Professor Ralf Wölfle, Institut für Wirtschaftsinformatik FHNW, im Interview
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Wölfle, der Kompetenzschwerpunkt E-Business der Hochschule für Wirtschaft FHNW hat im Auftrag des Payment Service Providers Datatrans AG zum zehnten Mal den E-Commerce Report vorgelegt, der die Entwicklungen aus Sicht der Schweizer Anbieter beleuchtet. Kurz zusammengefasst: Was hat das Jahr 2017 gekennzeichnet?
Ralf Wölfle: Wir sehen vor allem, dass von einer Beruhigung im E-Commerce keine Rede sein kann. Die Dynamik ist weiterhin extrem hoch – getrieben vor allem durch ausländische Anbieter. Die grossen internationalen Player denken E-Commerce weiter als wir in der Schweiz, sie treiben sowohl ihre Innovationen als auch ihre operative Leistungsfähigkeit mit Macht voran.
Der Online-Handel hierzulande wächst rasant, im letzten Jahr betrug das Wachstum 10%. Halten diese Wachstumsraten an?
Ja, es gibt keinerlei Anzeichen für ein Nachlassen des Wachstums.
Sie haben es erwähnt – ausländische Anbieter wachsen deutlich schneller und sichern sich wichtige Marktanteile. Wie hoch dürften diese mittlerweile sein?
Wir stützen uns hier auf die Zahlen, die der Verband des Schweizerischen Versandhandels VSV zusammen mit GfK Switzerland alljährlich publiziert. Demnach haben die Schweizerinnen und Schweizer im vergangenen Jahr Waren für 1.85 Mrd. CHF online im Ausland bestellt. Das sind 21 % der Onlinebestellungen von physischen Produkten.
Sie fürchten für den Schweizer E-Commerce ein Zurückfallen in dem sich öffnenden Markt. Welches sind die grössten Risikofaktoren?
Die ökonomischen Gegebenheiten des kleinen Schweizer Marktes und der Währungsverhältnisse bewirken, dass Schweizer Händler mit einer Operation in der Schweiz im Ausland kaum wettbewerbsfähig sind. Umgekehrt ist das hohe Preisniveau auf dem Schweizer Markt für Anbieter mit einer Operation im Ausland sehr attraktiv. Die Herausforderung ist schlicht, auf der Leistungsebene mithalten zu können.
«Ich persönlich glaube, dass (…) mehr Kooperationen auch unter Wettbewerbern notwendig sind, um genügend Kraft zu entfalten.»
Ralf Wölfle, Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW
Amazon steht im wahrsten Sinne des Wortes vor der Tür, andere Plattformen wie Aliexpress oder Wish und im Modebereich Zalando wachsen stark. Welche Möglichkeiten hat denn der Schweizer Handel, um gegen diese Giganten bestehen zu können? Kooperationen zum Beispiel?
Das ist eine sehr schwierige Frage und natürlich gibt es kein Patentrezept. Für einige Segmente gibt es vielleicht auch gar keine Antwort, z.B. bei nicht zeitkritischen Impulskäufen von sehr billigen Produkten auf Wish. Aber das ist ja nur ein sehr kleines Marktsegment. In vielen anderen hätte der Schweizer Handel sehr wohl etwas in die Waagschale zu werfen, allen voran die Nähe zu den Kunden. Die Lösungen, um solche Potenziale ebenfalls mit Macht auszuspielen, sind noch nicht entwickelt und es fragt sich, wer in der Schweiz überhaupt die Kraft dazu hat. Ja, ich persönlich glaube, dass in dieser Situation mehr Kooperationen auch unter Wettbewerbern notwendig sind, um genügend Kraft zu entfalten.
Während Siroop mittlerweile eingestellt worden ist, baut Galaxus erfolgreich weiter an seinem Geschäft. Wie beurteilen Sie das Vorgehen?
Galaxus hat derzeit einen hervorragenden Drive. Die Expansion nach Deutschland hat in meinen Augen eine grosse Bedeutung auch für die künftigen Erfolgsaussichten in der Schweiz, denn Galaxus kann so wie ein europäischer Player einkaufen. Das Tempo ist hoch und birgt einige Risiken, aber im internationalen Wettbewerb ist Galaxus das Flaggschiff der Schweiz.
Der Onlineversand vom Ausland in die Schweiz geht immer schneller. Dennoch dürfte die vielfach gewünschte Same Day Delivery nicht zu machen sein. Wird die Logistik entsprechend zum grossen Wettbewerbsvorteil für Schweizer Anbieter?
