Pascal Specht-Keller, COO Inventx, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Specht-Keller, weshalb der Wechsel von Google, wo Sie zuvor zuständig waren für die G Suite Cloud in der DACH-Region, zur Inventx, wo Sie derzeit als COO amten?
Pascal Specht-Keller: Google und Inventx verbindet mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Auch Inventx ist ein Vorreiter im Cloud-Business. Unsere ix.Cloud ist spezifisch zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Finanz- und Versicherungsindustrie.
«Ja, die Bankenwelt ist unter Druck. Aber nach wie vor gilt: Wer das Frontend kontrolliert, also die Schnittstelle zum Kunden, der behauptet sich im Markt.» Pascal Specht-Keller, COO Inventx
Beide Unternehmen sind erfolgreiche Gründerstories, das eine halt amerikanisch, das andere typisch Schweizerisch im besten Sinne. In beiden herrscht ein grosser Innovationsgeist und eine gesunde Feedback- und Fehlerkultur. Bei Inventx habe ich jetzt zudem die grosse Chance erhalten, ab dem kommenden Jahr ein dynamisch wachsendes KMU als CEO zu führen und dabei eine hohe Skalierbarkeit à la Google mit der Kundenindividualität und den kurzen Entscheidungswegen eines inhabergeführten Unternehmens zu verbinden.
Die beiden Mitgründer und Mitbesitzer von Inventx, Hans Nagel und Gregor Stücheli, wollen sich künftig in ihren Rollen als Präsident und Vizepräsident des Verwaltungsrats weiterhin aktiv ins Geschäft einbringen. Wie sieht die Aufgabenteilung aus, welches sind die wichtigsten Projekte, welche Sie zuerst angehen?
Die Rollen sind klar getrennt. Ich habe die operative Verantwortung und Gregor und Hans fokussieren auf die strategische Weiterentwicklung der Inventx, wie es sich für eine gute Corporate Governance gehört. Dabei bin ich natürlich froh, dass beide präsent und nahbar bleiben und ihre Erfahrung, ihr Know-how und ihr Netzwerk zur Verfügung stellen werden.
«Wir haben unser ix.Lab für die Community geöffnet und streben nach noch mehr Ko-Kreation und Ko-Innovation.»
In meiner Rolle als COO habe ich bereits Technology Services, Financial Services und Insurance Services geführt. Nun kommt die Verantwortung für die Geschäftsentwicklung, die strategischen Projekte, Finanzen, HR, Marketing & Kommunikation sowie Verkauf hinzu. Wir wollen ganz klar weiter wachsen und gemeinsam mit unseren Kunden innovieren. Gleichzeitig liegt mir sehr am Unternehmensspirit der Inventx, der uns zu dem gemacht hat, was wir heute sind.
Ende Mai hat Inventx die erfolgreiche Migration der fünf Kantonalbanken Appenzell, Glarus, Nidwalden, Obwalden und Uri auf ihre Open-Finance-Plattform bekannt gegeben. Das Kernbankensystem ist Finnova. Wie genau profitieren die Kantonalbanken vom Open-Finance-Ansatz?
Open wie auch Digital Banking setzen bei der Kundenberatung und bei der Entwicklung neuer Kundenservices an. Für eine rasche Time-to-Market wie auch die Differenzierung im Wettbewerb braucht es flexiblere, skalierbarere und innovativere digitale Lösungen. Mit den offenen Plattformen gehen Software-as-a-Service-Modelle einher, die genau diese Flexibilität, Skalierbarkeit und Innovation bieten. Auf unserer Plattform wird die IT-Infrastruktur in der hochsicheren ix.Cloud betrieben, während neue Applikationen und Funktionen über standardisierte API-Schnittstellen einfach integriert werden können. Für die Banken bedeutet das: kürzere Entwicklungszeiten, effizienterer Betrieb dank der Skaleneffekte und damit Kosteneinsparungen und was am wichtigsten ist: Services können auf die Bedürfnisse der jeweiligen Endkunden zugeschnitten werden.
Das Versprechen offener Schnittstellen in einem innovativen Ökosystem tönt verlockend für Kunden. Aus Sicht der Banken heisst dies aber auch: neue Konkurrenten, sinkende Margen und schwierigere Kundenbindung. Wie reagieren Banken auf die neue Herausforderung?
Ja, die Bankenwelt ist unter Druck. Aber nach wie vor gilt: Wer das Frontend kontrolliert, also die Schnittstelle zum Kunden, der behauptet sich im Markt. Und wer mit innovativen Applikationen die Kunden in ihren Bedürfnissen abholt, der wird auch in der Lage sein, Kunden zu binden, neue zu holen, margenträchtigere Services an den Markt zu bringen und seine Marktanteile auszubauen.
«Kontoführung & Co., Transaktionsabwicklung etc. sind nicht die Zukunft des Finanzwesens. Die Zukunft liegt in den Daten zu Bedürfnissen, Wünschen, Gegebenheiten der Kunden.»
