Patrik Wirth, Geschäftsführer Neuroth Hörcenter AG, im Interview

Patrik Wirth

Patrik Wirth, Geschäftsführer Neuroth Hörcenter AG. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Wirth, der Gehörschutz aus dem 3D-Drucker: Vor nicht allzu langer Zeit reine Utopie, bietet Neuroth mit Earwear nun ein entsprechendes Produkt an. Wie individuell ist es auf den einzelnen Kunden anpassbar?

Patrik Wirth: Für Neuroth ist diese Technologie gar nicht mehr so neu, 3D-Drucker verwenden wir schon seit 2005. Kein Ohr gleicht dem anderen. Jedes Earwear-Produkt ist ein Unikat und wird genau an das Kundenbedürfnis angepasst. Earwear ist in den verschiedensten Farben und Materialien erhältlich. Ein Hörakustiker nimmt in einem unserer 65 Hörcenter in der Schweiz und in Liechtenstein nach einer bedürfnisorientierten Beratung einen Ohrabdruck. Dieser wird dann in der Earwear-Manufaktur in Österreich eingescannt und im High-Tech-3D-Drucker hergestellt. Jedes Produkt wird nach dem Druck in feinster Handarbeit nachbearbeitet und durchläuft strengste Qualitätskontrollen.

Was bietet Earwear, was ein anderer Gehörschutz nicht kann?

Während andere Gehörschutz-Lösungen häufig einen dumpfen und unnatürlichen Klang erzeugen, bewahrt Earwear ein realistisches Raumempfinden. Man fühlt sich nicht einfach wie zugestöpselt. Der Vorteil: Earwear blendet unerwünschte Geräusche aus, die Sprache aber bleibt dennoch gut verständlich. Ausserdem sitzt der Gehörschutz aufgrund der individuellen Anpassung optimal im Ohr und verrutscht nicht.

Können Sie uns die Technologie dahinter erklären?

Der Nukleus sind spezielle wechselbare Filter, die einen direkten Luftdurchlass zum Ohr gewährleisten. Die Membran-Technologie reduziert Verschlusseffekte und garantiert optimalen Tragkomfort. Für Schützen und Jäger bieten wir beispielsweise einen speziellen Gehörschutz mit besonderer Technologie an: Die eingebaute Elektronik sorgt dafür, dass die Gehörgänge bei einem Schuss in Millisekunden geschlossen werden. Bei Ruhe werden die Umgebungsgeräusche hingegen verstärkt.

«Im Mittelpunkt steht aber natürlich immer die Funktion, der zielgerichtete gesundheitliche Nutzen. Das heisst, dass unsere Kunden mit ihren Hörgeräten immer ein Stück Lebensqualität zurückbekommen.»
Patrik Wirth, Geschäftsführer Neuroth Hörcenter AG

Jeder Gehörschutz ist in verschiedensten Farben und Materialien erhältlich. Werden Hörgeräte und Gehörschutz immer mehr – sagen wir wie Brillen – zum modischen Accessoire?

Ästhetik spielt eine grosse Rolle – bei Hörgeräten genauso wie beim Gehörschutz. Mit der neuen Marke Earwear wollen wir auch junge Leute verstärkt ansprechen. Unser Alltag wird immer lauter – auch in der Freizeit wie zum Beispiel beim Musikhören über Kopfhörer. Earwear verbindet erstmals den gesundheitlichen Nutzen mit dem persönlichen Lifestyle. Es geht uns um Individualität in Form, Funktion und Design. Je nach persönlichem Bedarf ist jede Gehörschutz-Lösung in verschiedenen Farben und Materialien zu haben – von blau bis gelb, von Silikon bis Titan. Neu sind die sogenannten Faceplates. Das sind Designelemente mit verschiedenen Mustern, die bewusst gut sichtbar in der Ohrmuschel liegen. Mit Earwear möchten wir zeigen: Gehörschutz kann nicht nur nützlich sein, sondern auch richtig gut aussehen. Er soll ein smarter, stilsicherer Begleiter für das nächste Konzert, den Sport oder die Arbeit sein.

Nach Schätzungen benutzen international nur knapp 25 Prozent der Menschen mit Hörminderung ein Hörsystem. Hilft das Design auch beim Abbau der Stigmatisierung von Hörgeräten?

