Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Professor, die Forderungen nach strengeren Massnahmen, mehr Abschottung und Isolation werden von Politikern und Medien immer lauter. Gibt es einen Konsens der Experten (Virologen, Immunologen, Epidemiologen…), was solche Massnahmen bringen würden?
Beda Stadler: Wissenschaftler finden sich nur in einem Konsens, falls als Grundlage die Wissenschaft selber dient. Im Moment sind wissenschaftliche Fakten oft noch nicht überprüft, sind bloss Modelle, oder im schlimmsten Fall nur Meinungen.
«Im Moment sind wissenschaftliche Fakten oft noch nicht überprüft, sind bloss Modelle, oder im schlimmsten Fall nur Meinungen.» Prof. em. Dr. Beda Stadler, Biologe und Immunologe
Etwa die Schulen zu schliessen basiert auf historischen Fakten anlässlich der spanischen Grippe. Die Gesellschaft und speziell die familiäre Situation ist heute sehr verschieden und deshalb streitet man sich, ob diese Massnahmen heute noch zum gleichen Ziel führen. Es gilt wie immer, am Schluss wird man klüger sein. Entscheide werden ohnehin nur von Politikern gefällt, aber wenigstens haben diesmal die meisten Nationen, vielleicht sogar auch Amerika, auf die Wissenschaftler gehört.
Im Gegensatz zu anderen Epidemien, wie zum Beispiel der Grippe (Influenza), führt das Coronavirus vor allem und fast ausschliesslich bei Personen über 60 Jahren und in Kombination mit anderen Immunschwächen oder Grunderkrankungen zu schweren Erkrankungen oder zum Tod. Was wären die besten Massnahmen, um diese Gruppe gezielt zu isolieren und zu schützen, ohne dabei die Wirtschaft lahmzulegen?
Zusätzlich weiss man ja auch, dass bis heute kein Kind unter zehn Jahren je an diesem Virus gestorben ist, Aber weil anscheinend jede Altersgruppe gleich stark angesteckt und dass Virus gleich stark von allen weitergeben werden kann, vertraut man auf Massnahmen, wie sie der Bundesrat getroffen hat.
«Man könnte doch jetzt temporär Massnahmen ergreifen, von denen ausschliesslich die Risiko-Patienten profitieren würden.»
Ich finde, es müssten nun die Kantone kreativer werden. Genauso wie unsere Gesellschaft einen Jugendschutz hat, oder besondere Bestimmungen für Behinderte, könnte man doch jetzt temporär Massnahmen ergreifen, von denen ausschliesslich die Risiko-Patienten profitieren würden. Da die Mobilität eines der grössten Probleme ist, könnte man zum Beispiel getrennte Waggons oder Abteile im öffentlichen Verkehr einführen. Zumindest die Ruheabteile könnte man jetzt den Senioren überlassen.
Die Johns Hopkins Universität führt die wahrscheinlich verlässlichste Übersicht über den Stand der erfassten Infizierten und Todesfälle. Wie gut ist das zugrunde liegende Datenmaterial aus den einzelnen Ländern, gibt es hier einheitliche Qualitätsstandards, oder könnten auch politische Interessen bei der Erfassung und Weitergabe von Daten eine Rolle spielen?
Das kann derzeit niemand beurteilen, aber die sozialen Medien sind eine Art Möglichkeit, um die offiziellen Darstellungen zumindest teilweise zu überprüfen. Anderseits darf man auch festhalten, dass China bisher eine relativ transparente Informationspolitik betrieben hat, schliesslich waren sie die ersten, welche die Sequenz des Virus bekannt machten.
«Bei den Daten muss man zudem stark zwischen den Zeilen lesen, da die verschiedenen Staaten die Testung und die Auflistung der Fälle völlig anders durchführen.»
Bei den Daten muss man zudem stark zwischen den Zeilen lesen, da die verschiedenen Staaten die Testung und die Auflistung der Fälle völlig anders durchführen. Am meisten würde ich im Moment den Daten aus Amerika misstrauen.
