(Bild: Nintendo)
Koblenz – Sie sind klein, süss und wollen gefangen werden: Das Augmented-Reality-Spiel Pokémon Go hat ein globales Jagdfieber ausgelöst. Warum das Spiel die ganze Welt begeistert, was die Herausforderungen beim Programmieren einer solchen App sind, wie sicher die Nutzerdaten sind und wie es weitergeht mit dem Hype, erklärt Bastian Krayer im Interview. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der AG Computergrafik am Institut für Computervisualistik der Universität Koblenz-Landau, die sich mit der 3D-Bildsynthese in interaktiven, immersiven und augmentierten Umgebungen sowie mit Anwendungen in den Bereichen der virtuellen Realität beschäftigt.
Wie viele Pokémon haben Sie heute schon gefangen?
Ungefähr 10 Stück.
Virtuelle Monster, die mit Bonbons gefüttert werden, die man sammeln und tauschen kann und die in Arenen gegeneinander antreten: Wie funktioniert das Spiel eigentlich?
In Pokémon Go ist man als Pokémon-Trainer unterwegs. Als solcher hat man die Aufgabe, möglichst viele verschiedene Pokémon, tierartige Wesen, zu fangen. Diese findet man an vielen Orten in der Welt verteilt. Dank mobiler Internetverbindungen und GPS können Spieler mit ihrem Smartphone in der wirklichen Welt herumwandern und diese Orte finden. Dabei werden auf dem Smartphone eine Karte der Umgebung, eine Repräsentation des Spielers und weitere Informationen eingeblendet. Befindet sich etwa ein Pokémon in der Nähe, zeigt es sich auf dem Bildschirm. Berührt man es, beginnt ein simples Geschicklichkeitsspiel, in dem man einen sogenannten Pokéball wirft, in dem das Wesen dann gefangen wird. Hierbei wird mittels Augmented Reality (AR) das Pokémon auf dem Kamerabild dargestellt, sodass es in der wirklichen Welt zu existieren scheint.
Man erhält zum Beispiel für einen gelungenen Fangversuch Bonbons für die jeweilige Art von Monster. Die Bonbons können dafür genutzt werden, um die Monster weiter zu entwickeln, also in eine stärkere Version zu verwandeln. Stärke ist wichtig für Kämpfe, die man mit den eigenen Pokémon bestreiten kann. An bestimmten Orten sind Arenen platziert, die von einem der drei im Spiel vorkommenden Teams besetzt werden können. Um die Arena von einem anderen Team zu beanspruchen, müssen die dortigen bewachenden Pokémon im Kampf besiegt werden, was wiederum ein kleines Geschicklichkeitsspiel ist.
Was ist der Reiz an dieser virtuellen Schnitzeljagd?
Der wohl grösste Reiz kommt vermutlich von den Pokémon selbst. Die Spiele erfreuen sich seit etwa 20 Jahren grosser Beliebtheit, auch wird voraussichtlich dieses Jahr noch eine neue Generation erscheinen. Der Anime, der japanische Zeichentrickfilm, hat ebenfalls viele Menschen begeistert, wodurch beispielsweise auch das Maskottchen Pikachu über die Grenzen von Spiel und Serie hinaus bekannt ist. Bei Pokémon ging es immer darum, in die Welt hinaus zu gehen, verschiedenste Arten von Pokémon zu treffen und Abenteuer zu erleben. Pokémon Go erlaubt es zum ersten Mal, wenn auch sehr rudimentär, dies nachzuerleben.
Worin liegt die Herausforderung bei der Programmierung eines Augmented-Reality-Spiels wie Pokémon Go?
Die Herausforderungen liegen an vielen Stellen und sind auch nicht einfach zu überwinden, wie die vielen Probleme bei der Nutzung des Spiels zeigen. Auf der einen Seite muss die virtuelle Welt verwaltet werden, damit allen Spielern die gleiche Umgebung gezeigt werden kann. Das beinhaltet etwa die Platzierung der Monster in der Welt, Synchronisierung verschiedener Server und Verwaltung der Aktionen aller Spieler. Auf der anderen Seite muss das mobile Gerät Interaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stellen. Bei Augmented-Reality-Anwendungen ist dies vor allem der Blick durch die Kamera und die Beeinflussung durch Berührung des Bildschirms.
Damit Objekte auf dem Bildschirm so erscheinen, als gehörten sie in die Welt, müssen viele schwierige Probleme gelöst werden. Dazu zählt beispielsweise die Bestimmung der Position der Kamera in der Welt, etwa durch Identifikation bestimmter Muster im Bild, oder die korrekte Beleuchtung, die möglichst derjenigen in der Umgebung entsprechen sollte. Da solche Aufgaben sehr komplex sind, reicht die Rechenleistung von Smartphones auch kaum aus, sodass eine gute Balance aus Aufwand und Ergebnis gefunden werden muss.
Woher weiss die App zum Beispiel, wo ich mich befinde und in welcher Entfernung ich auf Pokémon und Arenen treffen kann?
Durch das GPS auf dem Mobilgerät kann die eigene Position bestimmt werden. Das Spiel kommuniziert mit dem Serversystem, das unter anderem die Pokémon auf der Karte verteilt. Der Spieler erhält dann Rückmeldung über Pokémon, die in einem gewissen Radius um den eigenen Standort angesiedelt sind. Das gleiche gilt auch für Arenen und weitere Spielobjekte.
