Oliver Lang, CEO ONE Insurance, im Interview

Oliver Lang, CEO ONE Insurance, im Interview
Oliver Lang, CEO One Insurance. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Lang, nach Deutschland lanciert die wefox Group ihre volldigitale Versicherungsplattform ONE Insurance nun auch in der Schweiz. Mit welchen Sachversicherungen starten Sie hierzulande?

Oliver Lang: Wir starten mit unserer erfolgreichsten Versicherung aus Deutschland – der Motorfahrzeugversicherung-Versicherung. Inzwischen besteht 50% unseres Bestands in Deutschland aus MF-Versicherungen. Der Grund ist, dass die Differenzierungsmöglichkeiten in MF grösser sind als in Hausrat- und Haftpflichtversicherungen. Deren Prozesse sind einfach und benötigen wenig Daten. MF-Produkte sind in der Abwicklung komplizierter und benötigen mehr Daten. Hier kann ONE seine technische Überlegenheit ausspielen und die Vorteile an die Kunden weitergeben. Wir werden mit unserem beliebtesten Tarif beginnen – dem Switch-Tarif. Dieser steht lediglich Kunden mit einer bestehenden MF-Versicherung offen. Innerhalb von drei Minuten können sie ihre MF-Versicherung zu ONE wechseln und erhalten mehr Leistung zu einem günstigeren Preis. Später kommen dann auch MF-Tarife für Neu- oder Gebrauchtfahrzeugkäufer auf den Markt. Ausserdem planen wir, weitere Produkte auf den Schweizer Markt zu bringen. Ganz konkret stehen für 2021 Privathaftpflicht-, Hausrat- und Tierhalterversicherungen auf der Liste.

ONE steht für die Vision, dass man eines Tages nur noch eine einzige Versicherung unterschreibt, und diese einem durchs ganze Leben begleitet. Wie kann man sich das praktisch vorstellen?

Sie unterschreiben einen Versicherungsvertrag mit ONE, der Ihnen garantiert, alle Risiken, die Sie in Ihrem Leben jemals haben werden, abzusichern. Dazu wählen Sie eine Summe, die Sie pro Jahr maximal selbst tragen möchten. ONE bezahlt dann alle Schäden, die Sie erleiden – ganz gleich, was Ihnen auch passiert. ONE muss für jeden Kunden den richtigen Preis für die Deckung abrechnen. Hier kommen persönliche Daten ins Spiel: Damit wollen wir verhindern, dass Kunden uns jede Änderung ihrer Lebenssituation mitteilen müssen. So erfahren wir beispielsweise, wenn Kunden sich ein neues Auto kaufen, umziehen oder eine Risikosportart beginnen. Erste Erfahrungen mit kontextbasierten Versicherungsdeckungen haben wir gemacht, als wir unsere Reiseversicherung Travel Smart auf den Markt lanciert haben. Diese aktiviert sich automatisch, wenn Kunden ins Ausland verreise und endet bei Rückkehr ins Heimatland.

«Wir starten mit unserer erfolgreichsten Versicherung aus Deutschland – der Motorfahrzeugversicherung-Versicherung.»
Oliver Lang, CEO ONE Insurance

Dann sind Leben- und Krankenversicherungen auch ein Thema?

Absolut. Wir decken alle Risiken im Leben eines Menschen ab, die nicht durch den Staat oder andere obligatorische Policen abgedeckt sind. In Leben sind das insbesondere die biometrischen Versicherungen: Absicherung gegen schwere Krankheiten, Arbeitsunfähigkeit oder Tod. Sparprodukte können eine Möglichkeit sein, Kunden eine monatliche “Flatrate” anzubieten mit der sie fix kalkulieren können. Ist die Monatsprämie geringer als die vereinbarte “Flatrate”, wird diese in eine Sparversicherung investiert. Fällt die Risikoprämie dagegen höher aus, wird Geld aus der Sparversicherung entnommen. Im Krankenversicherungsbereich sehen wir ONE eher nicht als Anbieter von Grundversicherungen. Die sind in der Schweiz durch viele gute Krankenkassen bereits abgedeckt. Wir können uns aber vorstellen, Zusatzversicherungen anzubieten.

