Prof. Dr. Monika Bütler, Leiterin Schweizerisches Institut für Empirische Wirtschaftsforschung St. Gallen (Bild: Unternehmerzeitung)
Interview von Annina Haller und Christoph Hilber, Unternehmerzeitung, P-Connect
Frau Bütler, wie bringen Sie Ihre universitären Tätigkeiten mit Ihren verschiedenen VR-Verpflichtungen unter einen Hut?
Monika Bütler: Ich glaube, die meisten Leute stellen sich die Arbeit an einer Universität etwas falsch vor. Eine Professur verlangt zwar viel Einsatz, bietet dafür aber grosse Flexibilität und Selbstbestimmung. Zudem ist es durchaus erwünscht, dass sich die Professor(inn)en in verschiedenen Gremien im universitären und wirtschaftlichen Umfeld einbringen.
«Meine Erfahrung ist, dass die Unterscheidung zwischen Mann und Frau künstlich vergrössert wird.» Prof. Dr. Monika Bütler
Dennoch: Ich habe mich aus verschiedenen Gründen entschieden, mein Pensum als Professorin zu reduzieren, nicht nur wegen der VR-Mandate. Nun schätze ich die Abwechslung zwischen theoretischen und praktischen Themen, die sich aus den wissenschaftlichen Projekten, der VR-Tätigkeit und der Öffentlichkeitsarbeit ergibt. Letztlich ist es auch eine Frage der Organisation. So lehrt mein Mann an der Universität Zürich in einem Teilpensum. Wir haben beide das Privileg, dass wir mit Ausnahme der Semesterzeiten – die sehr hart sind und kaum zeitlichen Freiraum bieten – relativ flexibel sind, wovon Familie und Kinder wiederum profitieren. Glücklicherweise finden viele der VR-Sitzungen dann statt, wenn wir wenig oder gar keine Vorlesungen haben.
Sie machen einen ziemlichen Spagat an Diversität bei Ihren Mandaten. Wie kommt das?
Mich hat immer sehr vieles interessiert: Ich mochte Sprachen, Geschichte, Technik, Naturwissenschaften, Wirtschaftspolitik. Es fasziniert mich einfach, soviel wie möglich über die Welt zu erfahren. Das ist im Beruf natürlich schwieriger. Darum bin ich wissenschaftlich auch enger geblieben, um international konkurrenzfähig zu bleiben, auch wenn dies meinem Naturell weniger entspricht. Ich möchte mich nicht nur mit wenigen Forschungsthemen beschäftigen. So sehr ich meine Kollegen dafür bewundere, für mich wäre es nichts.
Betrifft Sie die Thematik von Frauen in männerdominierten Umgebungen?
Ja und nein. Mit meinem naturwissenschaftlichen Studium war ich von Anfang an immer in relativ männlichen Umgebungen. Meine Erfahrung ist, dass die Unterscheidung zwischen Mann und Frau künstlich vergrössert wird. Die Unterschiede zwischen zwei zufällig ausgewählten Frauen sind beispielsweise grösser als zwischen dem Durchschnittsmann und der Durchschnittsfrau. Werden ständig diese Durchschnittstypen verglichen, wird ein Grossteil der Diversität der Menschen ausgeblendet.
«Die Braven und Angepassten werden bevorzugt – häufiger die Mädchen.»
Dieses Denken in Stereotypen prägt leider auch Buben und Mädchen und beeinflusst die Wahrnehmung der Geschlechter. Dies geht nicht überall zu Ungunsten der Frauen, beide Geschlechter leiden darunter. In den Schulen zum Beispiel ist es für begabte, aber etwas zappelige Kinder – viel häufiger Buben – nicht einfach, durch die Schulzeit zu kommen. Die Braven und Angepassten werden bevorzugt – häufiger die Mädchen. Das rächt sich später. Denn im Berufsleben und ganz besonders bei anspruchsvollen Aufgaben ist zu viel Anpassung nicht förderlich. Ich profitiere wohl heute davon, dass ich in der Schule Mühe hatte, mich anzupassen und nicht zu den Beliebtesten gehörte. So habe ich gelernt, mich auf meine eigenen Fähigkeiten zu verlassen und mich durchzusetzen. Ich muss nicht allen gefallen.
«Persönlichkeiten mit Mut zu einer eigenständigen Position gibt es nur noch wenige, wir überlassen eigentlich alles den Politikern.»
Mit batz.ch haben Sie eine Plattform geschaffen, auf der sich Schweizer Wirtschaftsprofessoren zu aktuellen Themen äussern können.
