Paolo Corredig, Länderchef von T. Rowe Price in der Schweiz, im Interview

Paolo Corredig, Country Head T. Rowe Price

von Sandra Willmeroth

Moneycab.com: Herr Corredig, Wie sind Ihre Markterwartungen für die USA im kommenden Jahr?

Paolo Corredig: Die wirtschaftlichen Aussichten für die USA im Jahr 2023 entwickeln sich zu einem echten Tauziehen zwischen Inflation und Wachstum. Die Fed ist nach wie vor fest entschlossen, die Inflation einzudämmen, und Blerina Uruci, unsere Chefvolkswirtin der USA, geht davon aus, dass die Geldpolitik trotz deutlicher Anzeichen einer Konjunkturabschwächung über weite Strecken des nächsten Jahres restriktiv sein wird. Angesichts der hohen Inflation und des angespannten Arbeitsmarktes ist die Fed davon überzeugt, dass sie keine andere Wahl hat, als ihrem Mandat der Preisstabilität Vorrang einzuräumen, und sie hat sich öffentlich zu der Auffassung bekannt, dass ein gewisser wirtschaftlicher Schmerz notwendig sein wird, um ein niedriges und stabiles Inflationsniveau wiederherzustellen.

Wie wird sich die US-Wirtschaft im Spannungsfeld zwischen Inflation und Rezession enzwickeln?

Wir rechnen damit, dass sich das Wachstum im nächsten Jahr aufgrund der schwächeren Nachfrage deutlich verlangsamen wird. Die privaten Konsumausgaben haben sich in diesem Jahr bisher gut gehalten und die Belastung durch den Aussenhandel und die Lagerbestände ausgeglichen. Allerdings verlangsamte sich das Konsumwachstum zum Jahresende, und wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. Hohe Kreditkosten, angespannte finanzielle Bedingungen und die erwartete Verlangsamung auf dem Arbeitsmarkt verschärfen die Situation. Darüber hinaus haben sich die Aussichten für die Binnen- und Auslandsnachfrage aufgrund der Energiekrise in Europa, des schwächeren Wachstums in China und der synchronen geldpolitischen Straffung durch die wichtigsten Zentralbanken der Welt verschlechtert.

«Hohe Kreditkosten, angespannte finanzielle Bedingungen und die erwartete Verlangsamung auf dem Arbeitsmarkt verschärfen die Situation.»
Paolo Corredig, Länderchef von T. Rowe Price in der Schweiz

Das hört sich an, als würden Sie mit dem Schlimmsten rechnen?

Das Zusammentreffen dieser Faktoren wird sich für die US-Wirtschaft im nächsten Jahr als grosse Hürde erweisen und sie in eine Rezession abgleiten lassen. Obwohl der Arbeitsmarkt nach wie vor angespannt ist, gibt es Anzeichen für eine Abkühlung. Die Zahl der Beschäftigten ist in diesem Jahr bisher durchschnittlich um 400‘000 pro Monat gestiegen, und es wurden 4,0 Mio. neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Erholung des Arbeitsmarktes war viel stärker als erwartet, und das Beschäftigungswachstum liegt nach wie vor deutlich über dem der Zeit vor der COVID-Expansion. Dennoch gibt es in den Umfragedaten Anzeichen dafür, dass sich die Nachfrage nach Arbeitskräften abgekühlt, da viele Unternehmen einen Einstellungsstopp oder Entlassungen angekündigt haben. Auch die Lohninflation scheint ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Mit dem Einsetzen der Rezession werden sich auch die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern

Welches Szenario legen Sie für die europäische Wirtschaft zugrunde?

Nach Auffassung unseres Chefvolkswirts für Europa, Tomasz Wieladek, wird die Eurozone in diesem Winter eine tiefe Rezession erleben, die bis ins Jahr 2023 andauern wird. Gegenwärtig sind Indikatoren wie das reale BIP-Wachstum und die Industrieproduktion trotz des grossen Energieschocks, den die Region zu Beginn dieses Jahres erlebte, weiterhin robust. Die Einkaufsmanagerindizes des verarbeitenden Gewerbes in der Region deuten jedoch darauf hin, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten rapide verschlechtern. Das Verbrauchervertrauen in der Region, dass sich normalerweise parallel zum PMI entwickelt, ist auf ein noch nie dagewesenes Niveau gesunken. Dies bedeutet, dass sich der Nachfragerückgang aufgrund niedrigerer verfügbarer Einkommen noch nicht in den Daten niederschlägt. Die rasch sinkenden realen Geldsalden und die jüngste starke Verschärfung der Kreditstandards für Haushalte und Unternehmen deuten darauf hin, dass sich die Straffung der Geldpolitik der EZB erst Anfang nächsten Jahres in den Daten niederschlagen wird.