Pokémon-Spieler starren gebannt auf ihr Handy und vergessen alles um sich herum, während sie sich durch das reale Leben bewegen und die kleinen Monster jagen. Und begeben sich mitunter in Gefahr, wenn Pikachu und Co. auf der Autobahn oder auf dem Dach von Einkaufszentren gefangen werden wollen. Sind das Fehlprogrammierungen der App?
Dem CEO der Entwicklerfirma Niantic, John Hanke, zufolge werden Pokémon möglichst nicht an unsicheren Orten wie Fahrbahnen platziert, wobei es vermutlich trotzdem mal vorkommt. Die App startet aber auch stets mit den Worten „Bleibe wachsam. Behalte immer deine Umgebung im Auge!“ und bietet beispielsweise über den Vibrationsalarm nicht-visuelle Signale für erscheinende Pokémon. Zwingen kann die App niemanden, vom Bildschirm aufzuschauen. Eventuell könnten regelmässige Erinnerungen eingeblendet werden, was aber vielleicht auch zu störend wäre. Insofern halte ich es für übertrieben, die Schuld auf die App zu schieben. Allerdings sollten gerade jüngere Kinder sicherheitshalber nicht ohne Begleitperson auf längere Reisen gehen.
Wie erklären Sie sich den plötzlichen Erfolg des Spiels? Eine verwandte Spielart, die virtuelle Welten und die Realität vereint, ist zum Beispiel das Geocaching – das sich aber nie so richtig durchgesetzt hat.
Ich denke, dass es vor allem die Mischung aus Pokémons, dem sehr einfachen Spielprinzip und der kleinen Augmented-Reality-Erweiterung ist. Bei Geocaching muss beispielsweise ein meist eher alltägliches Objekt gefunden und signiert werden. Bei Pokémon Go findet man allerlei putzige Monster, die in einem kurzen Spiel gefangen werden können, ohne dass man die ganze Umgebung inspizieren muss. Die Möglichkeiten von Augmented Reality bringen hier einfach ein bisschen Fantasie in die wirkliche Welt, was bei ähnlichen Aktivitäten nicht gegeben ist oder nicht die gleiche Anziehungskraft wie Pokémon besitzt.
Wie bewerten Sie den Hype?
Wie meist bei solchen Phänomenen wohl überzogen. Die App selbst hat mit vielerlei Fehlern und Serverproblemen zu kämpfen und funktioniert oft eher mässig. Auch sind die Inhalte bisher überschaubar und das Kampfsystem wesentlich simpler als es in den komplexen Hauptspielen ist. Trotzdem scheint es für viele den richtigen Nerv getroffen zu haben. Spieler jeden Alters oder Geschlechts haben Spass daran, nach draussen zu gehen. Es gibt viele Berichte von Menschen, die an Krankheiten wie Depressionen leiden, deren Zustand sich durch das Spiel verbessert hat. Natürlich gibt es auch problematische Meldungen, wie etwa Unfälle. Auch wenn der Hype selbst übertrieben ist, bringt das Spiel viel Positives, was nicht unterschätzt werden sollte.
Wie sicher sind meine Daten bei der App-Nutzung?
Vermutlich ähnlich sicher oder unsicher wie bei vergleichbar anderen Programmen. Spieler müssen sich im Klaren sein, dass ein Teil der eigenen Daten gespeichert wird. Darunter fallen beispielsweise die eigene Position vom GPS oder Account-Details. Alle so gesammelten Daten werden auch im Falle einer Übernahme der Firma Niantic weitergegeben. Weiterhin können anonymisierte Daten an Drittanbieter weitergegeben werden. Wie genau diese Daten verwendet werden, ist nicht genau zu sagen.
Bald soll ein monatlicher Beitrag für das Spiel fällig werden: Das Ende von Pokémon Go?
Die Gerüchte, dass ein monatlicher Beitrag fällig wird, scheinen sich auf eine Reihe von Betrugs-E-Mails zu beziehen. Es wird auch empfohlen, nicht auf Links in diesen E-Mails zu klicken. Das Spiel bleibt also weiterhin kostenlos, wobei intern Objekte mit echtem Geld eingekauft werden können, was sich bisher wohl bezahlt gemacht hat.
Hintergrund: Die AG Computergrafik
Die Arbeitsgruppe Computergrafik wird seit 1. Juli 2002 von Prof. Dr. Stefan Müller geleitet. Die Gruppe beschäftigt sich hauptsächlich mit der 3D-Bildsynthese in interaktiven, immersiven und augmentierten Umgebungen, auch unter Verwendung aktueller Grafikhardware. Hierbei wird die gesamte Prozesskette abgebildet: Modellierung, Interaktion, Simulation und Bilddarstellung. Im Vordergrund stehen dabei Verfahren zur Darstellung komplexer Datenmengen unter Echtzeitbedingungen, neue Methoden zur Simulation von Lichtverhältnissen sowie Visualisierungen in medizinischen Anwendungen und dem Einsatz von mobilen Endgeräten in der Computergrafik. Für Anwendungen in den Bereichen der virtuellen Realität und Augmented Reality verfügt die Arbeitsgruppe über ein Mixed-Reality-Labor mit verschiedenen Ein – und Ausgabegeräten. Ausserdem stehen mehrere Arbeitsplätze mit moderner Hardwareausstattung und verschiedenen Architekturen zur Verfügung.
Ursprünglich erschienen auf Videoboost.de