Peter Grütter, Präsident asut
Peter Grütter, Präsident asut. (Foto: payoff)
Von Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch.
payoff im Gespräch mit Peter Grütter, Präsident asut, über das Aus von Fixnetzanschlüssen, mobile Wachstumsrekorde, Anbieterkonsolidierung und den dringenden Handlungsbedarf beim Netzausbau.
payoff: Herr Grütter, Telefon, Computer und TV verschmelzen zunehmend. Wird in zehn Jahren ein Telekomunternehmen noch reine Fixnetzanschlüsse verkaufen können?
Peter Grütter: Bereits heute werden immer weniger reine Fixnetzangebote genutzt. Kombiangebote sind zunehmend die Regel — Fixtelefonie, Mobile, Internet und TV. Für reine Fixnetzanschlüsse sehe ich in zehn Jahren kaum noch Nachfrage.
Das schnellst wachsende Segment für ICT-Unternehmen ist das mobile Internet. Welche aktuellen Zahlen haben Sie hier global zur Hand?
Gemäss der Internationalen Fernmeldeunion zählt man mittlerweile sieben Milliarden Mobile-Abos, sprich ein Abo pro Erdenbewohner. In Asien und auf der südlichen Hemisphäre beträgt der Mobile-Internet-Anteil schon über 50%. Mobile krempelt gemäss McKinsey das Privat- und das Berufsleben völlig um und das wirtschaftliche Potenzial wird in zehn Jahren auf vier bis elf Trillionen US-Dollar geschätzt.
Das sind beeindruckende Aussichten. Könnten Sie kurz den heimischen Markt etwas skizzieren?
Mit über 28 Milliarden Franken Wertschöpfung trägt die Schweizer ICT-Branche gleich viel zum Bruttoinlandprodukt bei wie das Baugewerbe. Vor allem der Mobile-Bereich ist enorm am Wachsen. Der amtlichen Fernmeldestatistik ist zu entnehmen, dass das über die Mobilfunknetze übertragene Datenvolumen zwischen 2008 und 2012 um mehr als das 23-Fache gestiegen ist! Und dieser Trend hält an: Der Datenfluss in den Schweizer Mobilfunknetzen verdoppelt sich zirka alle zwölf Monate.
Gibt es Zahlen zur mobilen Internetnutzung?
Ende 2012 waren in der Schweiz etwas mehr als 10,5 Millionen SIM-Karten im Einsatz und über 75% der Bevölkerung nutzen das Internet auch über Smartphones oder Tablets.
«Das via Mobilfunk übertragene Datenvolumen ist zwischen 2008 und 2012 um mehr als das 23-Fache gestiegen!»
Wie margenträchtig sind die rasant nachgefragten Datendienste aus Sicht eines Netzproviders in Zeiten von WhatsApp und iMessager?
Der Datenhunger in allen Netzen zwingt zu massiven Investitionen in deren Ausbau. Dies drückt auf die Marge, da die Gewinne vor allem von den Datendienst-Anbietern und nicht von den Netzanbietern eingefahren werden. Die klassischen Telkos richten sich deshalb strategisch neu aus und setzen auf Innovation, neue Inhalte und neue Geschäftsmodelle.
Wo liegen speziell für Telekomunternehmen wie Swisscom grosse Umsatz-Potenziale?
Immer mehr Menschen, Maschinen und Dinge sind miteinander und mit dem Internet verbunden. Vernetzte Mobilität, dezentrale Sensoren und Intelligenz sowie zunehmende Flexibilität werden zum bestimmenden Trend in der Zukunft. Dies betrifft nicht nur die ICT-Welt, sondern alle Branchen und Bereiche, z.B. Energiesektor oder Strassen- und Schienenverkehr mit intelligenten Steuerungen, Detailhandel mit Mobile Payment, Gesundheitswesen mit elektronischem Patientendossier etc. In der Erschliessung solcher Geschäftsfelder liegen denn auch die künftigen Umsatzpotenziale für die Telkos.
In welchen ICT-Segmenten erwarten Sie zunehmende Nutzer-Nachfrage in nächster Zeit?
CloudComputing wird zur Standardlösung. Immer weniger Unternehmen leisten sich eigene Rechenzentren, und im Privatleben verlassen wir uns schon heute grösstenteils auf Cloud-Lösungen. Software Defined Networking, als SDN bezeichnet, wird die Cloud dominieren. Damit lässt sich das Netzwerk bedarfsgerecht und dynamisch an neue Anforderungen anpassen, unter Optimierung der Kosten und des Energiebedarfs. Für die Telkos ist das ein hochinteressanter Markt.
Wie beurteilen Sie die aktuell grosse M&A-Aktivität im ICT-Sektor? Wird sich die Anbieterkonsolidierung fortsetzen?
