Paul J. Hälg, CEO Dätwyler Gruppe. (Foto: Dätwyler)
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Hälg, wie viele andere Schweizer Unternehmen hat auch Dätwyler im ersten Halbjahr die Folgen der Frankenstärke zu spüren bekommen. Zwar hat sich die Situation in den letzten Wochen leicht entspannt, dennoch bleibt der Franken deutlich überbewertet. Welche Folgen befürchten Sie einerseits für Ihr Unternehmen, andererseits für die Schweizer Wirtschaft, wenn sich an der Situation nichts ändert?
Paul J. Hälg: Die börsenkotierte Dätwyler Gruppe hat sich seit längerem auf einen stärkeren Franken eingestellt. Dank den in den Vorjahren umgesetzten Massnahmen hat das Unternehmen die Abhängigkeit vom Schweizer Franken stark reduziert. Inzwischen werden weniger als 5% des Umsatzes in der Schweiz produziert und in den Euroraum exportiert. In der Schweiz wird man auch mittelfristig noch wettbewerbsfähig produzieren können, wenn entweder der Produktionsprozess weitgehend automatisiert werden kann, oder die Produkte innovativ und in kleinen Serien möglichst kundenspezifisch sind. Dätwyler hat sich auf diese Entwicklung eingestellt.
Wie hat Dätwyler auf die Aufhebung des Mindestkurses Mitte Januar reagiert?
Dank den in den Vorjahren umgesetzten Massnahmen mussten wir keine Sofortmassnahmen ergreifen. Natürlich prüfen auch wir Investitionen in Schweizer Produktionsstätten noch detaillierter und analysieren unsere Prozesse auf Optimierungspotenzial.
«Inzwischen werden weniger als 5% des Umsatzes in der Schweiz produziert und in den Euroraum exportiert.»
Paul J. Hält, CEO Dätwyler Gruppe
Verstärkte Innovation gilt als eine der Massnahmen im Kampf gegen die Folgen der Frankenstärke. Dätwyler ist sehr breit aufgestellt ‐ von Verschlusslösungen für Medizinprodukte über die Abdichtung von Kaffeekapseln bis hin zu Dichtungslösungen für Bremssysteme. In welchen Bereichen liegen die Innovationsschwerpunkte?
Im Konzernbereich Sealing Solutions verfügen wir über führende Material‐, Engineering‐ und Prozesskompetenzen zur Fertigung von systemrelevanten Dichtungskomponenten in grossen Stückzahlen und in konstant hoher Qualität. Diese Kompetenzen wollen wir nutzen, um unsere Position in den bestehenden Marktsegmenten zu stärken und neue Marktsegmente zu erschliessen. Die innovative Lösung für Nespresso ist ein gutes Beispiel dafür.
Währungseffekte von 9,5 % drückten auf den Umsatz, organisch konnte Dätwyler von Januar bis Ende Juni jedoch um 1,7 % zulegen, wobei auch hinsichtlich Ertragskraft die unterschiedliche Entwicklung der beiden Geschäftsbereiche Sealing Solutions und Technical Components auffällt. Welches waren die Erfolgsfaktoren im Geschäft mit Dichtungs‐, Verschluss‐ und Verpackungslösungen?
Die positive Entwicklung im Konzernbereich Sealing Solutions ist das Resultat gezielter strategischer und operativer Optimierungsmassnahmen in den vergangenen Monaten und Jahren. So kam die Zusammenführung der früheren Teilbereiche auch im ersten Halbjahr 2015 weiter voran und generierte weitere Synergieeffekte. Auch die Integration der akquirierten Unternehmen sowie der Ausbau der Standorte in Tieflohnländern verliefen nach Plan und schafften Mehrwert. Dazu kommt die systematische Verbesserung des Produktemixes hin zu höherwertigen Produkten. In jüngster Zeit haben nicht zuletzt auch vorteilhafte Rohmaterialpreise zur Margensteigerung beigetragen.
Im Marktsegment Automotive hat Dätwyler zuletzt mit der Übernahme des italienischen Unternehmens Origom das Produkteportfolio weiter verstärkt. Welche Technologien erschliessen Sie sich damit?