Auf jeden Fall. Moderne Hörgeräte sind so gut wie unsichtbar, was für die meisten unserer Kunden besonders wichtig ist. Aber im Mittelpunkt steht natürlich immer die Funktion, der zielgerichtete gesundheitliche Nutzen. Das heisst, dass unsere Kunden mit ihren Hörgeräten immer ein Stück Lebensqualität zurückbekommen. Deshalb ist es Neuroth als Traditionsunternehmen ein grosses Anliegen, umfassende Aufklärungsarbeit zu leisten und Vorurteile bzw. Ängste abzubauen. So ist es zum Beispiel wichtig zu vermitteln: Hörgeräte sind nicht nur immer kleiner und leistungsstärker geworden, sondern lassen sich auch immer einfacher bedienen. Die meisten Geräte stellen sich zum Beispiel vollautomatisch auf die jeweilige Umgebung ein. Und man kann sie via Bluetooth auch mit dem Fernseher oder Smartphone verbinden, was zum Beispiel ideal zum Telefonieren ist.

Gehörschutz und Hörgeräteakustik ist heute High Tech, die Branche ist extrem innovativ. Wie stellen Sie Innovationen bei Neuroth sicher?

In den letzten hundert Jahren haben die Hörgeräte eine enorme technische Entwicklung durchgemacht. Wir sprechen von Mini-Computern, die mehr als 1’200 Millionen Rechenoperationen pro Sekunde schaffen. Umso wichtiger ist es, stets am Puls der Zeit zu bleiben. Wir sind besonders nahe an den Menschen dran, kennen die genauen Bedürfnisse und können so die optimalen Lösungen kreieren – und das bereits seit 110 Jahren. Dieses enorme Know-how in Verbindung mit der Leidenschaft unserer Mitarbeiter macht unseren Erfolg aus. Als Familienunternehmen ist es unser grosser Vorteil, dass wir völlig herstellerunabhängig agieren. Wir können auf die neueste Technik zurückgreifen und alle Hörgeräte auf die Anforderungen unserer Kunden massgenau zuschneiden. In unserem hauseigenen Technik- und Logistikcenter entsteht, was uns zu einem der international führenden Akustikunternehmen macht: wegweisende Innovation dank zukunftsträchtiger Technik. In Sachen 3D-Drucktechnologie zählen wir zu den Vorreitern.

«In den letzten hundert Jahren haben die Hörgeräte eine enorme technische Entwicklung durchgemacht. Wir sprechen von Mini-Computern, die mehr als 1’200 Millionen Rechenoperationen pro Sekunde schaffen.»

Welche Unterschiede gibt es bei den heute erhältlichen Hörgeräten?

Die Produktpalette an Hörgeräten ist sehr gross. Einerseits gibt es verschiedene Bauformen wie die Im-Ohr- oder Hinter-Dem-Ohr-Geräte. Andererseits unterscheiden sich die Geräte in ihren Programmen und Funktionen. Welche Hörgeräte die passenden sind, hängt immer von mehreren Faktoren ab – zum Beispiel vom Ausmass der Hörminderung und vor allem den individuellen Bedürfnissen des Betroffenen. Wie aktiv bin ich? In welchen Situationen benötige ich die Hörgeräte am ehesten? Welche Funktionen hätte ich gerne? In einem ausführlichen Beratungsgespräch finden Betroffene gemeinsam mit einem Hörgeräteakustiker die optimale Lösung.

Und welches sind die aktuellen Highlights?

Ein Highlight sind auf jeden Fall die ersten wiederaufladbaren Hörgeräte. Der integrierte Akku sorgt dafür, dass kein Batteriewechsel mehr erforderlich ist, was den Tragekomfort weiter steigert. Für 24-stündigen Betrieb genügt eine Ladezeit von nur drei Stunden. Mit „Lyric“ bieten wir bei Neuroth ausserdem das erste Im-Ohr-Hörgerät, das man monatelang tragen kann, ohne es herausnehmen zu müssen – wie bei Kontaktlinsen. Diese richtungsweisenden Technologien sollen auch dazu beitragen, Hörgeräte künftig weiter zu entstigmatisieren.

Die Konkurrenz im Bereich der Hörgeräteakustik ist gross, immer mehr drängen auch Billiganbieter auf den Markt, Internetplattformen entstehen. Wie ist Neuroth dagegen gewappnet?

Jeder hört anders, jedes Ohr ist einzigartig wie ein Fingerabdruck. Dementsprechend individuell müssen auch Hörgeräte sein. Wir stellen immer den Mensch und seine Hörbedürfnisse in den Mittelpunkt – darauf richten wir all unsere Dienstleitungen aus. Qualität und Service bilden einen integralen Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie. Eine wichtige Säule ist ausserdem die qualitativ hochwertige Aus- und Weiterbildung unserer Hörgeräteakustiker, um unsere Kunden vom Hörtest bis zur Hörgeräte-Versorgung optimal zu betreuen. Mit unserer hauseigenen Ausbildungsstätte – der Neuroth-Akademie – garantieren wir die hochwertige und praxisbezogene Qualifikation aller Mitarbeitenden. Weil wir der Überzeugung sind, dass die kompetente, persönliche Beratung auch in Zukunft den Unterschied ausmachen wird.

