Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Keller, nach Corona haben viele Unternehmen zurückgestellte Projekte wieder aufgenommen und die Digitalisierung erhöht den Innovationsdruck zusätzlich. Wie hat sich das auf Ihre Projektlandschaft ausgewirkt, wie präsentiert sich 2023 im Vergleich zu früheren Jahren?
Pascal Keller: Corona war Katalysator für eine beschleunigte Digitalisierung in der Finanz- und Versicherungsbranche. Wir haben während dieser Zeit gemeinsam mit der KPT Krankenversicherung die Inventx Open Finance Plattform (ix.OpenFinance Plattform, kurz ix.OFP) für Versicherungen gebaut, die IT der KPT migriert und das Kernsystem Syrius eingeführt. Es ging nahtlos weiter mit der Einführung der Digital Workplaces bei der Krankenversicherung. Auch die Migration von fünf Kantonalbanken auf unsere ix.OFP konnten wir noch zu Corona-Zeiten erfolgreich abschliessen.
«Corona war Katalysator für eine beschleunigte Digitalisierung in der Finanz- und Versicherungsbranche.» Pascal Keller, CEO Inventx
Dass sich unser Wachstum nun noch weiter beschleunigt, geht auf mehrere sich gegenseitig verstärkende Faktoren zurück: Der Innovationsdruck ergibt sich erstens aus den veränderten Kundenbedürfnissen, die auch nach Corona Bestand haben. Zweitens ist mittlerweile der Reifegrad der Finanzindustrie gestiegen, sich mit Cloud- und datengetriebenen Technologien auseinanderzusetzen. Parallel haben sich drittens diese Technologien so rasant weiterentwickelt und ausdifferenziert, dass ständig neue Anwendungsmöglichkeiten entstehen – man denke nur an den Trend zu KI-basierten Services, der sich innerhalb eines Jahres unglaublich intensiviert hat. Und viertens steigen durch all diese neuen Entwicklungen rund um Digitalisierung und Daten auch die Herausforderungen an Cybersecurity und Compliance, die wir mit dem Ausbau unseres Security-Lösungsportfolios als strategisches Geschäftsfeld adressieren.
Im Jahr 2022 haben Sie mit einem “Hiring Boost” 120 neue Mitarbeitende eingestellt. Wie sieht das Personalwachstum 2023 aus, mit welchen Massnahmen versuchen Sie, sich im Wettbewerb um die besten Talente durchzusetzen?
Wir haben auch im 2023 wieder viele Dutzend neue Talente gewonnen. Natürlich spüren auch wir den Fachkräftemangel. Ganz besonders wichtig ist daher eine attraktive Arbeitgebermarke, die auf starken Pfeilern beruht. Entsprechend fokussiert unser Employer Branding auf zwei gewichtige Stärken der Inventx: Einerseits lassen wir unsere Mitarbeitenden selbst zu potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten im Markt sprechen. Sie sind die besten Botschafterinnen und Botschafter dafür zu vermitteln, warum sie sich für Inventx entschieden haben.
Andererseits zeigen wir zugleich die Vielfalt an Karriere- und Entwicklungspfaden auf, die zu uns und zu persönlicher Weiterentwicklung führen. Das ist für uns alle eine «ix.pedition», die wir im Team bewältigen, dabei lernen und Neues wagen. Als IT-Talentaggregator für führende Schweizer Banken und Versicherungen und als innovative Digitalisierungsdienstleisterin am Puls neuer Technologien befinden wir uns zudem an einer interessanten Schnittstelle. Und last but not least, fördern wir den Innovations- und Teamgeist im Unternehmen ganz gezielt, etwa mit unseren regelmässigen ix.InnovationDays unter Leitung unseres ix.Labs oder unsere legendären Mitarbeitendenanlässen.
Im eigenen ix.Lab versucht Inventx, die Technologien «der nächsten Geländekammer» zu identifizieren. Welches sind die aktuell spannendsten Zukunftsideen und Lösungsansätze, die dort erforscht werden?
