei Grad Celsius für die nächsten 40 Jahre voraus. Das mag auf den ersten Blick wenig dramatisch erscheinen. Doch bereits wenige Grade verändern das Klima und damit die Welt entscheidend. Für die Natur, die Menschen und die Wirtschaft in den Alpen bedeutet es eine dramatische Veränderung. Es gilt, einen Schritt weiter zu denken und dafür zu sorgen, dass Anpassungen an den Klimawandel naturverträglich sind. Und hier setzten wir besonders an. Gstaad konzentriert sich seit längerer Zeit vermehrt auf das Herbst-, Frühlings- und Sommergeschäft. Stichworte: „Beach Volley Ball“, „Bergkönig“-Biken und vieles mehr.
Welche Formen von nachhaltigem Tourismus sollten Ihrer Meinung nach vermehrt gefördert werden, welche Angebote werden Sie selbst in Zukunft vermehrt anbieten in Ihrem Hotel?
Städtetourismus benötigt eine andere Nachhaltigkeit als Tourismus in den Bergen. Man sollte sich auf die natürlichen und gegebenen Ressourcen konzentrieren und diese richtig und respektvoll nützen – ein Beispiel: ist ein kleiner idyllischer Bergsee vorhanden so kann man diesen nicht als Badesee anpreisen und hoffen, dass viele zum Schwimmen kommen – wäre kurzfristig sicher ein Bombenerfolg aber der See wäre innerhalb weniger Jahre „tot“! Aus diesem Grund bieten wir Dinge an, welche von der Region gegeben sind – die einzigartige Natur, die alpine Landwirtschaft daraus entstandenen Traditionen sowie natürlich die etablierten Events. Hier überall wird auf Qualität und Nachhaltigkeit gesetzt. Wie schon gesagt: „Nicht immer mehr von Allem, sondern das Beste vom Wichtigen“.
«Man sollte sich auf die natürlichen und gegebenen Ressourcen konzentrieren und diese richtig und respektvoll nützen.»
Das Internet hat auch die Hotellerie nachhaltig verändert über Buchungsplattformen und Rating-Portale. Bringen Sie die digitalen Möglichkeiten näher an die Kunden oder dienen sie vor allem der Beschleunigung des Preisverfalls?
Die Buchungsplattformen, insbesondere Booking.com waren für das Hotel Spitzhorn vor mehr als 5 Jahren bei der Neueröffnung des Hotels natürlich essentiell und nicht wegzudenken. Auf diese Weise haben uns ca. 40% unserer heutigen Stammgäste entdeckt. Mittlerweile hat sich dies relativiert und 80% unserer Gäste buchen direkt. Andererseits haben wir jedoch auch nie das sogenannte Yield-Management praktiziert und auch auf Booking.com unsere eigene Preispolitik durchgezogen. Im Allgemeinen aber ist der Trend „Kurzaufenthalte“, „Globalisierung“ sowie das „Last Minute buchen“ die nachhaltigste Veränderung in der Hotellerie, welche durch die digitalen Fortschritte ins Leben gerufen wurden. Eine rasante Entwicklung, mit welcher die Hotellerie umzugehen lernen muss.
Seit Eröffnung räumen Sie mit dem Spitzhorn regelmässig Preise als bestes 3-Sterne-Hotel, bestes Familienhotel, bestes Winterhotel etc. ab. Wie können Sie den Vorsprung in der schnelllebigen Hotellerie halten, was lässt sich nicht kopieren?
Die Antwort auf diese Frage ist wahrscheinlich genauso vielschichtig, wie die persönliche Definition von Erfolg selbst. Man muss hart dafür arbeiten. Auch bei uns gilt, dass die Vorteile unmittelbar vom Gast wahrgenommen werden müssen. Was nutzt ein komplettes Gästeprofil oder eine Strategie, wenn der Gast dies nicht sieht oder noch schlimmer, nicht spürt? Wenn ich für Gäste, die Geburtstag haben, zur Handorgel greife, wenn Gäste bei uns für Ihre Kinder kostenlose Süssigkeiten an der Bar finden, dann sind das zwei erlebbare Vorteile, die es so anderswo nicht gibt. Meiner Meinung nach kann man grundsätzlich kein Hotel mit einem anderen vergleichen, denn jedes Haus hat seinen eigenen Charme, seine eigene Identität. Schlussendlich geht es um die Seele des Hotels.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
In 2005 haben Sie mir abschliessend die gleiche Frage gestellt. Damals war mein erster Wunsch, unser erstes Kind in unsere Armen schliessen zu können. Moritz ist nun bereits schon 13 Jahre alt und damit der jüngste Gast-Geber des Chalethotels Spitzhorn. Ich wünsche mir, dass er sich weiter so gut entwickelt.
«Glückliche Menschen sind nicht etwa als Optimisten geboren. Nein, Sie kreieren ihren Optimismus selbst.»
Mein zweiter Wunsch ist es, weiter meine Aufgaben im Leben mit dem Rückhalt meiner Liebsten und mit glücklichen und zufriedenen Menschen zu bewältigen. Glückliche Menschen sind nicht etwa als Optimisten geboren. Nein, Sie kreieren ihren Optimismus selbst. Sie haben gelernt, sich immer auf das Positive, anstatt auf das Negative zu konzentrieren und niemals ihr Glück und Lebensfreude freiwillig an Sorgen oder an Pessimismus abzugeben. Dies sind die Menschen, denen diese Welt gehört.
Der Gesprächspartner:
Michel Wichman wurde 1971 in Eindhoven, den Niederlanden, geboren. Nach der Hotelfachschule und dem Diplom für Hotelmanagement absolvierte er in der Schweiz ein Aufbaustudium zum Diplomierten Betriebswirtschaftler an der Höheren Fachschule für Wirtschaft.
Michel Wichman ist Hotelier durch und durch. Er war in den verschiedensten Kategorien der Gastronomie und Hotellerie tätig und führte als schweizweit jüngster General Manager der 5-Sterne-Kategorie das damalige Grand-Hotel Bellevue in Gstaad. Seit mehr als 25 Jahren lebt er mit seiner Familie in Gstaad, wo er sich auch selbstständig machte und in der Gemeinde Saanen eingebürgert wurde.
Im Jahr 2015 gründete er mit drei Kollegen die neue Hotelgruppe „Best 3 Star Hotels of Switzerland“. Privat engagiert er sich als aktives Mitglied der Bildungskommission der Einwohnergemeinde Saanen.
Das Unternehmen:
Der Neubau des 3* Superior Hotel „Spitzhorn“ im typischen Chaletstil feierte im Dezember 2013 die Eröffnung. Das Haus liegt auf der Sonnenterrasse von Saanen. „Die Leichtigkeit des Seins“ ist der Leitspruch des Gastgeberpaars Ilse und Michel Wichman und seinem Team. Die 50 Zimmer, 110 Betten, bieten beste Aussichten auf die Schönheit der Region. Für Kinder ist ein Spielzimmer eingerichtet. Zum Service gehören eine saisonal ausgerichtete Brasserie-Küche im Restaurant sowie Wellness-, Fitness-, Schwimmbadbereich, Sauna-/Dampfbad, Kneipp- und Massagezone. Weitere Informationen und Buchungen unter www.spitzhorn.ch