Nicolas Florin, CEO GS1 Schweiz.
Von Alexander Saheb
Moneycab: Herr Florin, was macht GS1 Schweiz eigentlich?
Nicolas Florin: GS1 Schweiz ist eine nicht-gewinnorientierte Organisation, die mit über 4700 Mitgliedern aus unterschiedlichen Wirtschaftsbranchen sehr breit abgestützt ist. Zu unseren Mitgliedern zählen nicht nur multinationalen Konzerne, sondern auch kleine und mittelgrosse Unternehmen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Unternehmen im Bereich des Waren-, Informations- und Geldflusses besser miteinander zusammenarbeiten, um daraus einen Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Hierzu bieten wir ihnen konkrete Lösungen an, wie erprobte Prozessmodelle oder global gültige Standards für die Produkte-Identifikation und die unternehmensübergreifende Kommunikation, wir sind aber auch offen für neue Lösungen, die im konkreten Fall zu Wertschöpfung führen. Mehrwert für die Unternehmungen innerhalb eines Wertschöpfungsnetzwerkes steht im Zentrum der Bemühungen von GS1. Was ganz wichtig ist, bei uns entstehen die Lösungen gemeinsam mit den Firmen am runden Tisch. Es geht also darum mit vielen das zu erreichen, wozu der einzelne nicht in der Lage ist.
Der Barcode dürfte für die Allgemeinheit wohl das bekannteste Produkt von GS1 Schweiz sein. Warum ist er so wichtig?
Der Barcode bzw. die darin enthaltene 13-stellige, eindeutige GS1 Artikelnummer ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass der Konsument seine gewünschten Produkte beim Detailhändler vorfindet – und das Tag für Tag und ohne Zwischenfälle. Die GS1 Artikelnummer ist weltweit eindeutig und identifiziert immer nur einen ganz bestimmten Artikel. Dank dieser Eindeutigkeit können die Informatik-Systeme der Detailhändler, Dienstleister und der Hersteller, die Waren-, Informations- und Geldflussprozesse automatisiert steuern. Der Barcode resp. das GS1 System – ebenso wie die noch jüngere Technik des RFID – stellt entlang der Supply Chain eine Art digitale Sprache dar, die unternehmens- und grenzübergreifend verstanden wird. Seit bald 40 Jahren werden in der Konsumgüterbranche, weltweit Milliarden von Franken dank effizienten Prozessen eingespart. Für den Konsumenten heisst das eine hohe Verfügbarkeit und ein vielfältiges Angebot zu einem vernünftigen Preis.
«Was ganz wichtig ist, bei uns entstehen die Lösungen gemeinsam mit den Firmen am runden Tisch. Es geht also darum mit vielen das zu erreichen, wozu der einzelne nicht in der Lage ist.»
Nicolas Florin, CEO von GS1 Schweiz
Welche Trends werden denn die Effizienz der Supply Chain künftig prägen?
Wir rechnen aufgrund des weiter zunehmenden Kostendrucks damit, dass der Koordinations- bzw. Abstimmungsbedarf zwischen den Unternehmen auf allen Stufen der Supply Chain zunehmen wird. Die Wertschöpfungsketten entwickeln sich mehr und mehr zu Wertschöpfungssystemen. Wo früher Markenbesitzer mit ihren eigenen Strukturen die Herstellung, den Vertrieb und die Logistik seiner Produkte kontrollierten, konzentriert man sich heute auf die Entwicklung und Vermarktung. Alles andere beziehen sie von Partnern entlang der Supply Chain. Dieser Paradigmenwechsel verlangt eine hohe Abstimmung und bedarf einer standardisierten Kommunikation, damit der Konsument zu seinen gewünschten Produkten kommt.
Wie weit hat der Endverbraucher/Konsument mit seinem Verhalten Einfluss auf die Gestaltung der Supply Chain?
Im Zeitalter des Internet und der sozialen Netzwerke kommt dem Konsumenten eine immer wichtigere Rolle zu. Mit den Einträgen auf Facebook, Twitter, LinkedIn, Xing und dem Schreiben eigener Blogs informiert der Konsument die Umwelt über seine Erfahrungen, Meinungen und manchmal auch über seine Gefühle zu Produkten oder Unternehmungen. Alle diese Informationen sind in ihrer Gesamtheit für ein Unternehmen mindestens so wertvoll wie die klassischen Marktforschungsdaten. Die Konsumenteneinträge können dem Unternehmen Hinweise bezüglich Nachfrage oder Ideen für die Entwicklung neuer Produkte oder Anpassung bestehender Produkte liefern.
Die Supply Chain besteht im Alltag ja oft aus Güterzügen und Lastwagenkolonnen. Welche Bedeutung hat die Logistik für die Schweizer Wirtschaft?