Kommen die Kunden über die Website oder die ONE App direkt zu Ihnen oder über Makler, die einen Vertrag mit den Kunden abschliessen?

Wir haben keine Präferenz für einen Vertriebskanal. Wir sind dort, wo unsere Kunden sind. In der Schweiz informieren sich Kunden über Versicherungen am ehesten beim Versicherungsvermittler – und kaufen dort auch. Mit den Beratern unserer Schwester, der SAM Versicherungen AG, haben wir qualifizierte VermittlerInnen quasi im Haus. Auch weitere Vermittler – also Mehrfachagenten und Broker werden ONE Produkte zukünftig anbieten.

In Deutschland haben wir anfangs mit den grossen Aggregatoren Check24 und Verivox experimentiert. Dort war aber kein profitables Geschäft für uns möglich. In der Schweiz werden wir sicher auch mal Comparis testen, (die ein anderes Abrechnungsmodell bemühen. Anmerk. d. Red.) Ich bin gespannt, ob das besser läuft als in Deutschland. Dagegen funktionert der Vertrieb über Partner ausserhalb des Versicherungsbereichs in Deutschland sehr gut – Autohäuser, Automobilhersteller, Leasingfirmen, Banken, Online-Shops etc. Das liegt vermutlich daran, dass diese Vertriebspartner mit ihren Kunden eben nicht über Versicherungen diskutieren wollen. Diese Partner schätzen den einfachen Abschlussprozess von ONE Versicherungsprodukten.

Irgendwann werden wir in der Schweiz sicher auch testen, dass KundInnen unsere Produkte direkt über unsere Homepage abschliessen. In Deutschland mussten wir feststellen, dass das Interesse am Direktabschluss noch sehr gering ist. Entgegen vielen Vorhersagen wächst das Segment auch nicht. Zudem herrscht in diesem Kundensegment ein starker Wettbewerb, obwohl es sehr klein ist. Gleichzeitig bemerkten wir, dass dieses Kundensegment mehr Schäden verursacht als Kunden, die über Vermittler abschliessen. Wegen der hohen Schadenquoten bei einem gleichzeitig starken Wettbewerb amortisiert sich dieser Kanal einfach nicht. Deshalb haben wir uns in Deutschland aus diesem Kundensegment verabschiedet.

«Wer TAA (Tarifierung, Angebot, Antrag ) nicht vollautomatisiert, braucht erst gar nicht weitermachen. Bei ONE läuft der TAA Prozess immer zu 100% digital ab.»

ONE ist ein digitaler Versicherer – so richtig digital wird es aber also erst, wenn der Makler Ihnen einen Kunden vermittelt und dieser dann die App runterlädt und nutzt?

Wir messen die Digitalisierung mit der sogenannten Dunkelverarbeitungsquote. Das ist der Anteil aller Prozesse, die komplett ohne menschliche Interaktion ablaufen. Sobald Mitarbeiter etwas nachschauen oder freigeben müssen, gilt der Prozess bei uns als nicht digital. Da sind wir sehr streng zu uns. Der häufigste Prozess ist bei jeder Versicherung der sogenannte TAA-Prozess: Tarifierung, Angebot, Antrag. Hier wird entschieden, welche Kunden zu welchem Preis ins Versicherungskollektiv aufgenommen werden. Kunden erhalten ein entsprechendes Angebot – fällt die Entscheidung positiv aus, gilt der Antrag als angenommen. Je nach Versicherungssparte macht TAA 60-70% aller Prozesse aus. Wer TAA nicht vollautomatisiert, braucht erst gar nicht weitermachen. Bei ONE läuft der TAA Prozess immer zu 100% digital ab.