Scheinbar wird in einigen Ländern mit Hochdruck an Impfstoff und Medikamenten gegen das Coronavirus gearbeitet, parallel versucht man mit bestehenden Medikamenten wie Remdesivir (Ebola-Medikament) oder mit Kombinationen wie der aus dem Grippe-Medikament Oseltamivir und den zwei HIV-Wirkstoffen Lopinavir und Ritonavir dem Virus beizukommen. Wo steht hier die Schweiz, welche Ansätze versprechen den schnellsten Erfolg?
In der Schweiz werden diese Medikamente auch eingesetzt, allerdings meist nur in der Form von klinischen Studien, so dass wahrscheinlich erst nach der Publikation der Daten klar wird, welche Medikamente überhaupt von Nutzen waren.
In Bern befindet sich die grösste Antikörper-Fraktionierungsanlage der Welt. Aus Blutplasma von zuvor Infizierten könnte man damit ein Antikörper-Präparat für eine passive Impfung herstellen. Einen ähnlichen Ansatz könnte man gentechnologisch vorantreiben, wie Sie im Interview mit TeleBärn am 11. März erwähnten. Um hier schnell einen Wirkstoff herstellen zu können, müssten aber die Zulassungsverfahren gelockert werden. Welche regulatorischen Vorschriften würde das genau betreffen und wie schnell könnte man dann einen Wirkstoff auf den Markt bringen?
Die CSL Behring hat bereits solche Produkte auf dem Markt, man nennt sie Hyperimmunpräparate. Da hier das Familiaritätsprinzip gilt, könnte ein solches Präparat mit etwas gutem Willen von Swissmedic innerhalb von Monatsfrist auf dem Markt sein, falls CSL irgendwo grössere Mengen an Plasma oder Seren von Menschen, die das neue Coronavirus hatten, findet.
Es gibt mehrere Forschungsgruppen, die behaupten solche passive Impfstoffe in Form von monoklonalen Antikörpern zu besitzen. Mit den heutigen regulativen Hürden würde es im Minimum ein Jahr dauern, einen solchen Antikörper in die Nähe der klinischen Versuche zu bringen.
«Mit etwas gutem Willen von Swissmedic könnte ein Präparat innerhalb von Monatsfrist auf dem Markt sein, falls CSL Behring irgendwo grössere Mengen an Plasma oder Seren von Menschen, die das neue Coronavirus hatten, findet.»
Parallel, aber von den Medien unbeachtet, läuft gerade auch die “normale” Grippewelle ab und kostet ein Mehrfaches an Leben wie das Coronavirus. Kann es hier auch zu Vermischungen kommen, können Personen an beiden gleichzeitig erkranken?
Ich kenne keine medizinische Literatur zu diesem Problem, aber man muss kein Hellseher sein, dass eine gemeinsame Ansteckung von Coronavirus und Influenza Virus sich gegenseitig verstärken würden.
Für die Gefährlichkeit einer Epidemie sind unter anderem die Übertragung, die Ausbreitung, der Anteil schwerer Verläufe, die Sterblichkeit und die Inkubationszeit entscheidend. Was kann man mit den bekannten Informationen schon zur Gefährlichkeit des Coronaviruses im Vergleich mit den letzten Pandemien und Epidemien wie SARS, MERS und H1N1 sagen?
Noch streitet man sich über die Mortalität des neuen Coronavirus. Es gibt Daten die zeigen, dass in Wuhan die Mortalität bei fast vier Prozent lag, während in der gleichen Provinz am Rande die Mortalität nur noch 0.7 % war.
Ein weiterer entscheidender Faktor scheint die klinische Betreuung der schweren Fälle zu sein, die einen starken Einfluss auf die Erfassung der Mortalität haben.