Gerade im Niedrig- bis Nullzinsumfeld sind Bankkunden daran interessiert, von ihren Finanzinstituten hochwertige Beratung zu erhalten. Kontoführung & Co., Transaktionsabwicklung etc. sind nicht die Zukunft des Finanzwesens. Die Zukunft liegt in den Daten zu Bedürfnissen, Wünschen, Gegebenheiten der Kunden, über die die Banken verfügen und die sie als erste Anlaufstelle durch entweder sehr spezifische und modulare oder sehr breite und integrierte Angebote abdecken können.
Um Innovationen voranzutreiben, hat Inventx ein eigenes Innovations-Lab gegründet (InventxLab). Wie gut lässt sich Innovation strukturiert planen, welche Ergebnisse sind aus dem Lab schon sichtbar?
Innovation ist einer unserer Schlüsselwerte neben Interaktion und Swissness. Wir haben unser ix.Lab für die Community geöffnet und streben nach noch mehr Ko-Kreation und Ko-Innovation. Für die Belebung des Innovationsgeists im Unternehmen pflegen wir seit längerem einen monatlichen ix.InnovationDay: Ein Tag im Monat ist für Innovation und Operational Excellence reserviert, was ansonsten im Tagesgeschäft bei hoher Auslastung nebenher bewältigt werden müsste.
Unser Innovationsprozess ist so formal wie nötig und so ergebnisoffen wie möglich. Es sollen die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden, um Silos aufzubrechen und, wo immer sinnvoll, Vertriebsorientierung und technische Expertise zusammenzuführen.
Cloud-Dienstleistungen haben in den letzten Jahren einen Boom erlebt, die Banken und Versicherungen sind gut durch die Krise gekommen. Wie sieht die Entwicklungsperspektive von Inventx für die kommenden zwei Jahre aus, wie hat die Pandemie sich auf das Geschäft ausgewirkt?
Unsere Kunden waren während der Pandemie noch mehr als sonst auf stabile und zuverlässige Infrastrukturen angewiesen und mussten sich noch fokussierter auf die Aufrechterhaltung ihrer eigentlichen Geschäftsaktivitäten konzentrieren können. Das hat den Trend zu flexiblen, aber gleichwohl sicheren Cloud- und Open-Finance-Lösungen noch weiter beschleunigt.
«Das grosse Potenzial, das in der Blockchain als Trust Layer steckt, auf der Smart Contracts automatisiert und nachvollziehbar Transaktionen steuern, ist auch für die Banken attraktiv. «
Die Verletzlichkeit gegenüber Cyberrisiken hat jedoch ebenfalls zugenommen. Wir werden unsere Expertise in Cyber-Resilience weiter ausbauen und insbesondere noch stärker auf KI und Machine Learning zur Erkennung und Bekämpfung von Attacken setzen. Dies und die Sensibilisierung der Mitarbeitenden bei uns und unseren Kunden im Umgang mit Daten und Informationen in einem sensitiven Markt sind entscheidende Wettbewerbsvorteile, Reputationsgarant und Survival Kit.
Decentralized Finance (DeFi) gewinnt weltweit vor allem im Fintech- und Startup-Bereich immer mehr Anhänger. Offenheit, Transparenz und ein weitgehender Wegfall von Vermittlern bergen ein grosses Potential für Einsparungen. Die Schweizer Banken stellen dem ein immer noch sehr integriertes, möglichst zentrales System mit den bekannten Vertriebsstrukturen gegenüber. Wie sehen Sie die Entwicklung dieser Ansätze?
Auch die Banken lernen und experimentieren mit DeFi. Das grosse Potenzial, das in der Blockchain als Trust Layer steckt, auf der Smart Contracts automatisiert und nachvollziehbar Transaktionen steuern, ist auch für sie attraktiv. Kombiniert mit KI und Automatisierung wird die Finanzindustrie in einem «Internet of Money» ihre neue Rolle finden, wenn Finanz-, Daten- und Warenströme zunehmend miteinander verschmelzen.
Welches sind die kommenden technologischen Entwicklungen, die auf Ihr Geschäft den grössten Einfluss haben werden?
Die unglaubliche Vielfalt an Technologien, die miteinander kombiniert völlig neue Ansätze erlauben. Wenn Cloud-gestützte Data Analytics und AI mit Videokommunikation und Virtual Reality gekoppelt werden, wird es völlig neue Formen der Kundeninteraktion geben. Das soeben erwähnte Decentralised Finance erlaubt in Verbindung mit smarten Alltagsgegenständen spannende Use Cases, aus denen neue Geschäftsmodelle entstehen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Zunächst, dass ich meiner neuen Verantwortung und dem Vertrauen, das die Gründer und Inhaber in mich gesetzt haben, initiativ und erfolgreich gerecht werde. Und zum zweiten, dass wir als Gesellschaft den technologischen Fortschritt als Chance begreifen und für alle nutzbar machen.