Derzeit richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Composable Architecture und Web 3.0. Bereits vor dem Hype um ChatGPT hatten wir KI an unserer letztjährigen ix.perience, unserem Banken- und Versicherungsforum, thematisiert. Die Fortschritte seither sind eindrücklich. Wir experimentieren nicht mehr nur damit, sondern haben zum Beispiel Conversational AI in Form eines digitalen Assistenten auch bereits im internen IT-Support der KPT implementiert.
Beim Thema Quantencomputing arbeiten wir eng mit QuantumBasel zusammen. Damir Bogdan, der CEO dieses Kompetenzzentrums für Quantentechnologie, ist Verwaltungsrat unserer Inventx Lab AG (ix.Lab) und bringt sein Wissen und sein umfangreiches Netzwerk bei uns ein.
«Derzeit richten wir unsere Aufmerksamkeit auf Künstliche Intelligenz, Quantencomputing, Composable Architecture und Web 3.0.»
In der strategischen Stossrichtung Composable Architecture arbeiten wir intensiv an der zukünftigen IT-Architektur der Finanzindustrie und beleuchten die Transformation der Anwendungslandschaft anhand der neuen Anforderungen und Technologien der Zukunft.
Und wir gehen davon aus, dass das Web 3.0 das World Wide Web, wie wir es heute kennen, stark verändern wird, indem es verstärkt auf Blockchain, Dezentralisierung und Tokens aufbaut. Das wird völlig neue Use Cases mit sich bringen und die derzeitigen Geschäftsmodelle und -prozesse in der Wirtschaft grundlegend verändern, weshalb wir uns bereits heute damit befassen.
Cybercrime-Vorfälle haben in der Schweiz 2023 signifikant zugenommen (ca. 20 % im Periodenvergleich mit dem Vorjahr), was auch im Ländervergleich mit Deutschland und Österreich ausserordentlich viel ist. Weshalb wurde gerade die Schweiz vermehrt Ziel von Cyberkriminellen, mit welchen Massnahmen begegnet man bei Inventx der zunehmenden Bedrohung?
Die Schweiz liegt in der Digitalisierung weit vorne: gemäss dem World Digital Competetiveness Ranking auf Platz fünf – weit vor Deutschland und Österreich. Die Schweizer nutzen auch sehr intensiv Online-Angebote wie E-Commerce. Die starke Nutzung korreliert mit höherer Exposition gegenüber Missbrauch, was sich dann beispielsweise in relativen Zahlen bei Kreditkartenbetrug niederschlägt.
Als IT- und Digitalisierungspartnerin für Schweizer Banken und Versicherungen ist es eine Kernkompetenz von Inventx, höchste Ansprüche an Datenschutz, Cybersecurity und Business Resilienz zu erfüllen. Wir adressieren Daten- und Informationssicherheit ganzheitlich und beraten unsere Kunden in allen Bereichen der Information und Cyber Security, im Risikomanagement oder im Hinblick auf sichere Enterprise-Architekturen und Zonenkonzepte. In unserem unabhängigen ix.CyberResilienceCenter arbeiten bestausgebildete Analysten rund um die Uhr an der Überwachung und der Weiterentwicklung unserer Abwehr. Wir bauen unser Security-Portfolio laufend aus und richten es strategisch an den Kundenbedürfnissen aus. Zum Einsatz kommt unter anderem auch Künstliche Intelligenz, mit der wir Cyber- oder Fraud-Attacken anhand von Anomalieerkennung noch besser antizipieren und präventiv agieren können.
Während in der EU mit PSD2 die Schnittstellenöffnung von Finanzdienstleistern seit 2019 gesetzlich geregelt ist, geht es in der Schweiz mit OpenFinance eher noch gemächlich zur Sache. Wie beurteilen Sie den Schweizer Weg im europäischen Vergleich, wo nutzen Sie OpenFinance-Ansätze für Ihre Kunden?