In der regionalen Nähe sehe ich in der Tat das Potenzial eines Wettbewerbsvorteils für Schweizer Anbieter. Um dieses Potenzial zu realisieren muss aber noch einiges getan werden. Das sofort verfügbare Angebot muss vergrössert werden, was sinnvollerweise dadurch geschieht, dass sich kooperierende Anbieter gegenseitig Zugriff auf ihre Warenbestände geben. Ausserdem wäre es wünschenswert, wenn Schweizer Anbieter in der Zustelllogistik Lösungen für sehr schnelle Lieferungen etablieren könnten, die ihren ausländischen Wettbewerbern nicht zugänglich sind. Das erfordert natürlich ein vollständiges Umdenken, weil heute fast alles mit der Schweizerischen Post versendet wird und damit keine Unterscheidung im Wettbewerb ermöglicht.
«In der regionalen Nähe sehe ich in der Tat das Potenzial eines Wettbewerbsvorteils für Schweizer Anbieter. Um dieses Potenzial zu realisieren muss aber noch einiges getan werden.»
Wie sehen die Einschätzungen der Studienteilnehmer hinsichtlich des stationären Handels aus?
Die Studienteilnehmer – das sind allerdings alles E-Commerce-Protagonisten – sehen ein Andauern von Entwicklungen, die für den stationären Handel problematisch sind. Während der Food-Bereich wegen des Trends zu höherwertigen Lebensmitteln grosso modo stagnieren oder leicht wachsen könnte, werden die Aussichten für den Nonfood-Bereich überwiegend negativ eingeschätzt.
Kaufentscheidungen werden immer mehr online getroffen. Wie müsste der stationäre Handel darauf reagieren?
Das Fatale ist ja: Waren, die wir im Internet suchen, sind häufig in einem Geschäft in der Nähe unseres Lebens- oder Arbeitsbereichs sofort verfügbar. Aber das herauszufinden wäre sehr mühsam – also bestellen wir online und lassen uns die Ware über weite Distanzen zusenden. Der stationäre Handel braucht eine Lösung, um unmittelbar an das Suchverhalten der Kunden anzuknüpfen. Das ist ein Thema, das sinnvollerweise gemeinschaftlich und mit Entschlossenheit angegangen werden müsste.
Ein Kapitel der Studie widmet sich dem sogenannten Seamless Payment. Was ist unter dem Begriff genau zu verstehen?
Bezahlen ist oft ein wirklich lästiger Vorgang. Mit der heute verfügbaren Sensorik können Bezahlvorgänge aber eliminiert werden, was gerade bei wiederholten Vorgängen wirklich praktisch ist. Wenn ich dem Verfahren einmalig zugestimmt und ein Zahlungsmittel hinterlegt habe, kann mir der Anbieter die Tätigkeiten extra für die Bezahlung fortan abnehmen. Wenn meine Kaufabsicht eindeutig erkennbar ist, kann der Anbieter die Bezahlung selbst und ohne mein Zutun auslösen.
Welches Potenzial wird dem klicklosen Bezahlen zugebilligt – und wo steht man heute bei der Umsetzung in der Schweiz?
Indem wir nun mit Fairtiq und Lezzgo zwei Lösungen haben, die im gesamten öffentlichen Verkehr der Schweiz Seamless Payment ermöglichen und dabei den Komfort bieten, dass ich mich gar nicht mehr mit den unübersichtlichen Tarifsystemen auseinandersetzen muss, haben wir in der Schweiz zwei tolle Leuchtturm-Lösungen. Ich glaube, dass viele Menschen diesen Service gerne annehmen werden und damit komfortablen Bezahllösungen den Weg bereiten.
Herr Wölfle, herzlichen Dank für das Interview.
Zur Person:
Ralf Wölfle leitet den Kompetenzschwerpunkt E-Business am Institut für Wirtschaftsinformatik der Hochschule für Wirtschaft der FHNW. Dort trägt er die Verantwortung für die angewandte Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistungen in diesem Themengebiet. Im Vordergrund stehen die Konzeptentwicklung und das Management von E-Business-Projekten. Ralf Wölfle ist Mitherausgeber und Autor zahlreicher Bücher zum Thema E-Business. Seine aktuell wichtigste Publikationsreihe ist der seit 2009 jährlich im Juni erscheinende E-Commerce-Report Schweiz. Ralf Wölfle ist langjähriger Leiter der Jury Business beim Schweizer Award „Best of Swiss Web“ und war von 2004 bis 2017 Vorstandsmitglied bei Simsa, dem Branchenverband der Schweizer Internet-Wirtschaft.
FHNW – Institut für Wirtschaftsinformatik
Das Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) gestaltet mit seinen über 50 Mitarbeitenden die digitale Transformation aktiv mit und unterstützt die Gesellschaft sowie Partnerinnen und Partner aus Praxis und Forschung, ihre zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Die Mitarbeitenden der Kompetenzschwerpunkte untersuchen, erforschen, lehren und formen dabei den digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Kernkompetenzen liegen im Management komplexer Systeme, im Zusammenspiel von Menschen, Daten, Informationen, Wissen und Prozessen – mit künstlicher Intelligenz, allzeit und überall.