Mit der Übernahme von Origom erhält Dätwyler Zugang zum globalen O‐Ring‐Markt mit seinen vielfältigen Möglichkeiten für weiteres organisches und akquisitorisches Umsatzwachstum. O‐Ringe aus Elastomer stehen in vielen Branchen als Dichtungen im Einsatz. Wir können die O‐Ringe von Origom in unser Vertriebs‐ und Produktionsnetz aufnehmen. Und gleichzeitig haben wir mit den Kundenbeziehungen von Origom die Chance, neue Marktnischen für unsere bestehenden Dichtungskomponenten zu erschliessen.
«Die Pipeline für bedarfsspezifische Verschlusskomponenten für Health‐Care‐Kunden sieht sehr gut aus.»
Das Marktsegment Health Care trug wesentlich zur Umsatz‐ und Ertragssteigerung des Konzernbereichs bei. Auch im zweiten Halbjahr soll der Gesundheitsbereich massgeblich zum Erreichen der Jahresziele beitragen. Was steht an?
Die Pipeline für bedarfsspezifische Verschlusskomponenten für Health‐Care‐Kunden sieht sehr gut aus. Im zweiten Halbjahr 2015 wird eine hohe Zahl neuer Komponenten in Serienproduktion gehen. Zudem verläuft die Verlagerung einer schnell wachsenden Produktlinie aus dem Werk in den USA in das indische Werk nach Plan. Und im Werk in Belgien werden wir die Reinraumstandards weiter erhöhen, womit wir unsere Position im Segment der hochwertigen Komponenten ausbauen.
Weniger Freude bereitet Ihnen die Entwicklung des Geschäftsbereichs Technical Components. An welchen Fronten kämpfen Sie mit Problemen?
Im Konzernbereich Technical Components sind wir mit mehreren Marken als HighService Distributor für Elektronik, Automation und ICT Komponenten und Zubehör tätig; in der Schweiz zum Beispiel mit der Marke Distrelec. Durch die Fokussierung auf Europa kämpften wir in den vergangenen Jahren mit einem anspruchsvollen Marktumfeld. Seit 2008 haben wir in diesem Geschäft im europäischen Ausland drei grössere Akquisitionen getätigt. Die Projekte zur Integration dieser Unternehmen gestalten sich anspruchsvoller und bedingen mehr Zeit und Ressourcen als ursprünglich erwartet.
Mit welchen Massnahmen begegnen Sie den verschiedenen Herausforderungen im Distributionsgeschäft?
Auf der operativen Ebene forcieren wir die Nachfrage mit einer Kombination von Off‐ und Online‐Marketingmassnahmen. Auf der strategischen Ebene etablieren wir eine gemeinsame Plattform für Beschaffung, Logistik und ICT‐Infrastruktur. Damit können wir die Lieferbereitschaft unseres breiten Sortiments weiter erhöhen und unsere Betriebskosten senken. Der neue Webshop ist mit seinen modernen Funktionen führend und macht die Online‐Bestellung für unserer Kunden deutlich einfacher und schneller.
Welche Bilanz werden Sie Ende Jahr ziehen können?
Wir sind zuversichtlich, dass wir 2015 unsere Ziele eines Gruppenumsatzes von CHF 1‘200 Mio. und einer EBIT‐Marge im Zielband von 10% bis 13% trotz anspruchsvollem Währungsumfeld erreichen können. Im Konzernbereich Sealing Solutions eröffnen wir uns mit den Akquisitionen von Columbia in den USA und Origom in Italien neue Absatzkanäle und Marktnischen. Und im Konzernbereich Technical Components legen wir mit der gemeinsamen Infrastrukturplattform die Basis, um in Zukunft die Kostenvorteile eines Grossunternehmens für weiteres Wachstum nutzen zu können.
2015 begeht Dätwyler das 100‐Jahr‐Jubiläum. Welche Gemeinsamkeiten haben das Draht- und Gummiwerk von 1915 und der heutige, global aufgestellte Konzern mit weltweit rund 6500 Mitarbeitenden?