Mergers&Aquisitions sind derzeit in fast allen Industriesektoren zu beobachten. Sie sind eine Folge der Geldschwemme, welche die Notenbanken durch ihre Konjunkturstützungsmassnahmen geschaffen haben. Im ICT-Sektor wird die Anbieterkonsolidierung zusätzlich durch die hohen Investitionskosten bei der Infrastruktur begünstigt. Aktuelles Beispiel sind die erneuten Fusions-Überlegungen von Sunrise und Orange.
«Im ICT-Sektor wird die Anbieterkonsolidierung zusätzlich durch die hohen Investitionskosten bei der Infrastruktur begünstigt.»
Stichwort Infrastruktur: Welchen technischen Herausforderungen muss sich die Branche — speziell in der Schweiz und der EU — aktuell stellen?
Im Mobilfunk herrscht in der Schweiz Alarmstufe Rot, sehen sich die Betreiber doch mit einer im Vergleich zum Ausland besonders strengen Regulierung konfrontiert, welche die Modernisierung der Netze massiv verteuert und verzögert. Anpassungen der NISV [„.«Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung» – die Red.], bei den Bewilligungsverfahren, in den Planungsgesetzen und bei den Anlagegrenzwerten sind dringend nötig.
Welche Märkte sind uns in Europa beim Netzausbau (Mobil, Internet) voraus, welche hinken nach?
In allen internationalen Beurteilungen erhält die Schweiz in der Telekommunikation seit Jahren hervorragende Noten. Akamai’s «State of the Internet Report» listete im Januar 2014 die Schweiz weltweit auf Platz 2, was die Breitbandabdeckung anbelangt und auf Platz 5 hinsichtlich Internetgeschwindigkeit. In Europa schneiden nur zwei bis drei nordische Staaten vergleichbar gut ab. Für unsere kleine, offene Volkswirtschaft ist die Kommunikationsinfrastruktur ein wichtiger Standortfaktor, und damit sie Spitze bleibt, besteht im Mobilfunkbereich, wie gesagt, dringender Handlungsbedarf.
Welche Trends und potenzielle «Game-Change» sehen Sie im globalen ICT-Markt?
Die Kommunikationsinfrastruktur wird zur zentralen Basisinfrastruktur der Gesellschaft. Die ICT erschliesst mit Riesenschritten alle menschlichen Systeme und übernimmt immer mehr Dienstleistungen und Steuerungsaufgaben. Die künftigen Umsatz und Gewinn bringenden Geschäftsmodelle liegen im Umfeld der vernetzten Mobilität, in real-time-Daten-, Markt- und Kundenanalysen und in auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittenen Services und Produkten.
Sie nannten gerade Echtzeit-Datenanalysen, auch als «Big Data» bekannt. Das ist zunehmend auch ein Synonym für Gefahren und Datenklau. Wie reagiert die Branche auf die grosse Sensibilität privater und staatlicher ICT-Nutzer?
Das Risikobewusstsein ist sehr wichtig und die Branche führt zahlreiche eigene und unterstützt Projekte Dritter, welche die Sicherheit und Integrität der Daten und der Datenflüsse erhöhen. Ausdrücklich begrüsst wird auch die starke Schweizer Datenschutzgesetzgebung, welche Datenmissbräuchen vorbeugt und Verletzungen ahndet. Big Data gehört zum modernen Alltag. Umso wichtiger sind Transparenz und Sicherheit im Umgang mit den Daten und die Verlässlichkeit der Anbieter.
Herzlichen Dank!
Der Gesprächspartner: Peter Grütter präsidiert den Schweizerischen Verband der Telekommunikation asut und ist Mitglied des Vorstands von ICTswitzerland und des Vorstands der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften SGVW. Als Anwalt und Berater von Behörden, Organisationen und Unternehmen fokussiert er auf die Themen Innovation und organisatorische Transformation. Von 2010-2012 leitete er als «Distinguished Fellow» von Cisco Systems das Engagement des Privatsektors im Rahmen der UN Making Cities Resilient Campaign, wo sich über 1’600 Städte weltweit für eine wirksamere Katastrophenvorsorge unter Nutzung intelligenter Netze für krisenfeste Strukturen engagieren. Zuvor, von 2007-2010, führte er «Partnership for Lebanon», eine Initiative von Cisco, Ghafari, Intel, Microsoft, und Occidental Petroleum zum Wiederaufbau des Libanon nach dem Krieg 2006 mit Israel. Von 1996-2007 war Grütter Generalsekretär des Eidgenössischen Finanzdepartements. U.a. war ihm auch das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation unterstellt. Vorher war Grütter Chef des Stabes im Eidgenössischen Militärdepartement.