Die Schweizer Bankiervereinigung setzt in ihrer Auslegeordnung zu Open Banking auf eine marktgetriebene Weiterentwicklung der offenen Kooperationen zwischen Banken und Drittanbietern – ohne bindende Vorgaben wie die EU. Das zeugt von hohem Vertrauen in die Marktkräfte, die sich gleichwohl mit den strategischen, rechtlichen und Standardisierungsfragen auseinandersetzen müssen, denn Open Finance entspricht einem Kundenbedürfnis und einem Erfordernis im Wettbewerb.
Mit unserer ix.OpenFinancePlattform für Banken und Versicherungen haben wir eine integrierte Lösung im Angebot, dank der wir rasch skalierbare Ressourcen für neue Digitalisierungsvorhaben bereitstellen können. Neue, kundenzentrierte Anwendungen können mit kürzester Time-to-Market entwickelt und ausgerollt werden.
«Die Schweizer Bankiervereinigung setzt in ihrer Auslegeordnung zu Open Banking auf eine marktgetriebene Weiterentwicklung der offenen Kooperationen zwischen Banken und Drittanbietern – ohne bindende Vorgaben wie die EU.»
Wir setzen dabei auf einen Community-Ansatz und investieren auch selbst in Ko-Innovation, damit unsere Kunden voneinander und von unserem Know-how profitieren können. Ein Beispiel hierfür ist Digital Banking for Kids (DB4Kids) – eine digitale Sackgeld-App, die wir in Co-Creation mit der St.Galler und Graubündner Kantonalbank als White-Label-Lösung entwickelt haben und die bei der SGKB als «MiniBank», bei der GKB als «Gioia Kids» und bei der Nidwaldner Kantonalbank als «Noldi-App» im Einsatz ist.
Vor allem jüngere Mitarbeitende machen neue Arbeitsformen (Home-Office, Remote Working, voll digitalisierte Arbeitsprozesse etc.) zu einem ihrer wichtigsten Entscheidungskriterien. Welche Lösungen bieten Sie hier intern und für Ihre Kunden, welches sind die kommenden Entwicklungen rund um das Thema “Arbeitsplatz der Zukunft”?
Inventx hatte bereits vor der Pandemie flexible Arbeitsmodelle etabliert. Unser Motto: «work where you want» – ob in Chur, im Circle am Flughafen Zürich, in St. Gallen, in Bern oder eben im Home-Office. Alle unsere Standorte sind zentrumsnah und mit dem ÖV gut erschlossen. Als Pendant zum Home-Office entwickeln sich unsere Büros zu «Office-Homes», wo den Mitarbeitenden attraktive Arbeitsumgebungen und Austauschmöglichkeiten geboten werden.
Unsere Digital Workplace Services haben wir bei uns selbst im Einsatz und sorgen mit modernen Kollaborationstools für optimale User Experience, Flexibilität und Produktivität. Mit diesem Know-how und den Erfahrungen können wir auch unsere Kunden besser beraten, wie sie kreativer zusammenarbeiten und wiederum mit ihren Kunden effizienter interagieren können.
Die einfachste Kommunikationsmöglichkeit zwischen Mensch und Maschine wäre eigentlich die Sprache. Als Kunde ist man aber mehrheitlich mit eher bescheidenen Systemen konfrontiert, die oft noch mit vielen Fragen und altertümlichen vordefinierten Auswahlmöglichkeiten daherkommen (“für Auswahl A drücken Sie die Taste X”). Welche Industrien oder Unternehmen sind am weitesten bei einer nahtlosen Integration von Mensch und Maschine im Kundendialog, wo stehen Sie bei der Entwicklung von eigenen Lösungen?
Die Mensch-Maschine-Interaktion, die künftig auf einer völlig neuen Ebene stattfinden wird, war eines der spannendsten Themen an der ix.perience, unserem Banken- und Versicherungsforum, das kürzlich in seiner 2. Ausgabe rund 100 Vertretende der beiden Branchen zusammengeführt hat. Moderne, KI-basierte Bots verbessern sich laufend und werden in vielen Banken und Versicherungen bereits eingesetzt, um die Betriebseffizienz zu steigern und neue Kundenerfahrungen möglich zu machen.