Der Blog ist aus der tiefen Überzeugung entstanden, dass eine funktionierende Gesellschaft eine breit abgestützte und konstruktive Diskussion verschiedener Kreise braucht. In den letzten 20 Jahren ist das Engagement der Wissenschaftler, aber auch der Wirtschaftsvertreter in der öffentlichen Debatte stark zurückgegangen. Persönlichkeiten mit Mut zu einer eigenständigen Position gibt es nur noch wenige, wir überlassen eigentlich alles den Politikern.
Dann gehört das zum Anliegen von batz.ch, dass ein Bogen zwischen akademischer Forschung und der öffentlichen Meinung geschlagen wird?
Auf jeden Fall! Die Öffentlichkeit interessiert sich nämlich durchaus für diese Themen. Manchmal dauert es einfach etwas länger, bis jemand reagiert. So habe ich zum Beispiel vor zehn Jahren zum ersten Mal die Anreizwirkungen thematisiert, die von den Ergänzungsleistungen ausgehen. Das hat damals niemanden interessiert. Und nun werde ich mit Anfragen dazu eingedeckt.
Was glauben Sie sind Gründe dafür, dass sich Unternehmen nicht zu diesen Themen äussern?
Das hat vermutlich bis zu einem gewissen Grad mit der Internationalisierung zu tun. Viele Unternehmen sind nicht mehr gleich verwurzelt mit der Schweiz, da ihr Wirkungsbereich viel mehr global als lokal ist. Das ist nicht als Kritik gemeint, die Globalisierung hat uns sehr viel Wohlstand gebracht. Dennoch: Die meisten Menschen interessierten sich durchaus dafür, wie die Firmen ticken und wer für ihre Entscheidungen verantwortlich ist. Es kommt gut an, wenn sich Wirtschaftsführer zeigen.
«Die Arbeitsbelastung an der Spitze der internationalen Firmen ist heute riesig, kaum jemand kann dies über längere Zeit leisten.»
Andererseits werden die Wirtschaftsvertreter von der Öffentlichkeit primär als Abzocker wahrgenommen und nicht als Garanten unseres Wohlstandes. Dabei ist die Arbeitsbelastung an der Spitze der internationalen Firmen heute riesig, kaum jemand kann dies über längere Zeit leisten. Mein Kollege Norbert Tohm – er war Professor für Betriebswirtschaft an der Uni Bern – sagte einmal: «Das Problem ist, dass es unglaublich schwierig ist, einen Einblick in die Welt der Manager zu bekommen. Mir selbst ist das erst mit fortschreitender Erfahrung und aufgrund meiner Verwaltungsratsmandate gelungen. Leider muss man sich gerade dann zurückhalten, wenn man endlich weiss, wie es eigentlich läuft. Dann unterliegt man plötzlich einer Verschwiegenheitspflicht.» Das sehe ich genau so.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie verändern wollen?
Die ganze Regulierungsdichte lähmt uns zunehmend, immer mehr staatliche Stellen reden uns selbst in persönliche Entscheidungen rein, die niemandem wehtun. Alle wünschen sich mehr Freiheit und dennoch unterstützen viele gleichzeitig Initiativen, welche die Freiheit der anderen einschränkt. Die Welt wird dadurch nicht besser.
«Ecopop war letztlich auch eine Reaktion auf die Untätigkeit der Politik in den Diskussionen um die die Folgen der Personenfreizügigkeit.»
Und dann wünschte ich mir, dass die Politik wieder aufklärerischer wird. Ecopop war letztlich auch eine Reaktion auf die Untätigkeit der Politik in den Diskussionen um die die Folgen der Personenfreizügigkeit. Niemand erklärte den besorgten Bürgern, woher die Ausländer kommen, die wirklich Probleme machen (nämlich mehrheitlich nicht aus der EU). Auf griffige – auch während der Personenfreizügigkeit mögliche – Massnahmen gegen eine Einwanderung in den Sozialstaat wurde verzichtet. Wir warten bis heute auf eine vernünftige Einwanderungspolitik für Bürger aus Drittstaaten. Statt den Zug sanft zu bremsen, schielte die Politik viel zu lange auf die Notbremse Ventilklausel. Die Notbremse zogen am 9. Februar andere. Leider im Tunnel.
Monika Bütler
ist seit 2004 ordentliche Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen. 2008 gründete sie dort zusammen mit einem Kollegen das Schweizerische Institut für Empirische Wirtschaftsforschung (SEW) und fungiert seither als geschäftsführende Direktorin. Zudem beschäftigt sie sich engagiert für das Thema Demographie und Alterung der Gesellschaft.