Vereinfacht kann man sagen, dass SARS zum Glück verschwunden ist, MERS bloss eine epidemische Virus Erkrankung ist, allerdings mit einer sehr hohen Mortalität und das letzte Auftreten des H1N1 Virus eigentlich keine Pandemie war, sondern bloss eine etwas stärkere Grippe-Saison.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Bürger gewarnt, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung infiziert werden könnten, worauf dann die Berechnungen auf gleicher Grundlage für die Schweiz in den Sozialen Medien die Runde machten, dass mit einer Mortalitätsrate von 3% mit bis zu 170’000 Toten in der Schweiz zu rechnen sei. Was sind aus Ihrer Erfahrung best und worst case Szenarien, wie gut haben solche Modelle in der Vergangenheit bewährt, um den Verlauf von Epidemien vorherzusagen?
Es scheint im Moment fast nur worst case Szenarien zu geben und alle basierend auf selbst gestrickten Modellen.
Ich finde wir sollten zurückschauen, nämlich nach China, dort sind in einem Krisengebiet, das wirklich ein worst case Szenario hinter sich hat, mit einer wesentlich höheren Population als bei uns am Schluss vielleicht knapp 4000 Tote zu beklagen. Ich weiss, die Unkenrufer behaupten jetzt schon, dass sobald China die Mobilitätsbeschränkungen lockert, das Virus wieder rundherum und überall aufflackern wird. Ich würde trotzdem die Situation von China auf uns übertragen und dann kommt dabei eine traurige Zahl in der Grössenordnung der jährlichen Grippe-Toten zu Stande.
«Ich würde die Situation von China auf uns übertragen und dann kommt dabei eine traurige Zahl in der Grössenordnung der jährlichen Grippe-Toten zu Stande.»
Die in Deutschland entwickelte PCR-Methode zum Virusnachweis gilt als der Goldstandard. Wie gross sind Aufwand und Kosten für einen solchen Test, wo ist der Einsatz sinnvoll und welche Alternativen gäbe es, um die Bevölkerung noch viel breiter zu testen?
PCR Tests sind extrem empfindlich und sie sagen aber nur aus, dass die Nukleinsäuren des gesuchten Virus teilweise gefunden wurde. Dieser Test sagt nicht aus, ob das Virus noch infektiös ist. Im Moment dauert der Test noch Stunden, ist noch nicht in grosser Zahl durchführbar und kostet die Krankenkassen fast 200 Franken. Für das Screening von Patienten ist es aber im Moment der beste Test.
Roche hat kundgetan, dass sie auf Grosslabor Automaten nun ein Kit zur Verfügung stellen können, der als Schnell-Test gilt und ganzen Ablauf automatisieren und beschleunigen würde. Die üblichen Schnell-Tests, welche auf Antikörper basieren, sind entweder noch nicht erhältlich oder zu wenig empfindlich.
Wenn Sie Stand heute die Arbeit des BAG anschauen, was hätten Sie anders gemacht, welche zusätzlichen Massnahmen hätten Sie ergriffen oder welche Massnahmen weggelassen?
Ich bin ein bekennender Kritiker des BAG und muss gestehen, dass ich dieses Mal fast alles gleich gemacht hätte und froh bin, dass ich nicht in der Rolle eines Politikers bin und überhaupt solche Entscheide treffen muss. Trotzdem erhoffe ich mir nun etwas mehr Kreativität in Bezug auf die praktischen Möglichkeiten, die Risikogruppen selektiver zu schützen.
«Ich bin ein bekennender Kritiker des BAG und muss gestehen, dass ich dieses Mal fast alles gleich gemacht hätte»
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Ich hoffe, die Klimaerwärmung bringt uns einen zu warmen Frühling mit viel Sonne, der hilft das Coronavirus zu erledigen. Als zweites möchte ich relativ schnell dem Wort „Corona“ nur noch auf Bierflaschen begegnen.
Prof. em. Dr. Beda M. Stadler war ordentlicher Professor und Direktor des Instituts für Immunologie der Universität Bern. Er betrieb Grundlagenforschung im Gebiet der Allergologie und Autoimmunität und angewandte Forschung zur Herstellung von rekombinanten humanen oder künstlichen Antikörpern und Impfstoffen für die Therapie. Beda Stadlers Eintrag bei Wikipedia |