«Jeder hört anders, jedes Ohr ist einzigartig wie ein Fingerabdruck. Dementsprechend individuell müssen auch Hörgeräte sein.»

Wo produziert Neuroth seine Produkte?

Jeder Gehörschutz und jedes Ohrpassstück werden individuell angepasst und in einem aufwendigen Herstellungsprozess in unserem hauseigenen Technik- und Logistikcenter in der Steiermark in Österreich produziert. Trotz der enormen technischen Weiterentwicklung und der modernen 3D- Drucktechnologie ist nach wie vor viel Handarbeit im Spiel. Unsere erfahrenen Labormitarbeiter geben jeder Otoplastik, die aus dem 3D-Drucker kommt, manuell den letzten Schliff und bestücken die Ohrpassstücke je nach Hörbedürfnis des Kunden individuell mit dem richtigen technischen Innenleben.

Welche Ideen verfolgen Sie im Bereich der die Produkte ergänzenden Dienstleistungen?

Unser ausgeprägter Servicegedanke wird auch in Zukunft klar im Fokus stehen. Das beginnt schon beim ersten Beratungsgespräch – bei unserer bedürfnisorientierten Beratung. Eine Hörminderung ist ein sensibles Thema. Gerade in der Eingewöhnungsphase ist deshalb eine einfühlsame Betreuung besonders wichtig. Das Gehirn muss das Hören erst wieder lernen. Wir haben deshalb eine spezielle „3-Phasen-Anpassung“ kreiert, die von der Hörgeräte-Anpassung bis zum natürlichen Höreindruck reicht. Aber auch danach haben unsere Akustiker eine enge Bindung zu den Kunden – sei es bei Feinjustierungen der Hörgeräte oder bei regelmässigen Hörgeräte-Checks. Ausserdem bieten wir unseren Kunden auch das passende Zubehör wie zum Beispiel spezielle Pflegeprodukte oder Wecker mit Vibrationsfunktion.

Neuroth ist seit 2001 in der Schweiz vertreten und verfügt heute über ein Netz von rund 65 Hörcentern. Ist der Schweizer Markt damit abgedeckt oder wird das Filialnetz weiter ausgebaut?

Moderne Unternehmen stehen nicht still und prüfen laufend Opportunitäten in alle Richtungen. Neuroth ist ein modernes Unternehmen, das sich klar auf seine Stärken fokussiert. Mit unseren Hörcentern sind wir schweizweit sehr gut präsent und strategisch äusserst günstig gelegen. Der Ausbau des Filialnetzes geniesst keine Priorität. Aber gute, sinnhafte Gelegenheiten prüfen wir ohne Druck.

Herr Wirth, wir bedanken uns für das Interview.

Zur Person:
Patrik Wirth, 55, ist Geschäftsführer der Neuroth Hörcenter AG mit Sitz in Steinhausen. Am Anfang der Karriere von Patrik Wirth stand eine Lehre als kaufmännischer Angestellter. Sein beruflicher Weg führte ihn über den Banksektor ins Medizinal- und Gesundheitswesen, in dem er unterschiedliche Führungspositionen bei führenden internationalen Unternehmen wie B. Braun, Wander, Allergan und Bausch & Lomb Swiss inne hatte. Seit 2016 leitet er die Geschäfte von Neuroth in der Schweiz und in Liechtenstein. Patrik Wirth ist studierter Betriebswirtschafter und Mediator in Wirtschaft, Arbeitswelt und im öffentlichen Bereich und diplomierter Verkaufsleiter und Marketingplaner. Er ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.

Zum Unternehmen:
Paula Neuroth, die selbst von einem Hörverlust betroffen war, eröffnete 1907 in Wien das „1. Spezialhaus für Schwerhörigenapparate“ und legte damit den Grundstein für das Familienunternehmen Neuroth. Heute befindet sich der Hauptsitz der Neuroth-Gruppe in Graz. Seit 2001 ist das Unternehmen als Neuroth Hörcenter AG mit Hauptsitz in Steinhausen (ZG) auch in der Schweiz und in Liechtenstein mit mehr als 65 Hörcentern vertreten. Insgesamt betreibt die Neuroth-Gruppe in sieben europäischen Ländern (Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Deutschland, Slowenien, Kroatien, Frankreich) mehr als 240 Hörcenter mit rund 1200 Mitarbeitenden. Neben Hörgeräten und Gehörschutz gehören auch Optik und Medizintechnik zu den Geschäftsbereichen von Neuroth in Österreich.

Neuroth Hörcenter AG
Firmeninformationen bei monetas

 

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