«Wir werden unsere Zusammenarbeit mit den Hyperscalern weiter ausbauen. Auch in der Finanzindustrie wächst die Nachfrage nach Public-Cloud-Ressourcen, die für wettbewerbsdifferenzierende Innovationsvorhaben hochskalierbar und kostengünstig verfügbar sein müssen.»
Bei der KPT ist soeben ein Voice-Bot live gegangen, der den internen IT-Support von Routinearbeiten entlastet und dank Automatisierung die Effizienz steigert, was letztendlich die Kosten reduziert. Bei der Migros Bank nimmt bereits seit längerem ein Sprachbot im Call Center Anfragen von Kunden in jeder Sprache entgegen und beantwortet in neun von zehn Fällen die einfachen Fragen direkt oder leitet den Anrufenden an die richtige Auskunftsperson weiter. So können in derselben Zeit mehr Anrufe entgegengenommen werden. Bei all diesen Entwicklungen stehen wir noch am Anfang. Inventx hat eine eigene Voice-Intelligence-Plattform entwickelt, die Conversational AI – von der automatischen E-Mail-Verarbeitung bis zum digitalen Assistenten bzw. Chatbot – als Service verfügbar macht.
Welche Projekte haben für Sie bei Inventx im kommenden Jahr die höchste Priorität, welches sind die technisch herausforderndsten?
Wir werden unsere Zusammenarbeit mit den Hyperscalern weiter ausbauen. Auch in der Finanzindustrie wächst die Nachfrage nach Public-Cloud-Ressourcen, die für wettbewerbsdifferenzierende Innovationsvorhaben hochskalierbar und kostengünstig verfügbar sein müssen. Für die hohen Sicherheits- und Compliance-Vorgaben der Branche braucht es Implementierungs- und Betriebspartner wie die Inventx, die mit ihrer hybriden Cloud für deren Einhaltung sorgt. Uns verbindet bereits eine langjährige Partnerschaft mit Microsoft; Inventx ist als Microsoft Azure Partner für Digital & App Innovation und als MS Solutions Partner for Infrastructure (Azure) zertifiziert. Diese Zertifizierungen belegen unser Know-how und unsere Fähigkeit, intelligente Applikationen für unsere Kunden zu entwickeln, zu betreiben und zu managen. Auch unsere Google-Cloud-Partnerschaft bauen wir weiter aus, um unseren Kunden eine echte Multi-Cloud-Strategie zu ermöglichen. Der Kunde wählt pro Workload die passendste Plattform bzgl. Preis, Features und Compliance – und wir managen das so entstehende Gesamtsystem übergreifend und absorbieren für den Kunden die darunterliegende Komplexität.
Wir sind kontinuierlich daran, unseren Branchenfokus zu stärken und neue Wachstumsfelder zu erschliessen. Neben unserer weiteren Etablierung im Versicherungsmarkt werden wir auch unser Portfolio an Querschnittsservices weiter ausbauen. Zusätzlich zu Multi-Cloud und Cyber Security ist auch Intelligent Information Management ein solches Ausbaufeld. Mit der Übernahme der DTI Group haben wir unsere Kompetenz im Management von Inhalten und Daten gestärkt und Lösungen für Intelligent Document Lifecycle in unsere Open-Finance-Plattform integriert, mit denen Schweizer Banken und Versicherungen von innovativen und smarten Services rund um Document Processing, Archivierung und Suche profitieren. Gemeinsam arbeiten wir an einem Offering für das Customer Communication Management, das unser integriertes Document-Lifecycle-Portfolio abrundet.
Wir setzen unser Wachstum sowohl in der Breite als auch in der Tiefe fort und sehen dafür in unseren beiden Marktbereichen Banking und Insurance grosses Potenzial.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Ich bin Optimist und Technologie-Fan und wünsche mir deshalb, dass sich der rasante Fortschritt in AI konsequent auf den Nutzen für Mensch und Gesellschaft ausrichtet. Das Potential ist riesig. Und zweitens wünsche ich mir gerade durch diesen Fortschritt noch mehr Zeit für uns alle zu bereicherndem Austausch unter Menschen.