Dies scheint mir eine etwas rhetorische Frage. Es gehört ja gerade zu den Stärken von erfolgreichen Unternehmen, dass sie sich immer wieder an veränderte Rahmenbedingungen anpassen können. Es ist aber so, dass unsere Wachstumsstrategie auf starken Werten beruht. Es sind dies Unternehmertum, Kundenfokus, Höchstleistungen und ein respektvoller Umgang. Unser Gründer Adolf Dätwyler und seine Söhne Peter und Max Dätwyler lebten diese Werte aus Überzeugung. Damit diese zentralen Erfolgsfaktoren trotz ständig neu dazukommender Firmen und Mitarbeiter nicht verlorengehen, hat sie Dätwyler anlässlich des 100‐Jahr‐Jubiläums als offizielle Unternehmenswerte auch formell festgeschrieben. Zusammen mit dem Verhaltenskodex prägen sie die Kultur und die Führung an jedem Standort der Dätwyler Gruppe auf der ganzen Welt.
«Ich bin überzeugt, dass in dieser ausserordentlichen Situation weder Sika noch Dätwyler zu kurz kommen.»
Als Konzernchef sind Sie stark gefordert. Gleichzeitig sind Sie als VR-Präsident des Baustoffzulieferers Sika AG in einen nicht enden wollenden Streit um den Verkauf des Unternehmens an Saint‐Gobain involviert. Wie gehen Sie mit dieser Doppelbelastung um?
Die Situation bedeutet natürlich temporär eine Zusatzbelastung. Dies gilt übrigens auch für die anderen Verwaltungsräte der Sika. Die nötigen Zusatztermine finden daher meist am Abend und übers Wochenende statt. Beide Unternehmen, Dätwyler und Sika, sind zudem in ihren Märkten gut positioniert und verfügen über ein stabiles Management. Ich bin daher überzeugt, dass in dieser ausserordentlichen Situation weder Sika noch Dätwyler zu kurz kommen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Für unseren Bereich Technical Components würde ich mir gerne einen stärkeren konjunkturellen Rückenwind in Europa wünschen. Und für den Bereich Sealing Solutions würde ich mir wünschen, dass die Wachstumsverlangsamung in China die Weltkonjunktur nicht ins Stocken bringt.
Herr Hälg, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Paul J. Hälg (1954, CH) wurde 2004 zum CEO der Dätwyler Gruppe berufen. Vor seinem Eintritt bei Dätwyler war er als Leiter des Geschäftsbereichs Klebstoffe Mitglied der Konzernleitung Forbo. Von 1986 bis 2001 war Paul J. Hälg in verschiedenen Führungsfunktionen bei Gurit‐Essex (Gurit‐Heberlein‐Gruppe) tätig, zuletzt als CEO. Zuvor war er während fünf Jahren bei der Swiss Aluminium Gruppe beschäftigt. Paul J. Hälg ist Verwaltungsratspräsident der börsenkotierten Sika AG. Zudem ist er Verwaltungsrat der Dätwyler Cabling Solutions AG, einer Schwestergesellschaft der börsenkotierten Dätwyler Holding AG. Er schloss sein Chemiestudium an der ETH Zürich mit dem Doktortitel (Dr. sc. techn.) ab.
Zum Unternehmen:
Die Dätwyler Gruppe ist ein fokussierter Industriezulieferer mit führenden Positionen in globalen und regionalen Marktsegmenten. Dank Technologieführerschaft und massgeschneiderten Lösungen bietet die Gruppe den Kunden in den bearbeiteten Märkten einen Mehrwert. Dabei konzentriert sich Dätwyler auf Märkte, die eine Erhöhung der Wertschöpfung sowie nachhaltig profitables Wachstum ermöglichen. Der Konzernbereich Technical Components ist einer der führenden High‐Service Distributoren Europas für Komponenten und Zubehör in Elektronik, Automation und ICT. Der Konzernbereich Sealing Solutions ist ein führender Anbieter von kundenspezifischen Dichtungslösungen für globale Marktsegmente wie Automotive, Health Care, Civil Engineering und Consumer Goods.