Und die restlichen 30-40%?

Die verbleibenden Prozesse teilen sich auf viele Anliegen auf: Adressänderung, Änderung des Bankkontos, Mahnungs- und Betreibungsprozesse, Schadensmeldungen, Kündigungen etc. Bei diesen Prozessen kommt es darauf an, wie die Information ONE erreichen. Nur bei einer digitalen Kontaktaufnahme besteht die Chance auf einen dunkel verarbeiteten Prozess. Hier kommt die Nutzung der Kunden-App ins Spiel. Wenn Kunden diese Anliegen über die App an uns herantragen ist die Chance gross, dass wir sie komplett dunkel verarbeiten können – und damit in Echtzeit.

Inwieweit hat die Akquise über Makler mit den starken Makler-Kooperationen der Schwestergesellschaft wefox zu tun?

Unsere Schwester wefox ist in der Schweiz inzwischen selbst ein bedeutender Privatkundenvertrieb. Die haben 140 Berater, die täglich Kundenkontakt haben. Das sind die KollegInnen, die heute noch unter der Marke SAM Versicherung AG laufen und vor allem zu Krankenkassen und Lebensversicherungen beraten. Bisher waren da MF-Policen weniger beliebt. Der Beratungsprozess war einfach zu kompliziert und die Provision zu gering. Als wir jedoch den SAM Aussendienst in den letzten Wochen geschult haben, war das Erstaunen gross. Wir haben den Beratern gezeigt, wie sie binnen drei Minuten mit nur sechs Fragen ihre Kunden zu MF-Versicherungen beraten. Wir haben sie davon überzeugt, dass der ONE Switch-Tarif immer mindestens gleiche oder bessere Leistungen zu einem günstigeren Preis garantiert.

Darüber hinaus arbeitet wefox mit zahlreichen unabhängigen Brokern. Die werden wir ebenfalls zu unseren Produkten schulen und hoffen auf die gleiche Reaktion wie beim SAM Aussendienst. Also ja, der Fokus unserer Schwester auf den menschlichen Vertrieb ist natürlich ein Faktor bei unserer Entscheidung, genau diesen Kanal zu präferieren. Unsere Entscheidung wird aber auch durch harte Zahlen gestützt: Wir haben eindeutige Daten, die belegen, dass in der Schweiz maximal 10 % der Kunden ihre Policen über andere Kanäle als stationäre Berater abschliessen. Diese Minderheit ist teurer in der Akquise und verursacht zudem noch mehr Schäden als die grosse Mehrheit. Es sprechen also viele Zahlen für einen Fokus auf menschliche Berater.

ONE plant einen Service einzuführen, der sich Prevent nennt. Welche Überlegung steckt dahinter?

Dahinter steckt unser Traum, in Zukunft unseren Kunden nicht dadurch zu helfen, dass wir ihre Schäden schnell und unkompliziert bezahlen. Wir wollen die Welt zu einem sichereren Ort machen, indem wir schlechte Ereignisse verhindern bevor sie entstehen. Das stellt die Versicherungsbranche auf den Kopf. Als Kunde bezahle ich dann viel weniger für meine Versicherung. Dafür zahle ich ONE eine Gebühr dafür, schlimme Ereignisse zu vermeiden. Technisch funktioniert das so, dass wir unsere Kunden bitten, möglichst viele Daten mit uns zu teilen. Im Schadenfall versucht unsere Künstliche Intelligenz in den Vergangenheitsdaten unserer Kunden nach Mustern, die einem Schaden vorausgegangen sind. Sobald wir so ein Muster gefunden haben, durchsucht unserer Algorithmus in Echtzeit die Daten aller Kunden nach diesem Muster. Natürlich nur bei Kunden, die uns dazu ihre ausdrückliche Erlaubnis erteilt haben. Sobald wir ein Muster finden, das einen baldigen Schaden ankündigt, versuchen wir diese Kunden davon zu überzeugen, ihr Verhalten so zu ändern, dass der Schaden vermieden werden kann.