«Die Eurozone wird in diesem Winter eine tiefe Rezession erleben, die bis ins Jahr 2023 andauern wird.»

Die EZB hat weitere Zinserhöhungen angedeutet. Ein Fehler in Ihren Augen?

Die EZB wird ihre Zinserhöhungen in der Rezession wahrscheinlich fortsetzen, aber ich denke, dass sie weniger stark ausfallen werden, als die Märkte erwarten. In Anbetracht der starken rückwärtsgerichteten realen BIP-Daten werden sie erst dann aufhören, die Zinsen zu erhöhen, wenn klar wird, dass sich die Rezession im Euroraum verschärft. Dies wird natürlich den Inflationsdruck verringern. Dies bedeutet, dass die EZB ihre Zinserhöhungen wahrscheinlich entweder im Februar oder im März 2023 beenden wird, mit einem Spitzeneinlagensatz von 2,25 % bis 2,5 %, der deutlich unter den Marktpreisen und den Konsenserwartungen liegt.

Dann droht Europa in eine tiefe Rezession zu gleiten?

Als Reaktion auf die langanhaltende Ungewissheit über die Energieversorgung erwarten wir, dass die Unternehmen eine sehr konservative Haltung bei der Personalplanung und ein sehr gedämpftes Niveau bei den Investitionen an den Tag legen werden. Parallel dazu wird die rasche Straffung der Geldpolitik durch die EZB wahrscheinlich zu einer erheblichen Korrektur der Immobilienpreise und zu einer sehr gedämpften Aktivität in der Bauwirtschaft führen.

Was bereitet Ihnen derzeit in Bezug auf Europa die grössten Sorgen?

Angesichts des Zinsniveaus, zu dem die Zentralbanken gezwungen waren, um die Inflation in den Griff zu bekommen, macht sich unser internationaler Chefvolkswirt Nikolaj Schmidt vor allem Sorgen über das Wiederauftreten von Risiken für die Tragfähigkeit der Schulden, insbesondere in Europa. Das Risiko einer teilweisen Wiederholung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone ist ein grosses Abwärtsszenario. Wir leben jetzt in einer Welt mit deutlich höheren Zinssätzen, und es ist für mich alles andere als offensichtlich, dass die Märkte alle fiskalischen Initiativen ohne Probleme finanzieren werden.

«Das Risiko einer teilweisen Wiederholung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone ist ein grosses Abwärtsszenario.»

Wird die Schweiz die moderaten Inflationsraten halten können?

Das wird hauptsächlich davon abhängen, wie sich die Rohstoffpreise bzw. Energiepreise entwickeln. Obwohl die Schweiz weniger abhängig von Russland ist als der Rest von Europa, weil die Herstellung von Strom in der Schweiz nicht so stark vom Gas abhängig ist. Und auch aufgrund des starken Schweizer Franken fällt die Inflation tiefer aus als in anderen Ländern. Das wird beides helfen, die Inflation zu dämpfen.

T. Rowe Price hat den Schwerpunkt seiner Geschäftstätigkeit in den USA. Welchen Stellenwert hat der Schweizer Markt innerhalb des globalen Universums von T. Rowe Price?

Die Schweiz ist für uns ein sehr wichtiger Markt, weil sich hier sehr grosse und wichtige Akteure befinden und hier wichtige Entscheidungen über die Produktauswahl und in der Asset Allocation getroffen werden. Und man darf auch nicht vergessen, dass die institutionellen Investoren des Landes zu den grössten weltweit gehören. Darum ist es sehr wichtig, hier in der Schweiz vor Ort zu sein und mit den Entscheidungsträgern den direkten Kontakt zu halten und mit ihnen über neue Ansätze und Investment-Ideen zu sprechen.

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