Die Produktherstellung und der physische Transport von Gütern sind lediglich der sichtbare Teil einer Supply Chain. Gemäss der GS1 Logistikmarktstudie 2012, die jährlich in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Logistikmanagement der Universität St. Gallen herausgegeben wird, sind es in der Schweiz doch rund 465 Millionen Tonnen die transportiert werden. Die Wertschöpfungskette besteht aber zu einem wesentlichen Teil aus dem Informationsaustausch. Dieser Teil der Supply Chain stellt sicher, dass am Ende der Kette, das richtige Produkt, in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, zum richtigen Preis und in der richtigen Qualität dem Verbraucher zur Verfügung gestellt wird. An der Sicherung dieses logistischen Versprechens, arbeiten in der Schweiz rund 168‘000 Menschen.
Wo darf man in den kommenden Jahren mit einer besonders guten Entwicklung rechnen?
Welche Branchen sich in den nächsten Jahren wie entwickeln werden, kann ich nicht sagen. Selbstverständlich hoffe ich, dass die Schweiz und Europa es schaffen werden einen möglichst hohen Teil der Wertschöpfung auf dem Kontinent zu erhalten. Sicher ist, dass die Funktionen beziehungsweise die Dienstleistungen rund um die Supply Chain in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden. Die neuesten Zahlen zur Logistikbranche belegen einen Zuwachs von 4.1%, was immerhin 1.3%-Punkte mehr als das Wachstum der Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum bedeutet. Die Märkte für die Unternehmen jeglicher Grösse, ob Beschaffung oder Vertrieb, sind globaler und komplexer geworden. Es braucht kompetente Menschen und Organisationen die im Stande sind, die Komplexität zu bewältigen und zum eigenen Vorteil zu nutzen.
«Im Zeitalter des Internet und der sozialen Netzwerke kommt dem Konsumenten eine immer wichtigere Rolle zu.»
GS1 ist ja auch in der Berufsbildung für logistische Berufe aktiv. Welche Angebote kommen denn besonders gut an?
Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie geschickt die Kompetenzen der Mitarbeiter kombinieren können. Mit unserem Ausbildungsangebot helfen wir das Wissen der Mitarbeiter im Bereich Logistik und des Supply Chain Managements zu verbessern. So kann jeder einzelne seine Rolle im Unternehmen noch besser wahrnehmen. Wichtig ist für uns, dass die Teilnehmer an unsere Lehrgänge offen für die anderen Bereiche im eigenen Unternehmen sind, aber auch offen für partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den vor- und nachgelagerten Unternehmen. Dazu braucht es neben der Fachkompetenz auch einen hohen Grad an Sozialkompetenz, und zwar auf allen Hierarchiestufen. In unseren eidgenössisch anerkannten Lehrgängen versuchen wir beide Aspekte zu berücksichtigen.
Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuches ein?
Regelmässig überrascht die kleine Schweiz die Welt mit Innovationen aus den verschiedensten Bereichen. Mit einem Mix aus Intelligenz, Kompetenz, Bescheidenheit und vielleicht auch mit einem Schuss Selbstironie haben wir es geschafft, uns zu einem wichtigen und zuverlässigen Partner der Weltwirtschaft zu entwickeln. Die Grundmauern dieses Erfolges bilden die politische Stabilität, der hohe Ausbildungsstandard sowie der soziale Frieden. Diese Eigenschaften müssen wir erhalten und weiter (teilweise wieder) entwickeln.
Wie wichtig ist Diversity für dem Verein GS1 angeschlossene Unternehmen, welche Massnahmen wurden dazu bereits geplant oder umgesetzt? Wie sieht es vereinsintern aus?
Wenn man unter Diversity das Vielfaltsmanagement versteht, dann ist GS1 Schweiz das Synonym dazu. Insbesondere dann, wenn man auch die enge Zusammenarbeit mit den 111 GS1 Länderorganisationen mit einbezieht. Der richtige Umgang und der Respekt anderen Kulturen gegenüber ist eine Grundvoraussetzung für die Schaffung global gültiger Kompetenz, Kollaboration und Standards.
Vielen Dank für Ihre Antworten.
Der Gesprächspartner:
Nicolas Florin (Jahrgang 1964) verantwortet als Geschäftsführer seit Mitte 2006 die Belange von GS1 Schweiz. Zuvor war er als Commercial Director der Alloga Gruppe, einem Unternehmen Alliance UniChem PLC, am Hauptsitz im englischen Weybridge tätig. Nach den Abschlüssen Diplôme de l’Ecole Hôtelière de Lausanne, Lausanne, Betriebswirtschaftlicher HF, Bern, Diplom der Controller Akademie, München und Stanford Executive Program, Stanford, war Nicolas Florin über 20 Jahre in unterschiedlichen Führungspositionen in der schweizerischen Wirtschaft beschäftigt. Nicolas Florin ist verheiratet und hat drei Kinder. Zum Auftanken ist er sehr gerne in der Natur und verbringt seine Freizeit gerne mit seiner Familie und der Labradorhündin „Curry“.