«Wir wollen die Welt zu einem sichereren Ort machen, indem wir schlechte Ereignisse verhindern bevor sie entstehen.»

Konkret heisst das, dass mir Prevent quasi wie ein Fitnesstracker oder Personaltrainer mitteilt, wieviel ich schlafen sollte, dass ein regelmässigeres Frühstück gesund wäre und Fallschirmspringen nicht meinem Risikoprofil entspricht?

Das tut der ONE Coach auch. Aber das ist eher oldschool. Man braucht keine moderne Technologie, um Kunden mitzuteilen, dass fettiges Essen, wenig Bewegung und unruhiger Schlaf nicht gut sind. Dazu muss man keine Versicherung sein. Wir wollen mehr. Wir wollen ganz konkrete Schadensfälle vorhersagen und verhindern. Natürlich spielt dabei ein generell gesundes und risikoarmes Leben eine Rolle. Aber egal wie gesund der Lebensstil ist, viele Risiken können damit nicht vermieden werden. Hier kommen wir ins Spiel. Auf Basis von kontextuellen Echtzeit-Daten und deren Korrelation mit Schadendaten – dem einzigen Rohstoff, den nur eine Versicherung besitzt – versuchen wir konkret drohende Schäden zu vermeiden.

Und was habe ich davon, wenn ich mich an die Empfehlungen halte?

Zuallererst mal ein schöneres Leben. Egal, wie schnell und unkompliziert wir einen Schaden bezahlen – für Sie als Kunde bedeutet er immer eine Einschränkung der Lebensqualität. Sie müssen z.B. eine Zeit lang auf Ihr Auto verzichten. Oder Sie überwinden Traumata nach einem Einbruchdiebstahl. Diese Erlebnisse können wir selbst mit der besten Schadenbearbeitung nicht wettmachen. Aber natürlich hat Ihr Verhalten auch Auswirkungen auf Ihre Versicherungsprämie. Wenn Sie sich an unsere Empfehlungen halten, werden Sie weniger Schäden verursachen. Das können wir ziemlich exakt messen. Und selbstverständlich werden wir diese Ersparnis an Sie weitergeben. Sie machen also Ihr Leben sicherer und sparen gleichzeitig Versicherungsprämien.

Damit das funktioniert, brauchen Sie viele Daten von den Versicherten. Nur wenn diese der Nutzung der Daten zustimmen, können Sie sich auch nutzen. Wie sieht es mit der Bereitschaft dazu in Deutschland aus?

Das ist richtig. Ohne die Zustimmung unserer Kunden, nutzen wir deren Daten nicht. Wir erklären unseren Kunden genau, welche Daten wir nutzen und warum. Es ist ja nicht nur so, dass Sie als Kunde Ihr eigenes Leben sicherer machen. Dadurch, dass Sie mit Ihren Daten die Mustererkennung fördern, können Sie auch anderen Menschen viel Leid ersparen. In Deutschland geben uns gut 15 % aller Kunden ihre Daten frei.

Wie viele Policen hält One derzeit in Deutschland und welche Zahlen visieren Sie hierzulande an?

In Deutschland stehen wir aktuell bei ca. 500’000 Tarifen und gut 280’000 Kunden. Durchschnittlich hält ein einzelner Kunde 1,7 Tarife bei ONE. In der Schweiz wollen wir bis Ende 2021 auf ca. 30’000 Kunden kommen – mit dann vermutlich ca. 50’000 Tarifen. Bereinigt um die Einwohnerzahl wollen wir in der Schweiz in einem Jahr das erreichen, wofür wir in Deutschland etwas mehr als zwei Jahre benötigt haben.

Herr Lang, besten Dank für das Interview.

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